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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Fukushima – Krise der Atomwirtschaft

Hubertus Zdebel, MdB, Fraktion DIE LINKE

Mehrfacher Super-GAU im japanischen Fukushima. Am 11. März 2011 – vor nunmehr rund fünf Jahren – begann in den vier Reaktoren die Katastrophe, die bis heute nicht unter Kontrolle ist. Nach dem Versagen der Kühlung in mehreren Reaktorblöcken kommt es zur Kernschmelze, Explosionen zerreißen die Sicherheitsbehälter, die radioaktive Strahlung gelangt ungehindert an die Umwelt. Mehr als 200.000 Menschen mussten nach Angaben der Internationalen Ärzteorganisation IPPNW vor der radioaktiven Wolke aus ihrer Heimat fliehen. Noch heute leben über 100.000 von ihnen in Behelfsunterkünften. In Deutschland reagiert die Bundesregierung mit einer Kehrtwende auf den mehrfachen Super-Gau. Gerade erst war trotz massiver Proteste von Hundertausenden von der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung die Laufzeitverlängerung für die deutschen Reaktoren beschlossen. Jetzt werden acht Meiler sofort und endgültig abgeschaltet. Die anderen neun sollen schrittweise bis Ende 2022 folgen. Die Gefahren bleiben, und der Kampf um die Kosten für den Atomausstieg ist noch nicht zu Ende.

Bis heute bestehen rund um die Katastrophen-Reaktoren Sperrzonen, und es gibt an vielen Orten erhöhte Strahlenwerte, Schilddrüsen-Erkrankungen vor allem bei Kindern nehmen zu, und viele Menschen leiden angesichts des Verlustes ihrer Heimat an psychischen Spätfolgen der Katastrophe. Immer noch müssen die havarierten Reaktoren gekühlt werden. Durch zerrissene Leitungen fließt ein Teil des hochradioaktiven Kühlwassers in den Untergrund. Grundwasser unter den Reaktor-Ruinen wird verstrahlt. Die rund 50 Atommeiler in Japan wurden als Reaktion auf die Katastrophe allesamt abgeschaltet. Doch trotz der Katastrophe und danach aufgedeckten Filz', trotz Verstrickungen und Schlampereien des japanischen Atomdorfs, wie das Geflecht von Behörden und Betreibern auch genannt wird: Inzwischen sind drei Reaktoren wieder am Netz und die konservative Regierung will nach und nach weitere Reaktoren wieder in Betrieb nehmen.

Fukushima: Die Katastrophe dauert an

»Jeden Tag sollen 300 Tonnen verseuchtes Wasser in das Meer fließen. Die Regierung weiß nicht, was sie mit rund 1.100 Tonnen verseuchten Wassers, die noch auf dem Gelände gelagert werden, machen soll. Unterhalb des Reaktors gibt es eine sehr stark verseuchte Zone – auch hier weiß man nicht, wie man damit umgehen soll. Es gibt somit viele offene Fragen. Ich finde es auch besonders beunruhigend, dass die Olympischen Spiele 2020 in Japan stattfinden sollen. Und das auch in einem Gebiet, welches direkt an der 20-Kilometer-Sperrzone liegt.« Das sagte vor wenigen Tagen die Vizepräsidentin der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) in Europa. Mit einem großen Kongress hatte die Ärzte-Organisation Ende Februar den fünften Jahrestag der Katastrophe von Fukushima und den 30. Jahrestag des Super-Gau in der ehemaligen sowjetischen Ukraine begleitet.

Krise der Konzerne

Für die bundesdeutschen Atomkonzerne gibt es nach Fukushima ein jähes Erwachen. Gerade erst hatten sie die schwarz-gelbe Bundesregierung dazu gebracht, einer Verlängerung der Laufzeiten für die Atommeiler zuzustimmen. Schwarz-Gelb liquidierte den zuvor von einer rot-grünen Bundesregierung 2000/2 verhandelten faulen Kompromiss eines schrittweisen Ausstiegs. Acht bis 14 Jahre mehr Laufzeit sollte es für die Atomkonzerne geben. Die damit verbundenen Einnahmen hatten sie bitter nötig. Nach der neoliberalen Öffnung der Energiemärkte Ende der 1990er Jahre innerhalb der EU hatten sie einen wahren Beutezug angetreten und expandierten. Aus ehemals 11 Stromkonzernen waren Anfang der 2000er Jahre E.on, RWE, EnBW und neu der schwedische Stromkonzern Vattenfall im deutschen Markt entstanden. Mit Milliarden-Summen, finanziert unter anderem aus den steuerfreien Atom-Rückstellungen, die die Konzerne für die Atommülllagerung zur Seite legen mussten und die ihnen enorme Vorteile boten, gingen sie in Europa auf Einkaufsreise, kauften in Süd- und Osteuropa, in Skandinavien und Großbritannien Unternehmen und Kraftwerke.

Massive Personaleinsparungen und hohe Dividenden sorgten für einen wahren Goldrausch bei den deutschen Atomkonzernen. Doch schon Mitte der 2000er Jahre begann sich das Blatt zu wenden: Die Finanzkrise und in der Folge die Wirtschaftskrise sorgten dafür, dass die Investitionen zu einem Milliardengrab wurden. Nach und nach bauten RWE und E.on Schuldenberge auf, die schließlich bei 30 bis 35 Mrd. Euro lagen. Auch die deutlich kleinere Vattenfall hatte schließlich um die 20 Mrd. Schulden im Gepäck.

Massiver Strukturwandel der Stromwirtschaft

Verstärkt wurden diese Effekte durch den Umbruch der Energiemärkte, maßgeblich befeuert durch das Erneuerbare-EnergienGesetz (EEG) der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2000, mit dem Wind- und Solaranlagen zu festen Konditionen unterstützt wurden. Außerdem wurde den erneuerbaren Energien ein Einspeisungs-Vorrang eingeräumt. Zunächst mussten die Erneuerbaren ins Netz genommen werden, erst danach durften die konventionellen Kraftwerke einspeisen.

Die Folgen des EEG übertrafen alle Erwartungen, das Gesetz wurde Vorbild für Regelungen in vielen anderen EU-Staaten. Und die enorme Dynamik des Ausbaus von Wind- und Solarenergie sorgte für einen gravierenden Umbruch der Strommärke in ganz Europa und untergrub damit das bisherige Geschäftsmodell der bisherigen Stromriesen. Schon ab der zweiten Hälfte der 2000er Jahre sorgte zunächst die Solarenergie dafür, dass der für die Konzerne bislang gewinnträchtige Spitzenlaststrom massive Verluste entwickelte, weil der Solarstrom deutlich günstiger war. Danach sorgte der wachsende Windenergieanteil für weitere Preiseinbrüche zunächst im Mittellastbereich, schließlich sogar im Bereich der Grundlast-Stromerzeugung. Die Folge: Die Gewinne der konventionellen Kraftwerke brachen immer mehr weg. Lag der Strompreis je Megawattstunde damals noch über 50-60 Euro, ist er heute deutlich unter 30 Euro gefallen und sinkt weiter.

Viel zu spät begriffen die Atomkonzerne, welch massiver Strukturwandel da eingetreten war. Sie hatten inzwischen mit der Planung und dem Bau neuer großer Kohlekraftwerke begonnen, die seit 2005 nach und nach ans Netz gehen sollten. So wurden die Stromerzeugungskapazitäten in großen Kraftwerken weiter erhöht. Schon damals musste man sich wundern, dass die Konzerne offenbar den »Kannibalisierungseffekt« durch immer mehr Megawatt nicht erkannten.

Kohle und atomare Laufzeitverlängerung

Als Ausweg aus dem sich Mitte der 2000er Jahre zeigenden Desaster setzten die Konzerne nun aber nicht etwa auf einen längst fälligen Strukturwandel in Richtung erneuerbare Energien. Laufzeitverlängerung der Atommeiler war der eine Gedanke, der andere, die Erneuerbaren auszubremsen. Mit der Bundestagswahl im September 2009 wähnte sich die Atomwirtschaft am Ziel. Schwarz-Gelb hatte sich für die Laufzeitverlängerung ausgesprochen und begann, das Gesetz für die erneuerbaren Energien zu deckeln. Allerdings: Die Zeichen der Klimakatastrophe und massive Proteste sorgten dafür, dass die Einschnitte überschaubar blieben. Obendrein hatte das EEG auch dafür gesorgt, dass die erneuerbaren Energien deutlich preiswerter geworden waren und inzwischen auch ohne Förderung weiter expandierten.

Bis Ende 2010 dauerten die Verhandlungen der neuen Bundesregierung an, angesichts einer mobilisierten Anti-Atom-Bewegung und einer starken Energiewende-Bewegung, die ihre Anhänger bis tief hinein in die CDU/CSU und die FDP (die berühmten Energie-Bauern und Zahnarzt-Windanlagen) hatte. Nur ein halbes Jahr nach dem Beschluss zur Laufzeitverlängerung für die Atommeiler sorgte die Katastrophe von Fukushima dann für die eingangs beschriebene Kehrtwende. Für die Atomunternehmen eine Horror-Meldung, denn mit der sofortigen Stilllegung von acht Meilern und dem schrittweisen Ausstieg aus den verbleibenden neun AKWs brachen die erhofften und dringend benötigten Milliarden-Einnahmen weg. Das Geschäftsmodell der Konzerne war im Grund erledigt, die Strategie mit Kohlekraft, Laufzeitverlängerung der Atommeiler und einer Blockade der Erneuerbaren die Krise überstehen zu können, gescheitert. Die Antwort auf Fukushima hieß: Energiewende geht weiter.

Die Auswirkungen sind massiv: Milliarden-Abschreibungen, Verluste und Gewinnausfälle und weiter sinkende Strompreise markieren die wesentlichen Geschäftsdaten der ehemals stolzen Atomkonzerne. Entwicklungen übrigens, die auch für die Giganten im Atomgeschäft in anderen europäischen Ländern gelten: Beispielhaft zu sehen an den massiven Verlusten der französischen Atomkonzerne EDF und AREVA.

Fukushima war nicht die Ursache für die heutige Krise der hiesigen Atomkonzerne. Der mehrfache Super-Gau zerstörte aber die Strategie, mit der die Konzerne trotz Atomrisiken und Klimakatastrophe ihr Geschäftsmodell zu Lasten von Menschen und Umwelt verlängern wollten.

Die Kämpfe dauern aber natürlich noch an. Das Ziel der Konzerne: Die eigene Verantwortung für das Desaster ignorieren und soviel der finanziellen Schäden auf die BürgerInnen übertragen wie möglich: Mit Schadensersatzklagen gegen die Bundesregierung und die Bundesländer, bei Vattenfall als ausländischem Unternehmen sogar mit einer TTIP-ähnlichen Klage vor einem »Schiedsgericht« in Washington im Rahmen der Energie-Charta. Das Bundesverfassungsgericht wird sich Mitte März mit den Konzern-Klagen befassen.

Auf anderen Bühnen laufen die Rettungsaktionen der Bundesregierung für offenbar systemrelevante notleidende Stromkonzerne: Mit blumigen Worten und einer »Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs« (KFK) werden E.on, RWE, Vattenfall und EnBW aus der bislang vorgeschriebenen Haftung für die Finanzierung der Atommüll-Lager-Kosten mindestens teilweise befreit und die Kosten den SteuerzahlerInnen aufgebrummt.

Entlastungen aber auch bei den eigentlich überflüssigen (Braun)Kohlekraftwerken. Statt die nicht mehr erforderlichen Klimakiller vom Netz zu nehmen und einzumotten, bekommen die Unternehmen nun Milliarden-Beträge zugeschustert, damit sie diese in einer Betriebs-Reserve bereithalten. Da lacht der Konzernchef und atmet durch! Der Filz zwischen Kapital und Staat funktioniert.

Da braucht es Gegenwehr

Tausende Menschen werden in den nächsten Tagen und Wochen aus Anlass der Jahrestage der Katastrophen von Fukushima und Tschernobyl demonstrieren, gegen Atomgefahren und für die Energiewende. Das ist gut und wichtig und Grund genug, dass sich die LINKE ordentlich einmischt und Präsenz zeigt. Ebenso wichtig ist es, die sozio-ökonomischen Entwicklungen hinter den Atomrisiken verstärkt aufzuzeigen und an die eigentlichen Ursachen atomarer Gefahren und der Klimakatastrophe zu gehen: Klima statt Kapitalismus, wie es in Abwandlung zu Naomi Klein heißen müsste.