Für eine ökosozialistische Wende von unten!
Beschlußkonferenz in Kassel vom 14. März 2010
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Beschlußkonferenz im Anschluß an die von der Bildungsgemeinschaft SALZ e.V. ausgerichtete Konferenz zu Ökologie und Sozialismus in Kassel unterstützen die ökosozialistische Erklärung von Belém, die aus der Weltsozialforum-Bewegung heraus entstanden ist, und verstehen sich als Teil der weltweiten ökosozialistischen Bewegung.
Die kapitalistische Produktionsweise ist mit einem ökologisch verantwortlichen Wirtschaften und einer lebenswerten zukunftsfähigen Welt nicht vereinbar. Ihre Triebkraft ist das grenzenlose Streben nach höchstmöglichem Profit, und die Konsequenz daraus ist der Zwang zu einem Wachstum, das mit den begrenzten Ressourcen der Erde unvereinbar ist.
Als Ergebnis der Vorbereitung und der Debatten unserer Konferenz halten wir fest:
Die Erwärmung der Erdatmosphäre durch den Ausstoß von Treibhausgasen gefährdet das Überleben der Menschheit und bedroht sie akut mit unabsehbaren Katastrophen.
Die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordert eine Reduktion des CO2-Ausstoßes um 90% bis 2050, das entspricht einer Reduktion auf eine Tonne pro Kopf und Jahr. Doch nicht einmal die offiziellen und völlig unzureichenden, von den Herrschenden der reichsten Industriestaaten bestimmten Klimaziele können im Rahmen der bestehenden Verhältnisse erreicht werden. In den ersten vier Jahren des 21. Jahrhunderts war der jährliche Zuwachs der globalen CO2-Emissionen fast dreimal so hoch wie in den 1990er Jahren, trotz des Kyoto-Protokolls. Die so genannten marktwirtschaftlichen Lösungen mit Biosprit und Handel mit Emissionsrechten verschärfen das Problem des Hungers in der Welt, von dem bereits eine Milliarde Menschen betroffen sind, und verschaffen den Großkonzernen und großen Kapitalgruppen zynisch die Möglichkeit, auch noch ihre umweltvernichtenden Aktivitäten in klingende Münze zu verwandeln – zu Lasten des ärmeren Teils der Menschheit und insbesondere zu Lasten der Ärmsten der Armen, die die ersten Opfer der aktuellen und bevorstehenden Umweltkatastrophen sind. Angesichts der objektiven Grenzen des Wachstums erteilen wir jeder Wirtschaftspolitik eine Absage, die versucht, die derzeitige Krise durch Fortsetzung des Wachstumswahns und Konsumsteigerung zu lösen.
Wir fordern die radikale Umstellung auf erneuerbare und saubere Energiequellen wie Windkraft, Geothermie, Wellen- und Sonnenenergie.
Uns ist bewußt: Auch bei konsequentem Ausbau der zur Verfügung stehenden erneuer- baren Energien und bei Ausschöpfung der Effizienzpotenziale werden wir in Zukunft mit erheblich weniger Nettoenergie auskommen müssen als bisher.
Kapitalistische Wirtschaftsweise in Frage stellen
Das stellt nicht nur unsere kapitalistische Wirtschaftsweise radikal in Frage. Das Wegbrechen der fossilen Ressourcen einerseits, die nicht im selben Maß durch andere Energiequellen ersetzt werden können, und die Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen schnell und erheblich zu reduzieren, stellen unsere Industriegesellschaft insgesamt zur Disposition. Der unausweichliche Prozeß des Rück- und Umbaus bedeutender Teile der Industrie muß politisch gestaltet und geplant werden. Was, wie und wie viel produziert wird, darf nicht länger kapitalistischen Einzelinteressen überlassen, sondern muß demokratisch entschieden werden.
Wir fordern die sofortige Einstellung der Produktion von Massenvernichtungsmitteln und Kriegswaffen.
Gerade angesichts der drohenden und von den Militärstrategen bereits geplanten Ressourcenkriege ist dies dringender als je zuvor.
Wir fordern den Stopp des Baus von Kohlekraftwerken und des Mißbrauchs von Nutz- pflanzen zur Kraftstoffherstellung.
Wir fordern die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen wegen ihrer unabsehbaren Risiken und des unlösbaren Problems der Entsorgung der nuklearer Abfälle.
Wir fordern den großzügigen Ausbau des öffentlichen Personen- und Güterverkehrs auf der Schiene und die drastische Reduktion des PKW- und LKW-Verkehrs auf der Straße. Für den Verkehr auf den Weltmeeren und in der Luft fordern wir den Umstieg auf Segelschifffahrt und Luftschiffe.
Der dringend erforderliche Umbau der Industriegesellschaft zu einer postindustriellen Gesellschaft muß dazu führen, daß nicht immer mehr, sondern sehr viel weniger Energie verbraucht wird. Dafür ist eine Entschleunigung des Lebens nötig und eine ganz andere Gestaltung des Raums, die dafür sorgt, daß die täglichen Wege zur Arbeit, zur Freizeitbetätigung und zum Wohnen drastisch verkürzt werden. Dazu gehören die schrittweise Aufhebung der Unterschiede zwischen Stadt und Land und die völlige Umgestaltung der Millionenstädte zu einer den Menschen förderlichen und angenehmen Umwelt.
Für die Landwirtschaft fordern wir ein Ende der Agrarindustrie, des intensiven Getreideanbaus, der hypertrophen Weidewirtschaft zur Produktion ungesunder Mengen an Fleisch, der gigantischen Monokulturen, des Einsatzes der Gentechnik. In Übereinstimmung mit der weltweiten Bauernbewegung Via Campesina fordern wir statt dessen die Förderung der Relokalisierung der Versorgung mit Lebensmitteln, die Förderung der bäuerlichen familiären Kleinwirtschaften und der selbstverwalteten Genossenschaften auf dem Lande sowie die Wiederfruchtbarmachung des bislang vernichteten bebaubaren Bodens. Die ökologisch verantwortliche Produktion einer ausreichenden Menge an gesunden und ansprechenden Lebensmitteln ist möglich, aber nicht, wenn die Plusmacherei des großen Kapitals und die Macht von Großgrundbesitzern weiter die landwirtschaftliche Produktion beherrschen.
Die Beseitigung des Bodenmonopols ist eine Grundbedingung für die Lösung der wichtigsten ökologischen Probleme. Nötig sind weiterhin die Flächenbindung für die Viehwirtschaft, das Verbot von Futtermittelimporten, das Verbot von Exportsubventionen, da sie bäuerliche Strukturen in der Dritten Welt zerstören, die schrittweise Reduzierung des Einsatzes von Kunstdünger und Pestiziden.
Ziel ist eine Landwirtschaft, die sich an den natürlichen Kreisläufen orientiert.
Die Ressourcen der Erde sind von erheblichem öffentlichen Interesse, und alles für die menschliche Gesellschaft insgesamt Bedeutende muß endlich gesellschaftlich kontrolliert und verwaltet werden.
Wir fordern daher die Vergesellschaftung der großen Produktionsmittel, Überführung der Energieversorgung in öffentliche Hände, Vergesellschaftung aller Bereiche der Daseinsvorsorge und auch der Banken und Versicherungsgesellschaften. Die Banken dürfen die Gesellschaft nicht wie bei der jüngsten Finanzkrise in Geiselhaft nehmen können; die Verteilung von Kreditmitteln ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Dabei ist den Teilnehmer- innen und Teilnehmern der Beschlußkonferenz für Ökologie & Sozialismus bewußt, daß Verstaatlichung nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die öko-sozialistische Wende ist. Wenn Verstaatlichungen dazu führen, daß nur eine kleine Minderheit von Verwaltern das Sagen hat, dann werden diese tendenziell zu Lasten der großen Mehrheit der Menschen und zu Lasten der Natur zum eigenen Vorteil wirtschaften.
Die Erfahrungen mit einem scheinbar "sozialistischen" Produktivismus haben gezeigt, daß die demokratische Kontrolle von unten und die Teilhabe der Beschäftigten sowie der Konsumentinnen und Konsumenten an der Verwaltung der Betriebe und an den großen wirtschaftlichen Richtungsentscheidungen eine Voraussetzung dafür ist, daß ein ökologisch verantwortliches und auf die Bedürfnisse ausgerichtetes Wirtschaften erreicht werden kann. Darum erfordert die ökosozialistische Wende die gleichmäßige Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit auf alle und die Sicherung der materiellen Existenz aller zu menschenwürdigen Bedingungen.
Neue Lebensweise – höherer Lebensstandard
Freiheit von Existenzangst und freie Zeit sind erforderlich, um die Teilhabe aller an der Verwaltung und am Meinungsbildungsprozeß über das, was gesellschaftlich notwendige Arbeit ist, zu ermöglichen.
Bei einer Wende zu ökologisch verantwortlichem Wirtschaften, bei dem schädliche und überflüssige Produktionen und Produktlinien aufgegeben werden, bei dem Boden, Wasser und Luft nicht weiter vergiftet, verschmutzt und vernichtet werden, kann viel überflüssige Arbeit (Waffenindustrie, unsinnige Konsumgüter, Massenproduktion von ökologisch im heutigen Ausmaß nicht mehr tragfähigen Gütern wie Autos etc.) eingespart werden. Andererseits ist die bisherige hohe Produktivität zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, daß lange Zeit ausreichend und preiswert billige Energie zur Verfügung stand. Diese Voraussetzung ist aber bald nicht mehr gegeben. In vielen Bereichen werden wir wieder auf energieärmere Produktionsverfahren zurückgreifen müssen. Die erreichte hohe und jede höhere Arbeitsproduktivität aber muß dafür genutzt werden, den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen.
Qualitatives Kriterium eines erhöhten Lebensstandards ist, sobald die Grundbedürfnisse befriedigt werden, die Ausdehnung der freien Zeit für vielfältige selbstbestimmte und schöpferische kulturelle Betätigung und Selbstentfaltung, für die Gestaltung liebevoller Beziehungen sowie für die Betreuung von Kindern und allen hilfsbedürftigen Menschen. Dabei ist für uns selbstverständlich, daß die so genannte Reproduktionsarbeit unter Männern und Frauen gleichmäßig aufgeteilt werden muß. Erst dann werden die vielfältigen Benachteiligungen und Diskriminierungen der Frauen restlos verschwinden können.
Gerecht aufgeteilt werden müssen auch die Lasten des ökologischen Umbaus.
Die reichen Industrieländer müssen den ärmeren und armen Ländern helfen, die Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerungen so rasch wie möglich befriedigen zu können. 500 Jahre Kolonialismus, Imperialismus und Neokolonialismus verpflichten dazu. Ansprechende Lebensmittel, Zugang zu sauberem Wasser, zu Bildung und Kultur darf nicht das Privileg einer Minderheit der Weltbevölkerung bleiben.
Auch hierzulande stellt sich die Frage der sozialen Gerechtigkeit dringender als je zuvor. In Zukunft geht es nicht mehr einfach um eine möglichst gerechte Aufteilung eines Wohlstandskuchens, sondern um knapper werdende Ressourcen und um ein qualitativ anders gestaltetes Leben. Es darf auf keinen Fall die Situation eintreten, daß sich die Reichen weiterhin einen hohen Umweltverbrauch leisten können, während es den Armen am Nötigen fehlt. Um das zu vermeiden, ist aber bewußte politische Gestaltung nötig (Festsetzung von Preisen und Tarifen, Ressourcenzuteilung, Quotenvergaben ...). Marktwirtschaftliche und rein fiskalische Instrumente (wie z. B. "Ökosteuern") müssen hier zwangsläufig versagen.
Eine Abkehr von unserem derzeitigen Konsumstil wird gesellschaftlich nur dann akzeptiert werden können, wenn sie gerecht und solidarisch gestaltet wird. Eine konsequente Umverteilungspolitik von oben nach unten ist daher eine notwendige Voraussetzung für eine gelingende ökologische Wende.
Wir wenden uns mit dieser Erklärung insbesondere an die sozialen Bewegungen, die Gewerkschaften und die politischen Parteien und Organisationen der Linken. Wir brauchen die gemeinsame Aktion für die dringend nötige ökosozialistische Wende. Stellvertreterpolitik in den überkommenen politischen Institutionen kann diese Wende nicht bringen, sondern nur die Mobilisierung und Selbstorganisation der abhängig Beschäftigten und der Erwerbslosen zusammen mit allen Ausgebeuteten und Unterdrückten.
Laßt uns alle unsere Ressourcen, Ämter und Mandate gemeinsam dafür nutzen, aufzuklären und alles dafür zu tun, daß eine mächtige, betriebs- und ortsübergreifende und internationale Bewegung entsteht, die die bestehenden Verhältnisse umstößt zugunsten einer globalen ökosozialistischen Demokratie!
Wir befürworten die Arbeit eines organisations- und strömungsübergreifenden öko-sozialistischen Arbeitskreises im Rahmen der politischen Bildungsarbeit, der sich an der Meinungsbildung des internationalen ökosozialistischen Kreises beteiligt, der die Erklärung von Belém erarbeitet hat.
Liste der Unterzeichner siehe www.bildungsgemeinschaft-salz.de/bilder/stand_23_03_erklaerung_beschlusskonferenz_kassel_2010-1.pdf