Für eine linke Klimapolitik der kleinen Schritte
Eva Bulling-Schröter, MdB
Über zehn Jahre Kyoto-Protokoll und globale Klima(un)gerechtigkeit
»Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.« (Manifest der Kommunistischen Partei, Januar 1848)
2013 war das heißeste Jahr der Wetteraufzeichnung, nie zuvor wurde so viel Klimakiller-Gas Kohlenstoffdioxid in die Luft gepustet wie 2014. Ein Blick zurück zeigt, wie zäh die Mühlen der Klimadiplomatie mahlen. Vor zehn Jahren, am 16. Februar 2005 trat das erste Klimaabkommen der Menschheitsgeschichte in Kraft. Mit dem »Kyoto-Protokoll« - das als völkerrechtlicher Vertrag bereits 1997 vorlag - verpflichteten sich die unterzeichnenden Industriestaaten erstmals seit Bekanntwerden der durch Verbrennung von Öl, Gas und Kohle menschengemachten Erderwärmung, ihren Jahres-Treibhausgas-Ausstoß von 2008 bis 2011 um durchschnittlich 5,2 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Der Rückzug der USA 2001 unter George W. Bush hatte die Ratifizierung verzögert und die Unterschrift des zögernden Russland nötig gemacht. Erst drei Jahre später, unter Vladimir Putin, erklärte Moskau nach Gewährung großzügiger Emissionsrechte-Privilegien seinen Beitritt zum Klimavertrag. Das Abkommen konnte in Kraft treten, weil mit dem grünen Licht der Duma 55 Staaten, die zusammen mehr als 55 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verursachen, das Abkommen ratifiziert hatten.
Viel Zeit war verloren. Nach dem wegen seines Scheiterns berühmt gewordenen Kopenhagener Klimagipfel 2009 einigten sich die Vertragsstaaten in Katar 2012 schließlich auf »Kyoto II« - bis 2020 bleibt der erste Weltklimavertrag in abgeschwächter Form gültig. Doch seine UnterzeichnerInnen, darunter die EU, sind für nur 15 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Viel zu wenig, um das von den WissenschaftlerInnen ausgerufene 2-Grad-Limit der Erderwärmung zu schaffen. Bis heute haben sich 191 Staaten dem Kyoto-I-Protokoll angeschlossen. Washington und Kanada sind die einzigen Industrieländer, die aus dem Minimalkonsens ausscherten, und einen nationalen Sonderweg ohne verbindliche Klimaschutzverpflichtungen eingeschlagen haben. In Paris soll im Dezember dieses Jahres ein Kyoto-Nachfolge-Abkommen zustande kommen.
Herrenlose Atmosphäre als CO2-Deponie
Das Ende des Kalten Krieges hat auch der internationalen Klimapolitik seinen Stempel aufgedrückt. Dem Schluss der Blockkonfrontation folgte ein globaler Turbo-Kapitalismus, von den Siegern des Systemkonflikts als alternativlos erklärt. So wünschenswert die von Vertretern des »Endes der Geschichte« (Francis Fukuyama) propagierte Idee vom »globalen Dorf« einer vereinten Welt erscheint, wo internationale (Klima-)Politiken zum gegenseitigen Nutzen der Staaten und ihrer Bevölkerungen verhelfen, so realitätsverweigernd muss diese Heile-Welt-Vorstellung bleiben. Die reale Welt ist mit wenigen Ausnahmen eine Welt, in der UnternehmerInnen, Finanzinstitutionen, übermächtige Industrie- und Schwellenländer und ihre Eliten tagtäglich das Recht des Stärkeren durchsetzen, was sie als gesunden Standortwettbewerb verkaufen.
Doch hat dieser Kampf um die günstigsten Produktionsbedingungen und Kapital GewinnerInnen und VerliererInnen. Wir erleben eine Welt, in der die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Die 85 reichsten Menschen der Erde sind reicher als 3,5 Milliarden MitbürgerInnen. Auf der anderen Seite verfügt die Hälfte der Menschheit über nur 1 rozent des weltweiten Kuchens von Besitz und Vermögen. Auch heute noch wächst der (ungleich verteilte) Wohlstand im Norden schneller als im Süden. Konkret: Jeder achte Mensch hat nicht genügend Essen für ein gesundes und würdiges Leben. An Hunger sterben mehr Menschen als an Seuchen wie HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen. Auch im Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen lässt sich die Wohlstandsungerechtigkeit ablesen. In den armen Ländern sind es im Schnitt eine Tonne CO2, die ein Fischer oder eine Bauersfrau durch seine Lebensweise verursacht. In China sind es heute sieben Tonnen, in Deutschland neun, in den USA 16!
Klimafrage und Kapitalismus, worin liegt der Zusammenhang von Ökologie und Ökonomie? Es geht bei beidem um Gerechtigkeit. Historisch trifft den Süden die schreiend ungerechte Weltordnung am stärksten. Erst Kolonialismus mit Millionen von Toten, Erniedrigung und Ausbeutung zum Wohle des Nordens sowie kleiner Herrschergruppen in der verkauften Heimat. Dann Kapitalismus mit Deregulierung, Staatsabbau und Marktöffnung, der den Massen in Südamerika, Afrika und Asien mehr Leid denn ein besseres Leben gebracht hat. Auch die Klimakrise trifft auf dem aktuellen Weltmarkt unter Ungleichen die Ärmsten der Armen am stärksten. Immer mehr Klimaflüchtlinge zeugen von den Folgen des Klimawandels, den die Industriestaaten zu verantworten haben.
Die Verbrennung fossiler Brennstoffe (Öl, Gas, Kohle) war - und bleibt auch die nächsten Jahrzehnte - wichtigste energetische Triebkraft kapitalistischer Entwicklung. Ungefragt haben sich die Industriestaaten die herrenlose Atmosphäre als CO2-Deponie angeeignet. Und so erinnert die Eroberung der Luft durch Kohlenstoff aus Kohlekraft, Stahlwerken und Hausheizungen im industrialisierten Norden an die »ursprüngliche Akkumulation« (Karl Marx). Mit der massenhaften Enteignung von Land im vorindustriellen Europa des 16. Jahrhunderts wurden die ökonomischen Voraussetzungen kapitalistischer Akkumulation gelegt. Mit einer kleinen Kapitalistenklasse als Gewinner und vielen ArbeiterInnen ohne Grund und Boden als VerliererInnen.
Umweltrassismus auf Kosten der Schwächsten
Der Ressource Atmosphäre beraubt kann der Süden in Zukunft weniger CO2 ausstoßen als seine reichen Nachbarn. Durch vom Norden (Annex-I-Staaten) leichter zu erreichende Emissionsgrenzen, beim künftigen »Pariser Abkommen« sollen auch die Entwicklungsländer (Annex-II-Staaten) zum Klimaschutz herangezogen werden, und durch die natürlichen Grenzen der CO2-Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre könnte künftig die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der armen Gesellschaften gefährdet sein. Und auch die Kosten des Klimawandels wurden ungleich verteilt. Der geographischen Lage geschuldet, und mangels wirtschaftlicher Ressourcen zur Anpassung an die Klimawandelfolgen zeugen Überschwemmungen in Bangladesch, Dürren in der Sahelzone, abschmelzende Gletscher in den Anden, Wirbelstürme in der Karibik und versauerte Fischgründe in Asien von der Erderwärmung mit ihren unmittelbaren Folgen auf Mensch und Natur.
15 Jahre Klimadiplomatie haben diese (Klima-)Ungerechtigkeit zementiert. Mit »flexiblen Mechanismen« zur Bewältigung des Klimawandels sollen rein neoliberale Maßnahmen die Klimakrise lösen. Eine marktfundamentalistische Logik, die im Sozialen und Ökonomischen ihre asoziale Natur unter Beweis stellt. Die tragenden Säulen des Klimaregimes bleiben marktbasierte Instrumente: Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten, das Waldschutzprogramm REDD+, das »Ökosystemdienstleistungen« monetär entlohnt, oder der Clean-Development-Mechanismus, mit dem Industriestaaten durch Wirtschaftsprojekte in Entwicklungsstaaten Emissionsrechte für die Heimat erwerben. Statt weniger CO2-Emissionen in den Industriestaaten wurde lediglich eine räumliche Verlagerung des Klimaproblems erreicht.
Energiefirmen haben auf Kosten von Fiskus und Verbraucher mit CO2-Zertifikate-Buchungen längst Milliarden an Extragewinnen eingestrichen, ohne ihre Produktion auf klimafreundlich umzubauen. Ein neuer Grüner Klimafonds soll ab 2020 zwar jährlich 100 Milliarden US-Dollar für den Ausbau von CO2-freien erneuerbaren Energien im Süden bereitstellen, gespeist mit staatlichen und privaten Geldern. Doch reichen diese Gelder kaum aus, um ganze Volkswirtschaften auf Wind und Solar umzustellen. Und die Geldgeber in Berlin, Paris und Canberra verrechnen die Klimagelder mit Verpflichtungen aus der Entwicklungshilfe, die für Armutsbekämpfung, Nahrungsmittelprogramme und Bildungsprojekte angedacht ist. Statt einer echten Lösung des Klimaproblems erleben wir einen Umweltrassismus auf Kosten der Schwächsten unserer Erde.
Abwarten zählt nicht!
Was tun? Klimabewegte fordern die gleiche Verteilung von Emissionsrechten sowie die Anerkennung der ökologischen Schuld des Nordens mit Reparationszahlungen. Doch müssen die realen Machtverhältnisse im globalen Grundgefüge berücksichtigt werden. Nur auf die Vereinten Nationen zu setzen, deren schwache Institutionen wenig Durchsetzungskraft haben, reicht nicht aus. Wer Hoffnungen allein auf die internationale Klimadiplomatie setzt, ist ein Träumer. Umweltgerechtigkeit wird wie soziale Gerechtigkeit nur mit einer grundlegenden Veränderung zu haben sein, welche die gesamte Gesellschaft betrifft. Eine Revolution aber ist nicht in Sicht, die gesellschaftlichen Bedingungen bleiben weiter konservativ. Doch Abwarten zählt nicht! Wie der italienische Marxist Lelio Basso empfiehlt, sollte man - auch als Kommunistin und Kommunist im real existierenden Kapitalismus - den »kleinen Schritten« nicht misstrauen. Global und National sind heute verbunden wie nie zuvor. Darum ergibt es politisch Sinn, neben den richtigen Fernzielen national und lokal kurzfristige Ziele zu verfolgen. Konkret gegen Kohle in der Lausitz und im Rheinland aufzustehen! Sich für die Energiewende in Bürgerhand stark zu machen! Kohleausstieg, Energiewende, keine industrielle Landwirtschaft, Agroökologie, gerechter Welthandel, Indigene und Bauernfamilien vor Landverlust schützen. Solche Forderungen schaffen mehr Gerechtigkeit, helfen dem Weltklima und sind machbar!
Eva Bulling-Schröter ist Sprecherin für Klima und Energie der Bundestagsfraktion DIE LINKE.