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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Fruchtlose Debatten zum 13. Februar 1945 in Dresden

Prof. em. Dr. sc. phil. Horst Schneider

Wer den Namen Dresden hört, dem fallen Zwinger, Semper-Oper, Frauenkirche, Gemälde-Galerie, Grünes Gewölbe, Schloß Pillnitz und andere Bauwerke ein, die diese Stadt zum weltberühmten "Elbflorenz" machen. Im Februar 1945, am Ende des von den Faschisten entfesselten Raub- und Eroberungskrieges, verwandelten anglo-amerikanische Bomber die Perlen der Weltkultur in Schutt und Asche. Seitdem wird auch darüber gestritten, welchen militärischen "Sinn" die Zerstörung Dresdens gehabt hätte.

Jetzt erstrahlen die Perlen der Weltkultur – nicht zuletzt dank der Aufbauleistungen der Dresdner und der Kulturpolitik der DDR – in neuem Glanz und erfreuen Millionen Besucher. Aber Dresden erlebt seit Jahren auch Verurteilenswertes: Den Mißbrauch der Opfer der Bombennacht für neofaschistische Propaganda und Aufmärsche, die das Stadtzentrum lahm legen und die Gedenkstätte auf dem Heidefriedhof mit den Stelen für Auschwitz und Buchenwald, Dresden und Coventry schänden. Politische Bündnisse und Aktionen von Demokraten wirken dem entgegen.

Der Streit um die Gedenkkultur wird seit Jahren von einer Flut von Erinnerungsliteratur und "Forschungen" begleitet, die sich von Amts wegen mit den Opferzahlen befassen. Auf sie wird hier nicht eingegangen.

Auch auf dem 47. deutschen Historikertag Anfang Oktober 2008 in Dresden stand die "Ermittlung der Opferzahlen der Luftangriffe auf die Stadt Dresden am 13./14. Februar 1945" auf der Tagesordnung. Den Anwesenden wurde eine "Erklärung der Dresdner Historikerkommission" übergeben, die am 1. Oktober von der Dresdner Oberbürgermeisterin Orosz herausgegeben worden war.(1)Detail Diese Historiker konzentrierten sich auf die "Opferzahlen": "Im Zentrum der Auseinandersetzung um die Dresdner Luftkriegsereignisse steht die extrem gegensätzliche Darstellung der Zahl der Opfer der Luftangriffe auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945. Bis heute schwanken die Angaben zwischen 20.000 und bis zu 500.000 Toten, selbst Opferzahlen bis zu einer Million Menschen sind in der Literatur zu finden."

Die Kommission sieht die "Dresdner Opferzahlen (als) Ausdruck einer zutiefst umstrittenen Symbolbildung. Bis heute steht Dresden alljährlich im Mittelpunkt intensiver geschichtspolitischer Auseinandersetzungen, die weit über den regionalen Rahmen hinausreichen." Die Kritik bleibt anonym. Die Kommission verzichtete darauf, Arbeiten und Autoren zu nennen. Es wurde nicht gesagt, worin die "Symbolkraft" besteht. Mit der "Erklärung" hat die Kommission vollbracht, was Bundespräsident Roman Herzog am 13. Februar 1995 in der Dresdner Kathedrale streng verurteilt hat: Wer ... den Teufelskreis von Unrecht und Gewalt, von Krieg und Unmenschlichkeit brechen will, wer Frieden, Freundschaft und Versöhnung zwischen den Völkern sucht, der kann nicht einfach zwischen den Toten, Verwundeten und ins Unglück Gestürzten einen buchhalterischen Saldo ziehen. Leben kann man nicht gegen Leben aufrechnen ... Diese Mahnung richte ich auch an die Historiker und die historischen Laien, die sich noch heute um die Zahl der Opfer ... des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft streiten. Man hat diese Rechenspiele zu Recht als die ‚Ziffernsprache des Ungeheuerlichen’ bezeichnet. Diese Sprache führt nicht einen Schritt weiter ..."

Das hatte der Jurist und Präsident Roman Herzog in Dresden gesagt. Warum wohl? Welche Ergebnisse brachte nun die "makabre Saldierung" der Opfer 2008? Die Kommission hat bislang "18.000 Luftkriegstote nachgewiesen", wobei "die genannte Größenordnung ... im Ergebnis weiter qualifiziert werden kann".

Die Kommission wiederholt, daß die Naziführung im März 1945 die Zahl von 200.000 Opfern erfunden hat, um sie propagandistisch zu mißbrauchen. Diese Zahlen befänden sich bis heute in der (welcher?) Literatur und (welchen?) Medien: "Sie werden nach wie vor (von wem?) in der politischen Auseinandersetzung verwendet."

Die Kritik der Kommission bleibt abermals anonym. (In Walter Weidauers "Inferno Dresden" mit sieben Auflagen gab es die Polemik. Alle strittigen Fragen hatten eine überzeugende Antwort gefunden.)

Die Kommission hat sich mit den Argumenten beschäftigt, die eine hohe Opferzahl begründen sollen. Es sind deren vier:

Erstens: Unentdeckte "Kellertote" kann es nicht gegeben haben. Das sei durch die "sorgfältige Beräumung" der Keller belegt.

Zweitens: Es gab auch nicht so hohe Temperaturen, "bei denen menschliche Körper nahezu rückstandslos verbrennen würden." Spurenlos Verbrannte könne es also nicht geben.

Drittens: Auch "auswärtige Flüchtlinge" (darunter Schlesier, deren Flucht vor der Sowjetarmee die Nazis befohlen hatten) seien registriert gewesen, seien also in den offiziellen Opferzahlen enthalten.

Viertens: Für den "systematischen Bordwaffenbeschuß", an den sich manche Dresdner zu erinnern glauben, seien keine Belege gefunden worden.

Wer die Literatur der DDR kennt, weiß, daß es damals derlei Spekulationen nicht gegeben hat. Eine "korrekte Darstellung der Ereignisse" schloß allerdings Fragen ein, auf die die "Erklärung" gar nicht eingeht. Zu einigen der entscheidenden Fragen gehören folgende:

Welche Ursachen führten zum Schicksal Dresdens? Wo liegen die Triebkräfte der faschistischen Kriegspolitik, wer war verantwortlich und welchen Anteil hatte Dresden daran (Rüstung, Kriegsakademie, Wehrmachtsstandort etc.)? In welcher politisch-militärischen Situation (Zusammenbruch der Ostfront, Krimkonferenz u.a.) erhielt die angloamerikanische Luftflotte den Befehl zur Zerstörung Dresdens? Wer war verantwortlich? Welche langfristige strategische Planung für die Nachkriegszeit verbarg sich hinter der Entscheidung zum Bombardement? Welche Konsequenzen ergaben sich für die sowjetische Deutschland- und Besatzungspolitik?

Das Bombardement spielt nicht nur in der Erinnerungspolitik von heute eine wichtige Rolle, sondern schon damals bei der Auseinandersetzung um Nachkriegskonzeptionen der Antihitlerkoalition und der deutschen Politiker der "ersten Stunde".

Die "Erklärung" der Dresdner Historikerkommission macht keine Vorschläge zur Gedenkkultur. Die Ruine der Frauenkirche, die objektiv lange Zeit die Funktion des Mahnens und Gedenkens innehatte, existiert (im Unterschied zur Ruine der Kathedrale in Coventry, linkes Bild) nicht mehr. Ein Mahnmal auf dem Altmarkt, dem Ort der Verbrennung der Leichen, scheint nicht opportun zu sein. (Eine Gedenkplatte am Postplatz für in Dresden nicht existierende Opfer des 17. Juni 1953 sehr wohl, für die 59 von der Reichwehr Ermordeten am 15. März 1920 nicht.) Die "Erklärung" wirft meines Erachtens mehr Fragen auf als sie beantwortet.

Angesichts der internationalen Bedeutung des Umgangs mit den Opfern des 13. Februar und des Vermächtnisses der Toten, keine Wiederholung zuzulassen, angesichts der Tatsache, daß Dresden noch im Frühjahr 1989 bei einer NATO-Übung Ziel eines Atomschlags war und an der Ruine der Frauenkirche in den achtziger Jahren traditionell die Kundgebung "Schwerter zu Pflugscharen" stattfand und dort auch Helmut Kohl am 19. Dezember 1989 schwor, daß von Deutschland nur Frieden ausgeht, schlage ich vor

– auf dem Altmarkt der dort verbrannten Toten zu gedenken,

– in der Nähe der Frauenkirche an die Rede Helmut Kohls und die Friedensdemonstrationen zu erinnern.

– die Aufbauleistungen der "Aktivisten der ersten Stunde" und der Trümmerfrauen zu würdigen.

Sicherlich wird es genügend Bürgerrechtler und Pfarrer geben, die ihre Erfahrungen nutzen können. Finanziell könnte das Vorhaben genauso gesichert werden wie die Forschungsarbeit der Dresdener Historikerkommission durch den Stadthaushalt. Selbstverständlich sollten alle Bürger in die Überlegungen einbezogen werden.

Dresden, 1. Januar 2009

Abbildungen: Kathedrale von Coventry heute (zerstört am 14. November 1940 bei einem Bombenangriff durch die deutsche Luftwaffe) und Ruine der Frauenkirche in Dresden (1945 bis 1993)

Von Horst Schneider sind zwei Bücher im Handel, beide vom Verlag Wiljo Heinen (www.verlag-wh.de):

Hysterische Historiker. Vom Sinn und Unsinn eines verordneten Geschichtsbildes, 318 S. brosch., 12,-Euro ISBN 978-3-939828-15-0,

Gruselstory Checkpoint Charlie. "Die Frau vom Checkpoint Charlie" – Leidvolle Wahrheit oder Lügengeschichte?, rote taschenbücher band 4, 5,- Euro, ISBN 978-3-939828-22-8.

(1) Unterzeichner der "Erklärung" sind (hier ohne Titel und Arbeitsplatz) dreizehn Persönlichkeiten: Rolf-Dieter Müller, Götz Bergander, Horst Boog, Wolfgang Fleischer, Thomas Kübler, Matthias Neutzner, Rüdiger Overmans, Alexander von Plato, Friedrich Reichert, Nicole Schönherr, Helmut Schnatz, Thomas Westphalen und Thomas Widera. Widera kam mit dem Dokument auch im Deutschland Archiv 8/2008 zu Wort.