Fritzchen, wenn du Geburtstag hast
Gina Pietsch, Berlin
Eine Hommage an Friedrich Hollaender zu seinem 130.
Friedrich Hollaender wurde in London geboren am 18. Oktober 1896. Die Familie ist voll von Künstlern mit Rang und Namen. Das sind Gustav und Felix, Romancier und Dramaturg bei Max Reinhardt. Und das sind sein Vater, der damals bekannte Operettenkomponist Victor Hollaender und die Revuesängerin Rosa Perl, seine Mutter. Als das 20. Jahrhundert begann, siedelte die Familie Hollaender nach Berlin über, und das vierjährige »Fritzchen« begann zu komponieren. »Rulle Rulle« heißt sein erstes Klavierwerk, das nicht so bekannt wurde. Hingegen kennt jeder in Deutschland und anderswo »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«. Aber da hat er sein Meisterstudium am Konservatorium bei Engelbert Humperdinck schon hinter sich und einige Kintopperfahrungen als Klavierspieler zu Stummfilmen in den Leibnitz-Lichtspielen. Hier lernt er das Improvisieren, das ihm später für seine 150 Filmmusiken, die mehreren hundert wunderbaren Kabarettsongs etc. gute Grundlage wurde. Lieder zu komponieren – daran war in gewisser Weise die Liebe schuld. Else Lasker-Schüler hieß die schöne, große, jüdische Dichterin, die Sätze schreibt wie diesen »Hinter meinen Augen stehen Wasser, die muss ich alle weinen«. Solche Texte wollte er komponieren, und natürlich nicht im Stil der »leichten Muse« wie sein Vater mit seinem »Schaukellied« getan hatte, nein »seriös« sollte es sein.
Nun, ein solches Liederalbum wurde es, aber insgesamt ging der Weg anders. Das Kabarett »Schall und Rauch«, unten im Keller von Max Reinhardts Schauspielhaus, brachte ihn zusammen mit den fünf Namen Tucholskys, Peter Panter, Ignaz Wrobl etc. mit den Dichtern Klabund, Walter Mehring, Ringelnatz, dem Komponisten Mischa Spoliansky, den Schauspielern Paule Graetz mit der großen Berliner Schnauze und, auch mit Berliner Schnauze, aber viel schöner, der jungen Blandine Ebinger. Blandine, die die erste Frau von Friedrich Hollaender war, zeugte mit ihm eine Tochter, deren Namen aus Goethes »Wilhelm Meister« geklaut war und die dann die erste Frau von Georg Kreisler wurde, Philine. Hollaender schreibt in diesen 20er Jahren für einige großartige Frauen Songs, Trude Hesterberg, Grete Mosheim etc. Aber sicher nicht nur nach meinem Geschmack geht nichts über die für Blandine gedichteten und komponierten »Lieder eines armen Mädchens«. Ich bin heute noch traurig, dass ich sie erst vor 30 Jahren kennengelernt habe, ungefähr, als ich umzog, dorthin, wo das knappe Dutzend hinreißender tragikomischer Darstellungen des »Liesken Puderbach« aus‘m Wedding spielte.
Was haben die beiden Hollaenders da für eine Figur gefunden! Blandine spielt sie als etwa 12-jähriges Waisenkind, arm, wohnhaft bei der Tante, die Nutte ist, freudlos aufgewachsen, schlecht in Religion und anderen Schulfächern, aber merkwürdig moralisch. Jedenfalls lässt der Groschen, den sie geklaut hat, weil er einfach rumlag, sie nicht mehr schlafen. Und also ist für sie nichts erstrebenswerter als »Wenn ick mal tot bin – ach, det wird zu scheen!« Ach Jottachjott, möcht mer da nur immer sagen, und das angesichts von Liesken Puderbachs Zweifel »Gibt‘s dich denn eijentlich wirklich? Und haste auch gut zugehört?« »Amen« sagen, wie sie. Ihr merkt, in die Lieder bin ich schwer verliebt. Das konnte man damals hören in mehreren Kabaretts, die Hollaender verpflichteten, aber in besonderer Weise dann von 23 bis 33 in Hollaenders eigener Bühne, dem »Tingel-Tangel-Theater« in Berlin Charlottenburg. Dort gibt es von ihm und seinen Leuten eine Kabarett-Revue nach der anderen. Acht müssen es gewesen sein und, da heute noch auf CD zu erhalten, sei genannt »Bei uns um die Gedächtniskirche rum« von 1927. Die letzte heißt »Es war einmal«, die vorletzte von 1932 bezeichnenderweise »Höchste Eisenbahn«. Er hatte für diese Projekte namhafte UnterstützerInnen. In der Posse »Ich tanze um die Welt mit Dir« (heute würde man‘s Musical nennen, aber das gabs damals nur bei den Amis) mit solchen Texten des Russen Marcellus Schiffer wie »Biste für? Biste gegen? Biste gegen? Biste für? Und weswegen biste gegen? Und weswegen biste für?«
»Der blaue Engel« – Hollaenders Steilstart als Filmkomponist
Gesungen und getanzt wurde das von Carola Neher, Rosa Valetti, Margo Lion und Ernst Busch. Und es war witzig von Anfang bis Ende. Natürlich gehörte, auch wenn die Ehe seit 1926 vorbei war, Blandine Ebinger, die zwar auch schon mal bei Brecht in »Trommeln in der Nacht« gespielt hatte, zum engsten Hollaender-Kreis. Brecht war damals, wie Hollaender schreibt, »ein Stern, dessen weites Glänzen wir noch gar nicht überblicken konnten«. Freilich ist von irgendeiner Zusammenarbeit nicht die Rede, mit einem anderen nun aufgehenden Stern allerdings schon. 1930 war es, als Josef von Sternberg sich die Darsteller für den »Blauen Engel« nach Heinrich Manns Roman zusammensuchte.
Da waren Hans Albers und Rosa Valetti im Gespräch, und natürlich als Professor Unrat Emil Jannings. Zu dessen Unmut hatte Sternberg für die Lola eine Unbekannte im Blick. Wen, das weiß heute jeder – Marlene Dietrich. Jannings hatte freilich eine andere Dame erhofft und dieser »Fehlbesetzung«, gedroht, »die erwürg ich noch«. Er schaffte es nicht ganz, hinterließ aber tatsächlich lang anhaltendende Würgemale auf Marlenes Hals. Jannings, nicht nur in ihrer Beschreibung ein Ekel, erhielt trotzdem mit seinen 200.000 $ das 40-fache von Marlenes Gage. Dass er sich später bei den Nazis ungeniert anbiederte, verwundert schon fast nicht mehr. »Der blaue Engel« war der filmische Durchbruch der Dietrich, der Beginn einer sehr erfolgreichen Zusammenarbeit mit Josef von Sternberg dann in Hollywood, aber eben auch Friedrich Hollaenders Steilstart als Filmkomponist. Alle Lola-Songs sind bis heute heiß geliebt vom Publikum, aber der Weltschlager Nr. 1 wurde eben Hollaenders beinah Zufallsprodukt »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«. »Der blaue Engel« von 1930 war Hollaenders 2. Film, die Musik für zehn weitere entstanden, bis er, seiner jüdischen Abstammung, und seines »Kulturbolschewismus« wegen Deutschland verlassen musste. Goebbels hatte verkündet: »Judentum und deutsche Musik, das sind Gegensätze, die ihrer Natur nach in schroffstem Widerspruch zueinander stehen.«
1931 schon hatte Hollaender in einer seiner Tingel-Tangel-Revuen den Antisemitismus in seinem Kabarettsong auf die Melodie der Habanera aus Bizets Carmen »An allem sind die Juden schuld« verspottet. Weihnachten 1932 sieht er‘s konkreter voraus in der Kabarattrevue »Höchste Eisenbahn«. Da wird in einer Szene vorgeführt, wie jemand im Zug die Notbremse zieht, und einer im Publikum reagiert prompt: »Du wirst nicht mehr lange dran ziehn, mein Junge«. Nun muss er sich mit seiner neuen Liebe Hedi Schoop schleunigst Gedanken machen, was man auf eine Flucht mitnimmt. Schon die Portiersfrau wusste, Hollaender steht auf der schwarzen Liste. Der 25. Februar ist es, 33, und die Flucht ab Bahnhof Friedrichsstraße macht Angst. Warum nimmt einem der Fahrkartenkontrolleur die Pässe ab? An wen kann man sich wenden? Welche Freunde hat man, oder hat man noch? Aber irgendwann ist man da – in Paris.
Emigration in Paris und Hollywood
Im Hotel »Ansonia« sitzen sie alle aufeinander, Billie Wilder, Peter Lorre, Max Colpet, Joe May, um nur ein paar zu nennen, die sich in den kleinen schmutzigen Zimmern mit einem einzigen Spirituskocher auf die Nerven gehen – Menschliches Treibgut, wie er das in seinem Emigrantenroman »Those Torn from Earth« beschreibt. Man kann viel Schönheit erleben in Paris, in den Parks, den Cafés, dem Gruselkabinett der Madame Tussaud. Da aber gerade zucken sie zusammen. Eine Wachshand reckt sich zum Hitlergruß. Ein knappes Jahr halten Friedrich und Hedy das aus, bis der alte Frachter »Mary« sie an Bord nimmt und LA ansteuert und Hollywood. Eine erste Arbeit dort mit Lilian Harvey, ein Musical, das eigentlich »Big Little People« hieß, aber in »I Am Suzanne« unbenannt werden musste, da der Amerikaner, wie Hollaender beschreibt, nichts mit »littles« macht. Es dürfte keine große Gage gewesen sein, aber immerhin konnte er mit dieser sein amerikanisches Tingel-Tangel-Theater eröffnen. Die Namen der Besucher waren illuster: Chalie Chaplin, Claudette Colbert, Chevalier, Marlene Dietrich, Gary Cooper, Bette Davis, Ernst Lubitsch, Ernest Hemingway und Charlie Chaplin, der ins Buch schrieb: »Never laughed so much before«. Also: Habe noch nie so viel gelacht. Das hätte so weiter gehen können, ging aber nicht, weil in Kürze das Geld aus war. Also – Filme, 175 in 23 Jahren Hollywood! etc. etc. etc. Als dann der Krieg aus war, natürlich die Überlegung, zurück nach Deutschland oder nicht. Er probierts und besucht - »weiß nicht, welcher Teufel mich ritt« – Dachau. Er muss fliehen aus dieser schweigenden Hölle an die Riviera und zurück nach Amerika bis 1955. In München, wo er sich danach niederließ, begann er wieder mit dem Kabarett, mit Revuen für das Theater »Die Kleine Freiheit«. Doch die Zeit des großen Kabaretts war vorbei. Kurt Hoffmann lockt ihn noch mal zum Film, lässt uns mit ihm die wunderbare Hanne Wieder im »Spukschloss im Spessart« kennenlernen. Am 18. Januar 1976 endet in München dann das Leben des Multitalents, Komponisten, Dichters, Regisseurs, Theaterleiters, Schauspielers und Kabarettisten.
Friedrich Hollaender ist ein Stern im »Walk of Fame des Kabaretts« in Mainz gewidmet. Am Haus Cicerostraße 14 in Berlin-Halensee, das er 1933 verlassen musste, wurde am 17. Juni 2009 eine Berliner Gedenktafel enthüllt. Im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf wurde zum 18. Januar 2012 der damalige Rankeplatz in Friedrich-Hollaender-Platz umbenannt – eine Ehrung, die längst überfällig war.
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