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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Fritz Bauer – Ein Leben für Recht und Gerechtigkeit

Ralph Dobrawa, Gotha

 

Noch vor etwa 10 Jahren war sein Name nur dem rechtshistorisch interessierten Publikum und sogenannten Insidern bekannt: Fritz Bauer – lange Jahre hessischer Generalstaatsan­walt und entschiedener Kämpfer für die Verfolgung faschistischer Gewaltverbrechen. Es war vor allem Ilona Ziok, die ihn mit ihrem beachtenswerten Dokumentationsfilm aus dem Jahr 2010 »Fritz Bauer – Tod auf Raten« bundesweit bekannt machte und ihm da­mit zugleich auch ein Denkmal für sein bedeutsames Lebenswerk setzte. Ein Jahr zuvor war bereits die ebenso hervorragende Biographie über ihn von Irmtrud Wojak erschienen. Erst danach entstanden insgesamt drei Spielfilme über sein Wirken, die entweder in den Kinos oder im Fernsehen gezeigt wurden. Ihre Qualität ist unterschiedlich und Zeitzeugen wie nahe Ver­traute von Bauer haben sich dazu geäußert und mit Recht Kritik geübt, allen voran Conrad Taler zum Film »Der Staat gegen Fritz Bauer«.

Wer war dieser Mann, von dem wir heute wissen, dass er der Initiator des ersten Frankfur­ter Auschwitz-Prozesses war und dass es ihm maßgeblich zu verdanken ist, dass Adolf Eichmann, der »Spediteur des Todes«, vom israelischen Geheimdienst Mossad ergriffen, nach Israel entführt und dort vor Gericht gestellt werden konnte?

Er wurde am 16. Juli 1903 in Stuttgart geboren, studierte in Heidelberg, München und Tü­bingen Rechtswissenschaft und war nach seiner Promotion bald der jüngste Amtsrichter in der Weimarer Republik. Bereits mit 17 Jahren war er der SPD beigetreten und engagierte sich politisch. So gehörte Bauer dann auch zu den ersten, die nach dem Reichstagsbrand schon im März 1933 verhaftet wurden und einige Zeit im Konzentrationslager Heuberg zu­bringen musste, bis er Ende des selben Jahres wieder entlassen wurde. Zuvor hatte man ihn heftig unter Druck gesetzt. Eine Rückkehr in den Beruf des Juristen blieb ihm nicht nur deshalb verwehrt, sondern vor allem wegen seiner jüdischen Abstammung. Das Gesetz zur »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« hatte auch bei ihm bewirkt, dass ihn die Na­zis aus dem Staatsdienst entfernten. Drei Jahre später emigrierte Bauer zunächst nach Dä­nemark und entkam damit den Folgen der Nürnberger Rassegesetze und der drohen­den Gefährdung seines persönlichen Lebens. Als ihm auch dort im Herbst 1943 die Depor­tation nach Theresienstadt drohte, konnte er nach Schweden fliehen.

Ehre der Widerstandskämpfer wiederherstellt

Erst 1949 kam Fritz Bauer nach Deutschland zu­rück. Dies vor allem in der Annahme, auf »ein auf­klärungswilliges Volk« zu treffen, das sich mit dem Ungeist und vor allem den Unta­ten der Faschisten auseinandersetzen will. Diese Erwartungshaltung wurde späterhin je­doch bitter enttäuscht. Die Bundesrepublik der 1950er/1960er Jahre war vor allem davon geprägt, die Vergangenheit der Nazizeit totzuschweigen und die Täter mög­lichst unbehel­ligt zu lassen. Das stieß bei ihm nicht nur auf Entsetzen, sondern auch auf das Erfordernis, selbst dazu beizutragen, dass sich diese Haltung ändern könnte. Wie schwer das war und auf welche entschiedenen Widerstände er dabei auf allen Ebenen in der Justiz und Verwaltung traf, sollte er bald erfahren müssen. Zunächst war er als Direk­tor des Braunschweiger Landgerichts und sodann als dortiger Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht tätig.

In dieser Funktion setzte er sich dafür ein, dass die Verunglimpfung der Widerstands­kämpfer des 20. Juli 1944 gegen Hitler strafrechtlich verfolgt wurde. In dem bundesweit bekanntgewordenen Remer-Prozess machte er deutlich, dass es sich bei dem Nazistaat um kein schützenswertes Objekt handelte, sondern um einen Unrechtsstaat.

Das Verfahren fand 1952 vor dem Landgericht Braunschweig statt. Angeklagt war Otto Ernst Remer, ein ehemaliger Generalmajor während der Naziherrschaft. Er hatte Stauffen­berg und seine Mitstreiter in einer Rede 1951 öffentlich als Landesverräter beschimpft. Der zunächst für die Anzeige zuständige Oberstaatsanwalt war ein ehemaliges NSDAP- und SA-Mitglied, welches versuchte, diese wegen mangelnder Erfolgsaussicht zu verhin­dern.

Erst als Bauer eingriff und dann auch die Anklage selbst vertrat, änderte sich das, und Remer musste vor Gericht. Er wurde zu drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, da das Gericht die Auffassung Bauers teilte und so auch die Ehre der Widerstandskämpfer um Stauffenberg wiederherstellte. Das Verfahren hatte große mediale Aufmerksamkeit und trug viel zum Auffassungswechsel in Teilen der Bevölkerung bei, die die Attentäter des 20. Juli 1944 auch vormals für »Verräter« hielten.

Auschwitzverfahren 1963-1965

Im Jahre 1956 wurde Fritz Bauer zum hessischen Generalstaatsanwalt berufen und über­siedelte deshalb nach Frankfurt/Main an seinen neuen Dienstsitz. Jetzt befand er sich in einer Position, um sich mit Eifer der Aufklärung der Verbrechen bei der Verfolgung und Er­mordung der Juden zuwenden zu können. Dabei standen Adolf Eichmann, Josef Mengele und Martin Bormann ganz oben auf seiner Liste der Täter. Was die Nazis so verklärend als »Endlösung der Judenfrage« bezeichneten, war nichts anderes als Massenmord. Niemand hatte sich diesen Problemen auf Seiten der deutschen Justiz bisher zugewandt. In einem Land, wo der erste Bundeskanzler sich einen Staatssekretär leistete, der maßgeblich an der Kommentierung der Nürnberger Rassegesetze beteiligt gewesen ist, war das auch nicht unbedingt zu erwarten. Bauer hatte keine Illusionen, bei der Konfrontation der Bevöl­kerung mit Nazigewalttaten auf eine »Mauer des Schweigens« zu stoßen. Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, diese ihm wichtigen Ziele weiterzuverfolgen, auch wenn er auf­grund heftiger Anfeindungen alsbald feststellen musste, dass er bereits beim Verlassen seines Dienstzimmers »feindliches Territorium« betritt. Aber auch glückliche Umstände ka­men ihm zugute. »Zum Auschwitzverfahren kam es, weil ein Opfer des Nazismus beiläufig einem Journalisten Papiere zeigte, die es aus einem von der SS in Brand gesteckten Ge­bäude in Breslau geborgen und zur Erinnerung aufbewahrt hatte. Es waren ausgefüllte For­mulare des Lagers Auschwitz, die Erschießungen von Häftlingen ›auf der Flucht‹ betrafen und mit der vorgedruckten Einstellung des gegen die KZ-Wachleute wegen Tötung eingelei­teten Strafverfahrens schlossen.« [1] Hinzu kam, dass ein ehemaliger Auschwitz-Häftling einen der späteren Angeklagten wiedererkannte und anzeigte.

Mit diesem »Anfangsverdacht« konnte Fritz Bauer die Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt/Main für die Verfolgung von in dem KZ Auschwitz begangenen Tötungsverbre­chen beim Bundesgerichtshof erwirken und die Ermittlungen in der Folgezeit forcieren. Es dauerte trotzdem von 1958 bis zur Anklageerhebung 1963, um vor allem die vielen, in aller Welt verstreuten Zeugen zu hören und damit die Beweislage entscheidend zu untermau­ern, da kaum anzunehmen war, dass auch nur einer der Beschuldigten seine Tatbeteiligung einräumen würde. Von 1.200 ursprünglichen Beschuldigten verblieben 24, deren Zahl sich bei Prozessbeginn am 20. Dezember 1963 auf 22 reduziert hatte. Das Gericht verhandelte 182 Verhandlungstage bis zur Urteilsverkündung am 19. und 20. August 1965. 360 Zeu­gen, überwiegend Überlebende der Mordmaschinerie, wurden in dieser Zeit gehört. Am Ende verhängte das Gericht sechs Mal lebenslanges Zuchthaus und Freiheitsstrafen zwi­schen 14 und 3 Jahren und 3 Monaten. Drei Angeklagte wurden freigesprochen, ein weite­rer zunächst Verurteilter späterhin im Wege der Revision durch den BGH ebenfalls. [2]

Eine Würdigung erfolgte zu seinen Lebzeiten nie

Ohne Fritz Bauer und seinen unermüdlichen Einsatz beim Zustandekommen des Prozesses hätte es diesen nicht gegeben. Während der Zeit des Verfahrens erhielt er immer wieder Drohbriefe und Drohanrufe, wo man ihn beschimpfte und ihm Konsequenzen übler Art an­drohte. Man kann nur erahnen, wie schwer die psychische Belastung gewesen sein muss, diesem Druck standzuhalten. Es war Druck von »außen« und von »innen«. Dabei wurde auch immer wieder auf seine eigene jüdische Abstammung angespielt.

Erst viele Jahre nach seinem Tod wurde bekannt, dass Fritz Bauer, als er Hinweise auf den Aufenthalt von Eichmann in Argentinien erhielt, Kontakt zu dem israelischen Geheimdienst aufnahm, da ihm bewusst war, dass Eichmann niemals in die BRD ausgeliefert werden würde und das hohe Risiko bestand, dass ihn »Gesinnungsfreunde« statt dessen warnen und er vor einer Ver­haftung hätte woanders untertauchen können.

Fritz Bauer hatte, wenn es um die Beschaffung von Beweisdokumenten ging, keine Berüh­rungsängste mit der DDR. Es wurden Kopien zur Verfügung gestellt, und DDR-Staatsanwäl­te besuchten einen Sitzungstag im Auschwitz-Prozess. In einer Zeit, da in der Bundesrepu­blik die Hallstein-Doktrin galt und die DDR nicht als Staat anerkannt war, be­deutete auch das Mut, sich dieser offiziellen Linie zu widersetzen. Im Herbst 1966 gelang es Friedrich Karl Kaul, der als Nebenklagevertreter im 1. und 2. Frankfurter Auschwitz-Pro­zess auftrat, Bauer auch dazu zu bewegen, in die Hauptstadt der DDR zu kommen, um dort über eine weitere Zusammenarbeit zu sprechen. Beide konnten gut miteinander umgehen und ver­standen sich. Als im Februar 1967 an der Hamburger Universität eine Podiumsveranstalt­ung mit zahlreichen Persönlichkeiten des damaligen öffentlichen Lebens stattfand, wurde diese von Bauer geleitet und mit dem ebenfalls eingeladenen Kaul, der nach einer abgege­benen Erklärung dann allerdings frühzeitig die Veranstaltung verließ, gab es im Vor­feld ein schönes Gespräch.

Fritz Bauer verstarb völlig überraschend am 1. Juli 1968 und wurde tot in seiner Badewan­ne aufgefunden. Hinweise auf Fremdverschulden fanden sich nicht, auch wenn aufgrund der dargestellten Anfeindungen seiner Person daran immer Zweifel bestanden, auch weil eine gerichtliche Leichenöffnung von der Staatsanwaltschaft nicht veranlasst worden war.

Eine Würdigung seiner Leistung erfolgte zu seinen Lebzeiten nie. Dabei wäre er in jedem Fall ein Kandidat für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes gewesen. Auch das Ehe­paar Klarsfeld, das seinen Kampf zur Aufspürung und Verfolgung von Nazitätern über Jahr­zehnte führte, musste sehr lange darauf warten.

Ein von Fritz Bauer noch beabsichtigtes Großverfahren gegen frühere Oberlandesge­richtspräsidenten im Zusammenhang mit der von den Faschisten durchgeführten Eutha­nasie wurde nach seinem Tod alsbald mit nur wenigen Zeilen der Begründung eingestellt.

 

Anmerkungen:

[1] Fritz Bauer »Im Namen des Volkes« in: Hammerschmidt (Herausgeber) »Zwanzig Jahre danach«, München, Wien, Basel 1965, S. 81.

[2] Einzelheiten vgl. auch: Ralph Dobrawa »Der Auschwitz-Prozess – ein Lehrstück deutscher Geschichte«, Berlin 2013, und »Man wollte den DDR-Anwalt draußen haben«, Gespräch mit Ralph Dobrawa über die Auschwitz-Prozesse in: »junge Welt« vom 24. Januar 2015.

 

Mehr von Ralph Dobrawa in den »Mitteilungen«: 

2018-01: Der Schutzhaft-Erlass vom 25. Januar 1938

2017-08: Der Nürnberger Ärzteprozess