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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Friedensvertrag von Brest-Litowsk

Prof. Dr. Anton Latzo, Langerwisch

 

Positionen der Sowjetmacht

In seiner Rede vom 8. November 1917, in der er das Dekret über den Frieden begründete, erklärte W. I. Lenin schon im ersten Satz: »Die Frage des Friedens ist die aktuellste, die alle bewegende Frage der Gegenwart«. Die Sowjetmacht ging davon aus, dass die Notwen­digkeit des Friedens sowohl für die russischen Arbeiter und Bauern als auch für die »über­wältigende Mehrheit der durch den Krieg erschöpften, gepeinigten und gemarterten Klas­sen der Arbeiter und Werktätigen aller kriegführenden Länder« [1] bestand. »Diesen Krieg fortzusetzen, um die Frage zu entscheiden, wie die starken und reichen Nationen die von ihnen annektierten schwachen Völkerschaften unter sich aufteilen sollen, hält die Regie­rung für das größte Verbrechen an der Menschheit, und sie verkündet feierlich ihre Ent­schlossenheit, unverzüglich Friedensbedingungen zu unterzeichnen, die diesen Krieg … für ausnahmslos alle Völkerschaften gleich gerechten Voraussetzungen ein Ende machen.« [2]

Im Dekret über den Frieden wurde zugleich genau definiert, welchen Frieden die Sowjet­regierung als gerecht und demokratisch anerkennt. »Friede ohne Annexionen (d.h. ohne Aneignung fremder Territorien, ohne gewaltsame Angliederung fremder Völkerschaften) und ohne Kontributionen.« [3] Dabei wurden eine Reihe grundlegender Prinzipien für eine neue Außenpolitik entwickelt. Dazu gehörte die völlige Zurückweisung jeglicher Form der Aggression, die Bestätigung des Prinzips der Selbstbestimmung der Nationen, die Unzulässigkeit jeglicher Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Völker und Staaten, die Verurteilung des Kolonialismus und die Forderung nach Gleichheit der großen und kleinen Völker.

In den Vorschlägen der Sowjetmacht fanden eine vollkommen neue Außenpolitik und Di­plomatie ihren Ausdruck. Es wurden nicht nur neue Grundprinzipien für die zwischenstaat­lichen Beziehungen eingeführt, die sich grundsätzlich von der Außenpolitik und Diplomatie der imperialistischen Mächte unterschieden. Neu war vor allem auch der Adressatenkreis, an den sich die Sowjetregierung mit ihren Vorschlägen wandte. Sie richteten sich nicht nur an die Regierungen, sondern auch an die Völker der kriegführenden Gruppierungen und besonders an die bewussten Arbeiter Englands, Frankreichs und Deutschlands.

Waffenstillstand als erstes Ziel. Verhalten der imperialistischen Mächte

Am 8. November 1917 wandte sich das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenhei­ten mit einer Note an die Botschafter der mit dem zaristischen Russland verbündeten Mächte. Der Text des Dekrets über den Frieden wurde beigelegt. Es wurde ersucht, das Dekret als »offiziellen Vorschlag zum unverzüglichen Waffenstillstand an allen Fronten und zum sofortigen Beginn von Friedensverhandlungen, als Vorschlag, mit dem sich die bevoll­mächtigte Regierung der Russischen Republik gleichzeitig an alle kriegführenden Völker und ihre Regierungen wandte, zu betrachten«. [4]

Die Regierungen der Mächte der Entente (bis dahin Verbündete Russlands) ignorierten die Vorschläge der Sowjetregierung über den demokratischen Frieden. Nach einer Beratung der Diplomaten beim amerikanischen Botschafter (9. November) beschlossen sie, auf die Note der Sowjetregierung nicht zu antworten und mit ihr keine Kontakte aufzunehmen. Sie demonstrierten damit, dass sie den Kampf gegen die Sowjetmacht begonnen haben. Sie wollten nicht, dass Russland aus dem Krieg ausscheidet. Russland sollte weiter die Trup­pen Deutschlands und des Viererbundes an der Ostfront binden. (Während des Krieges waren zeitweise mehr als die Hälfte dieser Truppen an der Ostfront im Einsatz.) Gleichzei­tig sollte die völlige Erschöpfung Russlands erreicht werden. Sie betrachteten Russland als Kanonenfutter. Parallel dazu begannen sie die Kräfte der Konterrevolution zu unterstützen und die Intervention vorzubereiten.

Diese Situation wollte das kaiserliche Deutschland ausnutzen und reagierte anders. Zwar gab es Widersprüche zwischen der Gruppe der Militärs und der Gruppe von Industrie und Handel in den Interessen gegenüber Russland. Beide waren jedoch mit der sich verschär­fenden inneren Lage in Deutschland und mit der Antikriegsstimmung des deutschen Volkes und im Heer konfrontiert. Beide fürchteten den Einfluss der Revolution in Russland auf Deutschland und seine Armee. Beide waren deshalb für einen Gewaltfrieden. »Ich brauche nicht zu betonen«, schrieb Hindenburg, »daß Verhandlungen mit der russischen Terrorregierung meinen politischen Überzeugungen sehr wenig entsprechen. Wir waren jedoch gezwungen, vor allem mit den faktischen Machthabern Großrußlands einen Vertrag zu schließen. Übrigens ging dort damals alles so drunter und drüber, daß ich persönlich nicht an eine lange Dauer der Terrorherrschaft glaubte«. [5]

Unter diesem Gesichtspunkt gab Deutschland am 14. November 1917 eine zustimmende Antwort auf den Vorschlag der Sowjetmacht und erklärte sich bereit, Verhandlungen über den Waffenstillstand zu beginnen.

Das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten unterstrich am 16. November an die Regierungen der Ententeländer und der USA gewandt, dass die »Sowjetmacht nach ei­nem allgemeinen und nicht nach einem Separatfrieden« strebt. [6] Schon am 15. November 1917 wandte sich die Sowjetregierung an die Regierungen und Völker aller kriegführenden Länder mit dem Vorschlag, sich den Friedensverhandlungen anzuschließen. »Sollten die verbündeten Völker ihre Vertreter nicht entsenden, so werden wir mit den Deutschen al­lein die Verhandlungen führen. … Sollte jedoch die Bourgeoisie der verbündeten Länder uns zum Abschluss eines Separatfriedens zwingen, so fällt die Verantwortung voll und ganz auf sie.« [7]

Sowjetrussland war schließlich gezwungen, die Verhandlungen mit dem deutschen Block am 3. Dezember 1917 allein zu beginnen. Am 15. Dezember wurde der Waffenstillstands­vertrag für 28 Tage zwischen Sowjetrussland und Deutschland sowie sei­nen Verbündeten unterzeichnet.

Verhandlungen zum Friedensvertrag

Die Verhandlungen über einen Friedensvertrag wurden am 22. Dezember 1917 begonnen. Nach langwierigen Verhandlungen, die durch ultimativ vorgetragene Forderungen der deut­schen Seite erschwert wurden, setzte es Lenin gegen den Widerstand Trotzkis und der »linken Kommunisten« durch, dass am 3. März 1918 der Friedensvertrag zwischen Russ­land auf der einen Seite und die »Mittelmächte« Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und Türkei auf der anderen Seite unterzeichnet wurde. Dem Sowjetstaat wurden sehr har­te Bedingungen diktiert. Er musste rund 1 Million Quadratkilometer mit einer Bevölkerung von 46 Millionen Menschen abtreten. Die Sowjetmacht wurde verpflichtet, unverzüglich die Demobilisierung des Heeres und der Flotte einschließlich der neu gebildeten Truppen­teile der Roten Armee durchzuführen. Sie musste einen Friedensvertrag mit der konterre­volutionären Ukrainischen Zentralrada abschließen und den Friedensvertrag der Mittel­mächte mit dieser respektieren.

Den Herrn vom deutschen Degen, vom deutschen Stahl und vom deutschen Geld war das aber noch immer nicht genug. Am 16. Mai 1918 fand in Düsseldorf eine Beratung statt, an der August Thyssen, Hugo Stinness, Kirdorf, Hugenberg, Vögler, Klöckner, Röchling und an­dere, also die großen Monopole, teilnahmen. Sie erklärten, zusammengekommen zu sein, um »über die Behandlung des Geschäftes mit Russland, der Ukraine, dem Balkan und den sogenannten Randvölkern zu beraten. … Im Laufe der Beratung wurde mitgeteilt, daß bei einigen Berliner und Hamburger Großbanken bereits ähnliche Erwägungen schweben und daß vermutlich auch die Reichsbehörde sowie die Oberste Heeresleitung mit dem Gedan­ken der wirtschaftlichen Erschließung der Ostgebiete bereits befaßt seien … Als Vorausset­zung für das Gelingen eines derartigen Unternehmens wurde von allen Seiten bezeichnet, daß die politische Stellung des deutschen Reiches in den östlichen Gebieten in nachhaltigs­ter und jedenfalls viel weitgehenderer Weise verankert werde, als es durch die bisherigen Friedensschlüsse erkennbar sei. Vor allem sei es unerlässlich, daß eine dauernde militäri­sche Besetzung der europäischen Zufuhrstraßen nach dem Norden Russlands durch Deutschland und seine Verbündeten erfolge. Es sei anzustreben, daß die Murman-Küsten so­wie die Inseln der Ostsee, in erster Linie Oesel, die Aaland-Inseln und auch Finnland selbst, in unserer militärischen Gewalt bleiben.« [8]

Die deutschen marxistischen Linken, die der USPD lose angeschlossene Spartakusgrup­pe, verteidigten die Politik der Bolschewiki und entlarvten die Politik der deutschen Impe­rialisten und der »Regierungssozialisten«. Als Fazit von Brest nannte Karl Liebknecht da­mals: »Durch die russischen Delegierten wurde Brest zur weithin vernehmbaren revolutio­nären Tribüne. Es brachte die Entlarvung der Mittelmächte, die Entlarvung der deutschen Raubgier, Verlogenheit, Hinterlist und Heuchelei. Es hat das Verständigungsgeschwätz der ehrlich Harmlosen ad absurdum geführt. Und ein vernichtendes Verdikt über die deutsche ›Mehrheits‹-Friedenspolitik gefällt … Es hat in verschiedenen Ländern bedeutsame Mas­senbewegungen zu entfesseln vermocht. Und sein tragischer Schlußakt – die Interventio­nen gegen die Revolution, der neue Vormarsch gegen ein demoralisiertes, friedenheischen­des Volk, das infame Friedensdiktat, dieser Beginn des nächsten Krieges – hat jede sozia­listische Fiber aufgewühlt.« [9] 

Januar 2018

 

Anmerkungen:

[1] W. I. Lenin, Werke, Bd. 26, S. 239.

[2] A.a.O., S. 240.

[3] Ebenda.

[4] Dokumente zur Außenpolitik der UdSSR, Bd. 1, Moskau 1957, S. 17, russ.

[5] Hindenburg, Aus meinem Leben, russ. Ausgabe 1922. Zitiert nach: Geschichte der Diplomatie, Bd. II, Berlin 1948, S. 371.

[6] Deutsch-sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest-Litowsk bis zum Abschluss des Rapallo-Vertrages, Berlin 1967, S. 38.

[7] A.a.O., S. 37.

[8] Zitiert nach: Albert Norden, Zwischen Berlin und Moskau. Zur Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen, Berlin 1954, S. 128f.

[9] Annelies Laschitza, Karl Liebknecht. Eine Biographie in Dokumenten, Berlin 1982, S. 367/68.

 

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