Friedenspolitischer Handlungszwang
Moritz Hieronymi, Brandenburg an der Havel
Liebe Genossen, liebe Freunde, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahr 2001 schrieb der Generalmajor der US-Luftstreitkräfte, Charles Dunlap, einen aufsehenerregenden Artikel über den Einsatz neuer militärischer Methoden. Mit dem Begriff Lawfare (Schachtelwort aus Law [Recht] und Warfare [Krieg]) entwickelte der Generalmajor die Strategie des »Gebrauchs oder Missbrauchs« von Recht als militärisches Mittel, um operative Ziele zu erreichen. Erstmalig machten die USA öffentlich, dass – für sie – die Nutzung von Recht, insbesondere von Völkerrecht, eine »Waffe des Krieges« sei. Das Völkerrecht erfüllt hierbei die Aufgabe, Kriegen einen gerechten Grund zu geben, um so ein kriegsmüdes Volk zu mobilisieren. Wer erhebt Einspruch, wenn es um die gute Sache geht, die vermeintlich das Böse vernichtet?
Seit dem Aufsatz des Generalmajors ist eines in der Militärwissenschaft und Geopolitik deutlicher geworden: Die frühe Phase des Krieges beginnt mit der Suche nach Legitimierung. Was bedeutet das, in Anbetracht dieser US-Strategie, für unsere Arbeit in Bezug auf die Friedensfrage?
Am Mittwoch dieser Woche fand in dieser Räumlichkeit eine Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema »Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Verhältnis« statt. Die Teilnehmer, unter anderen Stefan Liebich und die Leiterin des Moskauer Büros der RLS, Kerstin Kaiser, waren sich darüber einig, dass Russland keine Demokratie, kein Rechtsstaat, kein Sozialstaat, sondern eine kleptokratische, neoliberale Oligarchie ist. – Alles bekannte Äußerungen. Einen Mehrwert hatte diese Veranstaltung dennoch: Fast nebenbei forderte Kerstin Kaiser die Partei auf, »dass die Linke eine unabhängige linke Geostrategie benötigt«.
Eine Geostrategie aus Sicht der Reformer ist Mittel zum Zweck. Der Zweck, für die Anhänger einer Regierungsbeteiligung, besteht in der Öffnung des Parteiprogramms oder der Schaffung eines Bundestagswahlprogrammes, um ein Bündnis mit Grünen und SPD zu ermöglichen.
Das Mittel, der angeblich linken Geostrategie, verfolgt zwei Hauptlinien: Die Schwächung der Nato-Kritik und die Beteiligung an militärischen Interventionen in besonderen Situationen. Taktische Handlungen sind dabei insbesondere eine stetige Disqualifizierung der russischen Innenpolitik und politischen Führung unter Präsident Putin. Eine andere Taktik wird die vermehrte Moralisierung unter Bezugnahme auf den Internationalismus sein. Es sei an die Rede von Benjamin Hoff im letzten Monat vor Bundeswehrsoldaten und seine Bekennung zur Bunderwehr erinnert. – Beispiele für eine Vielzahl von Maßnahmen eines unkonventionellen und schließlich bellizistischen Denkens.
Was haben wir diesem Tableau an Einzelmaßnahmen entgegenzusetzen? Spätestens seit dem Bonner Europaparteiparteitag befindet sich der linke Flügel in intellektueller und personeller Hinsicht in der Schieflage. Insbesondere die persönlichen Ambitionen einzelner Genossen, die unsere Unterstützung erfuhren, werden zusehends über unsere friedenspolitischen Interessen gestellt. Wir sind im Handlungszwang!
Die Progressiven in dieser Partei müssen neue Ideen entwickeln, insbesondere in außenpolitischen Hinsichten. Hierzu zählt die Schaffung eines Russlandbildes, das Widersprüche nicht ignoriert, aber klarstellt, dass die Verknüpfungen von innenpolitischen mit außenpolitischen Erwägungen keinen Sinn ergeben. Würden wir mit derselben Genauigkeit die USA untersuchen? Ferner müssen wir endlich einen konstruktiven Umgang mit China finden. In Anbetracht der Seidenstraßen-Initiative und »Made in China 2025« besteht der große Konfliktherd auf dieser Welt zwischen den USA und der VR China. Ein solcher Konflikt, der apokalyptische Auswirkungen hätte, muss mit allen friedliebenden internationalen Mitteln verhindert werden. Hinsichtlich der Friedenspolitik müssen wir die Reformer und ihre Ideen nicht nurdurch moralische Argumente entwaffnen, sondern durch Sachargumente aufzeigen, dass hinter ihrer Rhetorik der reinste Revisionismus steckt. Diesem Revisionismus müssen wir ein eigenes Konzept entgegensetzen: Statt militärischer Intervention die Stärkung von internationalen und regionalen Strukturen. Statt in militärischer Intervention sind Konfliktlösungen ausschließlich in diplomatischen und entwicklungspolitischen Mitteln zu sehen.
Durch den Aufbau von Präventivzentren sollen Staaten, in denen widerstreitende Interessen vorherrschen, im Rahmen von Konfliktmanagement beraten werden. Ethnische und religiöse Konflikte könnten durch innerstaatliche Regionalisierungen und die Gewährung von Teilautonomien aufgelöst werden.
Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, dass es in unserer Zeit keinen Krieg gibt, der nicht für Kapitalinteressen geführt wird. Machen wir uns aber auch klar, dass wir auf dieser richtigen Feststellung nicht allein verharren können, wenn wir den Unterschied zwischen Strategie und Taktik kennen.
Wir haben nur ein Jahr Zeit – vergeuden wir es nicht! Es könnte die letzte Chance für die Friedensfrage in dieser Partei sein. Vielen Dank!
Beitrag auf der Bundeskonferenz der KPF am 1. Dezember in Berlin, den wir auf Grund der Brisanz komplett dokumentieren. In den Mitteilungen März 2020 folgt eine komplexe Ausarbeitung des Autors zu dieser Problematik.