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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Friedenspartei bleiben!

Thilo Urchs, Land Berlin

 

Liebe Genossinnen und Genossen, am 27. Februar 2022 erklärte der Bundeskanzler: »Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.«

Er bezog sich damit auf den wenige Tage zuvor begonnenen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

Seitdem findet Krieg in Europa statt. Das ist nicht der erste völkerrechtswidrige Angriffskrieg nach 1945 in Europa (Erinnert sei an den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien im Jahr 1999), aber mit Sicherheit der gefährlichste, was das Potential einer Intensivierung und Ausweitung betrifft.

Ich bin kein Außenpolitiker, aber es wäre schon mal spannend zu beschreiben, was dort eigentlich stattfindet.

Ist es eine militärische Auseinandersetzung (Krieg/Sonderoperation?) zwischen Russland und der Ukraine? Ist es ein Stellvertreterkrieg der USA bzw. der NATO gegen Russland? Ist es ein globaler Stellvertreterkrieg der USA und ihrer Verbündeten gegen Russland, China und weitere wirtschaftlich aufstrebende Länder, die den derzeitigen Hegemonialanspruch der USA in Frage stellen?

Die Beantwortung dieser Frage ist deshalb interessant, weil die Beantwortung den Rahmen einer weiteren möglichen Ausweitung dieses Konfliktes beschreibt.

Neben moralischen Gründen, die die Beendigung des derzeitigen Tötens von Soldaten und Zivilisten erfordern, geht es hier um die Möglichkeit einer Ausweitung des Krieges, die sich zur Gefahr für den Fortbestand der Menschheit entwickeln kann.

Es gibt eine ständige militärische Eskalation, die beabsichtigt oder auch unbeabsichtigt zu einem globalen Kernwaffenkrieg führen kann.

Durch die ständige Lieferung von Waffen mit immer stärkerer Wirkung und größerer Reichweite an die Ukraine kommt es zu einer immer intensiveren direkten Beteiligung der NATO an diesem Konflikt. Wo und durch wen werden denn die an die Ukraine gelieferten Flugzeuge wie die F-16 gewartet? (Das sind keine Autos, die alle zwei Jahre zur Durchsicht gebracht werden. Diese Wartung erfolgt auf unterschiedlichem Niveau in wesentlich kürzeren Abständen.) Wer bestimmt die Ziele der derzeitig eingesetzten amerikanischen und britischen Raketen und Marschflugkörper, wer stellt die entsprechenden Aufklärungsdaten zur Verfügung, wer programmiert, wer leitet die Raketen? Und falls es in den nächsten Tagen zur Erlaubnis aus Washington und London kommt, diese weitreichenden Waffen gegen Ziele in Russland einzusetzen, ist die nächste Eskalationsstufe erreicht.

Der Krieg in der Ukraine ist derzeit immer noch ein Krieg mit »angezogener Handbremse«. Er wird mit hoher Intensität an der direkten Frontlinie geführt, es erfolgen Angriffe auf die strategische Infrastruktur, aber es ist derzeit nicht beabsichtigt, den Gegner »in die Steinzeit zurückzubomben«. (Letzteres ist eine Anlehnung an ein Zitat zur amerikanischen Kriegsführung in Vietnam.)

Im Militär stehen neuentwickelte Waffen natürlich immer unter hohen Geheimhaltungsstufen. Die bekannten eingesetzten Waffen über die wir zur Zeit in der Ukraine reden (z.B. F-16 oder Leopard 2) wurden Ende der 70er, Anfang der 80er in die »Truppe« eingeführt, d.h. Konstruktion und Erprobung fanden Jahre vorher statt. Das heißt, diese Technik wurde ca. 35 Jahre nach dem 2. Weltkrieg und den dort bekannten Waffensystemen eingeführt. (Auch wenn die F-16 und der Leopard 2 natürlich weiterentwickelt wurden, was Triebwerke, Munition, Zielfindung oder -genauigkeit betrifft.) Seitdem sind ebenso mindestens 35 Jahre vergangen. Das menschliche Wissen entwickelt sich über die Jahre nicht proportional, sondern wie eine Hyperbel. Welche modernste Militärtechnik derzeit in den unterschiedlichen Armeen im Einsatz bzw. einsatzbereit entwickelt ist, weiß ich nicht. Ich gehe aber davon aus, dass die Wirksamkeit, die Zerstörungskraft, die »Tödlichkeit« in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat.

Und in diesem Zusammenhang finde ich die Sorge vor einer Eskalation des Krieges in Deutschland sehr »zurückhaltend«.

Junge Leute haben in den vergangenen Jahren zunehmend gegen die ökologische Zerstörung der Erde protestiert. Zu Recht. Es ist ihre und unsere Zukunft. Und sie haben Angst. Die Kritik aus dieser Richtung am Krieg ist allerdings recht leise. Eine F-16 hat einen Kraftstoffverbrauch von 3,5 bis 14 Tausend Litern in der Stunde, im Kampfeinsatz eher Letzteres. Über die Umweltschäden durch die zerstörten Chemiebetriebe in Serbien oder den Einsatz von Munition aus abgereichertem Uran in Irak kann auch nur spekuliert werden.

Vor allem reden wir hier nicht über die mögliche Zerstörung der Erde in den nächsten Jahrzehnten, sondern über eine Zerstörung, die in den kommenden Jahren, Monaten oder Wochen passieren kann.

Warum ist das so?

Die »Zeitenwende« wirkt sich auf das gesamte Leben in Deutschland aus. Der offizielle Meinungskorridor ist deutlich eingeschränkt. Pazifistische Positionen oder Positionen, die mehr Diplomatie fordern, werden diskreditiert. Medienvertreter, Politiker und sogenannte Experten, oft ohne persönlichen Bezug zum Krieg, versuchen in der Öffentlichkeit die Alternativlosigkeit einer militärischen Lösung des Krieges durchzusetzen.

Die junge Generation hat zum größten Teil keinen persönlichen Bezug zum Krieg. (Ich auch nicht. Bin 1962 geboren. Wurde aber von einer Generation erzogen, die den Krieg erlebt hat und wo immer klar war, dass Krieg der »worst case« ist.) Für die fand der letzte Krieg in Deutschland 60 Jahre vor ihrer Geburt statt. Sie kennen Krieg aus Hollywood-Filmen und Computerspielen. Wenn bei Letzteren der Krieg verloren geht, muss man das Level neu beginnen.

Die ökonomischen Auswirkungen des Krieges kommen langsam im Alltagsbewusstsein an. Dass unser bisheriges Wirtschaftsmodell als »Exportweltmeister« nicht mehr funktioniert, war relativ schnell klar.

In der Zwischenzeit kommt die wesentlich durch den Krieg verursachte ökonomische Krise (steigende Rohstoffpreise, wegbrechende Absatzmärkte, daraus resultierend mangelnde Konkurrenzfähigkeit der Produkte) auch auf dem Arbeitsmarkt an. Das heißt, die Einnahmen und damit die zu verteilenden Mittel des Staatshaushaltes nehmen ab, bei gleichzeitig deutlich wachsenden militärischen Ausgaben. Die Kosten für einen modernen Panzer liegen im zweistelligen Millionenbereich, die Kosten für ein modernes Flugzeug F-35 (sogenanntes Tarnkappenflugzeug) liegen deutlich im dreistelligen Millionenbereich. Wir leben im Kapitalismus. An jeder hergestellten, gelieferten und verschossenen Patrone, Granate oder Rakete verdienen sich Leute »dumm und dämlich«. Gespart wird woanders, bei Infrastruktur, Bildung, Sozialem etc.

Gleichzeitig muss das Bild des Soldaten in der Gesellschaft verändert werden. Es muss aufgewertet werden. Eine gesamtgesellschaftliche Aufwertung mit z.B. attraktiverer Bezahlung, Präsenz in der Öffentlichkeit, verbesserter Nachwuchsgewinnung, bis hin zur veränderten »Traditionspflege« usw. – das ist alles im vollen Gang.

Die Linke muss Friedenspartei bleiben! Wenn wir uns auf die militärische Logik einlassen, wenn wir den Schulterschluss zu Bundeswehr, Staat, USA, NATO suchen, werden wir sicherlich wohlwollend in den öffentlichen Medien behandelt werden.

Wir werden aber keine stringenten Antworten auf die von mir angesprochenen, sicherlich unvollständigen Probleme geben können.

Und wir haben unsere Funktion verloren. Mit diesen Positionen gibt es genügend andere Parteien. Daher sollten wir sehr genau überlegen, wie unsere Positionierung beim Bundesparteitag in Halle aussieht. Ein »Aufweichen« unserer friedenspolitischen Positionen wird unsere Chancen auch bei den kommenden Bundestagswahlen weiter reduzieren.

Heute früh war ich noch beim Bäcker. Das ist die Tüte, in der ich meine Brötchen bekam in den Tarnfarben und mit dem Logo Bundeswehr wird für eine Karriere in der Bundeswehr geworben. Nur damit wir wissen, über was wir reden. Und das geht erst los.