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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Freude ohne Illusionen

Ellen Brombacher

 

Über die im Rahmen der ersten Hochrechnung veröffentlichten Bundestagswahlergebnisse der LINKEN konnte ich mich einen Moment lang gar nicht recht freuen. André Brie kam mir in den Sinn – und mich erfaßte so etwas wie Mitleid. Am 7. Juni 2009, dem Tag der Europawahlen – sozusagen als letzten Wahlkampfschub für die LINKE – brachten die Medien Vorabmeldungen über einen Essay, der tags darauf im SPIEGEL erschien. Der Autor: André Brie. Die Überschrift: Der Lafontainismus. Brie schrieb unter anderem: "... seine (O. Lafontaines) Dominanz hat auch eine Kehrseite. Seine Stärken werden dann zur Schwäche der Linkspartei, wenn sie sich ganz auf diese Führung verläßt. Ob die LINKE sein Mandat überdauern wird, ist völlig offen ... anders als früher in der SPD begnügt er (O. Lafontaine) sich heute faktisch mit einem politischen Protestprojekt".

Wie bitter für Brie und die ihm Gleichgesinnten, daß gerade ein konsequenter Oppositionswahlkampf erfolgreich war. 11,9% – das ist ein bemerkenswert gutes Ergebnis. Hierfür gibt es sicher verschiedene Gründe. Drei sollen besonders hervorgehoben werden:

  • Die Partei bezog zu sozialen Fragen klare Positionen; nehmen wir nur die Ablehnung von Hartz IV und die Forderung, die Rente erst mit siebenundsechzig wieder rückgängig zu machen.
  • Die LINKE erwies sich wiederum als einzige Antikriegspartei im Spektrum der in den Parlamenten vertretenen Parteien.
  • Die Partei beteiligte sich – bis dato – nicht an den permanenten antikommunistischen Verleumdungen im Jubiläumsjahr 2009. Wir haben nicht vergessen, daß dies nicht immer so war. Daß wir unsere Würde bewahrten, hat uns im Osten Stimmen gebracht und im Westen offensichtlich keine gekostet. Wir sollten daraus im Umgang mit der Geschichte generelle Schlußfolgerungen ziehen.

Das Desaster der SPD sollte uns stetig vor Augen führen, daß lang- und mittelfristig Vertrauensverlust zerstörerisch wirkt. Nun hört man in den letzten Tagen wieder verstärkt, wir hätten in Anbetracht der Krise noch wesentlich besser abschneiden können. Und – die FDP habe "von der Krise stärker profitiert" als die LINKE. Diese Betrachtungsweise ist absurd. Es wird verkannt, daß es in diesem Land genügend Leute gibt, denen es vollkommen gleichgültig ist, ob ihr Besitzstand auf Knochen jener gewahrt wird, die ohnehin schon am wenigsten haben. Die FDP ist die Partei der sozialen Kälte, und sie wird von den begüterten Asozialen gewählt. Stimmen, die gerade die LINKE nie erhalten würde. Frau Merkel ist mit Herrn Westerwelle und & viel Vergnügen zu wünschen bei der Realisierung ihres am Wahlabend verkündeten Ansinnens, Kanzlerin aller Deutschen zu sein.

Das Desaster der SPD ist auch Anlaß für Spekulationen. So wurde Müntefering bereits am Wahlabend gefragt, ob perspektivisch nicht eine Vereinigung von SPD und LINKEN auf der Tagesordnung stünde. In der SPD käme es jetzt sicherlich zu prinzipiellen Auseinandersetzungen, in deren Ergebnis womöglich der Einfluß der Parteilinken wüchse. Dann würde sich vielleicht auch die Geschäftsgrundlage für den Umgang der beiden Parteien miteinander verändern. Zugleich wird spekuliert, daß die zukünftig gemeinsame Opposition von SPD, Grünen und LINKEN zu einer Art Regierungsvorbereitung im Jahr 2013 führen könne. Natürlich ist eine prinzipielle und breite parlamentarische Opposition gegen die zu erwartende Politik von Schwarz-Gelb nicht nur wünschenswert, sondern notwendig. Wichtiger noch wird es sein, daß sich die außerparlamentarische Bewegung spürbar entwickelt. Aber – was auch immer diesbezüglich geschieht. Diejenigen in der LINKEN, die den ewigen Traum von der Regierungsbeteiligung auf Bundesebene träumen, wissen, daß eine solche die Anerkennung der Staatsraison in punkto Außenpolitik bedeutet. Dieses Problem bleibt somit die Gretchenfrage für unsere Partei.

Vor uns steht die Programmdebatte. Die im FdS organisierten Verfechter einer Regierungsbeteiligung im Bund werden alle Anstrengungen darauf richten, programmatisch gegen den profilierter gewordenen Oppositionskurs unserer Partei zu steuern. Und sie werden prominente Schützenhilfe bekommen. Einen Vorgeschmack lieferte Jürgen Trittin am 24. September 2009 im ND. Chefredakteur Jürgen Reents interviewte ihn. Man kennt sich seit Jahrzehnten, nicht zuletzt aus gemeinsamem politischen Wirken im Kommunistischen Bund. Ein beträchtlicher Teil der Interviewfragen betraf die friedenspolitischen Positionen der LINKEN. Trittin wörtlich: "Was ist mit dem neuen EU-Vertrag? Was ist mit der Haltung der Linkspartei zum Primat der Vereinten Nationen? Man kann sich nicht ernsthaft hinstellen und sagen, man sei für die Vereinten Nationen, dann aber auch den harmlosesten, unbewaffneten UN-Einsatz zur Absicherung von Waffenstillständen ablehnen. Das weiß Oskar Lafontaine. Wenn er die Linkspartei im Bund an die Regierung führen möchte, wird er diese Position räumen müssen. Es ist völlig klar, daß das nicht in kürzester Frist geschieht, und deswegen liegt bei dieser Bundestagswahl diese Option auch nicht auf dem Tisch. Aber diese Frage hat die Linkspartei vor sich. ... Die UN sind heute nach den USA der zweitgrößte Truppensteller bei internationalen Einsätzen. Da kann man nicht sagen, okay, das sollen die Bangladeschis machen. Das ist eine arrogante Haltung nach dem Motto, die reichen Länder zahlen für den Erhalt des Friedens in dieser Welt und die armen Länder verheizen ihre Soldaten." Wie rührend Trittin den irrationalen Grundsatz verficht, Frieden zu schaffen durch das Verheizen von Soldaten im Krieg. Und doch: Wir haben allen Grund, solche Töne ernst zu nehmen.

Und noch etwas: Wir wissen, daß unsere Partei – im Zusammenhang mit dem Tolerierungsmodell von Sachsen-Anhalt und der Mitwirkung in Landesregierungen von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin – für opportunistische Tendenzen bezahlte und auch heute bezahlt. Dies beeinträchtigte die Glaubwürdigkeit, auch der Gesamtpartei, zeitweise sehr. Noch ist offen, ob es in Thüringen, im Saarland und in Brandenburg SPD-LINKE-Koalitionen geben wird. Käme es zu solchen Konstellationen, so würde unermeßlicher Schaden angerichtet werden, würde seitens der LINKEN auf Länderebene prinzipiell anders verfahren, als im Wahlkampf – sowohl im Bund als auch in den Ländern – versprochen.

Es kommt also jetzt in jeder Hinsicht darauf an, daß der vernünftige Kurs der LINKEN, sich als prinzipielle Oppositionskraft zu profilieren, beibehalten wird. Unsere Freude über das gute Abschneiden unserer Partei, sowohl auf Bundesebene, wie auch in Brandenburg und Schleswig Holstein, unsere besondere Zufriedenheit damit, daß Sahra es in den Bundestag geschafft hat – einen ganz herzlichen Glückwunsch !!! – darf uns nicht zu Illusionen verleiten. Die bevorstehenden innerparteilichen Auseinandersetzungen um den programmatischen Charakter unserer Partei werden all unsere Kraft beanspruchen. Auf der Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform am 22. November 2009 werden wir die Schlußfolgerungen für die bevorstehende Arbeit der Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN ziehen.

 

Mehr von Ellen Brombacher in den »Mitteilungen«: 

2009-08: Aus dem Alltag der KPF

2009-06: 1. Mai, Berlin-Kreuzberg 

2009-05: Günter Gaus zum Gedenken