»Fortan sollte Schonung walten, Versöhnung, Brüderlichkeit«
Aus der Gedenkrede von Heinrich Mann im Münchner Odeon am 16. März 1919 anlässlich der Trauerfeier für den am 21. Februar 1919 ermordeten ersten Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern Kurt Eisner
Der verewigte Kurt Eisner wird weiter beispielhaft in unserer Mitte weilen, seinen Tod überdauernd, gewiss durch seine Taten, aber mehr noch durch das, was er war. Wir danken ihm nicht einfach den Sturz eines verworfenen Regiments, sondern, dass dieses Regiment, das selbst in seinen weniger schändlichen Zeiten nichts anderes gewesen war als geistlose Gewalt, unvermittelt und in sinnbildlicher Art abgelöst wurde von der Menschenart, die Geist will und Geist schafft. Die hundert Tage der Regierung Eisners haben mehr Ideen, mehr Freuden der Vernunft, mehr Belebung der Geister gebracht als die fünfzig Jahre vorher. Sein Glaube an die Kraft des Gedankens, sich in Wirklichkeit zu verwandeln, ergriff selbst Ungläubige. So einfach ist es, Geschichte zu machen, sagte er zu dem hellen Morgen, der über seinem vollbrachten Staatsstreich aufging. Und man staunte und glaubte.
Er war der Mann der Wahrheit, daher der Hass derer, die sie fürchten. Daher auch die Achtung der Ehrlichen unter den Andersdenkenden und sogar unserer bisherigen Feinde. Sie, die unsere ganze Revolution für eine Maskerade hielten, ihm glaubten sie. Eine reine Leidenschaft des Geistes ist unverkennbar. Man kann zweifeln an gewaltsamen Veränderungen des politischen Personals, und auch wirtschaftliche Tatsachen und Programme können so oder so verstanden werden. Unausweichlich, unwiderlegbar ist allein der Mensch, der Wahrheit spricht, dessen Blick und Atem Wahrheit ist. Der Völkerbund war längst, bevor er Weltgeltung bekam, lebendig in Geistern wie dem seinen, den literarischen Geistern. Jetzt werden Vorhersagen Victor Hugos verbreitet, die viel früher hätten wirksam gemacht werden sollen. Und jene Friedensnovelle Strindbergs erfüllt jetzt viele mit solchem Schauder, als seien Geister der Zukunft zwischen ihnen umgegangen, und erst nachträglich erführen sie es. Wer so unwandelbar um der Leidenschaft der Wahrheit und eben darum so mild im Menschlichen ist, verdient den ehrenvollen Namen eines Zivilisationsliteraten, und dies war Kurt Eisner.
Er ging aus einer Zeit des Wahnsinns und Verfalles mit ungebrochener Vernunft hervor. Er liebte die Menschen, traute ihnen die Kraft zur Wahrhaftigkeit zu und erwartete daher noch so viel von ihnen, dass er sich hütete, alles auf einmal zu verlangen. Er sah, wie furchtbar gerade dieses Volk von seinen alten Machthabern überanstrengt worden war, im Blutdienst eines Staats- und Machtwahnes, dem Menschen nichts galten. Fortan sollte Schonung walten, Versöhnung, Brüderlichkeit. Die Revolution sei eine Gemeinschaft aller Freunde der Wahrheit, die der Weg des Menschen ist, und kein Krieg nach dem Kriege, kein Bürgerkrieg. In der Rede, mit deren Entwurf er am 21. Februar in den Landtag ging, gedenkt er seiner Bemühungen durch vernünftige Beratung anstatt durch brutale Gewalt, die infolge der langen Kriegszeit, der harten Entbehrungen krankhaft aufgeregten Massen vor den Schrecken des Bürgerkrieges zu bewahren. Er hat uns bewahrt. Kein Blut war mehr geflossen. Aber bevor er dies aussprechen konnte, floss, ach, das seine.
Es war vergossen für die Wahrheit. Ihr hatte er es seit anfangs dargebracht, er wusste, sie war zu sehr verhasst. Wer sie laut behauptete und sichtbar vertrat, musste sterben. Er hatte Gegner von einer Art, dass sie nicht einmal die Enteignung so schwer ertragen haben würden wie die Wahrheit. Zu seinen Todfeinden hat er sie nicht durch Maßnahmen gemacht, sondern durch Bekenntnisse. Der erste wahrhaft geistige Mensch an der Spitze eines deutschen Staates erschien jenen, die über die zusammengebrochene Macht nicht hinwegkamen, als Fremdling und als schlecht. Dass er am Quell der Macht doch lauter bleib, widerstrebte ihren Begriffen. Seine Güte, die um keinen Preis, nicht einmal um den des eigenen Lebens, Blut vergießen wollte, ihnen war sie Schwäche. … Möge die Revolution in seinem Bilde, das sie zum Höchsten verpflichtete, für immer das Andenken ihrer Jugend bewahren.
Quelle: www.dasanderebayern.de – Einstieg – Konstantin Wecker trägt vor (Video, abgerufen am 26. Januar 2019). – Am 21. Februar 2018 führte der Verein Das andere Bayern e.V. sein alljährliches Eisner-Gedenken zum 99. Todestag an der Stelle durch, an der Kurt Eisner hinterrücks ermordet wurde. Konstantin Wecker trug dort die Gedenkrede von Heinrich Mann vor.