Faschistoide Tendenzen in Europa
Stellungnahme der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten zum SS-Treffen in Estland
Mit Empörung wendet sich die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten an die politisch Verantwortlichen in Estland, die es Ende Juli zum wiederholten Male zugelassen haben, daß ehemalige Kriegsverbrecher der estnischen und der lettischen SS-Divisionen in Sinimäe öffentlich die Erinnerung an ihre Taten zelebrieren konnten. Neben den SS-Veteranen waren auch zahlreiche junge Anhänger der extremen Rechten anwesend, die die "Estnische Legion" als "Freiheitskämpfer" und "Helden der Unabhängigkeit" bezeichneten. Besonders beschämend ist es, daß die Vertreter der estnischen Regierung selber keine Distanz zu diesem Treffen zeigten. Vielmehr wurde von dem Parlamentsabgeordneten Trivimi Velliste verkündet, daß der estnische Verteidigungsminister Mart Laar versprochen habe, den Veteranen der 20. SS-Division offiziell den Status der "Freiheitskämpfer" zu verleihen. Folgerichtig behauptete auch das estnische Außenministerium, daß jegliche Kritik an dieser Veranstaltung falsch sei und "auf ideologischen Klischees" basiere. Man sprach sogar von "ideologischen Manipulationen".
Die FIR erklärt dazu in aller Deutlichkeit: Die Verbrechen der SS sind keine "ideologischen Klischees", sondern sie wurden durch den Gerichtshof der Völker in Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg festgestellt: SS war in allen ihren Teilen eine verbrecherische Organisation.
Es darf nicht sein, daß eine Regierung der Gemeinschaft der europäischen Länder sich über dieses grundsätzliche Dokument des Völkerrechts glaubt hinwegsetzen zu können. Wir erwarten von der estnischen Regierung, daß sie als Bestandteil des vereinten Europas jeglicher Rehabilitierung der SS-Verbände Einhalt gebietet. (…)
Aus: "junge Welt", 5. August 2011, Seite 8
Nationalisten verbreiteten in Budapest ungehindert chauvinistische Ideologie
Das Insel-Festival in Budapest (Sziget-Festival) ist eine der bekanntesten Kulturveranstaltungen Ungarns. In diesem Jahr nutzten auch rechtsextremistische Bewegungen die Bühne für ihre Propaganda. [...]
Auf der größten Donau-Insel finden jeden August über 1000 Veranstaltungen aller Art statt. In diesem Jahr gab das Festival auch Raum für die politische Agitation von Verbündeten der ungarischen rechtsradikalen Parlamentspartei Jobbik. Dabei handelt es sich um die "Vierundsechzig-Komitate-Jugendbewegung" (Hatvannégy Vármegye Ifjúsági Mozgalom – HVIM) und ihre Satellitenorganisation, die Räuber- oder Strauchdiebschar (Betyársereg). Der Name HVIM ist Ausdruck der unmißverständlichen Sehnsucht nach einem Großungarn, das bis zum Trianon-Vertrag zwar nicht 64, aber immerhin 63 Komitate hatte – den irredentistisch gesonnenen Herren ist ein Zählfehler unterlaufen. Gemäß dem nach dem Ersten Weltkrieg abgeschlossenen Vertrag von Trianon verlor Ungarn zwei Drittel seines Territoriums an seine Nachbarländer.
Als "Betyáre" wiederum bezeichnete man die ungarischen Widerstandskämpfer, die nach der Niederschlagung des Freiheitskampfes von 1848/49 durch die Habsburger im Untergrund mit einem gewissen Robin-Hood-Gebaren gegen die Fremdherrschaft kämpften. Von der Gesinnung der Räuberschar läßt sich auf deren selbstverständlich nur auf Ungarisch existierender Internetseite ein Eindruck gewinnen. Bereits der dritte Satz lautet: "Die Gesetze der Republik sind in unseren Augen nicht viel wert, doch die uralten Gesetze der Puszta halten wir unter allen Umständen ein und sorgen dafür, daß auch andere sie einhalten." Unter den "beispielhaften Taten" heutiger Betyáren wird aufgeführt, daß 100 von ihnen die "Zigeunermafiosi von Kunszentmárton", einer ungarischen Provinzstadt, "aufgesucht" haben.
Der Diskussionsleiter der Veranstaltung dieser Gruppierungen auf dem Insel-Festival, Zsolt Tyirityán, HVIM-Sprecher und Räuberschar-Führer in Personalunion, begann seine Agitation mit der Vorstellung eines "Vorbilds", des ungarischen Kriegers Zsolt Dér, der angeblich in den Jugoslawien-Kriegen der 90er Jahre gekämpft hat. [...]
Für einen effizienten Kämpfer sei es wichtig, meinte der Diskussionsleiter, der nach eigenen Worten eine "verhältnismäßig lange Zeit" im Gefängnis verbracht hat, daß "er keine Zweifel hat: Dann kann er richtig töten". Die Jugendlichen, die sich nach einer Mitgliedschaft in der Räuberschar sehnen, müßten zuerst mit der ihnen innewohnenden Faulheit, mit Hedonismus und Disziplinlosigkeit brechen. Dann erst könnten sie zu "Freiheitskämpfern oder sich selbst opfernden Märtyrern" werden.
Über die eigentlichen Ziele der Räuberschar wollte Tyirityán nicht offen reden, doch verriet er immerhin, daß "die Buben für Aufgaben verwendet werden, zu denen kein Durchschnittsmensch fähig" sei. Es werde sich nämlich in Ungarn bald eine Situation entwickeln, in der 3000 hungrige Rentner 3000 hungrigen Zigeunern gegenüberstehen. Deshalb sei es unumgänglich, rassistische Gruppierungen ins Leben zu rufen, denn anders seien die eigenen Werte nicht zu verteidigen: "Wenn die Israelis hierher kommen – werden wir es dann wagen, einen lumpigen, lausigen Juden abzuknallen?"
Trotz solcher Äußerungen hatte die Veranstaltung keinerlei rechtliche Folgen.
Gábor Kerényi, Budapest, Aus "Neues Deutschland" vom 17. August 2011, Seite 6.
Staatsziel Holocaust-Relativierung: Faschistische Kollaborateure werden zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls als "Freiheitskämpfer" gefeiert
Der 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion dient in Litauen als Hintergrundkulisse für nationalistische Anstrengungen. Dabei werden rechtsextreme Milizen, die bei Kriegsbeginn einen Aufstand gegen die Rote Armee begannen, als "Freiheitskämpfer" bezeichnet, der Holocaust relativiert und die Kollaboration mit den Nazis schöngeredet.
Hauptanliegen der offiziösen Geschichtspolitik ist die Darstellung der "Litauischen Aktivistenfront" (LAF), die im Juni 1941 den Aufstand organisierte, als honorige patriotische Vereinigung. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistet der pünktlich zum Jahrestag am 22. Juni vorgestellte Dokumentarfilm "Aufstand der Versklavten", zu dessen Premiere zahlreiche Politprominenz erschien. Das Parlament würdigte den staatlich gesponserten Film als "wichtigen Beitrag zu litauischer Kultur, Geschichte und Patriotismus". Der Streifen zeigt nur die Opfer sowjetischer Verbrechen von 1940/41, schweigt sich aber komplett darüber aus, daß der "Freiheitskampf" der LAF, deren Führung damals in Berlin residierte, vom ersten Tag an mit antisemitischen Pogromen und Mordaktionen einherging. Später stellten aus der LAF hervorgegangene Sicherungseinheiten die Erschießungskommandos für die Deutschen. Eine Ausstellung, die derzeit an der Technischen Universität Kaunas gezeigt wird, dient ebenfalls der Schönschreibung dieser Truppe.
Auf einer Konferenz, die Ende Juni im litauischen Parlament stattfand, würdigte der frühere Staatschef Vytautas Landsbergis den Aufstand von 1941 als eine Art nationales Erwachen, das den Weg zur Unabhängigkeit 50 Jahre später bereitet habe. Das berichtet der Jiddisch-Professor und Konferenzbeobachter Dovid Katz auf seiner Homepage DefendingHistory.com. Ein Mitarbeiter des staatlichen Zentrums zur Erforschung des Genozids (Genocide Research Center) – dieses hatte auch den erwähnten Film unterstützt – leugnete gar die Beteiligung der LAF an Pogromen: Dies behaupteten lediglich "jüdische Historiker", ohne hierfür Belege zu haben. Tatsächlich haben Wissenschaftler in den letzten Jahren zahlreiche Beweise dafür dokumentiert. [...]
Anfang Juli wurde die Holocaust-Gedenkstätte in Paneriai von Nazis beschmiert. In dem Vorort von Vilnius wurden rund 70.000 Juden ermordet. Die Neonazis sprühten Hakenkreuze auf die Gedenksteine, dazu obszöne Sprüche und die Parole "Hitler hatte Recht". Das Simon-Wiesenthal-Zentrum stellte den Zusammenhang her: Solche Schmierereien seien "beinahe verständlich", wenn auf einer staatlichen Konferenz antisemitische Morde von litauischen Kollaborateuren als Erfindungen "jüdischer Historiker" abgetan würden. Einiges Aufsehen erregte kürzlich die litauische Antifa, die auf ihrer Homepage Fotos von Armeeangehörigen publizierte, die sich auf Facebook mit tätowierten Hakenkreuzen und Nazisymbolen gezeigt hatten. Der Verteidigungsminister wiegelte ab: Tattoos seien "eine private Angelegenheit".
Frank Brendle in "Litauen ehrt seine Nazis", "junge Welt" vom 24. August 2011, Seite 15.