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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Es darf weiter wild gezockt werden

Sahra Wagenknecht, MdB, Düsseldorf

In den südlichen Euro-Staaten spitzt sich die ökonomische und soziale Lage dramatisch zu. Vor allem in Griechenland spielen sich mittlerweile täglich tragische Szenen ab. Die Empörung der Bevölkerung über drastische Kürzungen der Sozialleistungen, Löhne und Renten, über wirtschaftlichen Abstieg und Perspektivlosigkeit wächst sichtbar. Es mehren sich dort sogar Fälle, dass schwer kranken Menschen lebenswichtige Medikamente vorenthalten oder Schwangere vor den Kreißsälen abgewiesen werden, wenn sie kein Geld dabei haben. Während alles Soziale plattgewalzt wird, zahlt die griechische Regierung Monat für Monat Hunderte Millionen Euro an Anleihezinsen an Hedge-Fonds und andere Zocker aus. »Letztlich dürften hinter den Entscheidungen aus Athen die Geldgeber aus Brüssel und Frankfurt stehen«, schreibt das Börsenblatt. Die Party der Finanzhaie geht also weiter.

Ein Europa der Toleranz?

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einmal gesagt: »Europas Seele ist die Toleranz. Europa ist der Kontinent der Toleranz. Um das zu lernen haben wir Jahrhunderte gebraucht.« Für die meisten Griechen klingen diese Worte heute wie blanker Hohn. Denn von Toleranz seitens der Bundesregierung gegenüber den vielen Millionen Menschen in den südlichen Euro-Staaten, denen nun das x-te Kürzungspaket diktiert werden soll, ist nichts zu spüren. Erschreckend ist vielmehr manche Äußerung deutscher Politikprominenz wie die des Union-Fraktionschefs Volker Kauder, in Europa werde jetzt wieder »Deutsch gesprochen«, abstoßend ist geradezu das üble Gerede der Mainstream-Medien von angeblich »faulen Südeuropäern«, die in »einem aufgeblähten Staat« »über ihre Verhältnisse« leben würden. Alexis Tsipras, Vorsitzender des griechischen Linksbündnisses Syriza, spricht daher völlig zu Recht von »einer unerhörten Kampagne zur Desorientierung und Manipulierung der deutschen Öffentlichkeit«. Sie soll vor allem verdecken, dass das Krisenmanagement der schwarz-gelben Bundesregierung im Kern darin besteht, die Haftung für hochspekulative Geschäfte der Finanzmafia dem Steuerzahler aufzubürden und sie soll zweitens dem europaweiten Sozialkahlschlag den Anschein von Legitimität geben.

Die gängigen Lügen, die über Griechenland erzählt werden, lassen sich bereits durch wenige Zahlen widerlegen: Mit im Durchschnitt gerade mal 600 Euro liegen die Renten der Griechen jenseits lebenswerter Verhältnisse. Bei den Durchschnittslöhnen sieht es keineswegs besser aus: Sie betragen lediglich rund 800 Euro, viele Griechen verdienen sogar noch weniger. Das sind Armutsrenten und Hungerlöhne, die durch die aktuellen Kürzungsmaßnahmen künftig noch geringer ausfallen werden. Der griechische Staat ist auch nicht aufgebläht, wie oft behauptet wird. Vielmehr sind die staatlichen Ausgaben Griechenlands im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt zwischen 2000 und 2006 von 47 auf 43 Prozent gesunken und lagen damit sogar unter denen Deutschlands. Erst mit Beginn der Krise und dem wirtschaftlichen Niedergang ging die staatliche Ausgabenquote nach oben. Eines der Probleme Griechenlands liegt vielmehr darin, dass Unternehmen und vor allem Vermögende kaum Steuern zahlen. So betrug 2006 die tatsächliche Besteuerung von Vermögen und Gewinnen in Griechenland lediglich 16 Prozent und damit in etwa die Hälfte dessen, was in der Euro-Zone effektiv besteuert wird. Die geringe Besteuerung hat den Schuldenanstieg des griechischen Staates begünstigt. Es wäre daher vernünftig, sich für höhere Steuern auf Unternehmensgewinne und Vermögen einzusetzen, doch dafür fehlt den politischen Eliten ganz offensichtlich der Wille. Denn wie ist es anders zu erklären, wenn die Troika aus Internationalem Währungsfonds, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank den griechischen Staat dazu nötigt, ausgerechnet die Unternehmenssteuern drastisch herabzusetzen?

Die Senkung der Unternehmenssteuern soll aber offenbar nicht das einzige Geschenk an die Global Player der Wirtschaft bleiben. Laut nachgedacht wird inzwischen auch über die Einrichtung von sogenannten Sonderwirtschaftszonen, in denen international agierenden Konzernen paradiesisch-günstige Bedingungen geschaffen werden sollen, um ihren Drang nach Maximalprofiten zu befriedigen. Sonderregeln innerhalb dieser Zonen sollen unter anderem dafür sorgen, dass Tarifvereinbarungen und Arbeitnehmerrechte aufgekündigt, bisher gültige Sozialstandards zerfleddert und Umweltschutznormen erheblich entschärft werden, Sicherheit am Arbeitsplatz soll kaum noch eine Rolle spielen.

Um diesen ruinösen Wettstreit der Euro-Länder um möglichst niedrige Unternehmen- und Vermögensteuern und Sozialstandards endlich zu beenden oder wenigstens einzudämmen, bräuchten die Euro-Staaten gemeinsame hohe Standards in der Steuer- und Lohnpolitik. Sonderwirtschaftszonen würden hingegen die Konkurrenz der Euro-Länder erheblich verschärfen – vor allem zulasten der Beschäftigten. Doch trotz dieser vorhersehbaren katastrophalen Aussichten haben nicht nur Vertreter der schwarz-gelben Bundesregierung, sondern auch führende SPD-Mitglieder bereits Zustimmung zur möglichen Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen signalisiert, darunter beispielsweise Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments. Neben den diktierten Kürzungen müssten die Griechen auch akzeptieren, dass nunmehr EU-Beamte auf griechischem Boden Reformen umsetzen, die aber »keine feindliche Besatzungsmacht«, sondern vielmehr »Hilfstruppen« seien, so Martin Schulz. Volksabstimmungen seien hingegen für die Europapolitik »immer ein bedrohliches Szenario gewesen, weil Europapolitik kompliziert ist«. Was der SPD-Mann hier in kolonialer Selbstherrlichkeit vom griechischen Staat abverlangt, ist faktisch die Preisgabe jeglicher staatlicher Souveränität und die Absage an jede demokratische Einflussnahme der Bevölkerung. Einen zuverlässigeren Parlamentspräsidenten wird die Banken- und Finanzmafia wohl auch bei den konservativen Parteien kaum finden können.

Vermögende und Banken sollen die Zeche zahlen

Die Regierungen aller europäischen Staaten haben die Steuern für Vermögende und Unternehmen seit Jahren immer weiter gesenkt. Dadurch sind die Staaten, wenn sie weiterhin zumindest ein Mindestmaß an öffentlicher und sozialer Infrastruktur garantieren wollten, genötigt worden, sich zu verschulden, während die Banken und Vermögenden das, was sie aufgrund der Steuerentlastungen von der Politik geschenkt bekommen haben, partiell in Staatsanleihen angelegt haben. Während also die Schuldenberge – insbesondere in den letzten Jahren – stark gewachsen sind, explodierten nahezu zeitgleich die Vermögen der Reichsten. So ist allein zwischen 2000 und 2010 das private Geldvermögen in der Eurozone um über fünf Billionen Euro angestiegen. Zwei Drittel des privaten Geldvermögens in Europa befinden sich heute in den Händen der reichsten zehn Prozent der Bevölkerung. Liegt es angesichts dieser Vermögenskonzentration nicht nahe, das Geld dort abzuholen, wo es zuhauf vorhanden ist, statt immer wieder den einfachen Steuerzahler auszuplündern? DIE LINKE hat daher einen Vorschlag gemacht, wie man die Schuldenlast der europäischen Staaten verringern könnte: Wir fordern eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre. Damit könnten sämtliche Sozialkürzungen verhindert und ein Teil der Einnahmen für den Abbau der Schulden verwendet werden. Eine europaweite Krisenabgabe für Millionäre von bescheidenen 30 Prozent wäre bereits ausreichend, um die Verschuldung in Europa auf das Niveau der Vorkrisenzeit zurückzuführen. Ein Schuldenabbau auf diese Weise würde im Ergebnis auch die Zinslasten verringern. Die dadurch ersparten staatlichen Zinsausgaben könnten für sinnvolle öffentliche Investitionen genutzt werden.

Der Vorschlag, eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre einzuführen, findet allerdings kaum Gehör bei den anderen Bundestagsfraktionen, so wie sich überhaupt die große Mehrheit der Parlamentarier gegen jegliche steuerliche Belastung von großen Vermögen, Erbschaften und Unternehmensgewinnen stemmt. Die herrschende Politik hält stattdessen daran fest, den Schuldenabbau über Sozialkürzungen durchzusetzen. Dieser Weg wird aber die wirtschaftliche und soziale Lage weiter verschlechtern. Der amerikanische Ökonomieprofessor Nouriel Roubini hat dies auf den Punkt gebracht: »Stärkeres Sparen führt zum Paradoxon: Es vertieft die Rezession und verschlechtert die Schuldenquote«. Roubinis These wurde durch die Schuldenentwicklung aller europäischen Staaten bestätigt. So sollte das von der europäischen Troika gegen Griechenland verhängte Kürzungsdiktat angeblich der Schuldenreduzierung dienen. Doch seit Beginn der Krise sind dort die öffentlichen Schulden um über 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen, und die Binnenwirtschaft liegt am Boden. Auch die europäische Schuldenquote ist durch die Krise, milliardenschwere Bankenrettungen und massive Einschnitte im sozialen Bereich von weniger als 60 auf über 83 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Prozent explodiert. Die Behauptung, die Sparmaßnahmen dienten der Abtragung der Schulden, hat sich damit, wenn nicht als Lüge, so doch zumindest als großer Irrtum entpuppt.

Als weitere wesentliche Maßnahme zur Bewältigung der Krise fordert DIE LINKE, den Finanzsektor an der Reduzierung der europäischen Staatsschulden zu beteiligen. Dies ließe sich dadurch erreichen, indem den Staaten zumindest all jene Schulden gestrichen werden, die durch die Rettung der Banken und durch die Garantie ihrer spekulativen Geschäfte entstanden sind. Da die Bankvorstände und Spekulanten dies aber verhindern wollen, drohen sie damit, dass ein europaweiter Schuldenschnitt ein ökonomisches und soziales Fiasko für alle, vor allem aber für die Kleinsparer, zur Folge hätte. Das ist schon deshalb falsch, weil der Staat durchaus die Möglichkeit hat, die Kleinsparer zu schützen und die gesellschaftlich relevanten Funktionen, vor allem den Zahlungsverkehr und den Kreditfluss, auch weiterhin zu gewährleisten.

Ein wild gewordener Finanzsektor

Eine über Jahrzehnte hinweg wie besessen betriebene Politik der Deregulierung und Marktöffnung, weitreichende Privatisierungen – insbesondere der Alterssicherungssysteme – und eine Umverteilung der Volkseinkommen vor allem mittels Lohnkürzungen hat ein gigantisch aufgeblähten und unkontrollierten Finanzsektor geschaffen und hochgefährliche Zockergeschäfte mit Währungen, Rohstoffen, ja sogar mit Lebensmitteln möglich gemacht. Diese Politik wird nun im Grunde fortgesetzt. Die Rolle der Europäischen Zentralbank, deren Präsident Mario Draghi übrigens Managing Director und Vizepräsident der Zockerbank Goldman Sachs war, wirkt dabei krisenverschärfend.

Die jüngst beschlossene automatische und europaweite Bankenstützung über den ESM läutet nun eine neue Stufe der Bankenrettungen ein, die im Ergebnis die neoliberale Umverteilung vertiefen wird. Zu diesem quasi automatisierten Umverteilungsmechanismus gehört auch der Europäische Fiskalpakt, der wie auch der Europäische Rettungsschirm ESM vom Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen bestätigt wurde. Der Fiskalpakt nötigt die EU-Staaten dazu, in den kommenden Jahren über zwei Billionen Euro aus ihren Staatshaushalten zu streichen. Gekürzt werden soll bei Sozialem, bei der Gesundheit, bei Bildung und bei den Renten. Das ist jedenfalls die unvermeidbare Konsequenz, wenn die vorgegebenen Haushaltsziele, insbesondere die Reduzierung der Staatsverschuldung auf 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes, erreicht werden sollen ohne die Banken und Vermögenden zur Kasse zu bitten und den Finanzhaien ihre Zockergeschäfte zu verbieten. Dann aber wird von einem Europa der Toleranz, von dem Frau Merkel geredet hat, nicht mehr viel übrig bleiben. Es sind heute vor allem die Millionen protestierenden Menschen in Madrid, Athen und anderswo, die für mehr Toleranz in Europa auf die Straße gehen.