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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

»Erst der Krieg schafft Ordnung«

Bertolt Brecht, Auszüge aus »Mutter Courage und ihre Kinder«

Vor 75 Jahren, am 19. April 1941, fand die Uraufführung des Dramas von Bertolt Brecht »Mutter Courage und ihre Kinder« statt. In Erinnerung daran und in Erwägung der erschreckenden Aktualität des Stückes nachfolgend wenige Auszüge:

In den Bauernkriegen, dem größten Unglück der deutschen Geschichte, war, was das Soziale betrifft, der Reformation der Reißzahn gezogen worden. Übrigblieben die Geschäfte und der Zynismus. Die Courage – dies sei gesagt, der theatralischen Darstellung zu helfen – erkennt zusammen mit ihren Freunden und Gästen und nahezu jedermann das rein merkantile Wesen des Kriegs: das ist gerade, was sie anzieht. Sie glaubt an den Krieg bis zuletzt. Es geht ihr nicht einmal auf, daß man eine große Schere haben muß, um am Krieg seinen Schnitt zu machen. Die Zuschauer bei Katastrophen erwarten ja zu Unrecht, daß die Betroffenen daraus lernen werden. Solang die Masse das Objekt der Politik ist, kann sie, was mit ihr geschieht, nicht als einen Versuch, sondern nur als ein Schicksal ansehen; sie lernt so wenig aus der Katastrophe wie das Versuchskarnickel über Biologie lernt. Dem Stückschreiber obliegt es nicht, die Courage am Ende sehend zu machen – sie sieht einiges, (…) ihm kommt es darauf an, daß der Zuschauer sieht.

(S.207)

DER WERBER: (…) Ich hab hier mein Vertrauen in die Menschheit verloren, Feldwebel.

DER FELDWEBEL: Man merkts, hier ist zu lang kein Krieg gewesen. Wo soll da Moral herkommen, frag ich? Frieden, das ist nur Schlamperei, erst der Krieg schafft Ordnung. Die Menschheit schießt ins Kraut im Frieden. Mit Mensch und Vieh wird herurngesaut, als wärs gar nix. Jeder frißt, was er will, einen Ranken Käs aufs Weißbrot und dann noch eine Scheibe Speck auf den Käs. Wie viele junge Leut und gute Gäul diese Stadt da vorn hat, weiß kein Mensch, es ist niemals gezählt worden. Ich bin in Gegenden gekommen, wo kein Krieg war vielleicht siebzig Jahr, da hatten die Leut überhaupt noch keine Namen, die kannten sich selber nicht. Nur wo Krieg ist, gibts ordentliche Listen und Registraturen, kommt das Schuhzeug in Ballen und das Korn in Säck, wird Mensch und Vieh sauber gezählt und weggebracht, weil man eben weiß: Ohne Ordnung kein Krieg! (…)

(S.63)

MUTTER COURAGE: Die Polen hier in Polen hätten sich nicht einmischen sollen. Es ist richtig, unser König ist bei ihnen eingerückt mit Roß und Mann und Wagen, aber anstatt daß die Polen den Frieden auftechterhalten haben, haben sie sich eingemischt in ihre eigenen Angelegenheiten und den König angegriffen, wie er grad in aller Ruh dahergezogen ist. So haben sie sich eines Friedensbruchs schuldig gemacht, und alles Blut kommt auf ihr Haupt. (…)

(S.101)

DER FELDPREDIGER: Ich möcht sagen, den Frieden gibts im Krieg auch, er hat seine friedlichen Stelln. Der Krieg befriedigt nämlich alle Bedürfnis, auch die friedlichen darunter, dafür ist gesorgt, sonst möcht er sich nicht halten können. Im Krieg kannst du auch kacken wie im tiefsten Frieden, und zwischen dem einen Gefecht und dem andern gibts ein Bier, und sogar auf dem Vormarsch kannst du ein'n Nicker machen, aufn Ellbogen, das ist immer möglich, im Straßengraben. Beim Stürmen kannst du nicht Karten spieln, das kannst du beim Ackerpflügen im tiefsten Frieden auch nicht, aber nach dem Sieg gibt’s Möglichkeiten. Dir mag ein Bein abgeschossen werden, da erhebst du zuerst ein großes Geschrei, als wärs was, aber dann beruhigst du dich oder kriegst Schnaps, und am End hüpfst du wieder herum, und der Krieg ist nicht schlechter dran als vorher. Und was hindert dich, daß du dich vermehrst inmitten all dem Gemetzel, hinter einer Scheun oder woanders, davon bist du nie auf die Dauer abzuhalten, und dann hat der Krieg deine Sprößlinge und kann mit ihnen weiterkommen. Nein, der Krieg findet imrner einen Ausweg, was nicht gar. Warum soll er aufhörn müssen?

(S.146)

Bertolt Brecht, »Mutter Courage und ihre Kinder«, Stücke, Band VII, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1968, Auszüge Seite 63/64, 101/102, 146/147, 207. Auch in: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 6, Stücke 6, Suhrkamp Verlag 1988-1998.

Vorspruch zum Erstdruck des Stückes in Heft 9 der »Versuche« (1949): »›Mutter Courage und ihre Kinder‹, geschrieben in Skandinavien vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges, ist der 20. Versuch.

Eine Musik hierzu komponierte Paul Dessau.« – Wir danken den Brecht-Erben und dem Suhrkamp-Verlag für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.