Erinnern an 1869
Dr. Marga Beyer, Berlin
Vor 150 Jahren gründeten einige beherzte Männer, Frauen waren für solche Organisationen noch nicht zugelassen, eine sozialdemokratische Arbeiterpartei.
Der Gründungskongress fand im thüringischen Ländle, im Herzogtum Sachsen-Weimar statt. Im damaligen Thüringen, in Eisenach, konnten sich die Arbeiter relativ frei ohne einschneidende Vereinsgesetze bewegen. Eisenach wurde zum Symbol für die revolutionäre Arbeiterbewegung. Man sprach von der »Eisenacher Partei«. August Bebel, Wilhelm Liebknecht, August Geib, Wilhelm Bracke und weitere Lassalleaner, die sich im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr der revolutionären Bewegung angeschlossen hatten, folgten dem Ruf nach Eisenach. Gemeinsam mit den Revolutionären um Bebel und Wilhelm Liebknecht gründeten sie im August 1869 (vom 7. bis 9. August) die Sozialdemokratische Partei, eine Vorgängerin der heutigen SPD. Die Delegierten nahmen unter starkem Beifall die Statuten und das Programm an.
Im Programm enthalten sind ihre Forderungen, die sich heute noch zu lesen lohnen und zu den Grundfragen der »linken Bewegung« gehören. Im Programm heißt es: »Der Kampf für die arbeitenden Klassen ist nicht ein Kampf für Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für gleiche Rechte und Pflichten und für die Abschaffung aller Klassenherrschaft. Die ökonomische Abhängigkeit des Arbeiters von dem Kapitalisten bildet die Grundlage der Knechtschaft in jeder Form, und es erstrebt deshalb die sozialdemokratische Partei unter Abschaffung der jetzigen Produktionsweise (Lohnsystem) durch Genossenschaftliche Arbeit den vollen Arbeitsertrag für jeden Arbeiter.« [1]
Als politische Vorbedingung nennt des Programm die politische Freiheit zur ökonomischen Befreiung der arbeitenden Klassen. »Die soziale Frage ist mithin untrennbar von der politischen, ihre Lösung durch diese bedingt und nur möglich im demokratischen Staat.«
Erkenntnisse von Marx und Engels waren grundlegend
Das Programm fordert in seiner Aussage: »In Erwägung, daß die Befreiung der Arbeiter weder eine lokale noch eine nationale, sondern eine soziale Aufgabe ist, welche alle Länder, in denen es moderne Gesellschaften gibt, umfaßt, betrachtet sich die sozialdemokratische Arbeiter-Partei, soweit die Vereinsgesetze gestatten, als Zweig der Internationalen Arbeiterassoziation, sich deren Bestrebungen anschließend.« [2]
Noch hatten nicht alle Delegierten die grundlegenden Schriften von Karl Marx oder Friedrich Engels gelesen, dennoch stimmten sie deren Erkenntnissen über die Befreiung der Arbeiterklasse zu, wie sich die Delegierten in den Rednerbeiträgen oder Zuschriften an den Kongress ausdrückten.
Eine zentrale Frage zu dieser Zeit war die Herstellung der Einheit des Landes. Bebel und Liebknecht erteilten einer propreußischen Einigung eine Abfuhr und erörterten noch vor dem Parteitag im Demokratischen Arbeiterverein Berlins den revolutionären Standpunkt. Um die politische Lohnsklaverei abschaffen zu können und die Klassenherrschaft des Kapitals zu beseitigen, erklärten sie klar und deutlich, dass sie keinerlei Kompromiss mit der Ausbeutergesellschaft und deren Staat eingehen könnten. Es gelte, den Staat zu zerschlagen und die politische Macht zu erobern. Mit sozialistischem Flickwerk sei es nicht möglich, die politische Macht zu ändern.
Immer mehr Arbeiter schlossen sich den Revolutionären an.
Karl Marx' Erkenntnis leuchtete vielen Arbeitern ein: »Ein Element des Erfolges besitzt sie (die Arbeiterklasse, die Red.), die Zahl. Aber Zahlen fallen nur in die Waagschale, wenn Kombination sie vereint und Kenntnis sie leitet.« [3] Von diesem Prinzip ging des Programm aus, wenn es wörtlich ausführte: »In Erwägung, daß die politische und ökonomische Befreiung der Arbeiterklasse nur möglich ist, wenn diese gemeinsam und einheitlich den Kampf führt, gibt sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei eine einheitliche Organisation, welche es aber auch jedem einzelnen ermöglicht, seinen Einfluß für das Wohl der Gesamtheit geltend zu machen.« [4]
Manche nicht ausgereifte Vorstellungen z.B. vom Staat oder von dem »vollen Arbeitsertrag«, überwand die Partei im Vorwärtsschreiten mit Hilfe von Marx, Engels, aber auch mit Erkenntnissen von Bebel, Liebknecht, Bracke und anderen, wie diese in Schriften und im Wort niederlegten.
Es setzte sich das Prinzip vom proletarischen Internationalismus in der Partei durch. Organisatorisch ging es den Sozialdemokraten um Disziplin und Ordnung.
Zum höheren Organ der Partei bestellten sie den alljährlichen Parteikongress. Alle Fragen, die die Partei berührten, sollten auf diesem Kongress beraten und entschieden werden. Die Beschlüsse waren für alle Mitglieder bindend. Zwischen den Parteikongressen wurde die Leitung der Partei einem 5-köpfigen Ausschuss übergeben. Er war dem Kongress verantwortlich, was die Kollektivität der Partei förderte. Das Parteiorgan, das Demokratische Wochenblatt, wurde in Parteieigentum übernommen und zum offiziellen Parteiorgan erklärt. Es erschien unter dem Namen »DER VOLKSSTAAT« und nahm in Zukunft entscheidenden Einfluss auf die organisatorische und ideologische Entwicklung der Partei.
Der Kongress nahm einen Beschluss zu den Gewerkschaften an; er setzte sich für die Einheit der Gewerkschaftsbewegung ein.
Revolutionäre Arbeitereinheit geschaffen
Der Eisenacher Kongress fand einen starken Widerhall in der organisierten Arbeiterbewegung, nicht nur in Deutschland. Marx und Engels hatten über den nachfolgenden Kongress der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), 6.–11. September 1869 in Basel, informiert und die Eisenacher als »Unsere Partei« bezeichnet.
Bereits ein Jahr früher, auf dem Nürnberger Verbandstag der Arbeitervereine, hatten die Arbeiter wichtige Dokumente der Arbeiterbewegung angenommen, so das Programm der IAA. Die Delegierten bekannten sich zu dem Grundsatz, dass nur die Arbeiterklasse selbst die Befreiung der Arbeiter vollbringen kann, durch die Vergesellschaftung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, und der proletarische Klassenkampf mit dem Ziel geführt werde, dieses Ziel zu erreichen. Der Verbandstag nahm die Bestrebungen zum Zusammenschluss auf und bekannte sich zum proletarischen Internationalismus. In Nürnberg wurde beschlossen, selbständige Gewerkschaften zu gründen, die sich der IAA anschließen sollten oder wollten.
1869, ein Jahr später, nahm der Eisenacher Kongress die wichtigen Lehren von Marx und Engels in seine Dokumente auf.
Der Arbeiterkongress schuf die revolutionäre Arbeitereinheit auf dem Boden der IAA. Dies geschah erstmalig in einer revolutionären Partei. Darauf könnten die Mitglieder der SPD stolz sein, wenn sie ihre Geschichte kennen würden. Doch daran hat das leitende SPD-Personal seit langem kein Interesse. Denn dann könnten sie sich ja gemeinsam mit anderen Linken auf den Weg machen, um das Programm von 1869 zu erfüllen und die revolutionäre Arbeiterbewegung auf die »alten« Traditionen von Marx und Engels zurückzuführen.
Anmerkungen:
[1] Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Eisenacher Programm). In: Revolutionäre deutsche Parteiprogramme, Berlin 1967, S. 54.
[2] Ebenda, S. 45/46.
[3] K. Marx: Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation. In Marx/Engels Werke, Bd. 16, S. 12.
[4] Eisenacher Programm, Ebenda, S. 45.
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2015-09: 30. September 1890. Sozialistengesetz wird außer Kraft gesetzt
2013-05: Der ADAV und sein Platz in der Geschichte der Arbeiterbewegung