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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Entgeistigung. Die Bücherverbrennungen in Deutschland vor 75 Jahren

Klaus Höpcke, Berlin

 

Als Literaturobmann meiner FDJ-Ortsgruppe im mecklenburgischen Burg Stargard kümmerte ich mich 1947/48 darum, neue Bücher unter meinen Altersgefährten zu verbreiten. Neben Romanen, Erzählungen und Gedichtbänden, die ich dazu beschaffte, erweckte mein besonderes Interesse ein damals vom Heinz Ullstein – Helmut Kindler Verlag Berlin und München herausgebrachter Band. Auf dessen schwarzem Titelblatt stand in roten Lettern: "verboten und verbrannt". In diesem Buch unterrichteten Richard Drews und Alfred Kantorowicz teils in kurzen biographischen Notizen und knappen Leseproben, teils in einer summarischen Bibliographie über mehr als 700 Männer und Frauen, die mit ihrem Werk die deutsche Literatur verkörperten, die von der Nazidiktatur zwölf Jahre lang unterdrückt worden war. Vorgestellt fand man Dichter, Schriftsteller und Publizisten, die ins Exil gegangen waren oder im Lande am antifaschistischen Kampf teilgenommen hatten; ihre Schriften wurden mit Publikations-Verweigerungen belegt und verbrannt. Traktiert wurden die Autoren mit generellem Schreibverbot oder mit Verfolgung wegen dieses oder jenes ihrer Bücher. Es handelte sich um streitbare Liberale und Konservative, Pazifisten, Kommunisten und Sozialisten sowie um sich von Bindungen an politische Richtungen fernhaltende Persönlichkeiten.

Am 10. Mai 2008 jährt sich zum 75. Mal die spektakulärste Aktion der Nazis gegen humanistische Literatur: die Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz (dem heutigen August-Bebel-Platz). Ein "spontaner Akt" war das keineswegs. Dazu Kantorowicz in besagtem Band von 1947: "Wie die Reichstagsbrandstiftung am 28. Februar 1933 das Fanal des Terrors gegen alle Antifaschisten (dem mit der Übertragung der totalen Macht an Hitler durch Annahme des ‚Ermächtigungsgesetzes’ am 23. März das Zeichen für die Erdrosselung der letzten Reste von Parlamentarismus folgte, wäre hinzuzufügen, ein Zeichen, an dem sich neben den Vertretern der Nazipartei die Abgeordneten von sieben bürgerlichen Parteien ausnahmslos beteiligten – K.H.), wie der Judenboykott vom 1. April 1933 der Auftakt der Pogrome, die Auflösung und Ausraubung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 die Proklamierung der sozialen Unterdrückung gewesen waren, so waren die Autodafés vom 10. Mai der sichtbare Beginn der amtlich verfügten und mit terroristischen Mitteln durchgeführten Entgeistigung und Barbarisierung Deutschlands."

Gesteuert wurde die Vorbereitung der Exzesse vor allem über die "Deutsche Studentenschaft". Diese Naziorganisation veranstaltete einen "Aufklärungsfeldzug ‚Wider den undeutschen Geist’". Dazu gehörte, daß ab 13. April zwölf "Sätze" antiintellektueller und antisemitischer Hetze plakatiert wurden. Sätze wie diese: "Es klafft heute ein Widerspruch zwischen Schrifttum und deutschem Volkstum. Dieser Zustand ist eine Schmach." – "Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude und der, der ihm hörig ist." – "Wir fordern vom deutschen Studenten den Willen und die Fähigkeit zur Überwindung des jüdischen Intellektualismus und der damit verbundenen liberalen Verfallserscheinungen im deutschen Geistesleben." Im weiteren Verlauf der Kampagne wurde jeder Student dazu angehalten, "seine eigene Bücherei von allem Undeutschen, das durch Gedankenlosigkeit hineingelangt ist, (zu) säubern; jeder Student wird die Büchereien seiner Bekannten sichten, die Studentenschaften werden sich für die Reinigung öffentlicher Büchereien … einsetzen." An allen Hochschulen werde, so die Ankündigung schon im April, "am 10. Mai 1933 das zersetzende Schrifttum den Flammen überantwortet".

In die Bibliotheken wurde mit einem Schreiben des "Kampfausschusses ‚Wider den undeutschen Geist’" eingegriffen, in welchem es hieß: "Der Kampfausschuß ersucht Sie hiermit, aus Ihrer Leihbücherei und aus dem Vertrieb all die Literatur zu entfernen, die Sie auf der anliegenden schwarzen Liste vermerkt finden. Damit dieses Schrifttum aber wirklich vernichtet wird, fordert der Kampfausschuß Sie auf, den als seinen Beauftragten in den nächsten Tagen bei Ihnen erscheinenden Studenten die ausgesonderten Bücher und Schriften zu überliefern, damit diese Bücher am 10. Mai auf dem Opernplatz öffentlich verbrannt werden können."

Für den Berufsverband der Verleger von Büchern erklärte der Vorstand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler sich mit der "Reichsleitung des Kampfbundes für deutsche Kultur" und der Zentralstelle für das deutsche Bibliothekswesen "darin einig, daß die zwölf Schriftsteller Lion Feuchtwanger, Ernst Glaeser, Arthur Holitscher, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Emil Ludwig, Heinrich Mann, Ernst Ottwald, Theodor Plievier, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky (alias Theobald Tiger, Peter Panter, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser), Arnold Zweig für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten sind".

Der Vorstand erwarte, daß der Buchhandel die Werke dieser Schriftsteller nicht weiter verbreite.

In den Sprüchen, die das Bücher-in-die-Flammen-Werfen auf dem Opernplatz begleiteten, wurden Marx und Kautsky, Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner, Friedrich Wilhelm Förster, Sigmund Freud, Emil Ludwig und Werner Hegemann, Theodor Wolff und Georg Bernhard, Erich Maria Remarque, Alfred Kerr sowie Tucholsky und Ossietzky angeprangert. Ihre Namen standen für Hunderte weitere Autoren, deren Werke im Feuer für immer vernichtet werden sollten. Und das wie in Berlin auch sonst im "Reich". Vergleichbare geistfeindliche Aktionen gab es unter anderem in Bonn, Frankfurt am Main, Göttingen, Hamburg, Köln, München, Nürnberg, Würzburg.

Wie die Büchervernichtung im Rundfunk einem Millionenpublikum zu Gehör gebracht wurde, darüber vermittelt einen anschaulichen Eindruck die Programmankündigung, in der es hieß: "Die Deutsche Studentenschaft Kreis X verbrennt anläßlich der Aktion des Kampfausschusses wider den undeutschen Geist Schriften und Bücher der Unmoral und Zersetzung. Ansage Carl Heinz Boese; Feuersprüche gesprochen von Hanskarl Leistritz; Beifall; Ankündigung der Ministerrede; Heilrufe; Ansprache Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Paul Joseph Goebbels; Volk ans Gewehr, Marsch von Arno Pordun (Anfang sehr leise)."

Von dem, was uns heute beim Rückblick auf die Vorgänge vor 75 Jahren durch den Kopf geht, scheint mir für Ausblicke auf Künftiges bedenkenswert vor allem dies:

Die Sprüche der bücherverbrennenden "Rufer" – neun waren es an der Zahl – ergeben einen Katalog der von den Nazis am meisten gefürchteten und am wildesten bekämpften Themen: Klassenkampf und Materialismus, kritische Analyse von Geschichte und den in ihr wirkenden Gestalten, demokratische Auffassungen über Staat und Kriege und deren Opfer, von Untergebenheits-Verkrustungen freie Vorstellungen über Familie und Moral, Seele und Triebe im Menschen. Wer all dies mit Denkverboten belegt, wer Bücher, in denen solche Themen wissenschaftlich oder künstlerisch behandelt werden, verdammt und verbrennt, zeigt damit an: Am Ende verbrennt er Menschen, die sich in ihrem Handeln den Denkverboten nicht unterwerfen. Heinrich Heine hat es festgestellt und vorausgesagt. Erich Mühsam war 1933/34 im Konzentrationslager Oranienburg eines der ersten Opfer solch grausamen Intellektuellenmords.

Ablehnung und Verneinung kultivierter geistiger Umgangsformen durch Nazis und deren Gemütsverwandte tobten sich aus in der Wut auf einen von Demokraten praktizierten Journalismus, den sie "volksfremd" nannten, weil er "demokratisch-jüdisch geprägt" sei. In einer Sprache, die den Schwulst meidet und frisch ausdrückt, was ein Autor sieht und hört und denkt, sahen und sehen sie "dünkelhafte Verhunzung" von Sprache. Für Kritik, gar Satire fällt ihnen nur ein, da hätten wir es mit etwas zu tun, das sie als "Frechheit und Anmaßung" beschimpfen. Die zu "verschlingen", verlangte der letzte der neun "Rufer" auf dem Opernplatz von der Flamme, in die er sein Bücherbündel warf.

Barbarische Entgeistigung – so ist zu lernen – kann erfolgreich bekämpft, aufgehalten, verhindert werden nur dann, wenn auf die Verachtung humanistischer Gedanken und der Bücher, in denen sie zu lesen sind, in der Gesellschaft mit äußerster politisch-psychologischer Empfindsamkeit reagiert wird. Inhaltlich und methodisch dürfen Zugeständnisse an Faschistisches und Faschistoides auch dann nicht hingenommen werden, wenn ihr Terror nicht mit Scheiterhaufen seine martialischen Zeichen setzt, sondern in der erdrückenden Allmacht von Medienkonzernen im elektronischen Sendebetrieb sowie im Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchwesen daherkommt.

Zu einem auf Ausblicke orientierten Rückblick auf die Bücherverbrennungen vor 75 Jahren gehört unbedingt die weitere Pflege der antifaschistischen Literatur, damit sie künftig nicht etwa weniger als bisher, sondern eher noch mehr an der Bewußtseinsentwicklung und Mentalitätsbildung nun in ganz Deutschland mitwirken kann. Neues Interesse könnte dabei den einst während der vierziger Jahre lebhaft diskutierten Fragen nach der widerspruchsvollen Einheit von äußerer und innerer Emigration entgegengebracht werden.

Anna Seghers’ Roman "Das siebte Kreuz" ist wohl unumstritten das weltliterarisch bedeutendste Werk antifaschistischer deutscher Literatur. Jan Petersens Roman "Unsere Straße", eine "Chronik der Ereignisse" in einem Berliner Arbeiterviertel während der Anfangsjahre der Nazi-Herrschaft, ist bleibend das erste Zeugnis einer illegalen Literatur aus dem Deutschland jener Zeit. Die Stücke Bertolt Brechts und Friedrich Wolfs, die Romane und Essays von Heinrich und Thomas Mann und Arnold Zweig, die Gedichte von Johannes R. Becher und Erich Weinert: in Werken wie diesen lebt eine humanistische Kraft, die immer aufs Neue wirksam zu werden vermag.

"Lieber gleichgeschaltet als ausgeschaltet" war eine Redensart, mit der im Lande gebliebene Autoren kirre gemacht werden sollten. Und manches Verhalten bot Anlaß für Argwohn, da rutsche einer hinab in die Unterwürfigkeit. Doch es ist historisch gerecht, zu Büchern wie Hans Falladas "Wer einmal aus dem Blechnapf frißt" (1934), "Wolf unter Wölfen" (1937) und Ehm Welks "Die Heiden von Kummerow" (1938) und "Die Gerechten von Kummerow" (1943) festzustellen: Das sind Romane mit einer Distanzhaltung gegenüber dem Nazi-Regime, die von den Wächtern dieses Regimes schwer zu "greifen" war. Ihre unausgesprochene Opposition zur "systemtreuen" Literatur ergab sich aus ihrer lebensnahen Wirklichkeitsgestaltung. – Ein besonders kompliziertes Schicksal hatte Werner Bergengruens Roman "Der Großtyrann und das Gericht" (1935). Das war ein mit der Absicht christlich-humaner Bewahrung geschriebenes Buch. Getarnt durch die Gattung des historischen Romans übte der Autor Kritik an dem im Dritten Reich durchgesetzten totalitären Führungsprinzip, was ihn allerdings nicht vor der Verfälschung schützte, einen "Führerroman der Renaissance" geschrieben zu haben.

Die deutsche humanistische Literatur verdankt Heinrich Mann über sein eigenes großes Werk hinaus eine Sentenz, die seine Schriftstellerkollegen und das lesende Publikum als Ehrenkodex bei der Beurteilung von Autoren und ihren Werken dauerhaft sich zu eigen gemacht haben: "Lieber gleichgeschaltet als ausgeschaltet, damit kann ein Bankier zur Not noch durchkommen, ein Schriftsteller nicht. Ihn schließt gerade sein Verzicht auf innere Ehrenhaftigkeit von seinem Beruf aus. Wer das Unehrenhafte einer solchen Lage nicht empfindet, kommt für die Literatur überhaupt nicht in Betracht. Wer es aber empfindet und dennoch hinnimmt, wird persönlich uninteressant und bringt bestimmt nur Unwirksames hervor ... Literatur kann es nur geben, wo der Geist selbst eine Macht ist, anstatt daß er abdankt und sich beugt unter geistwidrige Gewalten."