Einiges zur Rolle der USA als Führungsmacht der NATO
Jürgen Herold, Berlin
Seit ihrer Gründung im Jahre 1776 ist kein Jahrzehnt vergangen, ohne dass die USA in Kriege verwickelt waren. Die längste Zeit ohne Krieg waren die fünf Jahre zwischen 1935 und 1940. Es hat also keinen US-Präsidenten gegeben, der nicht »Kriegspräsident« war.
Alle bisherigen Kriege – für die Teilnahme der USA am 2. Weltkrieg trifft das so ohne weiteres nicht zu – dienten von Beginn an der Sicherung von Einflusssphären, waren häufig auch auf direkten Gebietsgewinn gerichtet – die jeweils vorhandenen Rohstoffe inbegriffen. Sie dienten in jedem Falle der Machterweiterung.
So die Indianerkriege von 1776-1890 – absolute Ausrottungsfeldzüge. Oder die Annexion von Texas, bis 1836 zu Mexiko gehörend und danach ein unabhängiger Staat. Es folgte ein bis 1848 dauernder Krieg zwischen Mexiko und den USA, der mit der Eroberung von Kalifornien, New Mexico, Arizona, Nevada, Utah sowie Teilen von Kansas, Colorado und Wyoming endete. Mexiko verlor etwa die Hälfte seines bisherigen Staatsgebietes.
1918 trafen die USA erstmals auf sowjetrussische Truppen, als sie auf Seiten der Konterrevolutionäre gemeinsam mit Briten und Franzosen im Raum Archangelsk und gemeinsam mit den Japanern im Raum Wladiwostok intervenierten.
Nach dem 2. Weltkrieg stiegen die USA endgültig zur imperialistischen Weltmacht Nummer Eins auf. Der Dollar wurde zur Leitwährung und Westeuropa, besonders der westliche Teil Deutschlands war auf massive Wirtschaftshilfe aus den USA angewiesen. Der Marshallplan ist dafür ein Synonym geblieben.
Durch ihren entscheidenden Anteil an der Zerschlagung des deutschen Faschismus hatte die Sowjetunion weltweit an Ansehen gewonnen. Mit den Abwürfen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki 1945 verdeutlichten die USA ihren Willen, mit allen Mitteln ihre Vormachtstellung zu sichern.
Im Zeichen des Antikommunismus und des Antisowjetismus wurde 1949 die NATO gegründet. Deren Hauptziel war die Eindämmung und Zurückdrängung der UdSSR und ihrer Verbündeten, die sich 1955 im Warschauer Vertrag zusammengeschlossen hatten. Dieses Ziel ging 1989/1991 mit dem Anschluss der DDR, der Auflösung des Vertrages und schließlich mit dem Zerfall der UdSSR in Erfüllung.
Entgegen anderslautender Erwartungen von Politikern in Ost und West hat das Ende des »Kalten Krieges« die Welt nicht sicherer gemacht. So begann in Jugoslawien ab 1991 eine Serie von Kriegen, oft auch als Balkankonflikt bezeichnet, die mit der Zerstörung des Landes endete. Höhepunkt war 1999 der Überfall auf Jugoslawien durch die NATO unter Führung der USA unter maßgeblicher deutscher Beteiligung. 1991 führten die USA und ihre Verbündeten den ersten Irakkrieg, und 2003 begannen sie den zweiten. Inzwischen ist der Irak ein zerfallender Staat, mit all den uns bekannten Folgen. 2001 überfielen die USA und ihre Verbündeten Afghanistan. Die Sicherheitslage in diesem Land ist ebenfalls katastrophal.
Der gegenwärtige Präsident Barack Obama war der erste US-Präsident, der 2009 allein für seine Ankündigung den Friedensnobelpreis erhielt, das internationale politische Klima verbessern und USA-Truppen aus verschiedenen Krisengebieten abziehen zu wollen.
Das Gegenteil geschah. Die USA trugen und tragen seither weiter dazu bei, die internationale Lage bedrohlich zu verschärfen.
So durch den 2011 von ihr und ihren Verbündeten durchgeführten Angriff auf Libyen, in dessen Verlauf der legitime Präsident Gaddafi bestialisch ermordet wurde. So durch die Unterstützung jener Kräfte in Syrien, die nicht zuletzt die Geschäfte der saudischen Herrscherfamilie, der Türkei und Katars erledigen. Durch ihre absolut destruktive Politik im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika haben die USA einen unverwechselbaren Anteil am Aufstieg und dem mörderischen Wüten des »Islamischen Staates«.
Auch der Einsatz von Drohnen zur gezielten Tötung von Menschen ohne Gerichtsurteil hat unter Barak Obama enorm zugenommen.
»Robuste Maßnahmen« gegen Russland und China
Insbesondere das Verhältnis zu Russland hat sich unter seiner Präsidentschaft extrem verschlechtert. So wurde der Ukrainekonflikt zum Anlass genommen, Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verhängen, und die Osterweiterung der NATO wird mit einer angeblichen aggressiven Außenpolitik Russlands begründet. An der Westgrenze Russlands werden entgegen bestehender Vereinbarungen NATO-Truppen stationiert. Verträge über die Begrenzung strategischer Rüstungen und die Stationierung von Atomwaffen (SALT I, SALT II und START) wurden seitens der USA nicht verlängert oder gebrochen. Mit dem Aufbau eines Raketenabwehrschirmes in Osteuropa wird weiter an der Rüstungsspirale gedreht. Hierbei stellt die US-amerikanische Aufrüstung international alles in den Schatten. Am 2. Februar 2016 konnte man im »Handelsblatt« lesen:
»Das US-Militär verfügt über einen höheren Etat als die acht nächstgrößten Militärapparate zusammen. Gerade für den Kampf gegen die »russische Aggression« und gegen den IS wollen die USA nun deutlich mehr ausgeben.« Und weiter: »Das US-Militär vervierfacht seine Mittel, um der russischen Aggression entgegenzutreten und seine Präsenz in Osteuropa zu verstärken«. Der entsprechende Pentagon-Etat werde auf 3,4 Milliarden Dollar (3,1 Milliarden Euro) erhöht, vier Mal mehr als im Vorjahr, teilte Verteidigungsminister Ashton Carter in Washington mit. Ashton wörtlich: »Wir verstärken uns in Europa, um unsere NATO-Verbündeten angesichts der russischen Aggression zu unterstützen.« Das Geld werde in die Stationierung von mehr Truppen in Europa gesteckt, in mehr Ausbildung und Manöver mit den Verbündeten sowie in die Bereitstellung von Gefechtsausrüstung und Infrastruktur.«
Auf dem NATO-Gipfel vom 9.-10. Juli 2016 wurden Beschlüsse gefasst, die der letzte sowjetische Präsident Michail Gorbatschow laut der Zeitung Die Welt vom 9. Juli 2016 so kommentierte: »Die Nato hat angefangen, sich auf den Übergang vom Kalten Krieg zu einem heißen Krieg vorzubereiten. Sie reden nur über Verteidigung und bereiten sich faktisch auf eine Offensive vor.« »Der letzte Staatschef der Sowjetunion«, so Die Welt an anderer Stelle, »der die Krim-Annexion durch Russland unterstützte und den Westen für seine Sanktionen kritisierte, warf nun der Nato vor, mit den Beschlüssen von Warschau, Russland zu einer harten Antwort zu provozieren.«
Und als ob das alles nicht schon genug Zündstoff für einen dritten Weltkrieg liefern würde, verfolgen die USA in Fernost gegenüber China einen ähnlichen Kurs.
Im Januar 2012 verkündete die Regierung Obama einen grundsätzlichen Wechsel in ihren außenpolitischen Schwerpunkten. Dieser Wechsel in Richtung Asien, genannt Pivot to Asia, bedeutet, dass die USA erhebliche militärische, wirtschaftliche und diplomatische Ressourcen in die Region verschieben. Das ist eine direkte Antwort auf das schnelle wirtschaftliche Wachstum der Volksrepublik China und ihren wachsenden weltpolitischen Einfluss. Die Strategen im US-Außenministerium verlangen »robuste Maßnahmen«, weil China langfristig die »strategischen Interessen der USA« bedrohe.
Kürzlich erst – Ende Januar 2016 – kreuzte die USS Curtis Wilbur, ein Raketenzerstörer, im südchinesischen Meer. Die USA geben vor, in der Region vor Chinas Küsten die Freiheit der Schifffahrt verteidigen zu müssen. Bereits im Oktober 2015 hielt sich die USS Lassen in der Gegend auf. Zudem überflogen zwei B52-Bomber das Gebiet. Wie stets versucht die US-Außenpolitik, sich über Bündnisse mit anderen Ländern in der Region eine Form der Legitimität für ihre Provokationen zuzulegen. In diesem Fall sind es Vietnam und der historische US-Verbündete Taiwan, die ebenfalls Ansprüche auf Inseln im südchinesischen Meer erheben. Andere US-Alliierte, Australien, Japan, die Philippinen und Südkorea, beeilen sich nach jeder neuen US-Aktion, diese zu begrüßen. Diese Region hat sich gefährlich militarisiert. Insgesamt haben die USA, ihre eigene Pazifikküste inclusive, inzwischen 250.000 Soldaten im Asien-Pazifik-Raum stationiert. Die größten Kräfte befinden sich in Australien und Japan. Kürzlich wurden Pläne für acht neue Militärbasen auf den Philippinen genehmigt. Die US-Truppen rücken immer näher an China heran.
Apropos Militärbasen. Die Vereinigten Staaten unterhielten nach eigenen Angaben im Jahr 2008 761 militärische Einrichtungen aller Teilstreitkräfte im Ausland. Die Gesamtzahl der Stützpunkte, auf die die USA jederzeit zurückgreifen können, ist jedoch höher, da Basen, für die lediglich Nutzungsrechte vereinbart wurden, auf denen aber derzeit keine amerikanischen Soldaten stationiert sind, sowie etliche Militärbasen, etwa in Afghanistan und im Irak, in dieser Statistik nicht enthalten sind. Knut Mellenthin schätzte im Jahr 2004 die Gesamtzahl der Stützpunkte, auf die die USA jederzeit zurückgreifen können, auf ungefähr 1000 (junge Welt vom 12. Juli 2004).
Instabilität und Terror werden verbreitet
Bereits 2006 stellte Malte Olschewski aus Wien folgendes fest: »Mit dem ›Krieg gegen den Terrorismus‹ hat der US-Imperialismus endlich eine Doktrin gefunden, die eine militärische Präsenz an buchstäblich jedem Ort der Welt legitimieren kann. Terroristen können sich im Prinzip überall befinden. Sie können überall und jederzeit zuschlagen. Da sich der Terror überall verstecken kann, wollen die USA überall Stützpunkte einrichten. Damit schaffen sie aber auch Ziele für den neuen Terror. Die Parole des ›Kriegs gegen den Terrorismus‹ ermöglicht eine breite internationale Konsensbildung. Praktisch ist keinem Staat erlaubt, sich davon fernzuhalten oder gar kritische Einwände zu erheben. Der ›Antiterrorkampf‹ hat als eine Doktrin den Vorteil, dass er nicht irgendwann definitiv feststellbar mit der Niederlage des Gegners endet. In einer von scharfen sozialen Widersprüchen bestimmten Welt wird dieser Krieg niemals zu Ende gehen. Mehr noch: Der ›Krieg gegen den Terrorismus‹ verschärft das Problem, das er zu bekämpfen vorgibt, und exportiert es in wirklich jeden Winkel der Erde. Der mit Abstand größte Wirtschaftszweig, die Rüstungsindustrie mit allem, was an kriegsbedingten Nebengeschäften dazu gehört, expandiert und steht auf Jahrzehnte hinaus vor gesichertem Absatz. Die USA rufen die ganze Welt zum Kampf gegen den Terror auf. Es gebe nur eine Alternative: Wer nicht für die USA sei, müsse gegen sie sein. Weitere Ziele für Angriffskriege werden in Aussicht gestellt. Das Stützpunktsystem wird weiter ausgebaut. Die Abhängigkeit vom Erdöl am Persischen Golf muss trotz übernommener Quellen im Irak reduziert werden. Die ungeheuren Vorkommen rund um das Kaspische Meer und am Amazonas müssen besser heute als morgen gesichert werden.«
Auch die gegenwärtigen Entwicklungen in Lateinamerika und in der Karibik, insbesondere in Argentinien, Brasilien und Venezuela, können nicht losgelöst von den Interessen der USA beurteilt werden.
Zurzeit sind US-Streitkräfte in mehr als siebzig Militärstützpunkten Lateinamerikas präsent. Sie sind ferner eingebunden in diverse multi- und bilaterale Sicherheitsabkommen, so zum Beispiel: der Plan Columbia, die Regionale Anden-Initiative, die Merida-Initiative, oder die Regionale Sicherheitsinitiative Zentralamerika. Zu diesen Abkommen gehören Trainings- und Qualifizierungsprogramme sowie der Verkauf von Waffen und Ausrüstung. Akteure sind Herstellerfirmen dieser Materialien, US-Sicherheitsagenturen wie DEA und FBI, ferner Regierungen, Unternehmen und die Polizeiapparate der Länder Lateinamerikas.
Die Rechtfertigung dieser Präsenz ist die »Sicherheit der alliierten Regierungen«, die per Definition Sicherheit und »Stabilität« in Gegenden bringen soll, die eine Bedrohung für die USA sein könnten. In Trainingshandbüchern aus den späten Sechzigern ist der Zusammenhang klar benannt: »Ein Mangel an politischer Stabilität und sozialer und wirtschaftlicher Ordnung in einem lateinamerikanischem Land birgt Gefahren für die nordamerikanische nationale Sicherheit. Als Konsequenz sollten die USA bei ihren Trainings- und Militärhilfeprogrammen derartige Instabilitäten mittels wirtschaftlicher Entwicklung und Durchsetzung von Ordnung zu vermeiden suchen«.
Solche Phrasen wie »Suche nach Stabilität« sind Teil einer Sprache, die in der Region seit den Anfängen des Kalten Krieges bekannt sind. Sie dienten stets als Rechtfertigung für die äußerst grausame und blutige, direkte oder mittelbare Interventionspolitik zu Lasten der nationalen Souveränität der Länder Lateinamerikas.
Das Vokabular von Freiheit, Demokratie, diplomatischer Annäherung und freundschaftlicher Beziehungen zu Lateinamerika, welches kennzeichnend für die »Soft Power« in der Außenpolitik der Obama-Regierung ist, stößt, wenn es um »Ordnung« und »Stabilität« – sprich US-amerikanische Interessen – geht, tagtäglich an seine Grenzen.
Ein abschließender Blick zurück: In gewisser Weise erinnert das gegenwärtige Handeln der USA und der NATO an die internationale Situation zu Beginn der achtziger Jahre, als US-Präsident Ronald Reagan die Sowjetunion als das Reich des Bösen bezeichnete, die USA gemeinsam mit Saudi-Arabien den Ölpreis nach unten manipulierten und als 1983 der NATO-Doppelbeschluss von 1979 verwirklicht wurde, US-Atomraketen auf dem Territorium der BRD und anderer europäischer NATO-Staaten zu stationieren.
Wir, Mitglieder der Partei DIE LINKE, die diese Zeit bewusst miterlebten, sollten in Diskussionen auf diese geschichtlichen Erfahrungen verweisen und den Zusammenhang zwischen Imperialismus und Krieg stets verdeutlichen. Die These von der Friedensfähigkeit des Imperialismus hat in der 2. Hälfte der achtziger Jahre die sowjetische Außenpolitik ideologisch in die Irre geleitet und Illusionen über das Zusammenleben im gemeinsamen Haus Europa genährt.
Mehr von Jürgen Herold in den »Mitteilungen«:
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