Einige Erfahrungen der PDS und der Partei DIE LINKE
Andrej Reder, Berlin
Katja Kipping: "Ich glaube, wir müssen uns wirklich als Partei ein Stück weit neu erfinden. Es geht einfach um eine weitere Beschreibung der Funktion, die wir einnehmen in dieser Gesellschaft." (nd, 25. Januar 2013)
Es geht in der Tat darum, gemeinsam die Funktion zu definieren, die wir in dieser Gesellschaft einnehmen wollen und können. Um das zielführend tun zu können, wäre zuvor jedoch eine Verständigung über die Gesellschaft, in der wir leben, ebenso notwendig wie über die Möglichkeiten der Linkspartei, in ihr erfolgreich wirksam zu werden. Die bisherigen positiven und negativen Erfahrungen könnten uns dabei helfen:
Nahezu ein Vierteljahrhundert hat offenbart, dass die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse des vereinten Deutschland auch für eine sozialistische beziehungsweise linke Partei Möglichkeiten und Chancen bieten, gegen die bestehenden Zustände anzukämpfen und dabei punktuell durchaus Ergebnisse zu erzielen. Als realitätsfern erwies sich jedoch die Vorstellung grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen. Die Rahmenbedingungen und das Kräfteverhältnis hierzulande, europa- und weltweit ließen einen grundlegenden Politikwechsel und einen Aufbruch nicht zu. Diese nüchterne Feststellung dürfte auch für den überschaubaren Zeitraum maßgebend sein für die Strategie und Taktik einer linken Oppositionspartei.
PDS/DIE LINKE hat in all den Jahren Oppositions- und Regierungsarbeit unter Beweis gestellt. Während wir anfangs den außerparlamentarischen Kampf um gesellschaftliche Veränderungen für entscheidend (Parteiprogramm 1991) hielten, verkam der demokratische Sozialismus immer mehr zum "Regierungssozialismus". Zu verlockend erwiesen sich Parlamentarismus und Regierungsbeteiligungen, zu überschwänglich die Illusion, dass eine sozialistische/linke Partei unter kapitalistischen Verhältnissen grundsätzliche Veränderungen herbeiführen und vor allem dadurch Politikfähigkeit unter Beweis stellen könnte. Obwohl die gesellschaftliche Realität diese Illusion widerlegt hat, fiel und fällt es Verantwortungsträgern der Partei schwer, daraus erforderliche Konsequenzen zu ziehen.
Die vielleicht wichtigste Erfahrung ist, dass eine linke Partei unter bestehenden Rahmenbedingungen als Juniorpartner in einer Regierungskoalition keine Chance hat, ihr politisches Profil zu bewahren, ihren Einfluss zu erweitern und ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen. Denn der Seniorpartner oder eine Kombination von mehreren etablierten Parteien lassen aus naheliegenden Gründen nicht zu, dass sich der "kleinere" linke Partner mit seinen Inhalten in einer Koalition profiliert. Vielmehr wird alles getan, um den Linkspartner gefügig zu halten. Deshalb war unsere Partei zu oft gezwungen, sich den Koalitionszwängen unterzuordnen. Das Oppositionsprofil der Partei verblasste immer deutlicher. Desillusioniert verließen die Partei mehr Mitglieder als neue bereit waren, ihre Reihen zu stärken. Und vor allem: Mehr Wähler wandten sich von ihr ab, als neue sie attraktiv fanden. Die Partei wurde zahlenmäßig geschwächt, das linke Potential konnte immer weniger ausgeschöpft werden. Deshalb dürfte es kaum hilfreich sein, immer wieder unsere bekannte Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit einer SPD im Bund zu beteuern, deren Führungen das seit über zwanzig Jahren nicht nur strikt ablehnten, sondern sich uns gegenüber nahezu feindlich verhielten und derzeit nach wie vor verhalten.
Da im überschaubaren Zeitraum kein gesamtgesellschaftliches Vorhaben (auf Bundes- und Landesebene) der Linkspartei mehrheitsfähig sein dürfte, müssten wir zunächst darüber nachdenken, was für ein überzeugendes Angebot wir all jenen Menschen unterbreiten, die sich zu den herrschenden Verhältnissen kritisch oder gar ablehnend verhalten. Gelingt es, das linksoppositionelle Potential zu mobilisieren und die Linkspartei sowie die Linke als Ganzes zu stärken (auch parlamentarisch), dann wird es auch eher möglich sein, in künftigen Koalitionsregierungen mehr linke Inhalte durchzusetzen.
Was ergibt sich aus diesen Erfahrungen für unsere Partei in Berlin und im Bund? Wenn wir die Beschlüsse des 3. Landesparteitages vom 26. November 2011 "Offensiv in die Opposition. Mit einer starken Linken das soziale Berlin gestalten" und des 4. Landesparteitages vom 20. Oktober 2012 "Gerecht und demokratisch - die Berliner LINKE streitet für das soziale Berlin" ernst meinen, dann sollte sich der Landesvorstand endlich zu einer kritischen Einschätzung der Ursachen der Wahlniederlage durchringen und eine überzeugende Oppositions- und Wahlstrategie verabschieden, ohne sich wiederum verpflichtet zu fühlen, irgendwelche Koalitionsaussagen treffen zu müssen. Erst nach dem Wahlergebnis wird nach sorgfältiger Prüfung entschieden, welche Handlungsoption (Opposition oder Regierungsbeteiligung bei deutlicher Aussage, welche Kompromisse mit uns möglich und was nicht möglich ist) wir einzugehen bereit sind.
Einzelne Funktions- und Verantwortungsträger sollten endlich aufhören, unzeitgemäß "ausloten zu wollen", mit welchen Parteien im Bundes- oder Landesmaßstab Koalitionen möglich sind. Solche nach außen getragenen Eskapaden dienen in der Regel eher der persönlichen Profilierungssucht und schaden der Partei. Über Zweckmäßigkeit und Formen eventueller Sondierungen sollten entsprechende Parteigremien entscheiden.
Zum Ausgangspunkt unseres Handelns auf Landes- und Bundesebene sollten Probleme genommen werden, die die Menschen am meisten bewegen. Ein innerparteilicher Diskurs, der sich mit praktischen Fragen der Politik der Partei befasst, wäre angebracht. Dabei könnte erörtert werden, mit wem wir gemeinsam welche brennenden Fragen einer Lösung näher bringen sollten. Nicht wir müssen kritisch eingestellten Menschen vorschreiben, wofür sie sich mit uns engagieren möchten. Vielmehr müssten wir deren Anliegen erkennen und uns mit eigenen Vorstellungen dann gemeinsam für deren Realisierung einsetzen.
Der Berliner Landesvorstand möge seine Bereitschaft erkennen lassen, Meinungen der Basis (z. B. "Thesen zu Ursachen unserer Wahlniederlage und Schlussfolgerungen" vom 1. März 2012, die wir unterbreitet haben, kritische Beiträge auf der Basiskonferenz, Schreiben vom 24. April 2012 an den Landesvorsitzenden, die Bemerkungen zum Antrag des Landesvorstandes "Gerecht, demokratisch - Partei DIE LINKE" vom 11. Oktober 2012) anzuhören und daraus erkennbare Schlussfolgerungen abzuleiten. Erst dann wird das "Demokratische" in unseren Beschlüssen auch innerparteilich demokratisch empfunden werden.
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