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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Einhundert Jahre Rote Hilfe in Deutschland

Dr. Günter Wehner, Berlin

 

Im Ergebnis der Novemberevolution 1918 entstand die Weimarer Republik. Es zeigte sich sehr schnell, das die an sie geknüpften Hoffnungen von Millionen Einwohnern auf ein demokratisches Leben ohne politische Unterdrückung und ökonomische Ausbeutung nicht erfüllt wurden. Im Gegensatz, die Repressionen des bürgerlichen Staates wurden sehr schnell gegen die Bürger eingesetzt, die die Revolution organisiert und getragen hat­ten. Das reaktionäre Beamtentum, das Justizwesen, die Polizei, die gesamte Maschinerie des Staates, die die Revolution überstanden, konnten sich nach der Revolution, gefördert von der Reichsregierung noch stärker entfalten, weil es den monarchistischen Zentralis­mus nicht mehr gab.

Zur gefährlichen Bedrohung für alle fortschrittlichen Kräfte wurde sehr bald die Reichs­wehr unter Führung Führung des Reichswehrministers Noske.

Mit Duldung und Führung der Reichswehrführung entstanden zahlreiche Freikorps, deren erklärte Absicht es war, jeglichen revolutionären Fortschritt in der Gesellschaft, Wirt­schaft und Politik zu bekämpfen. So blieb die Weimarer Republik überwiegend konserva­tiv, wenn auch nicht übersehen werden darf, dass es in der Weimarer Republik zahlreiche fortschrittliche Elemente gab, wie allgemeine Wahlen für Frauen und Männer, die das 21. Lebensjahr erreicht hatten.

Als Organisation der Klassensolidarität gegründet

Der entscheidende Faktor der Republik blieb jedoch, dass im Ergebnis der November­revolution die Eigentumsverhältnisse nicht geändert wurden. Kapital, Grund und Boden, die gesamte Großindustrie und die Bodenschätze blieben in den Händen der Konzerne und der Großgrundbesitzer einschließlich der Banken.

Der bürgerliche Staat tat alles, um die Macht auch in den neuen Staatsstrukturen zu erhalten. Das musste naturgemäß bereits in den Jahren von 1918 bis 1920 zu erhebli­chen Konflikten zwischen der alten und neuen herrschenden Klasse und dem Teil der Bevölkerung führen, der sich um die Früchte der Revolution betrogen sah. Zur vorherr­schenden Form zur Lösung sozialer und politischer Konflikte wurde in der Weimarer Republik von Anfang an der Einsatz militärischer Gewalt und der Justiz.

Zur Abwehr dieser Angriffe bildeten sich Komitees der Arbeiterhilfe, die den Verfolgten Beistand gewährten. So entstanden bereits 1919/20 erste revolutionäre Unterstüt­zungskomitees bei der USPD und der Organisation der revolutionären Obleute, zum Bei­spiel in Berlin.

Auch die 1918 gegründete Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) war von Anfang an auf die gegenseitige Solidarität angewiesen, weil die bürgerliche Staatsgewalt unter dem sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert die Kommunisten mit besonderer Härte verfolgte.

Unter diesen Bedingungen fielen die Vorschläge, die Julian Marchlewski am 13. 9. 1922 in Moskau zur Bildung einer Roten Arbeiterhilfe machte, auf fruchtbaren Boden. Auch der IV. Weltkongress der Komintern 1922 griff den Gedanken auf und beschoss die Bildung eines proletarischen Roten Kreuzes, aus dem sich die Internationale Rote Hilfe (IRH) ent­wickelte. In Deutschland waren die ersten Rote Hilfe Komitees bereits im April 1921 ent­standen. Im November 1921 wurde die Rote Hilfe in Berlin organisiert und ein Sekreta­riat gebildet. Aus diesen zunächst spontan entstandenen Komitees bildete sich nach einer Reichskonferenz, die vom 8. bis 9. September 1924 tagte, am 1. Oktober 1924 die Rote Hilfe Deutschlands (RHD). Erster Vorsitzender war Wilhelm Pieck, ihm folgte 1925 Clara Zetkin, die nach dem Tode von Julian Marchlewski im März 1925 zugleich Vorsit­zende der IRH wurde.

Obwohl die Initiative zur Gründung der Roten Hilfe von der KPD ausging, verstand sie sich von Anfang an als überparteiliche Organisation, die allen politisch Verfolgten Hilfe und Unterstützung gewährte. In ihrer Satzung bezeichnete sich die RHD ganz bewusst als eine überparteiliche Hilfsorganisation zur Unterstützung

a) der proletarischen Klassenkämpfer, die wegen einer aus politischen Gründen begange­nen Handlung oder politischer Gesinnung in Haft genommen sind,

b) der Frauen und Kinder von inhaftierten, gefallenen oder invaliden Klassenkämpfern.
Zur praktischen Arbeit bestimmte die Satzung: Die Unterstützung besteht in der Gewäh­rung von Rechtsschutz, barem Geld, Lebensmitteln, Kleidungsstücken und Unterbringung der Kinder in Kinderheimen.

Ferner sah sie sich der Pflege der geistigen Verbindung der Arbeiterschaft mit den Inhaf­tierten und ihren Angehörigen in Versorgung mit Literatur, außerdem in dem ständigen öffentlichen Wirken um Erleichterung, Einschränkung und Erlass der Strafe verpflichtet.

Wilhelm Pieck erklärte 1925: Die Rote Hilfe ist nicht etwa eine philantropische caritative Organisation, wie sie ihre Unterstützung nicht als Wohltätigkeit auffasst, sondern sie ist eine Solidaritätsorganisation der Werktätigen zur Behebung des Elends, das durch die deutsche Klassenjustiz hervorgerufen ist.

Der Schriftsteller Heinrich Mann schrieb: Viele Unschuldige, sonst verloren in der verwil­derten Welt, haben allein die Rote Hilfe. Sie ist allein ein zivilatorisches Werk, sie wirkt der drohenden Barbarei entgegen.

Die Mitglieder der Roten Hilfe waren in Ortsgruppen zusammengefasst, die aus Zellen in den Betrieben und Wohnbezirken bestanden. Die Ortsgruppen erhielten ihre Anleitung von Bezirksvorständen, diese wiederum vom Zentralvorstand aus Berlin. Diesem war eine Revisionskommission zugeordnet, die über die Einhaltung des Statuts zu wachen hatte.

In jeder Orts- oder Betriebsgruppe wurde eine Rechtschutzkommission gebildet, zu der ausdrücklich nicht nur Mitglieder der Roten Hilfe hinzugezogen wurden, sondern auch Mitglieder anderer Organisationen.

Die Rechtsschutzkommission hatte alle Fälle von politischem Terror, Zusammenstößen mit politischen Gegnern, Verhaftungen, Strafbefehlen, Anklagen und Verhandlungster­minen zu registrieren und dem Bezirksvorstand zu melden. Eine weitere wichtige Aufga­be der Rechtsschutzkommission bestand in der juristischen Aufklärung und Beratung.

Man darf dabei nicht vergessen, dass die Weimarer Republik gewissermaßen mit dem Schießbefehl Noskes geboren wurde.

Die Rote Hilfe entfaltete in den Haupteinflussgebieten wie in Berlin, Hamburg, Halle-Merseburg, Leipzig, dem Ruhrgebiet und in Stuttgart ihre größte Wirksamkeit, aber auch in den ländlichen Gebieten von Mecklenburg und Pommern ist eine aktive Tätig­keit der Roten Hilfe nachweisbar.

Die Angaben über die Mitgliederzahlen schwanken zwischen 30.791 Mitgliedern für das Jahr 1931 und ca. 529.000, denn angesichts der drohenden Gefahr einer faschisti­schen Diktatur in Deutschland wuchs die Zahl der Mitglieder.

Über die Zahl der für die Rote Hilfe arbeitenden Anwälte, Frauen wie Männer, gibt es unterschiedliche Angaben: etwa 200 bis 300 Juristen waren für die Rote Hilfe tätig.

Wirksam auch unter Bedingungen der Illegalität

Am Vorabend der Machtübertragung an Hitler und seine Komplizen war die Rote Hilfe eine der größten Massenorganisationen, die ein breites Umfeld gegen die faschistische Gefahr in Deutschland mobilisiern konnte.

Bis zum Verbot der Roten Hilfe am 2. März 1933 wirkte sie in gewohnter Weise fort.

Im Mittelpunkt der jetzt illegal tätigen Roten Hilfe stand die Hilfe für die Familien der Verhafteten sowie die Aufklärung über die brutalen Verbrechen der NS-Diktatur. Es gibt umfangreiche Belege dafür, dass die Rote Hilfe ihr Wirken in der Illegalität erfolgreich weiterführte.

Insbesondere war Berlin ein Mittelpunkt des Wirkens der Roten Hilfe. Am Beispiel des Bezirkes Berlin Prenzlauer Berg läßt sich das gut nachweisen.

In den Gestapo-Lageberichten zu Berlin gab es regelmäßig Meldungen über Aktivitäten der Roten Hilfe bis zum Frühjahr 1936. Nach langem Observieren kam die Gestapo den Widerständlern der Roten Hilfe auf die Spur. Auf einer breit angelegten Skizze, die sich im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde befindet, wird sichtbar, dass ausgehend vom Stadt­bezirk Prenzlauer Berg die Stadtbezirke Friedrichshain, Hohenschönhausen, Pankow, Lichtenberg, Reinickendorf und Berlin-Weißensee eng vernetzt waren und bis zum Früh­jahr sehr erfolgreich gegen das NS-Regime wirkten.

Im Abschlussbericht der Staatspolizeistelle Berlin vom März 1936 wird wie folgt berich­tet: Während die meisten Unterorganisationen der KPD bis Mitte 1935 aufgelöst oder aber stark eingeschränkt wurden, ist an den Wiederaufbau der RHD seit Mitte Mai 1933 mit allen Mitteln und Kräften herangegangen worden. Der Funktionärskörper erhielt neue Auffüllung mit frischen Kräften und wurde gleichzeitig vergrößert, namhaf­te Mittel zum Teil aus dem Ausland wurden laufend zur Verfügung gestellt.

Ungewollt musste die Gestapo eingestehen, dass die Rote Hilfe in Berlin gut organisiert war, einen technischen Apparat besaß, der zahlreiche Flugschriften und die Zeitung »Das Tribunal« in einer monatlichen Auflage von 900 Stück in ganz Berlin verbreitete.

In den Jahren von 1935 bis 1937 wurden in acht Prozessen vor dem Volksgerichtshof und dem Berliner Kammergericht 110 Angehörige der Roten Hilfe zu langen Haftstrafen verurteilt.

Trotz der umfangreichen Verhaftungen kam der Widerstand der Roten Hilfe nicht zum Erliegen.