Eine Hommage an Kurt Weill
Gina Pietsch, Berlin
Genie braucht keinen Frack, hat einmal eine Modedame zu ihm gesagt, und sie hatte recht. Vor 125 Jahren ist er geboren[1], vor 75 gestorben. Nur 50 hat er gelebt, ein reiches und überaus produktives Leben.
Weills Stammbaum geht zurück bis zu Rabbi Juda aus dem Jahre 1360 im Dörfchen Weil bei Stuttgart. Sein Vater war Kantor der jüdischen Gemeinde in Dessau. Kurt lebte wohlbehütet in frommem, provinziellem bürgerlichem Milieu. Mindestens der Großmutter galt er schon als Dreijähriger als etwas ganz Besonderes. Er lebte als Kind »nur für Musik« und komponierte in seinem Dachzimmerchen ohne jede Anleitung viele Notenblätter voll. »Dachstubenkomponist« wurde sein erster Spitzname. Der Kapellmeister des Dessauer Hoftheaters Albert Bing wurde zwischen 1915 und 18 sein erster Lehrer in Klavierspiel, Harmonielehre, Vom-Blatt-Singen, Dirigieren, etc.
1918 wurde aus diesem Anfangsunterricht ein richtiges Musikstudium an der Berliner Hochschule für Musik als einziger Schüler von Engelbert Humperdinck. Später kommen drei Jahre Meisterstudium bei Feruccio Busoni, der ihn für einen ganz feinen, kleinen Juden, der sicherlich weiterkommen wird, hält und ihn bei Universaledition Wien für einen 10-jährigen Exklusivvertrag vorschlägt.
Die Studienjahre in Berlin bringen mit sich das Erlebnis der Novemberrevolution mit großer Besorgnis von wegen einer möglichen Diktatur des Proletariats und also Widerstand gegen die Spartakisten. Der Mob wartet doch nur auf eine Parole zum Plündern und Meutern, schreibt er seinem Bruder. So sucht er Halt in seiner Sehnsucht nach einem richtigen Geschöpf, das man heiraten kann. Er hat genaue Vorstellungen, wie das sein muss, »Ewig-Weiblich«, wie Goethe es beschreibt, und das – so versteht er Goethe – findet man bei intelligenten Mädels so selten. Genauer beschreibt er diese Traumfrau seiner Schwester Ruth gegenüber - hoffentlich scherzhaft - so: sehr hübsch, sehr dumm, unmusikalisch, 1 Million Mitgift.
Nicht ganz dieser Traumfrau ähnlich, kommen sie dann 1924 zusammen, Weill und Lenya. Sie wird sein angebetetes Leben, sein Muschelchen, das er abgöttisch liebt, hundertmal von ihr betrogen, aber ewig verzeihend. Ich habe eine Bestimmung: in Dir unterzugehen, in Deinem Leben zu verschwinden, schreibt er. Am 28. Januar 1926 heiraten sie, lassen sich 1933 scheiden, finden 1935 in Paris wieder zusammen, heiraten 1937 das zweite Mal und leben bis zu seinem Tode 1950 zusammen. Und immer gilt für ihn, was er kurz nach der ersten Hochzeit und dem Erfolg seiner ersten Oper nach Georg Kaisers Libretto an Lenya schreibt: Jeder Notenkopf im PROTAGONIST ein Bussi für Dich.
Die Karriere seiner Frau Lotte Lenya, dieser Tochter des alkoholsüchtigen Fiakerkutschers, Franz Blamauer, beginnt auf dem Strich und endet als Weltstar. Sie war ungebildet, konnte keine Noten lesen und wurde doch zu seiner berühmtesten Interpretin. Es war ihre Stimme, der er seine Musik gab, denn es ist höchste Seligkeit, zu wissen, wieviel streichelndes Liebkosen diese Stimme für mich hat, schrieb er ihr im Brief. Sie ist für ihn ein ewig schutzbedürftiges Weib-Kind, sein Rehbeinchen, Blumenpflänzchen, Schnäubchen-Träubchen.
Berlin im Licht mit Brecht
Zu Brecht: 1927 fing das an. Der streng im jüdischen Glauben erzogene Dessauer Kantors- und Religionslehrersohn Kurt Weill hatte Brechts außerordentlich atheistische erste große Gedichtsammlung »Hauspostille« in die Hände bekommen und fasziniert ausgerufen: Ein Dichter, ein wirklicher Dichter, mit kühnem Griff und wundervoller Einfühlungskraft. Mit genau dem wollte er arbeiten, ging deshalb zu »Schlichters«, einem Promirestaurant in der Berliner Martin-Luther-Straße. Brecht nahm an, und man begann, gemeinsam am MAHAGONNY-SONGSPIEL zu arbeiten, dem Werk, das vier Jahre später in der Umarbeitung als Oper den Anfang des Endes von Brecht-Weills Zusammenarbeit einläutete. Warum Ende? Bei AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY vertrat der Komponist die Auffassung, es handele sich um eine Weill-Oper nach Worten von Brecht, der Dichter sah darin eine Oper von Brecht mit der Musik von Weill. Man stritt um die uralte Frage nach dem Huhn und dem Ei, nach dem Primat von Wort oder Musik also. Man hatte auch verschiedene Sichten auf die Zukunft der Oper, ihre Wandlungs- oder Nichtwandlungsfähigkeit, ästhetische Streitereien also, die ergänzt wurden durch außerordentlich konträre politische Sichtweisen. Man verstand einander so wenig, dass David Drews, der größte Weill-Kenner, gerade dieses Unverständnis, diesen hohen Grad der Selbsttäuschung zum Grund dafür erklärt, dass in vier Jahren sechs gemeinsame Werke erscheinen, die beiden Weltruhm verschafften.
Nach dem MAHAGONNY-SONGSPIEL sollte es 1927 zusammen weitergehen mit dem RUHREPOS, einem revolutionären, einer Oper, die das Leben der Arbeiter spiegelt, mit Filmen, einer ebenso populären wie anspruchsvollen Musik von Kurt Weill. Beide Autoren waren extra eingefahren in einen der Krupp-Schächte und entsetzt über die Arbeitsbedingungen dort unten und die in den Stahlwerken dort oben. Es wäre wichtig gewesen für uns alle, aber ehe Weill Brechts Texte vertonen konnte, brach das ganze Unternehmen zusammen.
Brecht aber wurde glücklich über die nachfolgende Zusammenarbeit mit Eisler, denn beide gehörten wirklich zusammen, im Denken über soziale Fragen und in ihrer Haltung zu der Klasse, von der sie sich die Veränderung der Welt erhofften.
Zurück in Kurt Weills erste Wirkungsstätte, nicht seine Geburtsstadt – die war Dessau seit dem 2. März 1900 – dann aber bis Hitler Berlin. 1928 sah er diese Stadt noch im Licht: Der Song BERLIN IM LICHT spiegelt das. Er klingt, wie vieles bei Weill, ein bisschen nach Jazz. Weill hat den Jazz schon in den frühen 20ern bewundert: »Der Rhythmus unserer Zeit ist der Jazz«, schreibt er und schwärmt von der Kompliziertheit des Rhythmus, von einer harmonischen Sorgfalt, von einem klanglichen und modulatorischen Reichtum der Negermusik. Dieser Stil wird ihn prägen, erkennbar und unterscheidbar machen.
Das Paradebeispiel für diesen Stil – »Die Dreigroschenoper«: 1928 ein Riesenerfolg, in nahezu alle Sprachen der Welt übersetzt, an allen wichtigen Theatern der Welt gespielt. Was den Erfolg ausgemacht habe, wurde Brecht gefragt. Und er meint: Ich fürchte, alles das, worauf es mir nicht ankommt, die romantische Handlung, die Liebesgeschichte, die Musik. Aber gerade über die Musik wollen wir mal ganz froh sein.
Vom berühmten KANONEN-SONG an, dieser Persiflage auf das Söldnerunwesen, musste bei der Uraufführung jeder Song wiederholt werden, und es war klar, dass beide Autoren mit ihrem »Nebenwerk«, wie Brecht es dem Produzenten Ernst-Josef Aufricht angekündigt hatte, Weltruhm erlangen würden. Bereits ein Jahr danach war es an 50 Theatern mehr als 4.000 Mal aufgeführt worden. Das hatte natürlich außerordentlich viel mit Weills Musik zu tun, die, wie Ernst Bloch es formuliert hat, die schlechteste Musik in den Dienst der fortgeschrittensten gestellt hatte, und sie zeigt sich gefährlich.
Dieser Erfolg sollte 1929 fortgesetzt werden. Mit dem Stück »Happy End« von Elisabeth Hauptmann gelang das jedoch nicht, wohl aber mit den dazugehörigen Songs, die Kurt Weill unbedingt wieder von Brecht gedichtet haben wollte. Wie er seinem Verleger angekündigt hatte, wurden sie alle Hits. Der SURABAYA-JOHNNY ist nur einer von einem Dutzend.
Heimisch geworden
Jedes der beiden Exilländer Weills verlangt nun ein neues Sich-Einrichten mit neuen Fehlschlägen und neuen Hoffnungen auf Arbeitsmöglichkeiten, Ansehen und Geld, wenn es gut ging, neuen Partnern zur Produktion für ein neues Publikum, ein ganz anderer Menschenschlag, den man erst einmal kennenlernen musste. Die Amerikaner zum Beispiel. Sein 1938 bester Freund in Amiland dann, Nachbar und Librettist seines Musicals »Knickerbocker Holiday«, der Dichter Maxwell Anderson, behauptet patriotisch, dass es der Freiheitswille und das Demokratiebedürfnis ist, das einen Amerikaner vor allen anderen Nationen auszeichnet: Ganz wurscht ist’s, ob er schwarz ob weiß, ob Tischler, Lehrer, Doktor, Schmied. Denn er verachtet den und hasst ihn glühend heiß, der ihm auf die Finger sieht. Und wenn ’ne Regierung ihn hindern will, macht er Trara, der Mann aus den USA. Weill unterschreibt das, denn: »Für jede Zeit gibt es einen Ort, über den Phantasien entstehen. Bei Mozart war es die Türkei. Für Shakespeare Italien. Für uns in Deutschland war es immer Amerika. So Weill über dieses »Schlaraffenland«. Und ja, in den frühen Zwanzigern schwärmte auch Brecht, von ihren Boxern als den stärksten, ihren Erfindern den praktischsten! Ihren Zügen den schnellsten. Beide Autoren werden später dieses Amerika in außerordentlich unterschiedlicher Weise kennenlernen, erfolgreich und nicht erfolgreich, letztendlich, weil dem Showbusiness angepasst und nicht angepasst. Weill heimisch geworden, Brecht fremd geblieben.
Wie keinem anderen der deutschen Emigranten gelang es Weill, auf dieser einzigen Theaterstraße des Kontinents, die Brecht kältesten Verkauf von Abendunterhaltung und einen von Spielern unterhaltenen Zweig des Rauschgifthandels nennt, Fuß zu fassen. Waren auch Weills Intentionen, die Qualität des Unterhaltungstheaters verbessern zu können, letztendlich gescheitert, so entstanden doch unter Verbannung fast jeder Spur seiner musikalischen Herkunft und Erziehung, ja unter dem einzigartigen Versuch eines Komponisten, konsequent eine zweite persona zu schaffen, immerhin neun große Werke, drei, die er Opern nennt, und sechs »musical plays«. Alles das macht ihn reich, lässt ihn Häuser und große Autos besitzen und die Frau halten, die der Broadway zu seinen Lebzeiten zwar nicht besonders mochte, die ihn aber die Hälfte seines Lebens faszinierte. Und die eine ebenso lange Zeit nach seinem Tode sein Werk pflegte, indem sie es nun singen konnte, 2.700 Mal am Broadway, die Jenny in der Dreigroschenoper und natürlich die Pirate-Jenny.
In Frankreich, auf seiner ersten Exilstation, wird er Exil thematisieren. »Marie Galante« heißt das Stück, in dem Jacques Deval von einem französischen Bauernmädchen erzählt, das mit einem Mann zusammen nach Panama verschlagen wird. Sie stirbt, bevor sie ihr in Bordellen verdientes Geld zusammen hat, um nach Hause zu kommen mit dem Schiff, auf das sie wartet. J’ATTENDS UN NAVIRE.
Das Lied »Ich warte auf ein Schiff« erlebte 10 Jahre nach seiner Entstehung einen merkwürdigen Inhaltswandel. Als man nämlich, wie überall in Europa, auch in Frankreich voller Hoffnung auf die alliierte Invasion wartete, machte die französische Resistance dieses Lied zu ihrem und kündigte mit ihm die Landung der Schiffe in der Normandie an und damit die Eröffnung der zweiten Front gegen Hitler. Weill, den Politik immer nur bedingt interessierte, nahm ein wenig teil an den Zeitläuften, indem er nach einem Text von Walter Mehring für das »Office of War Information« aus dem 1934 für Marlene Dietrich geschriebenen traurigen Liebeslied, JE NE T’AIME PAS 1944 das traurige Zeitlied WIE LANGE NOCH gemacht hatte.
Wie lange noch werden diese Songs leben, fragt man sich. Über Weills amerikanische Werke sagt der amerikanische Kritiker und Komponist Virgil Thomson, ob so lange, wie seine deutschen, kann ich nicht sagen. Ihnen fehlt die beißende und rührende Menschlichkeit von Brechts Texten. Und doch sagt derselbe: Alles, was er schrieb, machte auf die eine oder andere Weise Geschichte. Und der schwarze Dichter Langston Hughes, der die Songtexte in Weills Oper STREET SCENE geschrieben hatte, liefert das Warum zu diesem Erfolg: Er hatte etwas zu sagen, und er sagte es … in der allgemein verständlichsten Sprache eines jeden Landes. Darum kann Deutschland Weill als Deutschen, Frankreich ihn als Franzosen, Amerika ihn als Amerikaner und ich ihn als Schwarzen ausgeben.
VON BRECHT BIS BROADWAY – ein Kurt-Weill-Abend mit Gina Pietsch & Frauke Pietsch
Nächste Termine:
21. März 2025, 18:00 Uhr Zimmerbühne Chemnitz, Humboldtstraße 17, 09123 Chemnitz
24. April 2025, 15:00 Uhr Helle Panke, Kopenhagener Straße 9, 10437 Berlin
Anmerkung:
[1] Kurt Weill: 2. März 1900 in Dessau geboren, 3. April 1950 in New York gestorben.
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