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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Eine Erinnerung

Hans Canjé, Berlin

 

"... stinkt dann doch ziemlich zum Himmel"

 

Auch nach all dem, was im Jahre 2012 – und überschwappend ins neue Jahr – an skandalösen Vorgängen um die neofaschistische Mordgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) aus den Ämtern des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ans Tageslicht gespült worden ist, an der "wehrhaften Demokratie" gibt es kein Rütteln. Im Notfall greift man dann auch noch mal in die Kiste "Fertigmachen" und kramt die angestaubte Akte "Stasi-Zuträger Gysi" heraus, um dem begonnenen Bundestagswahlkampf ein wenig Pfeffer zur endlichen Erledigung der Linken zu geben.

Mehr als zwei Dutzend Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und vier ihrer Europa-Abgeordneten werden, um ein jüngstes Beispiel der grimmigen und unverdrossenen, kämpferischen staatlichen Wehrbereitschaft zu nennen, derzeit nachrichtendienstlich "betreut". Das solle – ein wenig modifiziert und etwas leiser – so bleiben, hatte Bundesinnenminister Friedrich (CSU) als oberster Dienstherr unter Verweis auf bestehende "extremistische Einschlüsse" in der Partei verkündet. Zum Jahresende 2012 hatte Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) noch einmal nachgelegt: die erforderliche Ausspähung sei "absolut richtig." Weil: "Anderenfalls würden wir unserem gesetzlichen Auftrag, die Verfassung zu schützen, nicht nachkommen." Der Generalsekretär dieser Partei, Alexander Dobrindt, hatte, nur zur Erinnerung, Anfang Oktober 2012 in der "Bild am Sonntag" unter Bezug auf einen Zeitungsartikel von Gesine Lötzsch nicht nur einer "verschärften Beobachtung" der Linkspartei das Wort geredet. Zu prüfen sei vielmehr, "ob auf dieser Grundlage gegen die Linke nicht ein Verbotsverfahren eingeleitet werden solle".

Diese "verschärfte Beobachtung" ist in die Hände von Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) gegeben. Auf der hauseigenen Webseite nimmt, nach seiner Darstellung, diese Behörde eine "unverzichtbare Rolle zum Schutz der inneren Sicherheit" ein und hat die Aufgabe, "Schaden von unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und von unserer Bevölkerung abzuwehren". Weil aber der Verfassungsschutz "ein Nachrichtendienst ist, muss er sensible Informationen zwar geheim halten, um seine künftige Arbeit nicht zu gefährden". Mit seiner Webseite wolle der Dienst jedoch "Transparenz herstellen" und hoffe, "dass durch diese Offenheit Ihr Vertrauen in uns gestärkt wird".

Die Motivation für die anhaltenden Aktivitäten der amtlichen Gesinnungspolizei ist bei näherer Betrachtung nur aus der Nachkriegsgeschichte der alten Bundesrepublik zu erklären. Denn die Partei DIE LINKE hat nachweislich bislang weder im Europarlament noch im Bundestag oder auf ihren diversen Klausurtagungen zur Revolution, zum Sturm auf das Merkel-Palais oder die Kölner Festung des BfV aufgerufen. Auch Appelle zur gewaltsamen Veränderung der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" bzw. zur entschädigungslosen Enteignung der Großbanken resp. der marktbeherrschenden Konzerne existieren nicht. (Als Gesine Lötzsch vor Jahresfrist einmal über "Wege zum Kommunismus" nachgedacht hatte, trug ihr Kopf arge Beulen nicht nur vom Klassenfeind davon.) Was die CSU-Kämpfer in den immer noch existierenden Schützengräben des Kalten Krieges in den Festungen der bayerischen Berge nicht davon abhält, Teile der Partei als "verfassungsfeindlich" zu denunzieren, weil sie angeblich "Mauer und Schießbefehl noch immer für richtig" hielten und einen "kommunistischen Staat" errichten wollten.

Das Gespinst einer bevorstehenden kommunistischen Machtergreifung in der Bundesrepublik hatte bereits im November 1951 zum Antrag der Regierung Adenauer beim Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe herhalten müssen, die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zu verbieten. Die Weichen dazu waren bereits mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz (Blitzgesetz) vom September 1951 gestellt worden. Die Folgen hatte der Freiburger Historiker Josef Foschepoth am 19. Juni 2008 in einem Vortrag im Berliner Bundesarchiv dargelegt. So wurden "vor allem zum Kampf gegen den Kommunismus alle Strafbestände aus der Weimarer und NS-Zeit wie Hochverrat, Landesverrat und Staatsgefährdung wieder eingeführt, die die Besatzungsmächte nach dem Krieg außer Kraft gesetzt hatten. Etliche neue Bestimmungen zum Staatsschutz kamen hinzu. Weitere speziell gegen Kommunisten gerichtete Gesetze und Regelungen folgten." ("Zeitschrift für Geschichtswissenschaft", Heft 11, Jahrgang 2008)

Ein Produkt dieser vom "diffusen Antikommunismus" geprägten Staatsdoktrin war auch das Gesetz "Zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote" vom 24. Mai 1961. "Feindliche Elemente" waren da ausgemacht worden, die versuchten, auch die Bundesrepublik mittels Post und Telefon sturmreif zu schießen. Heutige Geschichtsschreibung, in diesem Jahr mit neuem Schwung vornehmlich beschäftigt mit der Aufarbeitung der "zweiten deutschen Diktatur", hat für dieses Kapitel der alten BRD keinen Raum. Nun aber erkenne man, "auch der vermeintlich bessere der einstigen beiden deutschen Staaten gleicht in Teilen einem Apfel mit faulen Stellen. Er vermochte sich nur immer gut herauszuputzen. (...) Dennoch steht dieser sich königlich dünkende Westteil sogar manchmal mit einem Male nackt vor einem."

Was den Verfasser (ein bekennender ehemaliger DDR-Bürger) zur Feder hatte greifen lassen, war der am 19. November 2012 bei 3-sat gesendete Filmbeitrag "Überwachungsstaat: DDR-Postkontrolle in der Bundesrepublik". Vorgestellt wurde dort das Buch des Freiburger Historikers Josef Foschepoth "Überwachtes Deutschland. Post und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik", das diese "faule Stelle" des Paradiesapfels Bundesrepublik ein Stück weit sichtbar macht (Verlag Vanderhoek & Ruprecht, 2012). Der Freiburger Historiker belegt im Ergebnis seiner Recherchen, dass auch in der alten Bundesrepublik "weder Post- noch Telefonkommunikation vor dem staatlichen Zugriff sicher waren". Foschepoth spricht für die Zeit von 1949 bis zum Beginn der 1970er Jahre von mehr als 100 Millionen Postsendungen aus der DDR, die von auf die "wehrhafte Demokratie" vereidigten Post-, Bahn- und Zollbeamten als Dienstleister des "Staatsschutzes" geöffnet, gelesen, geschreddert, verbrannt oder auch zur "Weiterbehandlung" an die Strafbehörden weitergeleitet wurden.

100 Millionen Postsendungen! Das sind fürwahr Zahlen, die, um einen ehemaligen FDP-Bundesinnenminister zu zitieren, "einem Polizeistaat alle Ehre machen". Gemeint hatte er mit diesem Urteil die ihm damals bekannt gewordenen Zahlen zum Komplex Prozesse und Urteile gegen Kommunisten oder Bundesbürger, die ob ihrer kritischen Haltung gegenüber der Politik der Bundesregierung in diese Kategorie eingeordnet worden waren (10.000 Verurteilungen zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen bei rund 250.000 Ermittlungsverfahren, in die bis zu 500.000 Bundesbürger einbezogen waren). Foschepoth hatte in seinem Vortrag von 2008 unter Anführung verschiedener Untersuchungen auf einen bemerkenswerten Aspekt der Rechtsprechung jener Jahre verwiesen: "Mit dem Blick auf den immer wieder betonten ‚antitotalitären Grundkonsens der Bundesrepublik’ bzw. ‚antitotalitäre Äquidistanz’ gegenüber Rechts- und Linksextremismus, bietet sich ein Vergleich an. Das Ergebnis ist überraschend: Die Zahl der Strafverfahren und Urteile gegen Kommunisten in einem Zeitraum von 15 bis 17 Jahren ist in etwa gleichgroß wie die Zahl der Verfahren und Urteile gegen NS-Täter vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute, also in einem Zeitraum von 50 bis 60 Jahren, obwohl sie sich hinsichtlich der Schwere der Tat natürlich deutlich unterscheiden".

Das einmal gegebene Feindbild wackelt nicht: Der Feind steht seit Gründung der Bundesrepublik, wie bei ihrem Vorgängerstaat und wiederum dessen Vorgängern, spätestens seit der Oktoberevolution 1917, nun einmal links. Hier bietet sich ein Rückblick auf das Jahr 1933 an. Am 28. Februar 1933 wurde mit der Notverordnung "Zum Schutz von Volk und Staat" auch die KPD verboten. Am 1. März 1933 verkündete Hermann Göring, Kommissar für das Preußische Innenministerium, als seine "Hauptaufgabe" von "erster Stunde an": "(...) Wir wollen nicht nur die kommunistische Gefahr abwehren (...) es wird meine vornehmste Aufgabe sein (...) den Kommunismus auszurotten aus unserem Volke (...)" Keine 20 Jahre später, im November 1951, beantragte die von Konrad Adenauer (CDU) geführte Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Verbot der KPD. (Das Verbot wurde, wie von der Regierung in Auftrag gegeben, am 17. August 1956 verkündet.) Ritter Hans von Lex (CSU) war Leiter der Prozessdelegation der Bundesregierung im Verbotsprozess vor dem Ersten Senat des BVG. Am 23. März 1933 hatte er im Reichstag dem Ermächtigungsgesetz für Hitler zugestimmt. Ganz alte braune Schule bezeichnet er in seinem Schlussplädoyer die KPD als "eine ernste Bedrohung für unser freiheitliches demokratisches Leben", einen "gefährlichen Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der Giftstoffe in die Blutbahnen des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus sendet".

Wer heute, 80 Jahre nach Göring, in die Kategorie "die kommunistische Bestie" oder "gefährlicher Infektionsherd" gehört, regelt das BfV, das zu diesem Zweck ja auch Männer mit einschlägigen Erfahrungen von 1933 bis 1945 übernommen hat. Von ihnen werden jene "sensible Daten" gesammelt, die jedoch, siehe Hans-Georg Maaßen, geheim gehalten werden müssen, um "Schaden vom Volke abzuwehren".

Einen solchen Schaden könnte immer noch der mittlerweile über 80-jährige Gerhard Bialas aus Tübingen anrichten. Nach rund 60 Jahren Überwachung durch den Dienst hatte der bekennende Kommunist, langjähriger Kommunalpolitiker und Gewerkschaftsfunktionär, Anfang 2012 in einem Schreiben an den grünen "Landesvater" von Baden-Württemberg, Wilfried Kretschmann, darum ersucht, ihn doch nun endlich in Ruhe seine Rente genießen zu lassen und ihn nach 60 Jahren Beobachtung aus dem Register der erkorenen Schädlinge am deutschen Volk zu streichen. Das "Ansinnen" Bialas’ wurde umgehend zurückgewiesen. Der Verweis auf das hohe Alter "vermag die Beendigung nicht zu entscheiden". Denn: "entscheidend ist vielmehr, ob ihrerseits eine aktive Betätigung für verfassungsfeindliche Betätigung unterbleibt". Das, so haben die rechtsäugig blinden Staatsschützer im urliberalen Musterländle herausbekommen, "ist nicht der Fall". Sein Alter, so die amtliche Kunde, finde jedoch insofern Berücksichtigung, "als das Landesamt für Verfassungsschutz verpflichtet ist, bei Personen über 70 Jahren in kürzeren Abständen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Beobachtung weiter vorliegen."

Auch Silvia Gingold, Tochter des international renommierten antifaschistischen Widerstandskämpfers Peter Gingold, darf sich weiter der "Betreuung" erfreuen. Seit ihrem 17. Lebensjahr wurden alle Schritte der mit Berufsverbot Bestraften beim Amt sorgsam überwacht und gespeichert. In einem aktuellen Dossier ist sie seit 2009 erneut im Bereich "Linksextremismus" gespeichert. Denn: am 15. Oktober 2011 als Referentin im "Themenspektrum Antifaschismus" bei einer Veranstaltung angekündigt, in deren Verlauf die Autobiografie ihres Vaters vorgestellt wurde. Nicht genug damit: am 28. Januar 2012 war sie von der Anti-Nazi-Koordination in Frankfurt/Main als Rednerin zum Thema "40 Jahre Berufsverbote in der BRD" angekündigt.

Gerhard Bialas wird sich auch weiterhin der wachsamen Beobachtung erfreuen dürfen. Bezeichnete er es doch in seiner Antwort an die Landesregierung auf deren Brief als "unglaubliche Anmaßung", ihm Verfassungsfeindlichkeit zu unterstellen. Es erfülle ihn "mit großem Unbehagen angesichts der Vorkommnisse um V-Leute aus dem Nazispektrum, dass ich als Antifaschist möglicherweise von Leuten bespitzelt werde, die zu denen gehören könnten".

Der oben erwähnte ehemalige DDR-Bürger sagt von sich, dass er ganz bestimmt nicht überempfindlich sei. "Nur kübelweise über einem (auch via mancher Medien) früheren Leben ausgegossene Häme, stinkt dann doch ziemlich zum Himmel. Und diese Selbstgewissheit dabei. (...) Man trägt die Worte Freiheit und Menschenrechte wie Monstranzen vor sich her. Und profitiert doch munter selbst von der Verletzung von Menschenrechten anderswo." Foschepoth konstatiert sachlich: Kommunismusforschung "erstreckt sich weitgehend auf die DDR" und fragt, ob die Geschichte der KPD sich nur aus ihrer westdeutschen Geschichte und dazu nur bis 1956 erklären lasse oder ist "sie vielmehr Teil einer umfassenden deutsch-deutschen Beziehungs- und Konfliktgeschichte (...?)" Seine Zunftkollegen mahnte er, sich dieses "noch nicht wirklich entdeckten" Themas anzunehmen. Die "doppelte Zeitgeschichte" fordere "zu einer vergleichenden Betrachtungsweise geradezu heraus".

Im Rückblick auf die Behandlung des Themas Widerstand der Kommunisten gegen den Faschismus und Rehabilitierung der nach 1945 wegen Verstoßes gegen das KPD-Verbot von 1956 in den zurückliegenden Legislaturperioden des Bundestages stehen die Zeichen nicht günstig. Darum auch ist die Forderung der "Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges" "KPD-Verbotsurteil von 1956 aufheben" durchaus zeitgemäß. Sie soll als Petition dem im September zu wählenden 18. Deutschen Bundestag vorgelegt werden. Nach dem Verbot, heißt es in der Erklärung, setzte "eine rigorose Verfolgung von Mitgliedern der Partei und anderer oppositioneller Kräfte – Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Liberaler, Christen und Pazifisten – ein, die wegen ihres Engagements und ihrer politischen Überzeugung kriminalisiert wurden". Kein anderes Land in Europa kenne ein Urteil wie das bundesdeutsche von 1956. Die Existenz der DKP ändere nichts an dem zwingenden Gebot, das "unsägliche Verbot" aufzuheben, "mit dem Adenauer die Partei verbieten ließ, die große Beiträge im Kampf gegen den Faschismus erbrachte und unvergessene Beiträge im Ringen gegen die Wiederbewaffnung in Deutschland leistete, wofür zahlreiche ihrer Mitglieder mit Gefängnisstrafen belegt wurden".

 

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