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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Ein Irrweg und zwei Kriege

Otto Grotewohl (11. März 1894 – 21. September 1964)

Aus der Regierungserklärung Otto Grotewohls vom 12. Oktober 1949 bei der Vorstellung der von ihm gebildeten provisorischen Regierung:

[...] Die provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ist sich dabei dessen bewußt, daß sie ihre Aufgabe nur erfüllen kann, wenn sie einen neuen Weg, den Weg des Friedens und der Demokratie beschreitet.

Das deutsche Volk ist durch die Politik des deutschen Imperialismus schon zweimal in nationale Katastrophen größten Ausmaßes geführt worden. Der deutsche Imperialismus, der bei der Aufteilung der Welt in Kolonialgebiete und Interessensphären gegenüber dem englischen und amerikanischen Imperialismus zu kurz gekommen war, hatte das Bedürfnis, in kürzester Frist die Aufteilung der Welt zu seinen Gunsten zu korrigieren. Das ist der Grund dafür, weshalb in der Vergangenheit der deutsche Imperialismus die aggressivsten Züge aufwies und 1914 den ersten imperialistischen Weltkrieg provozierte. Dieser erste Weltkrieg endete mit einer katastrophalen Niederlage des deutschen Imperialismus. Seine Drahtzieher verstanden es aber sehr gut, die Folgen der Niederlage auf die Schultern der werktätigen Massen abzuladen und sogar noch aus der Niederlage zu profitieren. Sie gaben ihre Sache nicht verloren. Sie unterstützten und förderten das Aufkommen des Faschismus in Deutschland und trieben nach Unterdrückung der demokratischen Kräfte Deutschland in den zweiten Weltkrieg, um dem deutschen Imperialismus die Vorherrschaft in der Welt zu erobern. Der zweite Weltkrieg endete mit der totalen Niederlage Hitlerdeutschlands und seiner Trabanten. Deutschland war ein Trümmerfeld geworden. Millionen und aber Millionen Männer, Frauen und Kinder fielen dem Kriege zum Opfer. Das war das unausbleibliche Ergebnis der Politik der Aggression, des Raubes, der Kriegsabenteuer und der nationalen Unterdrückung anderer Völker. Diese Politik mußte das deutsche Volk teuer bezahlen. Sie führte unvermeidlich zum zweiten Male in die Katastrophe.

Die Tragik des deutschen Volkes war, daß es nach dem ersten Weltkrieg nicht mit genügender Klarheit erkannte, welche Kräfte Deutschland in den ersten Weltkrieg und in die Niederlage geführt hatten. Die in Deutschland besonders starken Überreste des Feudalismus, die große Gebiete unseres Landes beherrschenden Großgrundbesitzer, die Junker, die gleichzeitig die Hauptträger des Militarismus waren, hatten sich bei der fortschreitenden industriellen Entwicklung mit dem Monopolkapitalismus verbunden, der dadurch ein besonders aggressives Gepräge erhielt. Junker, Militaristen, Monopolkapitalisten waren die Kräfte in Deutschland, die an Kriegen und Eroberungen interessiert waren, während die überwältigende Masse des deutschen Volkes nur in einer friedlichen Entwicklung ihre Lebensgrundlage haben konnte. Die Junker, Militaristen, Monopolkapitalisten waren jedoch nach 1918 im Besitz aller Machtpositionen geblieben. Sie beherrschten nicht nur die Industrie, die Banken, die Landwirtschaft, sondern auch die sogenannte öffentliche Meinung und natürlich – infolge dieser Verankerung in allen Machtpositionen – auch jede Regierung. Das einzige ernsthafte Hindernis, das diesen reaktionären Kräften den Weg in neue Kriegsabenteuer und Katastrophen des deutschen Volkes versperrte, waren die Organisationen der deutschen Arbeiterklasse. Leider konnten sie sich nicht zu einer gemeinsamen und entschlossenen Politik zusammenfinden, um den imperialistischen Kriegstreibern in den Arm zu fallen. Die Arbeiterbewegung wurde nach der Errichtung der faschistischen Diktatur grausam unterdrückt. Nach der Zerschlagung der Arbeiterbewegung wurde jede andere demokratische Bewegung im deutschen Volke mit den Mitteln brutalsten Terrors beseitigt.

Die demokratischen Kräfte in Deutschland wären vereint in der Lage gewesen, das Unheil aufzuhalten. Sie hatten sich jedoch von den Feinden des Volkes auseinanderbringen lassen und wurden getrennt geschlagen und vernichtet. Diese ungenügende Stärke und Reife der deutschen demokratischen Kräfte ermöglichten den Erfolg des Faschismus und den zweiten großen Versuch des deutschen Imperialismus, die Neuaufteilung der Welt zu seinen Gunsten durchzuführen. Zwei Weltkriege in einer Generation hat der deutsche Imperialismus dem deutschen Volke gebracht. Das darf sich nicht mehr wiederholen. Alle fortschrittliche Kräfte müssen vereint dafür sorgen, daß nie wieder der deutsche Imperialismus in seinem Drang nach Eroberungen die Lebensgrundlgen des deutschen Volkes zerstören kann.

In diesem Sinne nimmt die Regierung den Auftrag der Volkskammer an. Sie wird ihn durchführen in völliger Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz und den sonstigen gemeinsamen Deklarationen der Aliierten. Die Regierung ist sich dabei der ganzen Schwere der Schuld und der Verantwortung bewußt, die das deutsche Volk dadurch auf sich lud, daß es blind der aggressiven Kriegspolitik der nationalsozialistischen Machthaber gefolgt ist und daß es die furchtbaren Verbrechen duldete, die im zweiten Weltkrieg an den Völkern Europas und besonders an den Völkern der Sowjetunion begangen wurden. […]                                                                                            

Quelle: Otto Grotewohl, Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik, Reden und Aufsätze. Auswahl aus den Jahren 1945-1953. Band I: 1945-1949. Berlin: Dietz Verlag, 1954. S. 512-515.