Ein Gespräch mit Elfriede Brüning zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung
Erhard Scherner, Schöneiche
Elfriede Brüning gegenübertreten heißt einem Zeitalter begegnen. Im Herzen Berlins, in der Nähe des Ostbahnhofs wohnt und arbeitet sie - die älteste, noch aktive Schriftstellerin Deutschlands.
Heute bitte ich dich, liebe Elfriede Brüning, den 10. Mai 1933 zu erinnern, Datum, das buchstäblich in die deutsche Geschichte eingebrannt ist. Das liegt nun 80 Jahre zurück. Es muss ein Schock gewesen sein, als du, eine junge Schreibende, sehr am Anfang einer Karriere, erlebtest, wie die Bücher vorzüglicher Autoren Deutschlands und der Welt, demokratische, humanistische, jüdische, marxistische und pazifistische Schriften am Opernplatz in Berlin verbrannt wurden. Die Liste der Auszusondernden ist lang, umfasst Hunderte Namen. Siegmund Freud und Magnus Hirschfeld wurden geächtet, Erich Mühsam, Tucholsky, Remarque, auch Anna Seghers, F.C. Weiskopf und Arnold Zweig, Egon Erwin Kisch, Dos Passos wie Ehrenburg und Majakowski, Marx und Lenin sowieso.
Elfriede Brüning: Ja, ein schlimmer Tag, den ich nicht vergessen kann. Ich war 1932 Mitglied des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller geworden. Nach der nazistischen "Machtübernahme" vom 30. Januar 33 war der Bund verboten worden. So wollten wir uns im Februar an unserm üblichen Treff in der Enckestraße versammeln, um die neue Lage zu beraten. Wir mussten feststellen, dass das Haus bereits von der SA besetzt, unsere Bücher dort beschlagnahmt waren. Schnell mussten wir uns in alle Winde verstreuen, um nicht verhaftet zu werden. Hans Schwalm, unser Vorsitzender - du weißt, Jan Petersen mit Decknamen - war schon untergetaucht und konnte sich nicht mehr in seiner Wohnung blicken lassen.
Und du, damals das jüngste Mitglied im Bund, eilst zum Bücher-Schaffott vor der Berliner Universität, in die angesagte Kundgebung der Nazis "wider den undeutschen Geist". War das nicht auch unvorsichtig?
Elfriede Brüning: Was blieb mir und anderen vom Bund übrig? Wir wollten uns treffen, wir mussten uns neu verabreden, um uns nicht zu verlieren. Ich hatte die Hoffnung, dass auch andere von uns erscheinen würden. Und so war es dann auch. Vergiss dabei nicht, dass die meisten von uns junge Leute waren, nicht oder nur wenig bekannt. Die Anzahl der Nazistudenten, SA-Mitglieder und jubelnder Mitläufer, die das Autodafé begleiteten, war groß und unübersichtlich. Das Herankarren der gestohlenen, geplünderten oder durch Erpressung beschafften Bücher aus Universität, Bibliotheken und Buchhandlugen zog sich über viele Stunden hin. Kameras und Scheinwerfer wurden rund um den Scheiterhaufen für den nächtlichen Höhepunkt mit Goebbels aufgebaut. Die Bilder von dieser Barbarei sind um die Welt gegangen.
Bisher war mir bekannt, dass Erich Kästner zugegen war, als seine Bücher auf den Scheiterhaufen geworfen wurden. Ich wusste nicht, dass auch Genossen vom Bund die mittelalterlich anmutende Zusammenrottung erlebt, die pseudorituellen "Feuersprüche" vernommen haben.
Elfriede Brüning: Für uns war dieser Tag der Übergang in die Illegalität. Ich glaube, es war der Genosse Eckel, Hans, unser Dichter und Fensterputzer, der mir im Vorbeigehen zuflüsterte: "Sonntag, 10 Uhr, S-Bahnhof Heerstraße". Gemeint war eine Fahrt ins Grüne mit Stullenbüchse und Badezeug, bei der wir draußen am See das weitere Vorgehen beraten konnten. Wir bildeten Dreiergruppen, zu denen dann Hans Schwalm die Verbindung hielt. Unsere Zusammenkünfte wurden also ins Grüne verlegt. Wir zelteten draußen, lasen und diskutierten unsere Texte über die Zustände in Nazi-Deutschland. Die waren für Prag bestimmt, wo Wieland Herzfelde die Zeitschrift "Die Neuen Deutschen Blätter" installiert hatte. Ich übernahm mit unseren Beiträgen mehrere Kurierfahrten nach Prag. Wir, die Berliner Gruppe vom Bund, bedienten mit Glossen, Skizzen, Reportagen und Gedichten die ständige Rubrik "Die Stimme aus Deutschland", an der sich auch Berta Waterstradt, Jan Petersen, Werner Ilberg, Paul Körner-Schrader und andere beteiligten.
Der Anschlag auf kostbare Schätze unserer Kultur war ja keine "Nacht- und Nebel-Aktion" eines durchgeknallten SA-Sturms. Er erfolgte, fast zu gleicher Zeit, in 21 deutschen Universitätsstädten. Das war, nach der Verfolgungsorgie im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand am 27. Februar und nach dem Sturm auf die Gewerkschaftshäuser zum 1. Mai 1933, ein weiterer Schritt zum Ausbau der faschistischen Diktatur.
Elfriede Brüning: Ja, in diesen Wochen gab es viele Verhaftungen. Es wurde leerer um uns, Freunde wurden von der Gestapo abgeholt, oder es gelang ihnen noch die Flucht ins Ausland.
Die internationale Protestwelle erreichte alle Erdteile. Selbst persönlich bedroht im China Tschiang Kai-scheks machte sich der Erzähler und Essayist Lu Xun in Schanghai unverzüglich zum Deutschen Generalkonsulat auf, um gemeinsam mit Madam Song Qingling, der Witwe Sun Yatsens, und dem Gelehrten Cai Yuanpei, den barbarischen Akt zu verurteilen. In Paris wurden die verbrannten Bücher in einer Deutschen Freiheitsbibliothek neu gesammelt. Die weit in die Welt vertriebenen deutschen Emigranten gaben nicht auf, an diesen Tag zu erinnern.
Jan Koplowitz erzählte von einer Versammlung deutscher Schriftsteller in London 1943. Es ging darum, den zehnten Jahrestag vorzubereiten. Rundum Vorschläge dazu, wie man am besten der "Verbotenen und Verbrannten" gedenke: Man müsste die Guildhall mieten, Fanfaren müssen ertönen … Alle blickten auf einen jungen rotschopfigen Dichter, KuBa, der sich noch nicht geäußert hatte. Der sagte: "Die Fanfaren des Schriftstellers ertönen an seinem Schreibtisch".
Elfriede Brüning: Gut gesagt. Auch ich bin, am Tisch bei der Arbeit, sehr allein.
Das weiß natürlich eine, der Schreiben das Leben bedeutet und die 29 Bücher veröffentlicht hat.
Elfriede Brüning: 28 Bücher, Erhard. Da hab ich dann manches andere recht vernachlässigt.
Denke ich an die Bücherverbrennung, fällt mir immer auch Heinrich Heines Prophetie in seiner Dichtung "Almansor" (1820) ein, das so schrecklich bestätigte Wort: "Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen."
Elfriede Brüning: Ja, so war es. Und vergessen wir die größte Büchervernichtung nicht, die Deutschland je erlebt hat, und zwar in den Jahren 1990/91. Im Osten wurden in ungezählten Bibliotheken und Buchhandlungen, in Schulen und Instituten die Regale leer geräumt, wurden Bücher zu Millionen auf Halde gekarrt, in Papiermühlen und Kraftwerken entsorgt. Und kein Aufschrei im Land! Und keineswegs waren da nur politische Bücher betroffen, sondern Werke von unsern Lyrikern und Prosaautoren. Klassikerausgaben waren ebenso dabei wie kostbare Bildbände ...
"Besenrein" hieß vielfach das Verdikt. Wie war das möglich? - Freilich, bei Pfarrer Martin Weskott in Katlenburg kann man von den rund 400 000 der Werke in der Bücher-Scheune hinter der Kirche das eine oder andere Buch für einen Obolus ins Leben zurückholen. Mit dem Lastwagen hatte er sie von der Braunkohledeponie bei Borna gerettet. Eine bewundernswürdige Tat, für die er 1993 das Bundesverdienstkreuz erhalten hat. Ein Schuldbekenntnis unserer Herrschenden?
Elfriede Brüning: Ich weiß nicht. An seiner Stelle hätte ich dafür das Kreuz nicht genommen …
Das Volk soll nicht lesen, was seine Schriftsteller gedacht und geschrieben haben. Es soll ja nicht einmal auf Schiffen fahren, die Namen von Dichtern tragen, deren Bücher anno 33 verboten und verbrannt wurden, also von der Berliner Weißen Flotte "die Bertolt Brecht", "die Friedrich Wolf". "die Johannes R. Becher". Damals ließen die neuen Reeder verlautbaren, sie könnten ihren Fahrgästen solche Namen nicht zumuten. - Wer mutet uns solche Reeder zu? -
Lass dich bitte abschließend fragen, woher du nach unserer bitteren Niederlage Mut und Optimismus nimmst?
Elfriede Brüning: Nun, mein Optimismus hält sich in Grenzen. Aber nichts bleibt auf die Dauer so, wie es ist. Das ist die Erfahrung meines langen Lebens. Und ich vertraue auf die wache Intelligenz der jungen Generation, die eines Tages - davon bin ich fest überzeugt - unsere Ideale, die wir leider verspielt haben, verwirklichen wird und den schnöden Mammon zum Teufel jagt.
Gefragt hat: Erhard Scherner
Von Elfriede Brüning, geboren am 10. November 1910, erschienen zuletzt: Nun, ich lebe noch, Berlin 2013. Elfriede Brüning befragte in den 80er Jahren in der DDR lebende Frauen, die unter oft abstrusen Anschuldigungen in Lagern in der Sowjetunion interniert worden waren. - Gedankensplitter, Berlin 2006. - "Ich mußte einfach schreiben, unbedingt…", Briefwechsel mit Zeitgenossen 1930-2007, herausgegeben von Eleonore Sent, Essen 2008.
Der Schriftsteller Erhard Scherner, geb. 1929, war 1947 Neulehrer im Prenzlauer Berg, später Germanist, Dr. phil., Lyriker, Autor, Nachdichter, Publizist, Naturschützer. Er lebt heute in Schöneiche bei Berlin. Letzthin sind von ihm erschienen: 2006 Entwurf eines Spiegelbilds (121 Gedichte), 2. Auflage, 1997 Geschichten vom LaoWai (45 Begegnungen mit China im Wandel), 2003 Mein liebstes Stück Garten: Märkische Geschichten (Sieben Prosastücke) u.a.