Drei Gesichter des Kapitalismus
Reiner Kotulla, Leun
Polemik über Transformationsvarianten
Wir erinnern uns noch gut an die Zeit, als der Kapitalismus in der alten BRD sein freundliches Antlitz zeigte. Sie hatten gelernt. Damals, als Bismarcks Sozialistengesetze das Erstarken der Arbeiterbewegung nicht zu verhindern vermochten, erfanden die Vordenker des Kapitals sogenannte "Sozialgesetze", mit denen sie die Werktätigen beruhigten und sie von revolutionären Vorhaben abrücken ließen.
Dann, nach ihrem furchtbaren imperialistischen Eroberungskrieg, der Millionen Menschen im Nachkriegsdeutschland den Appetit auf einen neuen Kapitalismus verdorben hatte und selbst die Gründer der CDU an im zweifeln ließ, gelang ihm mit der scheinbar sozialen Marktwirtschaft der Coup, die Menschen in einen derartigen Konsumrausch zu versetzen, der sie das häßliche Antlitz des Systems vergessen ließ.
In der DDR war ein Konkurrenzsystem entstanden, das die Herrschenden im Westen, wollten sie verhindern, daß die Menschen dort auch die sozialen Errungenschaften eines Sozialismus zu genießen gedachten, zwang, soziale Zugeständnisse zu machen.
Sozialversicherungen, Arbeitslosigkeit in Grenzen, Arbeitszeitsenkungen, Lohnerhöhungen, Konsummöglichkeiten und dazu eine gewisse Portion an persönlichen Freiheiten sollten den Arbeitern vorgaukeln, daß es zu "ihrem" Kapitalismus keine sich lohnende Alternative gäbe. Wer die Macht hat, verfügt über die Medien, das wissen wir. Und die hämmerten täglich auf die Leute in West und Ost ein, daß der Kapitalismus von Grund auf gut und dem sozialistischen Ansatz in der DDR überlegen sei.
Die Menschen in der DDR, durch die geografische Lage an der Grenze zweier Weltsysteme und innere Widersprüche – "Die Beulen am Helm eines Kommunisten stammen nicht nur vom Klassengegner" – daran gehindert, ihren realen Sozialismus und dessen systemimmanente soziale Gerechtigkeit mit eben diesem ach so verlockenden Kapitalismus zu vergleichen, glaubten den Meinungsmachern im Westen, die ihnen vorgaukelten, daß sie ebenfalls die Segnungen des Kapitalismus erfahren könnten, würden sie nur ihre Regierung und die "Kommunistische Partei" zum Teufel jagen.
Als sie sich dann "befreit" hatten und der Anschluß der DDR an die BRD vollzogen war, ließ das kapitalistische System seine freundliche Maske fallen. Abbau sozialer Rechte, Massenarbeitslosigkeit, Verlängerung der Arbeitszeit, Lohnkürzungen, eingeschränkte Konsummöglichkeiten, Verfassungsbrüche und dazu das Dogma des sozialdemokratischen Militärministers, daß der Platz des deutschen Soldaten die ganze Welt sei, offenbarten uns ein zweites Gesicht des Kapitalismus. Doch die Hoffnung auf ein Ende der Geschichte, auf einen ewigen Kapitalismus, will sich nicht erfüllen. Nicht etwa, weil dieser von selbst zusammenbrechen wird, sondern weil der Mensch auf Ausbeutung mit Widerstand reagiert.
Doch machen wir uns nichts vor, freiwillig werden die Herren das Feld nicht räumen. Wir wissen, was passieren kann, sehen sie sich in die Enge gedrängt. Dann zeigt der Kapitalismus ein drittes Gesicht, die widerliche Fratze – Buchenwald. Und dann könnten wir es sein, die man ans "Siebte Kreuz" ["Das siebte Kreuz" (1942), Roman von Anna Seghers über die Flucht von sieben KZ-Insassen] hängen will.