Dietrich Bonhoeffer, ermordet am 9. April 1945
Horsta Krum, Berlin
Er stammte aus einer angesehenen Familie des Bildungsbürgertums, die zunächst in Breslau und ab 1912 in Berlin lebte. Der Vater Karl Bonhoeffer war Psychiater und sah sein berufliches Lebenswerk darin, die Psychiatrie als eigenständige, gleichberechtigte Fachrichtung innerhalb der Medizin zu etablieren – was ihm gelang und ihm große Anerkennung verschaffte.
Mit seiner Zwillingsschwester gehörte Dietrich, geboren 1906, zu den jüngeren der acht Geschwister. Er hätte eine sichere Laufbahn als Mediziner oder Jurist einschlagen können, wählte aber die Theologie – zum Erstaunen seiner Familie. Die war evangelisch, aber engagierte sich nicht in der Kirche. Als die Nazis 1933 die Macht übernahmen, war Dietrich 27 Jahre alt. In seinem Elternhaus lernte er während der Folgejahre Nazigegner aus dem militärischen Bereich kennen. Gleichzeitig beteiligte sich sein Vater Karl Bonhoeffer an Gutachten zur Zwangssterilisation und enttäuschte manche verzweifelte Menschen, die für ihre Angehörigen um Verschonung baten. Ob er sich dem hätte entziehen können, wie groß sein Spielraum war, wie weit seine Familie davon wusste, ist noch nicht wirklich erforscht, wird es vielleicht auch nie werden.
Gegen Nazi-Ideologie und »Deutsche Christen«
Für das Studienjahr 1930/31 erhielt Dietrich ein Stipendium am Union Theological Seminary in New York und traf dort den Franzosen Jean Lasserre, einen entschiedenen Pazifisten. 1929 hatte sich Bonhoeffer noch nationalistisch geäußert und Waffengewalt nicht ausgeschlossen. Aber die gemeinsame theologische Arbeit mit Lasserre machte auch ihn zum Pazifisten. Der Film »Im Westen nichts Neues« festigte die Freundschaft zwischen ihnen und den Willen, für den Frieden zu arbeiten: Sie unternahmen Reisen, junge Menschen hörten ihnen aufmerksam, ja begeistert zu; denn nach dem Krieg 1914 bis 1918 war es überhaupt nicht selbstverständlich, dass ein Deutscher und ein Franzose gemeinsam für den Frieden warben.
Innerhalb der deutschen evangelischen Kirche entstand 1933/34 die »Bekennende Kirche«. Sie richtete sich gegen die »Deutschen Christen«, die das Gedankengut der Nazis in der Kirche zu etablieren versuchten. Dem setzte die »Bekennende Kirche« ihre »Barmer theologische Erklärung« entgegen: Über seinen besonderen Auftrag hinaus dürfe der Staat nicht »die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden« und also auch nicht »die Bestimmung der Kirche erfüllen.« Andrerseits dürfe auch die Kirche nicht weitergehen als »über ihren besonderen Auftrag hinaus«.
Bonhoeffer gehörte der »Bekennden Kirche« an und bildete in ihrem Auftrag junge Theologen aus, die kaum jünger waren als er. Die tägliche theologische Arbeit stärkte die Verbundenheit und den gemeinsamen Willen, sich gegen die »Deutschen Christen« und gegen die Ideologie der Nazis an der Bibel zu orientieren. So zieht sich denn auch der Begriff »Gehorsam« wie ein roter Faden durch Bonhoeffers Buch »Nachfolge«, das 1937 gedruckt wurde. »Gemeinschaft« ist ein weiterer Schlüsselbegriff. Zusammenfassen lässt sich dieses Buch in dem Zitat: »Nur von der Einheit der Gemeinde her ist jeder Einzelne, was er ist«.
Dem Rad in die Speichen fallen
Immer deutlicher erkannte Bonhoeffer den wahren Charakter des Faschismus, beispielsweise an der Unterdrückung und Verfolgung der Juden. Seine Zwillingsschwester emigrierte 1938 mit ihrem jüdischen Mann nach London. Die Selbstbeschränkung, die sich die Bekennende Kirche mit der Barmer Erklärung auferlegt hatte, akzeptierte Bonhoeffer nicht mehr. Es könne nicht darum gehen, die Opfer unter dem Rad zu verbinden, so formulierte er, sondern dem Rad in die Speichen zu fallen.
Im November 1937 erörtert Hitler vor einer kleinen Gruppe von Offizieren seine Kriegspläne. Hans von Dohnanyi, persönlicher Referent des Justizministers und ab 1939 Mitarbeiter im Stab von Admiral Canaris im Oberkommando der Wehrmacht, vermittelt seinem Schwager Dietrich Bonhoeffer erste Gespräche mit Offizieren, die ein Attentat auf Hitler vorbereiten. Im Sommer 1940 wird Bonhoeffer dann Offizier der Abwehr mit dem Standort München. Er unternimmt Reisen ins Ausland, nach Norwegen, Schweden, in die Schweiz. Seine kirchlichen internationalen Kontakte nutzt er, um politisch Verantwortliche über Kriegspläne der Nazis zu informieren, und bittet um Unterstützung der Opposition. In London beispielsweise wendet er sich über den Bischof der anglikanischen Kirche an den britischen Außenminister Anthony Eden. Der antwortet, dass eine Unterstützung der deutschen Opposition nicht im nationalen Interesse Großbritanniens liege.
Die theologische Reflexion, die Bonhoeffer zu diesem Schritt geführt hat, beschreibt er im Buch »Ethik«. Stand früher der Begriff »Gehorsam gegen Gott« im Mittelpunkt, so hat er den zwar nicht aufgegeben, sondern reflektiert ihn im Zusammenhang mit Begriffen wie »Verantwortung«, »Risiko«, »Freiheit« usw. – wohl wissend, dass der Schritt hin zur Gewalt ihn schuldig werden lässt am Gebot »Du sollst nicht töten«. Diese schwere Entscheidung kann er nur als Einzelner treffen – außerhalb der Gemeinschaft, der er jahrelang verbunden war. Die langen Ausführungen in der »Ethik« machen deutlich, wie er mit sich gerungen hat, bevor er für militärischen Widerstand arbeitet.
Hingerichtet nach Schnellverfahren
Im 4. April 1943 werden er, Hans von Dohnanyi und andere verhaftet wegen »Wehrkraftzersetzung« und in das Untersuchungsgefängnis der Wehrmacht nach Tegel gebracht. Dort verbleibt Bonhoeffer anderthalb Jahre und kann schreiben, teils durch die Zensur gefiltert, teils an der Zensur vorbei: theologische Abhandlungen, die oft bruchstückhaft geblieben sind, Gedichte, Briefe an seine Angehörigen und seinen Freund, der ebenfalls Theologe und nun Soldat an der Front ist. Nach 1945 wird der Freund alles veröffentlichen unter dem Titel »Widerstand und Ergebung«.
Der Heeresrichter Karl Sack, der dem Kreis um Canaris angehörte, konnte das juristische Verfahren verschleppen, so dass es nicht vor den Volksgerichtshof gelangte. Bonhoeffer, Canaris und andere wurden in den Keller des Gestapo-Gefängnisses in der Prinz-Albrecht-Straße gebracht – heute bekannt unter dem Namen »Topographie des Terrors« – von da aus nach weiteren Zwischenstationen ins bayerische KZ Flossenbürg. Eine Mittäterschaft am Attentat des 20. Juli konnte ihm und anderen nicht nachgewiesen werden. Hans von Dohnanyi hatte aber Verbrechen der Nazis akribisch aufgezeichnet. Diese Aufzeichnungen, die auch Bonhoeffers Namen enthielten, bildeten eine Grundlage des Todesurteils. Am 8. April 1945 wurden Dietrich Bonhoeffer, Wilhelm Canaris, Hans Oster, Karl Sack und Ludwig Gehre im Schnellverfahren, ohne Anwalt und ohne Zeugen zum Tode durch den Strang verurteilt und am 9. April hingerichtet, am selben Tage wie Hans von Dohnanyi im KZ Sachsenhausen.
Die Eltern Paula und Karl Bonhoeffer verloren von vier Söhnen zwei im Widerstand gegen die Nazis, ebenfalls zwei von vier Schwiegersöhnen.
Nach 1945
In der Bundesrepublik bemühten sich Angehörige, politisch und kirchlich engagierte Gruppen oder Einzelpersonen um Rehabilitation von Bonhoeffer und der anderen, die die Nazis gegen Kriegsende auf Grund von Schnellverfahren ermordet hatten.
Aber das Urteil habe dem damaligen Recht entsprochen, deshalb sei den Richtern kein Vorwurf zu machen. Diese lebten also von einem guten staatlichen Einkommen, während die Menschen, für deren Tod sie verantwortlich waren, weiterhin als Verbrecher galten – bis zum »Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege«, das 1998 (!!) verabschiedet wurde.
Auch kirchliche Autoritäten brauchten Zeit, um Bonhoeffers Engagement anzuerkennen. Als 1953 eine Gedenktafel in Flossenbürg enthüllt wurde, blieb der bayerische evangelische Bischof fern mit der Begründung, Bonhoeffer sei kein christlicher, sondern nur ein politischer Märtyrer gewesen. Heute ist die offizielle deutsche evangelische Kirche stolz auf »ihren« Bonhoeffer und lebt so, als hätte es seine kirchenkritischen Worte nie gegeben. Im Gefängnis schrieb er 1944: »Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein ... Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.«
Auch Bonhoeffers Warnung vor dem Krieg und sein Engagement für den Frieden haben die Kirche nicht an der Einführung der Militärseelsorge gehindert. Mit ihr haben sich nur kleine Gruppen und Einzelpersonen wie Martin Niemöller kritisch auseinandergesetzt. Folgerichtig äußert sich auch heute die Kirche nicht kritisch zu Kriegsrhetorik und Kriegsvorbereitung.
Sie sollte sich aber erinnern an die Rede, die Bonhoeffer 1934 auf einer internationalen Kirchenkonferenz gehalten hat. Vor reichlich 90 Jahren forderte er die Verantwortlichen der Kirchen auf, ein ökumenisches Friedenskonzil einzuberufen, d.h. eine Weltkonferenz, die den Krieg verdammen und den Frieden als einzige Möglichkeit, ohne Wenn und Aber proklamieren sollte, um die drohende Katastrophe eines Krieges von bisher unbekannten Ausmaßen abzuwenden: »Die Stunde eilt – die Welt starrt in Waffen. Die Kriegsfanfare kann morgen geblasen werden – worauf warten wir noch? Wollen wir mitschuldig werden wie nie zuvor?« Ein Aufschrei, dem keine Antwort folgte. Auch deshalb trat Bonhoeffer dem militärischen Widerstand bei.
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