Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Wiederwahl von Präsident Chávez: Ein Sieg für Venezuela und mehr

Dr. Winfried Hansch, Vorsitzender der Alexander-von-Humboldt-Gesellschaft

 

Der Wahlsieg von Hugo Chávez mit 55‫ % und einem Vorsprung von etwa 1,5 Millionen Wählerstimmen bestätigt und festigt den Kurs der politischen, sozialökonomischen und staatlichen Veränderungen in Venezuela mit all seinen großen Erfolgen und vielen Problemen. Die historische Bedeutung dieses Sieges lässt sich in drei strategischen Dimensionen erfassen:

1. Nationale Bedeutung

Es ist der Sieg eines politischen Projektes zur gesellschaftlichen Veränderung einer Nation, dessen Akteure nicht durch einen bewaffneten Weg (Revolution, militärische Befreiung wie 1945 in Europa oder Aufstand progressiver Offiziere wie in Peru in den 60er Jahren) an die Regierung gekommen sind, sondern von einer Mehrheit des Volkes in die Regierungsgewalt berufen wurde. Damit ergibt sich in Lateinamerika nach der Allende-Regierung in Chile, deren Weg am 11. September 1973 blutig beendet wurde, in Venezuela für weitere 6 Jahre die Chance einer Veränderung der Gesellschaft, der Ökonomie, der Machtstrukturen und Methoden der parlamentarischen Demokratie.

Die zutiefst aufregende Seite des aktuellen bolivarischen Prozesses zeigt sich aber erst, wenn man den Mut hat, eine Projektion auf die möglichen Veränderungen der Gesellschaft Venezuelas im Jahre 2019 zu machen. Mit der Wiederwahl von Chávez und einer wenn auch knappen Mehrheit im Parlament können jetzt die Weiterentwicklung des Programms und erste praktische Schritte zur Gestaltung des bolivarischen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" als Alternative zum Kapitalismus bis zum Jahre 2019 gemacht werden.

Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass diese Prozesse nicht unumkehrbar sind. Eine Gefahr für den bolivarischen Prozess ergibt sich daraus, dass bei Nichteinlösen der Wahlversprechen und dem Weiterbestehen schwerwiegender aktueller Probleme wie Wohnungsmangel, Korruption und hohe Kriminalität der Präsident Venezuelas nach 3 Jahren Amtszeit abgewählt werden kann. Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano hat die Problematik im Dezember 2004 wie folgt formuliert: "Die Regierenden müssen Acht geben, dass sie am Ende nicht Realismus mit Verrat an sozialen Zielen verwechseln".

2. Bedeutung für ALBA

Ein Sieg des Kandidaten der Opposition, Capriles Radonski, hätte das Weiterbestehen von ALBA (Staatenbündnis "Alternativa Bolivariana para las Américas") unsicher gemacht und die Situation von Kuba, Nikaragua und Bolivien dramatisch erschwert. Capriles, der während des Putsches 2002 gegen Chávez maßgeblich am Sturm und der Besetzung der Botschaft Kubas in Caracas beteiligt war, hätte sicherlich alles getan, um die kubanische Revolution zu zerschlagen.

Venezuela ist seit mehr als einem Jahrzehnt ein wichtiger Handelspartner und engster politischer Verbündeter Kubas. Am Beispiel der Versorgung mit Erdöl zeigt sich dies deutlich. Kuba hat einen durchschnittlichen Tagesbedarf von Erdöl in Höhe von etwa 147.000 Fass. Die Eigenproduktion beträgt ca. 50.000 Fass. Venezuela liefert die täglich fehlenden 100.000 Fass Rohöl nach Kuba. Der bilaterale Handel belief sich 2011 nach offiziellen Ziffern auf einen Umfang von etwa 6 Mrd. Dollar, mit einem deutlichen Plus für Venezuela mit einem Export nach Kuba von 4,3 Mrd. und einem Import von etwa 1,7 Mrd. Dollar. Der Sieg von Capriles wäre für Kuba und seine Bevölkerung ebenso grausam geworden wie der Verrat von Gorbatschow 1988/1989 an Nikaragua und Kuba und wie der Zusammenbruch der Sowjetunion. Mit den Chavisten an der Spitze Venezuelas werden die progressiven Staaten Lateinamerikas das Projekt ALBA verstärkt fortsetzen können.

3. Globale Bedeutung

Die historische Bedeutung der Wiederwahl des Präsidenten Venezuelas ergibt sich aus der Bewertung der politischen Entwicklung, Stärkung und revolutionären Rolle Venezuelas bei den Veränderungen in Lateinamerika. Mit den Integrationsprojekten ALBA, UNASUR, CELAC, BANCOSUR, TELESUR usw. vergrößert sich im kommenden Sexenio die Chance, dass mit einem demokratisch und progressiv agierenden Lateinamerika ein neuer globaler Machtfaktor in der Weltpolitik entsteht und die traditionellen Machtblöcke in ihrem Einfluss begrenzt werden können.

Das wäre für Lateinamerika selbst von gravierender Bedeutung. Auf diesem Wege könnte noch wirksamer der Konterattacke begegnet werden, die durch die Rechte Lateinamerikas und ihre Verbündeten in den nordamerikanischen und europäischen Metropolen vorangetrieben wird. Das betrifft in erster Linie die Putschisten von Paraguay, Honduras und die Pazifische Allianz aus Chile, Kolumbien, Mexiko und anderen Staaten.

Mit einem strategisch agierenden progressiven Machtblock Lateinamerika könnte sich für die brennenden Probleme der Menschheit im 21. Jahrhundert eine größere Zahl von Handlungsmöglichkeiten ergeben. Auch diese Tatsache sollte für die Partei DIE LINKE Anlass sein, die Entwicklung in Venezuela solidarisch aufgeschlossen zu bewerten.

Das betrifft weltweit Fragen wie Krieg und Frieden, Beendigung der atomaren Bedrohung der Menschheit auf dem gesamten Planeten, Terrorismus, Armut und Hunger, Umweltzerstörung, Gesundheitsfürsorge für alle, Kostenlose Bildung für alle, Ausbeutung und Unterdrückung.

Aus all diesen strategisch bedeutsamen Veränderungen auf diesem Kontinent, die auch in den Fallstudien der US-Administration analysiert werden, ergibt sich der Hass und die Aggressivität der neoliberalen Machtzentren und der einheimischen Reaktion in Lateinamerika. Deshalb werden sie diese Entwicklungen, die gut für die Völker Lateinamerikas und des gesamten Planeten sind und nicht gut für das zügellose Weltkapital, nicht kampflos hinnehmen.

Die Wiederwahl von Chávez ist auch das unbestreitbare Ergebnis einer erfolgreichen Amtsführung eines Präsidenten mit Charisma und Verwurzelung im Volk, und 20 Jahre nach dem gescheiterten Aufstand von 1992 ein großer Sieg.

Die enge Bindung der gesellschaftlichen Veränderungen an eine Person zeigt auch die verwundbare Stelle des bolivarischen Prozesses. Das betrifft nicht nur die Gefahr einer Abwahl des Präsidenten nach der Halbzeit des Amtes im Jahre 2015. Es ist auch eine Frage von Leben und Tod des revolutionären Prozesses, dass in den Zirkeln der führenden politischen Akteure im Staat, in der PSUV, den anderen progressiven Parteien und in den Streitkräften Personen und Gruppen an den Schaltstellen der Macht aktiv bleiben, die das Projekt des "Sozialismus des 21. Jahrhundert" auf das Jahr 2019 projektieren und gestützt auf eine breite Volksbewegung unbeugsam für diese Ziele einstehen.

!Por ahora hasta 2019! - Bis jetzt bis 2019!

Unser Autor hat an der Präsidentschaftswahl am 7. Oktober 2012 in Venezuela als einer von 200 internationalen Wahlbegleitern teilgenommen. Aus Deutschland war er der einzige.