Die UN-Resolution 1973 – oder über die Unannehmbarkeit von Kapitel VII der Charta
Ellen Brombacher, Berlin
Nehmen wir für einen Moment an, es gäbe Gründe (gute oder weniger gute, oder beides), daß der Stamm der Bajuwaren – vorwiegend katholisch – dem die moderate Religionspolitik der evangelischen Bundeskanzlerin ohnehin ein Dorn im Auge ist, daß dieser Stamm der Bajuwaren also einen bewaffneten Aufstand vom Zaume brechen, Städte in nichtbayrischen Bundesländern erobern und auf Berlin zumarschieren würde. Es wäre mehr als wahrscheinlich, daß – unter Bruch der Verfassung – die Bundeswehr zum Einsatz käme, der Unterstützung preußischer oder thüringischer Stämme gewiß, um den Status quo in der BRD wieder herzustellen. Eine abstruse Annahme, die sich weder mit tiefer Sympathie für Horst Seehofer noch mit einer Parteinahme für Angela Merkel verbindet. Niemand käme wohl auf die Idee, aus einer solchen – konstruierten – Auseinandersetzung einen Krieg der Bundeskanzlerin gegen ihr Volk zu machen.
Ein solcher Sachverhalt allerdings in einem Land der dritten Welt, in dem es Öl und Erdgas gibt, ist ein "Grund", dieses Land mit modernsten Hightech-Waffen zu zerbomben, angeblich, um Zivilisten zu schützen. Libyen, so Wladimir Putin, der die Aggression gegen das Land scharf verurteilt, sei kein Land, das demokratischen Kriterien genüge. Sieht man einmal davon ab, daß der Begriff Demokratie sehr unterschiedlich interpretiert wird, so läßt sich doch feststellen, daß zur Durchsetzung demokratischer Kriterien immer nur dann Kriege geführt werden, wenn es für die Invasoren Erdöl, Kobalt oder andere Schätze zu holen gibt, zumindest aber Pipelines durch die betreffenden Länder gelegt werden sollen und/oder diese Staaten von strategischer Bedeutung für die internationale Politik sind. Das Gerede von den humanitären Interventionen beruht auf einer ebenso merkwürdigen Überzeugung wie die Vorstellung von einem Kapitalismus mit menschlichem Antlitz. John Maynard Keynes hat hierzu formuliert: "Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, daß widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden." Bei diesen Worten sieht man Sarkozy förmlich vor sich. Rudolf Stumberger hat im ND vom 22. März zur Charakterisierung des libyschen Bürgerkrieges, der mit massiver Militärhilfe des Westens zugunsten der Gaddafi-Gegner entschieden werden soll, treffende Worte gefunden: "Es kann so sein, daß die Verhältnisse ein bißchen komplizierter sind als uns die mediale Schablone vom 'Schlächter Gaddafi' hier und dem 'Volk' da glauben machen. Zu kompliziert vielleicht, als daß man sie aus der Kanzel eines Kampfflugzeuges heraus erkennen könnte."
Es hieße Eulen nach Athen tragen, würde hier erläutert, daß es in Libyen nicht um den Schutz von Zivilisten, sondern um Erdöl und – in Anbetracht der fortschrittlichen Massenbewegungen in Nordafrika und im arabischen Raum – um die militärische Sicherung strategischer Einflußmöglichkeiten geht. Da keines der dortigen Regime, das betrifft auch jene mit gewissen antiimperialistischen Zügen wie Libyen oder Syrien, mit Andersdenkenden sehr sanft umgeht, war es zunächst einmal nicht verwunderlich, daß sich auch in Libyen Proteste regten. Auf dieser Welle entwickelte sich ein bewaffneter Aufstand unter der Flagge des 1969 gestürzten Königs Idris, der in einen Bürgerkrieg mündete, in dem zunächst die Aufständischen und dann die Truppen der libyschen Armee die Oberhand gewannen. Die UN-Charta sieht für einen solchen Fall keinen militärischen Einsatz vor. Und: Wie selbstverständlich werden in Bahrain friedliche Demonstranten unter Zuhilfenahme saudischer Truppen unterdrückt. Die fünfte Flotte der US-Navy, die in Bahrain ihren Stützpunkt hat, sieht tatenlos zu. In Jemen wurden über Wochen friedliche Proteste zerschlagen und auseinander-kartätscht. Häufig ist im Kontext dieser unterschiedlichen Vorgehensweisen von zwei Maßstäben die Rede. Eigentlich ist das falsch. Es gibt nur einen Maßstab: Was dient den Interessen des Kapitals und was läuft diesen Interessen zuwider? Worum es dem Westen und einigen seiner Verbündeten auch in Libyen geht, das liegt auf der Hand. Am 21. März äußerte der Kommentator der ARD-Sendung "Börse im Ersten": "Der Krieg in Libyen hat keine Auswirkungen auf die Börse. Die Freiheitskämpfer verfolgt die Börse mit Sympathie." Eindeutiger geht es eigentlich nicht.
Laut einer emnid-Umfrage vom 12. März 2011 lehnten 80% der Bundesbürger eine Beteiligung der BRD an einer Militäraktion gegen Libyen ab. Sicher hat das Wissen um diese Stimmungen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit den seinerzeit unmittelbar bevorstehenden Landtagswahlen am 20. und 27. März, dazu beigetragen, daß Deutschland sich im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthielt. Ökonomische Gründe gab es selbstredend. Manche Linke schätzen das Abstimmungsverhalten der BRD gering, weil es sich um eine taktische Abstimmung gehandelt habe und die Bundeskanzlerin nun unentwegt erkläre, daß sie der Militäraktion zur Verwirklichung der Resolution 1973 viel Erfolg wünsche. Die deutsche Regierung gestatte den USA wie selbstverständlich, diesen Krieg auch durch die Nutzung von Militärbasen und -einrichtungen auf hiesigem Boden zu führen und die Bundeswehr trüge außerdem durch AWACS-Flüge über Afghanistan zur Entlastung der NATO bei. Das alles sind natürlich gewichtige Gründe für Kritik. Und die muß geübt werden. Und doch muß man zugleich die Stimmenthaltung der BRD begrüßen. Gäbe es im Land eine bellizistische Stimmung, so würden deutsche Kampfflugzeuge ihre Bombenlast wie die anderen über Libyen ausgeklinkt haben. Wer das Abstimmungsverhalten Deutschlands im Sicherheitsrat gering schätzt, der – ob er das beabsichtigt oder nicht – schätzt die Antikriegsstimmung in Deutschland gering. Und das wäre ein fundamentaler politischer Fehler. Hinzu kommt: Das besonders widerliche Verhalten von Grünen und SPD wird gerade dadurch deutlich, daß sie die schwarz-gelbe Koalition in der Libyenfrage faktisch rechts überholen. Das darf man weder ihnen selbst noch jenen in unserer Partei schenken, die meinen, mit diesen beiden Parteien ließe sich auf Bundesebene ein substantieller Politikwechsel herbeiführen. Mit denen in einer Koalition würde sich nur unsere Partei substantiell verändern. Das wäre verheerend. DIE LINKE hat zweifelsfrei ihren Anteil an einer Antikriegsstimmung im Land. Und daran, daß unsere Partei hier eine gute Rolle spielt, hat wiederum die KPF ihren Beitrag geleistet.
Die libyschen Ereignisse haben erneut und vielleicht deutlicher denn je unter Beweis gestellt, daß es für Linke kein Ja zu Militäreinsätzen geben kann, und wenn hundert Mal ein Beschluß des UN-Sicherheitsrates vorliegt. Diese Position werden wir auch in der Programmdebatte weiterhin konsequent vertreten.
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