Die politische Agenda rückt nach rechts
Dr. Johanna Scheringer-Wright, Gotha
Die AfD – Motor oder Produkt dieser Entwicklung? - Überlegungen zum 5. Jahrestag der AfD-Gründung
Die Alternative für Deutschland (AfD) wurde am 6. Februar 2013 als bundesweite Partei gegründet. Inzwischen hat diese Partei nach eigenen Angaben 29.000 Mitglieder [1]. Der Einfluss der AfD gründet sich aber weniger auf die Zahl ihrer Mitglieder, sondern eher darauf, dass sie Stimmungen in der Bevölkerung auffängt oder schürt und wiederum bestimmte Themen immer wieder setzt. Die AfD agiert aber nicht im luftleeren Raum, ihre Ressentiments fallen offensichtlich auf fruchtbaren Boden in der deutschen Gesellschaft. Wie kommt das und was bedeutet das für die politische Stimmung insgesamt in unserem Land?
Preis der Globalisierung
Seit dem Ende der DDR, der Abwicklung ihrer sozialen Errungenschaften und wirtschaftlichen Grundlagen und der darauf folgenden Durchsetzung des Neoliberalismus wurde der Sozialstaat immer stärker beschnitten. Eine gigantische Umverteilung von unten nach oben wurde durchgeführt. Viele dieser sozialen Verschlechterungen wurden ab 1998 gerade durch SPD/Grünen-Regierungen durchgeführt. So war es die Steuerreform im Jahr 2000, die dazu führte, dass niedrige Einkommen durch die Senkung des Steuereingangssatzes viel stärker besteuert wurden und gleichzeitig Reiche durch die Senkung des Spitzensteuersatzes entlastet wurden. Im Jahr 2005 folgte die Einführung der sogenannten Hartz-IV-Gesetze, die dazu führte, dass Menschen, die arbeitslos wurden, nach kurzer Zeit in Armut und Bevormundung landeten. Diese »Reformen« riefen bei vielen Menschen Protest hervor und führten auch zu einer tiefen Enttäuschung und Abwendung von der Sozialdemokratie. Auch Existenzängste griffen immer mehr um sich.
In einer neuen Welle der Globalisierung wurde ein Finanzkapitalismus entfesselt, der in den ersten zehn Jahren des neuen Jahrtausends auch Krisen erlebte. Die Krise der Banken, die immer stärkere Verschuldung einzelner Staaten auch und gerade in der EU, führten wiederum zu einem enormen Transfer aus öffentlichen Kassen in die privaten Konten der Banken und Aktionäre.
Der globalisierte Kapitalismus machte es selbst Mittelstandsunternehmen nicht immer leicht, auf dem Weltmarkt mitzuhalten. Auch die Gefahren der Übernahmen durch Investmentfonds, Hedgefonds und ähnliche Shareholder-Unternehmen ließen die rechtskonservativen, national orientierten Wirtschaftskreise in Deutschland nicht kalt.
Das Unbehagen, der Frust und die berechtigte Kritik der Menschen wurden durch bestimmte Medien geschickt geleitet. Der Euro, die EU und die »faulen Griechen« wurden zu Feindbildern geformt, um Wut zu kanalisieren und um grundsätzliche Kritik am kapitalistischen System umzuleiten.
Vor diesem Hintergrund traf sich eine Reihe von Wirtschaftsleuten, die mit der Politik von Merkels CDU und der FDP unzufrieden waren. Die AfD wurde gegründet. Sie speiste sich durchaus aus konservativen und rechtskonservativen Überzeugungen sich »christlich« nennender konservativer, liberaler oder auch sozialdemokratischer Protagonisten, aber auch rechter, selbst völkischer Nationalisten. Die Parolen der AfD fanden Widerhall in Kreisen, die davon überzeugt sind, dass Deutschland verliert, dass sie selbst verlieren und dass ihre Existenz bedroht ist. Zum Teil ist dies auch der Fall, so bei Erwerbslosen und Kleinstunternehmern.
Repression statt Konzeption
Bald nach der Gründung der AfD wurde ein neues Feindbild »geboren«, das Deutschland und die Deutschen bedrohte: die Flüchtlinge. Die Ursachen, nämlich der von außen organisierte Niedergang ganzer Staaten im arabischen Frühling, die Ermordung Gaddafis und das Auseinanderfallen von Libyen und der afrikanischen Union, der Krieg in Syrien und der Klimawandel, wurden und werden kaum thematisiert.
Als die Flüchtlinge nach Deutschland einwanderten, musste der Zusammenhang von Fluchtursachen und der Verantwortung insbesondere von Deutschland auch deutschen Politikern und der Bundeskanzlerin Merkel bewusst gewesen sein. Aus diesem Wissen und vielleicht auch aus einem christlich-humanitären Anspruch heraus prägte die Kanzlerin damals den geflügelten Ausspruch »Wir schaffen das«. Damit wollte sie jedoch auch beschwichtigen. Es sollte davon ablenken, dass Armut auch vor der Einwanderung von Flüchtlingen schon ein gesamtdeutsches Problem war und viele Menschen durch die Jobcenter und die Grundsicherungsämter geknechtet wurden. Die Regierung Merkel unternahm keine Anstrengungen, um die Aufnahme der Geflüchteten sozial für alle umzusetzen. Auch die CDU/CSU-Ministerpräsidenten machten hier keine Ausnahme. Noch 2014 hatte der bayrische Ministerpräsident gegen rumänische und bulgarische Arbeitnehmer gewettert. Die Diskriminierung von Rumänen, die schnell auch auf Roma und Sinti übertragen wurde, egal woher sie kamen, war Befeuerung für das chauvinistische Gefühl der einheimischen Bevölkerung. Schon in dieser Zeit wurden aus CSU und CDU Forderungen laut, Kontrollen und die Ausweisung von Menschen, die angeblich nur in deutsche Sozialsysteme einwandern wollten, zu verstärken.
Wie im Jahr 1993, als die vor dem Jugoslawienkrieg Geflohenen in Deutschland durch Neonazis massiv bedroht wurden und die Regierenden den Konflikt damit zu lösen versuchten, dass sie das Grundgesetz änderten und das Asylrecht einschränkten, antworteten die regierenden Parteien 2015 und 2017 und jetzt mit der neuen GroKo wieder mit gravierenden Asylrechtsverschärfungen.
Die Reihe von Gesetzesverschärfungen umfasst jedoch nicht nur die Asylrechtsgesetzgebung. Auch in anderen Bereichen werden unter dem Eindruck von Terroranschlägen und sogenannter organisierter Kriminalität Gesetzesverschärfungen durchgezogen. Abhörmaßnahmen und Handyauslesungen beschränken sich längst nicht nur auf Flüchtlinge. Die grundlegende Einschränkung des Versammlungsrechtes und die Errichtung von Abschiebezentren für abgelehnte Asylbewerber in Bayern haben in der Bundesrepublik kaum negative Schlagzeilen gemacht. Ein Ministerpräsident, der diese Einschränkungen der Demokratie in seinem Bundesland durchgesetzt hat, schickt sich jetzt als Bundesminister für Inneres und Heimat an, solche und weitere Maßnahmen, wie zum Beispiel die verpflichtenden medizinischen Untersuchungen zur Feststellung des Alters von jungen Geflüchteten, im Bund durchzusetzen.
Gesellschaftliches Klima und linke Glaubwürdigkeit
All diese Gesetzesverschärfungen und die sie begleitende fremdenfeindliche Propaganda schaffen ein gesellschaftliches Klima, in dem bis in bürgerliche Parteien hinein, ja sogar bis ins links-liberale und linke Lager hinein, Freiheitsbeschränkungen, Kontrollmechanismen und Regelungswut durchaus als adäquates Mittel zur gesellschaftlichen Befriedung akzeptiert werden. Weil die Gesellschaft offenbar mehrheitlich so tickt, will man nicht völlig gegen den Strom schwimmen, sondern Grundrechtseinschränkungen nur minimieren oder ihre Auswirkungen verbessern.
Dies zeigt sich nicht zuletzt an der im Auftrag der ostdeutschen linken Fraktionsvorsitzenden durch die »Projektgruppe Einwanderung« vorgelegten »Konzeption für eine linke Flüchtlings- und Einwanderungsgesetzgebung«. Auch beim Thema »Sicherheit« lassen sich LINKE fangen. Beispielsweise haben im vergangenen Jahr die Länder Thüringen, Brandenburg und Berlin gemeinsam mit Sachsen und Sachsen-Anhalt ein länderübergreifendes Abhörzentrum in Leipzig auf den Weg gebracht. Obwohl es unter linken Parlamentariern durchaus Widerstand gab, weil gerade publik geworden war, dass in Sachsen Personengruppen illegal abgehört worden waren, wurde leider im Thüringer Landtag mit den Stimmen der AfD, der CDU und – außer einer – aller regierungstragenden Fraktionen, einschließlich der LINKEN, diesem Abhörzentrum zugestimmt.
Trotz dieser Politik hin zu »Law and Order«-Mentalität, der Verschärfungen der Asylrechts und trotz drastisch reduzierter Flüchtlingszahlen aufgrund des Türkei-Deals, der geschlossenen Balkanroute und der Wirkung von FRONTEX erlebte die AfD bei Wahlen, zuletzt bei der Bundestagswahl, einen ungebrochenen Aufschwung. Es ist offensichtlich, dass all die Anstrengungen der konservativen und neoliberalen Parteien und der Sozialdemokratie, die Gemüter durch mehr Abschiebungen, mehr Abschottung, mehr Asylrechtseinschränkungen und mehr »Sicherheitsmaßnahmen« zu beruhigen, nicht den gewünschten Erfolg in den Wählerschichten bringen, die damit anvisiert werden.
Wird dies von den genannten Parteien erkannt? Offenbar nicht. Selbst ein rot-rot-grün regiertes Land wie Thüringen rühmt sich, inzwischen nicht mehr Letzte im Bundeslandranking bei Abschiebungen zu sein. Als ob es zur Ehre gereichte, in einen Abschiebewettbewerb der Bundesländer einzutreten.
Abschließend ist zu bemerken, dass die herrschende Politik und breite Teile der Gesellschaft nach rechts rücken. Insofern ist die AfD beides, Ausdruck dieses Rechtsrucks, wie auch aktiver Motor dieser Entwicklung. Mit der neuen Großen Koalition und ihrer Regierung ist dieser Rechtsruck sicher nicht abgeschlossen. Die Frage ist, ob Linke Haltung bewahren oder sich ebenfalls drücken lassen.
Natürlich basieren beispielsweise Abschiebungen auf Bundesgesetzgebung. Aber was wollte eine Bundesregierung machen, wenn kaum Abschiebungen durchgesetzt würden, weil eine links geführte Landesregierung durch Winterabschiebestopps und die strikte Einhaltung humanistischer, sozialer und gesundheitlicher Vorgaben die Zahl der Abschiebungen drastisch verringerte? Die Zeiten sind doch noch nicht wieder so, dass das Militär nach Thüringen geschickt werden könnte, um die Regierung botmäßig zu machen [2].
Die Frage nach Haltung und Stärke, auch in einer links geführten Regierung, um den Zeitgeist wieder in die andere Richtung zu schieben, stellt sich ganz dringend. Sie stellt sich nicht zuletzt deshalb, weil es darum geht, Glaubwürdigkeit als sozialistische Partei zu behalten – als Partei, für die Menschenrechte, Gleichheit und Freiheit keine verhandelbaren Werte sind.
Johanna Scheringer-Wright ist Abgeordnete der LINKEN im Thüringer Landtag.
Anmerkungen:
[2] Im Oktober 1923 trat die KPD in eine Koalitionsregierung mit der SPD ein und stellte im Frölich-Kabinett II zwei Minister. Im November ließ der Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) mit der Reichswehr durch die sogenannte Reichsexekution diese Regierung auflösen.
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