Die Nachricht, die einem den Atem verschlug
Helga Labs, Berlin
Gratulation für unseren Fliegerkosmonauten
Diese Nachricht verschlug einem den Atem: 26. August 1978; Die Interkosmos-Besatzung Waleri Bykowski und Sigmund Jähn startete im sowjetischen Baikonur mit dem Raumschiff Sojus 31 ins All. Einer von uns – der DDR-Bürger Sigmund Jähn – auf dem Flug ins Weltall! Wir waren freudig überrascht, stolz und glücklich zugleich.
Als erster Deutscher im All
Kurz vor seinem Start hatte Sigmund Jähn folgende Erklärung abgegeben: »Mir, einem Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, ist als erstem Deutschen die große Ehre zuteil geworden, mit dem sowjetischen Raumschiff Sojus 31 und der Orbitalstation Salut 6 im Kosmos zu fliegen. Dieses für unser Land historische Ereignis betrachte ich als Ausdruck des festen Bruderbundes der DDR und der Sowjetunion. Ich bin stolz, dass sich unser Land aktiv am Programm der sozialistischen Länder Interkosmos beteiligt, das auf die Erkundung und Nutzung des Weltraums im Interesse der Wissenschaft und Volkswirtschaft gerichtet ist. Ich widme diesen Flug dem 30. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik, meinem sozialistischen Vaterland«.
Diesem Augenblick war für Sigmund Jähn eine lange und angestrengte Zeit der Ausbildung vorangegangen: als Offiziersschüler an der Fliegerschule Bautzen, als Student an der Militärakademie der Luftstreitkräfte »J. A. Gagarin« in Monino bei Moskau, die er als Diplom-Militärwissenschaftler abschloss. Als er dann in den engeren Kreis der für den Weltraumflug infrage kommenden Jagdflieger aufgenommen worden war, absolvierte er schließlich im Rahmen des Interkosmosprogramms sowohl in der DDR als auch im Sternenstädtchen eine spezielle Ausbildung für Kosmonauten.
»Herzlichen Dank!«
Seine reichen Erfahrungen als begeisterter Jagdflieger, seine gründliche theoretische Ausbildung, wie auch das anspruchsvolle, zum Teil bis an die Grenzen der körperlichen Belastung gehende Training, befähigten ihn, das für uns unvorstellbare Programm als Kosmonaut zu bewältigen. Dazu zählten die vornehmlich hohe nervliche und körperliche Anstrengung, die Gewöhnung an die Schwerelosigkeit im All und insbesondere das umfangreiche wissenschaftliche Arbeitspensum an Bord der Orbitalstation.
In seinem Buch »Erlebnis Weltraum« schreibt Sigmund Jähn: »Mein Erlebnis Weltraum – unvergesslich, aber schwer mit Worten wiederzugeben – war also am 3. September 1978 um 14:40 Uhr beendet. Aber das Ende stellte sich als neuer Anfang heraus. Die Begegnungen mit meinen Landsleuten aller Altersklassen, ihre Fragen, Briefe, die Gespräche an Arbeits- plätzen unter Tage und auf freiem Feld, in Schulklassen und Hörsälen, mit den Genossen der NVA, all das war für mich ein großes Erlebnis«.
Und für uns alle, die wir unseren Kosmonauten erleben durften, war es ebenso. Vor mir liegen zwei Fotos aus meiner Zeit als Vorsitzende der Pionierorganisation: Mit einer Veranstaltung im Palast der Republik in Berlin begingen wir im Dezember 1978 den 30. Geburtstag der Pionierorganisation und gefeierter Gast war unser Kosmonaut. Geehrt mit dem roten Halstuch der Thälmann-Pioniere, stellte er sich bereitwillig den Fragen des Reporters unserer Pionierzeitung »Trommel«.
Mit seiner umwerfenden Natürlichkeit und warmherzigen Worten begeisterte er die im großen Saal des Palastes versammelten Mädchen und Jungen. Dass so ein Weltraumflieger, ein Held der Sowjetunion und der DDR, ein General der Armee sein konnte, fanden sie einfach »Klasse!« Das zweite Foto zeigt Sigmund Jähn 1979 inmitten der Gäste bei der Einweihung des Pionierpalastes »Ernst Thälmann« in der Berliner Wuhlheide. Was lag näher, als ihn zu bitten, das dortige Kosmonauten-Zentrum zu eröffnen. Auf die darin befindliche Imitation des Raumschiffes »Sojus« schrieb er, so wie er es bei der Landung getan hatte, »Herzlichen Dank«!
Dank an unsere kinderfreundliche Republik, die mit diesem Haus für die Heranwachsenden so vielfältige Möglichkeiten geschaffen hat, Talent und Forscherdrang zu beweisen! Sigmund Jähn übernahm die Patenschaft über das Zentrum, jetzt Raumfahrtzentrum »orbitall« genannt. In all den zurückliegenden Jahren stand er den Mitarbeitern mit Rat und Tat zur Seite. Er lud westdeutsche Astronautenkollegen hierher ein, stellte sich in den internationalen Sommerlagern »Spacecamps« den Fragen der jungen Gäste und sorgte 2015 mit für die würdevolle Einweihung einer Gagarin-Büste.
Sein besonderes Verhältnis zu Kindern rührt sicher nicht nur aus der Zeit, in der er nach seiner Lehre zum Buchdrucker als Pionierleiter tätig war. Allem voran ist er liebevoller Vater und Großvater. So gesehen liegt es in seiner gesamten Persönlichkeit. Tiefe Menschlichkeit, Herzenswärme, Bescheidenheit und die Gabe, auf die Menschen zuzugehen, das sind Eigenschaften, die er immer und überall lebt und mit denen er die Menschen, die ihm »auf Erden« begegnen, sofort für sich einnimmt.
… und seine Landsleute mögen ihn
Äußerst beeindruckend war es für mich zu spüren, welch herzliche Freundschaft, ja Brüderlichkeit ihn mit den sowjetischen Menschen, insbesondere den Kosmonauten verbindet. Wir erlebten ihn mit Waleri Bykowski, dem Kommandanten des Raumschiffes Sojus 31, als ein Herz und eine Seele. Für den gleichen Humor spricht beispielsweise, dass sie im All eine Hochzeit zwischen den mitgebrachten Puppen Sandmann und der Mascha aus dem sowjetischen Fernsehen inszenierten. Mit großer Hochachtung spricht er von den Leistungen der sowjetischen Spezialisten im Sternenstädtchen. Und den Hut zieht er noch heute vor den Kosmonauten Wladimir Kowaljonok und Alexander Iwantschenko, mit denen er eine Woche in der Orbitalstation verbrachte. Er bewunderte ihre außergewöhnliche Energie und Willenskraft, trotz der außerordentlich komplizierten Lebensbedingungen alles für die weitere Weltraumerkundung zu geben.
Für sein kameradschaftliches und solidarisches Verhalten spricht nicht zuletzt seine Haltung zu seinem Freund Eberhard Köllner, der wie er alle Stationen der Kosmonautenausbildung durchlaufen hatte, aber immer das Double blieb.
Überaus sympathisch macht ihn seine Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit. Er mag sein schönes Vogtland und seine Landsleute mögen ihn.
Im ND vom 27. August 1978 ist zu lesen: »Der idyllische, von herrlichen Bergwäldern umgebene Ort Rautenkranz im Tal der Zwickauer Mulde war aus dem Häuschen – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Nachricht, dass Sigmund Jähn als erster deutscher Kosmonaut die Erde umrundet, brachte die Einwohner in Bewegung. Treffpunkt war die Frischhütte, und schon bald glich der Platz vor dem Ferienheim einem Festgelände«.
Auch aus der Sicht der NVA-Angehörigen, die mit ihm vor und auch nach der Kosmonautenlaufbahn zusammengearbeitet haben, war er stets ein zuverlässiger, freundlicher Mitarbeiter und Kamerad, der auch, wenn es sein musste, eine kritische Einstellung zu seiner Arbeit nicht scheute.
Das trifft auf seinen Dienst als Pilot im Jagdgeschwader ebenso zu wie auf seine langjährige Tätigkeit im Stab des Kommandos Luftstreitkräfte/Luftverteidigung in Strausberg. Auch als er nach dem Raumflug bis zum Dienstgrad eines Generalmajors aufstieg, bescheinigte man ihm Bescheidenheit und Kameradschaft.
Der Saal war überfüllt
All diese Eigenschaften, gepaart mit seinen Erfahrungen als Kosmonaut, waren es, die ihn weit über 1990 hinaus zum gefragten Begleiter bundesdeutscher Astronauten bei deren Ausbildung an russischen Raumfahrzeugen machten. Diese achteten ihn nicht nur als sachkundigen und aufrichtigen Kollegen, manchmal kam er ihnen wie ein magischer Türöffner vor, der unkompliziert bürokratische Hürden beseitigte. Er hatte etwas, das sie nicht haben konnten: Er kannte, verstand und liebte die russische Seele.
Bereits 1979 wurde er zum Chef des Zentrums für Kosmische Ausbildung im Kommando der Luftstreitkräfte berufen und blieb es bis zum Jahre 1990.
1983 promovierte er am Zentralinstitut für Physik der Erde in Potsdam auf dem Gebiet der Fernerkundung der Erde. Dies geschah unter Leitung seines Freundes Karl-Heinz Marek, der zu diesem Zeitpunkt Leiter des Bereichs Fernerkundung am Zentralinstitut war. Seine Doktorarbeit beruhte unter anderem auf den gemeinsamen wissenschaftlichen Ausarbeitungen des Fluges.
Meine jüngste Begegnung mit Sigmund Jähn war am 28. Mai 2013. Mit Freude hatten wir im Seniorenklub im Karl-Liebknecht-Haus erfahren, dass er unserer Bitte, bei uns zu referieren, gern nachkam. In der Ankündigung hieß es:
»Raumfahrt – gestern – heute – und morgen, Deutsche Beiträge zur bemannten Raumfahrt«. Referent: Dr. Sigmund Jähn, Fliegerkosmonaut der DDR.
Der Rosa-Luxemburg-Saal war überfüllt, und die Begeisterung für unseren Gast ungebrochen, wie eh und je. 35 Jahre nach seinem Ausflug ins All war er der gleiche von einst geblieben. Eben einer von uns.
In diesem Monat feiert Sigmund Jähn den 80. Geburtstag. Auf welch ein Leben kann er zurückblicken! Es verlangte von ihm unendlichen Fleiß, die Bereitschaft, unaufhörlich zu lernen, eiserne Disziplin und die persönlichen Interessen mit den gesellschaftlichen in Übereinstimmung zu bringen. Dabei war ihm immer auch die Familie wichtig. Mit Dankbarkeit erinnert er sich seiner Eltern.
Lieber Sigmund, wir gratulieren Dir von ganzem Herzen zu dieser Lebensleistung. Ich bin gewiss, auch im Namen der Leserinnen und Leser dieses Heftes zu sprechen. Wir danken Dir für alles, was Du für die Wissenschaft, für unser Land, für die Völkerverständigung getan hast.
Wir wünschen Dir weiterhin beste Gesundheit, Wohlergehen gemeinsam mit Deiner Gattin, den Kindern und Enkelkindern sowie Optimismus und Zuversicht, dass die Welt friedlicher wird und uns unsere schöne Erde, so wie Du sie aus dem Kosmos gesehen hast, erhalten bleibt.