Die Münchener Konferenz der Ministerpräsidenten deutscher Länder im Juni 1947
Dr. Joachim Mitdank, Berlin
Der Bayerische Ministerpräsident Dr. Hans Ehard übermittelte am 7. Mai 1947 den Ministerpräsidenten aller Länder der vier Besatzungszonen eine Einladung zu einer Konferenz in München vom 6. bis 8. Juni 1947, deren Gegenstand "die Beratung von Maßnahmen sein soll, die von den verantwortlichen Ministerpräsidenten den alliierten Militärregierungen in Vorlage gebracht werden sollen, um ein weiteres Abgleiten des deutschen Volkes in ein rettungsloses wirtschaftliches und politisches Chaos zu verhindern.
Das deutsche Volk ist physisch und seelisch nicht mehr fähig, einen neuen Winter mit Hunger und Frieren im Wohnungselend zerstörter Großstädte, in wirtschaftlicher Auszehrung und in politischer Hoffnungslosigkeit abzuwarten. ...
Die Bayerische Regierung hofft, daß die Ministerpräsidenten der Länder in allen vier Zonen an den Beratungen teilnehmen, um ihr grundsätzliches Bekenntnis zur Zusammengehörigkeit aller Teile Deutschlands darzutun und den Willen zum gemeinsamen Aufbau einer neuen staatlichen Form."1
Die Ministerpräsidenten der Ostzone antworteten am 28. Mai: "Das Zusammentreffen des Sächsischen Ministerpräsidenten Dr. h. c. Friedrichs mit Ihnen in Hof hatte den Zweck, auf Grund Ihrer Einladung die Beratung gesamtdeutscher Fragen vorzubereiten und deren erfolgreiche Durchführung anzustreben. In der Erkenntnis der Not unseres Volkes sind wir bereit, jeden Weg zu gehen, welcher der Behebung dieser Not dient. Mit Bedauern entnehmen wir aus dem Bericht des Sächsischen Ministerpräsidenten, daß Sie unserem Vorschlage, die Beratung der gesamtdeutschen Fragen auf breiteste, demokratische Grundlage zu stellen, nicht zugestimmt haben. Die Probleme, deren Lösung wir gemeinsam anstreben, betreffen das ganze deutsche Volk und gehen über den Rahmen der einzelnen Länder weit hinaus. Bei ihrer Größe und ihrer Bedeutung sind sie nur durch Mitwirkung des gesamten Volkes und seiner berufenen Vertreter zu lösen. Bis zum Zustandekommen einer gesamtdeutschen Volksvertretung halten wir in erster Linie auch die Parteien und Gewerkschaften für die berufenen Vertreter gesamtdeutscher Interessen.
Wir sind der Auffassung, daß der in der Hofer Besprechung gemachte Vorschlag, Parteivertreter oder Landtagspräsidenten lediglich als Begleiter der Ministerpräsidenten mitzubringen, diesen Erfordernissen nicht gerecht wird. Eine Konferenz, die ausschließlich von Ländervertretern beschickt ist, schließt nach den Erfahrungen der deutschen Geschichte die Gefahr des Vorwärtstreibens partikulärer Länderinteressen und damit einer Aufspaltung unseres Volkes in sich. Die Not unseres Volkes verlangt gebieterisch, alles zu unterlassen, was geeignet ist, den Einheitswillen zu gefährden. ...
Deshalb schlagen wir Ihnen vor:
1. Nochmals ernstlich zu prüfen, die Konferenz unter Einbeziehung der Vertreter der Parteien und Gewerkschaften einzuberufen. Das um so mehr, als Aussicht besteht, daß sich die Parteien in Bälde über eine gesamtdeutsche Beratung und die Schaffung einer nationalen Repräsentation verständigen werden.
2. In den Mittelpunkt der Tagesordnung die Schaffung der wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands zu stellen, da nur durch sie den Nöten der Länder und des deutschen Volkes mit Aussicht auf Erfolg begegnet werden kann.
3. In Anbetracht des gesamtdeutschen Interesses den Tagungsort nach Berlin, der Hauptstadt Deutschlands, zu verlegen, die zudem der Sitz der vier Besatzungsmächte und des Kontrollrats ist. Die ernste Lage unseres Vaterlandes erfordert, alles Trennende beiseite zu stellen und nur ein Ziel zu sehen: Milderung der Not unseres Volkes und Herbeiführung der Einheit Deutschlands. Wir würden es begrüßen, wenn Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Ihre Stellungnahme im Sinne unserer Vorschläge einer nochmaligen Prüfung unterziehen würden. Wir bitten Sie, uns das Ergebnis bald mitteilen zu wollen, damit eine etwa erforderlich werdende Verzögerung tunlichst kurz ausfällt."2
Der Bayerische Ministerpräsident erwiderte am 30. Mai: "Die Gesichtspunkte, die der Herr Sächsische Ministerpräsident Dr. h. c. Friedrichs in der Besprechung mit mir am Abend des 23. Mai in Hof vorbrachte, wurden hier noch einmal einer eingehenden Prüfung unterzogen. Ich wiederhole die Einladung zu der Konferenz in München mit besonderer Herzlichkeit und darf der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Regierung, der Sie vorstehen, unserer Initiative zur Zusammenfassung aller deutschen Länder und Freien Städte zu praktischer Arbeit ihre Unterstützung leihen wird. ..."3
Die Sitzung eröffnete Dr. Ehard als Vorsitzender. In der Aussprache hielt es Dr. Paul (Thüringen) für zweckmäßig zu erklären: "Zwei Fronten sitzen sich gegenüber, bemißtrauen sich, und die eine fühlt sich besser als die andere. Sie hat nicht Asiens Söhne als Besatzungsmacht und vergißt, daß die Sowjets von den Deutschen der Sowjetzone nicht gerufen wurden und für diese ein Kreuz von ganz besonderer Schwere bedeuten."4 Paul verließ am 1. September die Ostzone gen Westen.
Im Verlauf des Abends brachte Ministerpräsident Höcker von Mecklenburg das einzige Sonderanliegen der Ostzone vor: "Ich beantrage, als entscheidende Voraussetzung für die Verhandlungen der Konferenz als ersten Punkt auf die Tagesordnung zu setzen:
Bildung einer deutschen Zentralverwaltung durch Verständigung der demokratischen deutschen Parteien und Gewerkschaften zur Schaffung eines deutschen Einheitsstaates."5
Der angeblich "überraschende" Antrag der Ostzone, mit dem die Westzonenvertreter natürlich gerechnet hatten, besaß starke propagandistische Wirkung. Man konnte ihn nicht einfach mit dem Hinweis abtun, politische Gespräche seien in München – aus welchen Gründen auch immer – unerwünscht. Jedoch: Das Anliegen war "von vornherein zum Tode verurteilt"6. Die Vertreter der französischen Zone führten handfeste Gründe an: Sie erklärten, ihre Besatzungsmacht verbiete ihnen die Erörterung politischer Fragen. So verhielten sie sich in der Besprechung "ausgesprochen scheu und reserviert".7
Ohne Bezug auf eine Besatzungsmacht widersetzten sich fast alle SPD-Regierungschefs dem Sowjetzonen-Antrag. Während des fruchtlosen "Hin und Her" (Paul) wurde der Ton der Debatte immer gereizter. So flüchtete sich Ministerpräsident Lüdemann in parteipolitische Polemik und erklärte, zu den Ostzonen-Vertretern gewandt: "Wir möchten Sie jetzt mal darauf hinweisen, daß die SPD bis heute noch nicht in der sowjetischen Zone zugelassen wurde." Paul erwiderte Lüdemann, die SPD habe in der Ostzone ja noch keinen Antrag auf (Wieder-)Zulassung gestellt.8
Nach knapp zweistündiger fruchtloser Debatte zogen sich die ostzonalen Regierungschefs zu einer Sonderberatung ins Nebenzimmer zurück; an ihr nahm auch der jetzt erst eingetroffene Ministerpräsident der Mark Brandenburg, Dr. Steinhoff, teil.
Als sie wieder im Verhandlungsraum erschienen, erklärte Dr. Steinhoff: "Der Vorschlag der Ostzonenvertreter sei für sie von entscheidender Bedeutung, er sei nicht unbescheiden gewesen. Die meisten Konferenzteilnehmer hätten sich dazu aber ablehnend geäußert. Ohne diesen Punkt könne jedoch die Konferenz kein ersprießliches Ergebnis haben. Infolgedessen sähen sich die Vertreter aus der Ostzone gezwungen, ihre Teilnahme an den weiteren Verhandlungen der Konferenz abzulehnen. Sie bedauerten das um so mehr, als sie geglaubt hätten, in dem Antworttelegramm des bayerischen Ministerpräsidenten die Möglichkeit gefunden zu haben, über die deutsche Einheit zu sprechen." Ein bloßes Bekenntnis zur deutschen Einheit am Ende der Tagung erachtete man als unverbindlich-abstrakt und darum nicht ausreichend.9
Am 10. Juni veranstalteten die Regierungschefs der Ostzone im Haus der Zentralverwaltungen in Berlin eine Konferenz für in- und ausländische Pressevertreter. Es fehlten Dr. Hübener und der kranke Dr. Friedrichs; für ihn war Innenminister Dr. Fischer erschienen.
Über den Verlauf der Vorbesprechung am 5. Juni referierte zunächst Ministerpräsident Höcker. Die westdeutschen Regierungschefs hätten es abgelehnt, eine bereits fertig vorgelegte Tagesordnung von 14 Punkten durch Aufnahme eines weiteren Punktes abzuändern; sie hätten dadurch ein schriftlich gegebenes Versprechen, die Tagesordnung am Abend des 5. Juni gemeinsam mit den Vertretern der Ostzone endgültig festzulegen, nicht eingehalten. "Ebenso kategorisch" sei es diesen verweigert worden, auf der Konferenz das Wort zur Darstellung ihres Standpunktes zu ergreifen. ...
Dennoch führte man nicht vor allem auf Dr. Ehard das Scheitern der Konferenz zurück, sondern "erstens auf die Behauptung, daß die französische Militärregierung es nicht zugelassen habe, den von uns vorgeschlagenen Tagesordnungspunkt zu erörtern, zweitens auf die intransigente Haltung der SPD unter dem Einfluß von Dr. Schumacher (so Dr. Steinhoff). Auf die Frage eines Pressevertreters: "Haben Sie endgültig das Tischtuch zerschnitten?" antwortete Dr. Steinhoff: "Nicht wir, sondern die anderen haben das Tischtuch zerschnitten, jedoch sind wir immer zu Verhandlungen bereit, wenn die andere Seite die Grundfrage, nämlich der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands, ebenso ernst behandelt wie wir." Auf die Frage: "Haben Sie die Errichtung einer Zentralregierung vorgeschlagen?" kam die Antwort: "Wir fordern nichts anderes als die Zentralverwaltungen, die bereits in den Potsdamer Beschlüssen vorgesehen sind."10
In einer überfüllten Großkundgebung in Cottbus betonte Ministerpräsident Dr. Steinhoff vor "Tausenden von Zuhörern", der deutsche Wirtschaftskörper dürfe nicht zerrissen werden. Die Not des deutschen Volkes könne nur durch deutsche Zentralverwaltungen überwunden werden. Die Voraussetzung dazu sei die deutsche Einheit.11
Vorabdruck aus "Die DDR zwischen Aufstieg und Verkauf".
Die Monographie erscheint – mit den Anmerkungen – demnächst im Kai-Homilius-Verlag Berlin. – Von 1989 bis 1990 war der Autor als letzter Botschafter der DDR in London und Dublin tätig.