Die medizinische Hilfe der DDR
Prof. Dr. sc. med. Herbert Kreibich, Eichwalde
Von den Eltern, vielen Lehrern, Hochschullehrern und älteren Freunden wurden mir im Prozess des Erwachsenwerdens immer wieder Humanität und Rationalität als Maßstäbe meines Denkens und Handelns vorgegeben – privat, beruflich und politisch.
Die stets ökonomisch gegenüber der Bonner Bundesrepublik schwächere DDR hat mit ihrer Solidarität (von Einzelpersonen, Gewerkschaften, Verbänden, Kirchen und staatlichen Stellen) für unterentwickelte Staaten, für ausgebeutete und verfolgte Menschen, Befreiungskämpfer gegen Kolonialismus und Kämpfer gegen imperialistische Kriege Geschichte geschrieben.
Die heutige Asyl- und Flüchtlingspolitik hat auch Tradition. Geschürt durch Konflikte und Kriege und unter Ausspielung des »Wirtschaftswunders« wurden in der alten Bundesrepublik ankommende, teilweise auch durch Schleuser organisierte Migrationsströme vor allem zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs gebraucht (aus Griechenland, und Italien, aus der Türkei und Jugoslawien, aus Polen und Rumänien, aus der Sowjetunion, sowie aus Südkorea und Südvietnam). Das trifft auch und nicht zuletzt auf die aus der DDR kommenden Flüchtlinge zu, die vor 1961 problemlos in die BRD gelangten. Besonders perfide war der – wie in den Einwanderungsländern USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Australien und der Schweiz – seit jeher betriebene »brain drain«, die intellektuelle Enthauptung der Herkunftsländer. Nie stand die Hilfe vor Ort, einschließlich der Hilfe zur Selbsthilfe in den Herkunftsländern von Flüchtlingen und Migranten im Vordergrund.
Als Arzt und über einige Jahre auch als Verantwortlicher für die Solidaritätsleistungen der DDR im Gesundheitswesen kann ich hingegen aus eigenem Erleben feststellen: Die medizinische Hilfe der DDR erfolgte über staatliche (auch kommerzielle) Verträge oder Gesundheitsabkommen und durch umfangreiche Solidaritätsleistungen (also ohne Gegenleistung) über Nicht-Regierungs-Organisationen.
Es gab für Menschen aus folgenden Ländern derartige Hilfen und Unterstützungen:
In Europa: Bundesrepublik Deutschland, Berlin-West, Griechenland, Sowjetunion (vor allem Russische Föderative Sowjetrepublik und Ukraine), Spanien und Ungarn.
In Asien: Indien, Irak, Jemen, Kambodscha, Laos, Mongolei, Nord-Korea, Palästina, Syrien und vor allem Vietnam.
In Afrika: Ägypten, Äthiopien, Algerien, Angola, Guinea-Bissau, Kongo-Brazzaville, Libyen, Moçambique, Namibia, Sansibar und Pemba – später Tansania, São Tomé and Príncipe, Simbabwe, Sudan und Südafrika.
In Lateinamerika: Chile, Cuba und Nicaragua.
Die Arten der Unterstützung waren vielfältig:
- Für politisch Verfolgte wurde Asyl gewährt, um in der DDR lernen, arbeiten und leben zu können, einschließlich unentgeltlicher medizinischer Betreuung. Als prominenteste Beispiele sind unter den tausenden griechischen Kommunisten, die in die DDR kamen, die Professoren Kritsikis und Phoutopoulos an der Charité Berlin zu nennen. Aus der alten Bundesrepublik Deutschland kamen nach dem KPD-Verbot mit Folgeprozessen (z.B. gegen die FDJ) und nach dem berüchtigten »Radikalenerlass« ebenfalls tausende Menschen in die DDR, denen in der BRD politische Repressionen drohten. Aus Chile konnten nach dem Pinochet-Putsch gegen Salvador Allende tausende Emigranten in die DDR entkommen: Darunter die gegenwärtige Präsidentin Chiles Bachelet, die in der DDR Medizin studieren und Kinderärztin werden konnte, sowie der Gesundheitsminister Allendes, Dr. Coacha.
- Es gab medizinische Hilfe für Kriegs- und Bürgerkriegsopfer in Krankenhäusern der DDR. So z.B. im heutigen Sana-Klinikum Oskar-Ziethen-Krankenhaus Berlin-Lichtenberg, im heutigen Vivantes-Klinikum Berlin-Friedrichshain und in den Kliniken in Berlin-Buch. Gleichzeitig gab es chirurgische Behandlungen der Opfer in den Heimatländern durch Spezialisten der DDR. Dies traf insbesondere für Indochina (Kambodscha, Laos, Vietnam), Nicaragua und Afrika (Angola, Moçambique, Namibia und Südafrika) zu. Der große Nelson Mandela hat sich in seiner Autobiografie dankbar für die auch medizinische Unterstützung der ANC-Kämpfer durch die DDR geäußert.
- Es gab medizinische Voruntersuchungen vor Ort und integrierte medizinische Betreuung innerhalb der DDR von mehr als 100.000 jungen Frauen und Männern, die zur Berufsausbildung und zum Studium in die DDR kamen: So aus Ungarn, Nordkorea, Vietnam, Laos, Kambodscha, Palästina, Algerien, Angola, Moçambique, Namibia, Südafrika und Cuba. Die Ausgebildeten kehrten in ihre Heimat zurück, bauten ihr Land auf, und einige nehmen heute führende Positionen in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik ein.
- Da war des Weiteren die Aufbau- und Entwicklungshilfe vor Ort. Markante Beispiele sind: Im Urwaldkrankenhaus Moatize in Moçambique sicherten Ärzte und Schwestern der DDR zusammen mit einheimischen Krankenschwestern die Betreuung von Bergleuten und der Bevölkerung im Norden des Landes bis zum Sambesi. In Gonda (Äthiopien) wurde die Medizinische Fakultät maßgeblich von Wissenschaftlern und Ärzten der Universität Leipzig getragen. Vor allem aus vielen Millionen Mark Spenden der meist monatlich spendenden Gewerkschafter des FDGB wurde das »Karl-Marx-Hospital« in Managua (Nicaragua) gegründet und über Jahre von Ärzten, medizinischem und technischem Fachpersonal der DDR und ausgebildeten »Nicas« die unentgeltliche Versorgung auf hohem Niveau gesichert. Noch heute genießt dieses »Deutsch-Nikaraguanische Krankenhaus« große Anerkennung, wird allerdings nicht mehr durch staatliche Entwicklungshilfe aus Deutschland unterstützt, denn die katholischen Sandinisten passen den nächstenliebenden Christ- und Sozialdemokraten nicht.
- Einen nicht unbedeutenden Anteil an der solidarischen Unterstützung für die Entwicklungsländer, oft im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation, hatte eine Vielzahl von Experten, welche in einigen dieser Länder massenhaft verbreitete Erkrankungen und Seuchen bekämpften (z.B. Tuberkulose, Malaria, Schlafkrankheit, Geschlechtskrankheiten, Trachom, Pocken, Lepra). Sie führten Impfungen durch, führten diagnostische Medizintechnik ein und unterstützten als Berater die Landesbehörden bei der Planung und Organisation.
Alle von mir aufgezeigten medizinischen Aktivitäten wären auch gegenwärtig notwendig, um wieder Frieden und Fortschritt zu erreichen. Man muss nur endlich so handeln – und nicht permanent und aggressiv mit Militär und Polizei nach außen und innen zündeln.