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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

DIE LINKE wird wegen ihres Markenkerns gewählt

Sahra Wagenknecht, Stellvertretende Parteivorsitzende

Legitimitätskrise des Kapitalismus

Bewertete vor Jahrzehnten die Mehrheit der Bevölkerung das kapitalistische Wirtschaftssystem noch weit weniger kritisch, so wünschen sich mittlerweile – unter dem Eindruck von Finanzcrash, milliardenschweren Bankenrettungspaketen und zunehmender Armut – beachtliche 88 Prozent der Deutschen eine andere Wirtschaftsordnung. Die wachsende kapitalismuskritische Grundstimmung hierzulande sollte die LINKE zum Anlaß nehmen, Antikapitalismus öffentlichkeitswirksamer zu vertreten. Dies ist nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund erstarkender neofaschistischer Kräfte von herausragender Bedeutung.

Der Kapitalismus steckt inmitten einer tiefen Legitimitätskrise. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung [Vertrauen in Deutschland – Eine qualitative Wertestudie der Bertelsmann Stiftung, Task Force "Perspektive 2020 – Deutschland nach der Krise", 2009] stellt hierzu fest: "Das Vertrauen in unsere Gesellschaft und ihre Institutionen schrumpft seit langem. Neu ist die Dynamik dieses Erosionsprozesses, getrieben durch die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise und die wahrgenommene Macht- und Konzeptlosigkeit der Eliten, den Ursachen der schwierigen Situation wirksam zu begegnen." Und weiter heißt es: "Das Vertrauen fehlt in der Breite – gegenüber Banken und Finanzdienstleistern, gegenüber Unternehmern und Managern, den Politikern und dem politischen System insgesamt, den klassischen Medien (...)." Das Vertrauen der Bevölkerung in Politiker und Parteien ist in den vergangenen Jahren beträchtlich gesunken, darüber täuscht auch nicht die gestiegene Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen hinweg. Auch die LINKE muß darum kämpfen, nicht in den Sog dieser Vertrauenskrise zu geraten. Schaffen kann sie das nur, wenn die Menschen das Gefühl bekommen, daß die LINKE nicht so wird wie alle anderen Parteien, die schon längst ihre Prinzipien über Bord geworfen und sich untertänig den Geldinteressen der Wirtschaftsmächtigen gefügt haben. Um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, muß die LINKE immer wieder im Alltag beweisen, daß sie die Interessen der Mehrheit nach sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden nicht aus dem Blick verliert.

Sich nicht vom Gegner beeindrucken lassen

Unverschämte Lügen bis hin zur offenen Diskriminierung sind den herrschenden Meinungsmachern und der politischen Konkurrenz als Mittel recht, um die LINKE klein und möglichst wenig einflußreich zu halten. Manche machen es geschickter, aber nicht minder gefährlich: "Das Thema Hartz IV, das vor allem die West-Linken stark machte, hat nicht mehr die Brisanz, die es mal bei fünf Millionen Arbeitslosen hatte", vermeldete Forsa-Chef Manfred Güllner im Stern-Magazin ["Stern"-Magazin vom 12.01.2011] im Hinblick auf die Erfolgsaussichten der LINKEN bei der Hamburg-Wahl. Darüber hinaus leide die Partei an einem schwachen und konzeptlosen Führungspersonal, glaubte der Forsa-Chef zu wissen. Scheinbare Plausibilität sollen diese von Manfred Güllner und anderen Meinungsmachern in die Welt gesetzten Behauptungen durch sinkende Umfrage- und Zustimmungswerte für die LINKE vortäuschen.

Die Behauptung von der zunehmenden Bedeutungslosigkeit des Hartz-IV-Problems wie auch die von der konzeptlosen LINKEN sind als Angriffe auf die LINKE zu verstehen und sie sind gleichermaßen falsch. Daß etwa das Hartz-IV-Problem an Brisanz verlöre, ist angesichts der rund 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger, darunter 1,3 Millionen Beschäftigte, die Hartz IV als sogenannte "Aufstockung" zu ihren Hungerlöhnen erhalten, mehr als absurd. Von 10,5 (1998) auf 14 Prozent (2008) ist die Armutsquote [Böcklerimpuls 2010] in der Bundesrepublik innerhalb von nur zehn Jahren angestiegen. Rund neun Millionen Menschen müssen mit weniger als 770 Euro pro Monat auskommen – bei steigenden Preisen für Wasser, Energie und Nahrungsmittel. Armut boomt in Deutschland. Das wissen die Meinungsmacher des Establishments. Sie verschleiern aber Fakten, Hintergründe und Zusammenhänge. Umso wichtiger ist eine linke politische Kraft, die den Mythen der Wirtschafts- und Politikeliten nicht auf den Leim geht, sondern die den Menschen sagt, wie es wirklich ist und was man tun kann.

Was aber beabsichtigen die Mainstream-Medien zu erreichen? Wenn, wie der Forsa-Chef behauptete, Hartz IV an Brisanz verloren hätte, dann müßte die LINKE von ihrer Anti-Hartz-IV-Haltung wohl Abschied nehmen und sich anderen Themen widmen. Wenn die Parteiführung schwach und konzeptlos wäre, dann bräuchte die LINKE wohl eine neue. Diese und weitere Botschaften wollen der Forsa-Chef und die Mainstream-Medien der Öffentlichkeit vermitteln und hoffen dabei auf rege Mithilfe der sogenannten Reformer, um "einiges in der Linkspartei zu klären", wie der Fraktions- und Parteivorsitzende der Berliner SPD, Michael Müller, jüngst offenbarte. Dabei geht es nicht zuletzt um die friedenspolitischen Prinzipien unserer Partei. So sollen die Grundlagen dafür geschaffen werden, um die LINKE in eine dem Establishment genehme politische Richtung zu führen. Auf ähnliche Weise wurde bereits die Sozialdemokratie auf einen Kurs getrimmt, der ihr den massenhaften Mitgliederschwund und – zumindest zeitweise – den tiefen Abrutsch bei Wahlen eingebracht hat. Die Strategen des Establishments haben mittlerweile erreicht, was sie wollten: Die SPD stellt heute keine Gefahr mehr dar für die Ackermänner dieser Welt. Umso bedauerlicher ist es, daß auch einige aus den Reihen unserer eigenen Partei die Rufe eines Michael Müller oder Sigmar Gabriel wohl als Auftrag ansehen, die sozialen und friedenspolitischen Prinzipien unserer Partei zu verwässern, um sie fit für Regierungsbeteiligungen zu machen. Es wäre allerdings politischer Selbstmord, wenn die LINKE ausgerechnet dem Weg der Sozialdemokratie und der Grünen folgen würde.

Wahl in Hamburg

Die politischen Gegner unserer Partei trachten danach, genau das zu zerstören, was zum Wesensmerkmal der LINKEN gehört, nämlich ihre Glaubwürdigkeit. Zumindest bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 20. Februar hat es das Establishment allerdings nicht geschafft, sein Ziel, nämlich die LINKE aus dem Parlament zu werfen, zu erreichen. Die LINKE hat mit 6,4 Prozent der Wählerstimmen ein respektables Ergebnis erzielt und konnte, obwohl die Hamburger SPD immerhin um 14 Prozent zugelegt hat, ihr Wahlergebnis aus der letzten Bürgerschaftswahl halten. Offenbar konnte die LINKE vor allem ihre Stammwählerschaft dazu bewegen, ihr erneut die Stimmen zu geben. Es ist zweifellos von unschätzbarer Bedeutung für die Gesamtpartei, daß sich die LINKE in einer westdeutschen Großstadt im Parteienspektrum behaupten konnte. Aber das Ergebnis hätte sicher besser ausfallen können, wenn es nicht zuvor ein dreiviertel Jahr lang innerparteiliches Störfeuer zur Demontage der eigenen Parteiführung gegeben hätte, worüber die Medien nur allzu gern und ausgiebig berichtet haben.

Der Wahlsieger der Hamburg-Wahl heißt Olaf Scholz. Er war einer der Architekten der neoliberalen Agenda-2010-Politik und steht nach wie vor zum Kern des größten Sozialabrißprogramms der bundesdeutschen Geschichte. Dies und weitere Indizien bestätigen die Einschätzung von Dora Heyenn, Spitzenkandidatin der Hamburger LINKEN: "Wir glauben nicht, daß die SPD in irgendeiner Form das tut, was sie aus unserem Programm abgeschrieben hat, nämlich daß sie sich auch für soziale Gerechtigkeit einsetzt. Da gibt es eine ganze Menge Indizien. In dem Wahlprogramm wurde ausschließlich vom Sparen gesprochen." Und weiter: "Die SPD kam nur mit Kürzen (...) Wir sehen als LINKE in Hamburg nirgendwo das Potential, im Öffentlichen Dienst zu kürzen." [Dora Heyenn auf der Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus nach der Bürgerschaftswahl] In Hamburg wohnen viele Vermögende und Einkommensmillionäre. Geld ist genug vorhanden. Es gibt daher keinen Grund, soziale Leistungen zu kürzen und beim öffentlichen Dienst zu sparen.

Dora Heyenn hat als Gründe für den Wiedereinzug in die Hamburger Bürgerschaft die sozialen Alleinstellungsmerkmale der LINKEN betont. Vor allem dem klaren sozialen Profil der LINKEN ist es zu verdanken, daß der Wiedereinzug in die Hamburger Bürgerschaft gelingen konnte. Die Mainstream-Medien werden allerdings nicht müde zu betonen, daß ein ausdrücklich "wirtschaftsfreundliches" und auf "Haushaltskonsolidierung" setzendes Programm der SPD von der Wählerschaft honoriert worden sei. Was schön klingt, wird wohl für viele Hamburger soziale Kürzungen bedeuten. Der haushohe Wahlsieg des Agenda-2010-Architekten und Bilderberg-Teilnehmers Olaf Scholz wird zudem nicht ohne Auswirkungen auf die Politik der Bundes-SPD bleiben. Die Gefahr ist groß, daß innerhalb der SPD jene die Oberhand behalten, die in den grundlegenden sozialen und außenpolitischen Fragen die Schrödersche Agenda ohne Abstriche fortsetzen wollen. Die medienwirksam inszenierte, harsche Kritik führender SPD-Politiker an der Enthaltung der Bundesregierung zur Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat und ihre aggressive Forderung nach deutscher Unterstützung des Libyen-Krieges zeigen deutlich, daß mit dieser SPD-Spitze keine Friedenspolitik zu machen ist. Dies sei auch all jenen gesagt, die bereits jetzt wieder mit einer Koalition mit den Sozialdemokraten auf Bundesebene liebäugeln.

Wahl in Sachsen-Anhalt

Bei der Landtagswahl am 20. März 2011 in Sachsen-Anhalt konnte die LINKE ihr Wahlergebnis von 2006 wiederholen, blieb allerdings unter dem Ergebnis der Bundestagswahl 2009, bei der sie noch 32,4 Prozent erhielt, und dem Bundestagswahlergebnis von 2005, als sie auf immerhin 26,6 Prozent der Stimmen kam.

Wulf Gallert ist sicher zuzustimmen, wenn er zum Einfluß der "Kommunismus-Debatte" auf das Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt meint, "mittlerweile roll[t]en die Leute ärgerlich mit den Augen, wenn das Thema vom politischen Gegner als Wahlkampfpropaganda benutzt wird. Die Leute interessiert es einfach nicht." [Wulf Gallert in der "Frankfurter Rundschau" vom 12.03.2011] Daß das Ergebnis in Sachsen-Anhalt zwar solide, aber gemessen an früheren Wahlen uns nicht euphorisch stimmen mag, hat offenbar andere Gründe.

Als sicher kann aber gelten, daß die Wählerinnen und Wähler bei den Landtagswahlen in Hamburg und Sachsen-Anhalt zuvörderst deshalb die LINKE gewählt haben, weil sie von ihr am ehesten die konsequente Vertretung ihrer sozialen Interessen erwarten und wissen, daß mit der LINKEN partout keine Militäreinsätze zu machen sind. Die Glaubwürdigkeit, die wir uns in den vergangenen Jahren hart erarbeiten mußten, würden wir allerdings dann verspielen, wenn die LINKE ihre sozialen und friedenspolitischen Kerninhalte, die sie von den Sozialabriß-Parteien und Kriegsverfechtern grundlegend unterscheidet, aufgeben würde. Dazu darf es nicht kommen – nicht zuletzt die tragischen Niederlagen der italienischen und französischen Linken sollten uns nachdenklich stimmen. Und vor allem darf sich die LINKE nicht unter Verkauf ihrer Seele und unter Verkauf der Interessen ihrer Wähler in Regierungen einbinden lassen.