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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Im Januar 1942 wurde am Berliner Wannsee der Mord an den europäischen Juden geplant

Dr. Ronald Friedmann, Berlin

 

Die Konferenz

 

Der 20. Januar 1942 war ein klarer und sonniger Wintertag in Berlin. Gegen 11 Uhr trafen zahlreiche schwere Limousinen an der Villa am Großen Wannsee im Südwesten der deutschen Hauptstadt ein, die seit dem Vorjahr als Gästehaus des Sicherheitsdienstes der SS diente. Insgesamt dreizehn Männer entstiegen den Wagen – sie waren Anfang Dezember von Reinhard Heydrich, dem Leiter des sogenannten Reichssicherheitshauptamtes, zu einer »Besprechung mit anschließendem Frühstück« eingeladen worden.

Heydrich und sein Gehilfe Adolf Eichmann, der Leiter des »Judenreferats« im Reichssicherheitshauptamt, erwarteten ihre Gäste im Foyer und geleiteten sie in den Beratungsraum. Pünktlich um 11 Uhr begann die Konferenz. Alle wichtigen Ministerien der Hitlerregierung sowie die einschlägigen Dienststellen der SS waren durch hochrangige Beamte vertreten, denn es ging bei dieser Zusammenkunft um eine Frage von höchster Priorität: Wie war der bereits im Jahr zuvor begonnene systematische Mord an den europäischen Juden zu organisieren, um in möglichst kurzer Zeit die »Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa« zu erreichen.

Bereits im Juli 1941 hatte sich Heydrich von Hermann Göring, dem nach Hitler zweiten Mann in der Führung des faschistischen Deutschlands, die Vollmacht erteilen lassen, den Massenmord zu organisieren. Dabei hatte Göring in einem von Heydrich selbst entworfenen Brief festgelegt: »Sofern hierbei die Zuständigkeiten anderer Zentralinstanzen berührt werden, sind diese zu beteiligen.« Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, in wessen Hand die maßgebliche Kompetenz lag, hatte Heydrich Kopien dieses Göring-Briefes den Einladungen zur »Staatssekretärskonferenz«, wie das Treffen am Großen Wannsee intern genannt wurde, beigefügt.

Heydrich selbst hielt das Einführungsreferat, die dazu notwendigen Zuarbeiten hatte Eichmann geleistet.

In der einstündigen Diskussion ging es in erster Linie darum, die Zuständigkeiten für die begonnenen Deportations- und Vernichtungsaktionen zu klären und den zeitlichen Ablauf der nachfolgenden Maßnahmen abzustimmen. Etwa elf Millionen Juden aus dem gesamten deutschen Macht- und Einflussbereich in Europa, und dazu zählten im Verständnis der Konferenzteilnehmer auch der unbesetzte Teil Frankreichs, aber auch das nach wie vor unbesiegte Großbritannien, sollten noch vor dem Kriegsende »in den Osten evakuiert« und dort einer »Sonderbehandlung« unterzogen, also ermordet werden. Mit bösartiger, also typisch deutscher Gründlichkeit wurde beraten, wie mit »Mischlingen 1. Grades« und »Mischlingen 2. Grades« sowie Juden in »Mischehen« zu verfahren sei.

Mit der Anfertigung des offiziellen Protokolls wurde Eichmann beauftragt. Vor einem israelischen Untersuchungsrichter bestätigte er knapp 20 Jahre später, dass er den Entwurf mehrmals überarbeiten musste, weil Heydrich auf Formulierungen bestand, die das Anliegen der Wannseekonferenz ausreichend verschleierten, aber gleichzeitig so deutlich machten, dass sich keiner der Teilnehmer später auf Unkenntnis berufen konnte. Doch diese Sorge war unbegründet: Heydrich hatte, wie Eichmann weiter berichtete, »mit beträchtlichen Stolpersteinen und Schwierigkeiten gerechnet«, doch stattdessen stieß er nicht nur auf »Zustimmung von Seiten der Teilnehmer, sondern mehr noch auf eine Zustimmung von unerwarteter Form.« Die deutschen Beamten zeigten »größten Eifer«, die ihnen zugedachte Rolle beim Massenmord an den europäischen Juden zu spielen.

Insgesamt wurden dreißig Exemplare des 15 Seiten umfassenden Protokolls angefertigt und als »Geheime Reichssache« deklariert. Nur ein einziges Exemplar, die Kopie mit der Nummer 16, hat das Ende des Dritten Reiches überstanden. Es handelt sich um das Exemplar von Martin Luther, der als Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt an der Konferenz teilgenommen hatte. Im Februar 1943 war Luther nach einer gescheiterten Palastrevolte gegen seinen Chef Joachim von Ribbentrop verhaftet und als prominenter Häftling in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht worden, wo er das Kriegsende unter privilegierten Bedingungen – er wohnte mit seiner Familie in einem eigenen Haus – erlebte. Allerdings hatte er im Gegensatz zu anderen Funktionären des Naziregimes keine Gelegenheit mehr gehabt, seine Akten zu säubern. Gefunden wurde das Dokument schließlich im März 1947 von Mitarbeitern Robert Kempners, der in den Jahren 1945 und 1946 stellvertretender Hauptankläger der Vereinigten Staaten beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher gewesen war und 1948 in gleicher Funktion beim sogenannten Wilhelmstraßen-Prozess gegen Spitzenbeamte des hitlerdeutschen Auswärtigen Amtes tätig war.

Eine ursprünglich geplante zweite Konferenz auf Staatssekretärsebene kam nicht mehr zustande, weil Heydrich am 27. Mai 1942 bei einem Attentat tschechischer Widerstandskämpfer tödliche Verletzungen erlitt und wenige Tage später starb. Doch der Massenmord an den europäischen Juden ging weiter und endete erst, als sich sowjetische Truppen im Winter 1944/45 an allen Fronten immer mehr dem deutschen Reichsgebiet näherten: Das Vernichtungslager Auschwitz wurde am 27. Januar 1945 befreit.

Erschienen im »Disput«, Januar 2012, und in der Publikation »Salut für Sonja«.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

 

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