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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende

Wolfgang Grabowski, Berlin

 

Mit Russland ist wieder zu rechnen

Am 31. August 1994 verließen die letzten Einheiten der Russischen Föderation Deutschland.  Viele der Heimkehrenden fühlten sich als die Verlierer des Kalten Krieges, schamlos und arrogant über den Tisch gezogen, mit Almosen abgespeist. Den unwürdigen Auftritt des russischen Präsidenten Jelzin zum Schluss empfindet man immer noch als Schmach. Gorbatschow ist man gram geblieben, weil er leichtfertig dem Westen glaubte, dass eine NATO-Osterweiterung nicht stattfinden würde. Der Jahrestag ist Anlass, über aktuelle Bezüge nachzudenken.

Der brandenburgische Ministerpräsident Woidke erinnerte am 14. Juni in einer Rede in Wünsdorf daran, dass die Russische Föderation mit dem Truppenabzug »den Weg für das friedliche Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands frei gegeben hat … Es ist ein starkes Signal, dass Russen und Deutsche hier heute zusammenkommen und für ein vertrauensvolles Miteinander und eine friedliche Zukunft werben«. 

Russland sollte in die Bedeutungslosigkeit gedrängt werden

Derartige Aussagen sind gegenwärtig nicht üblich in den Führungsetagen in Deutschland. Anstatt dem friedfertigen Entgegenkommen Russlands bei dem Truppenabzug mit Dialogbereitschaft zur Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa zu entsprechen und Vorschläge Russlands dazu ernst zu nehmen, entschied man sich im Westen anders. Die Abwesenheit der russischen Streitkräfte hat die Falken in Deutschland und der NATO beflügelt. Gegen Russland und seinen Präsidenten wurde eine unglaubliche Hetze entfacht. Es ermutigt, Umfragen zu lesen, die trotz des antirussischen Trommelfeuers belegen, dass eine qualifizierte Mehrheit in Deutschland die Russen nicht erneut zum Feind haben will.

Wer glaubt, dass die Russophobie erst mit der Eingliederung der Krim Blüten treibt, der irrt. Schaut man sich das Verhalten des Westens zu Russland seit der Wende genauer an, dann muss man erkennen, dass Russland in die Bedeutungslosigkeit gedrängt werden sollte. Russland wollte man mit der NATO-Osterweiterung in einen Zangengriff pressen (Scholl-Latour, »Russland im Zangengriff«, 2006). Vor der Einkreisung und Eindämmung Russlands warnte auch der ehemalige Sicherheitsberater Helmut Kohls Teltschik.

Bzrezinski und andere Wortführer des Westens wollten Russland aufspalten. Man wollte immer weiter siegen, man traute den Russen nicht, die schon einmal die Welt des Kapitals in Frage gestellt und eine Alternative gewagt hatten.

Das tiefe Misstrauen des Westens gegen Russland und die anderen aufstrebenden Länder des Ostens und Südens hat heute noch ein anderes Phänomen als Quelle. Natürlich haben sich diese in das kapitalistische System hineinbegeben, aber der »Spiegel« beklagte, dass sie begonnen haben, den Westen mit den Instrumenten des Westens niederzuringen. Auch Scholl-Latour beschrieb diesen Prozess in seinem Buch »Die Angst des weißen Mannes«. Er spitzte im Interview mit »Neues Deutschland« vom 30. Oktober 2009 zu: »Dem Weißen Mann ist vor allem das Monopol industrieller und militärischer Überlegenheit abhandengekommen, auf das er bisher seinen imperialen Anspruch gegründet hat. Nach dem Intermezzo der Pax Americana haben wir es mit einem wieder erstarkten Russland und einem starken selbstbewussten China zu tun. Und die wachsende islamische Welt«.

Im UN-»Bericht über die menschliche Entwicklung« für 2013 wird der Aufstieg des Südens/Ostens belegt. In ihm wird prognostiziert, dass bis 2020 die Wirtschaftsleistung allein von China, Indien und Brasilien die Gesamtproduktion von Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien und der USA übersteigen wird. Das sei nicht weniger als eine epochale Verschiebung der globalen wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse (ND, 15. März 2013).

In dem Bericht heißt es, dass die Fortschritte im Osten und Süden auf eine pragmatische Politik zurückzuführen sind, in der Regierungen proaktiv handeln, statt sich von den Marktkräften das Geschehen diktieren zu lassen. Als besonders zielführend werden entschlossene sozialpolitische Reformen und die Investitionen in Menschen vor allem durch die Förderung der Bildungschancen gesehen.

Es gehört zu den wichtigen Erfahrungen der Nachwendezeit in Russland, dass die Versuche von Heerscharen westlicher Berater, westliche Modelle überzustülpen, kläglich gescheitert sind (Studie von Goldman Sachs).

Die Länder des Süden/Osten formieren sich ausgehend von ihren nationalen Interessen, ihrer wachsenden, vor allem wirtschaftlichen und internationalen Potenz, ausgehend von den Erfahrungen und Ergebnissen des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Warschauer Pakts und der Nachwendeentwicklungen. Die Machteliten in China und Russland akzeptieren die Marktwirtschaft, sind aber zugleich der Auffassung, dass die entscheidenden Entwicklungsstränge in der Hand des Staates bleiben müssen. Und sie sind erfolgreich (Handelsblatt vom 31. Mai 2010). Das stellt für die Privatisierungsfetischisten im Westen eine zentrale Herausforderung dar. Dies und die beharrliche Einforderung der Eigenständigkeit sind der eigentliche Dorn im Auge der Neoliberalen, der Kern des gegenwärtigen Ost-West-Konflikts. Die Länder des Ostens haben die territoriale Ausdehnung, die natürlichen Reichtümer, die qualifizierten und in zwei Gesellschaftssystemen erfahrenen Bürger, um eigene Wege zu gehen, eigenen Werten zu folgen, ihre Interessen durchzusetzen. Nicht zu unterschätzen ist ihre Geschichte des antiimperialistischen Befreiungskampfes, der tiefe Wurzeln hinterlassen hat.

Gute Beziehungen mit Russland müssen deutsche Staatsräson werden

Diese strategischen Veränderungen in der Welt will man im Westen mit allen Kräften, Kriegen, Regime-Change, Destabilisierung und Softpower bekämpfen, daher auch die Aggressivität. Selbst Jelzin, der alles tat, um dem Westen zu gefallen, und der keine Gelegenheit ausgelassen hat, die sowjetische Vergangenheit zu verteufeln, wurden im Jugoslawien-Krieg und anderswo die Instrumente gezeigt und zu verstehen gegeben, wer der »Sieger der Geschichte«, wer der Herr im Hause Europa ist.

Der neue »Herr im Kreml« hielt nichts davon, wusste seine Bevölkerung hinter sich und erhielt Unterstützung auch aus dem Ausland, China, Indien, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, der Eurasischen Union. Die Sanktionen haben den Zusammenschluss eher gestärkt und gemeinsame Projekte wie die neue Seidenstraße, die der Westen nicht hat, vorangebracht.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 sprach Putin Klartext. Er kritisierte den Westen, dass er sein Versprechen, die NATO nicht zu erweitern, gebrochen hat. Er prangerte die aggressiven Aktionen der NATO und der USA an und warb für eine neue friedfertige Weltordnung, eine Art friedliche Koexistenz des Interessenausgleichs. Der Westen war schockiert und unterstellte die Rückkehr zum Kalten Krieg. Er hatte aber Wahrheiten ausgesprochen, die im Grunde auch Stimmungslagen westeuropäischer Politiker entsprachen, wenngleich nur Staatsmänner a.D., wie die Altkanzler Schmidt und Schröder oder Genscher und Bahr, es für opportun hielten, dies auch in der Öffentlichkeit zu sagen.

Die NATO-Osterweiterung wurde zum hauptsächlichen Stolperstein in den Ost-West-Beziehungen. Mit der ausdrücklichen Zusage vom 3. April 2008 an Georgien und die Ukraine hat die NATO ihre Karten überreizt (Prof. Walther Stützle im Freitag, 19. Februar 2015). Besonders aggressiv ging man in der Ukraine vor, wollte das schon mit der Orangenen Revolution gesetzte Ziel, die Ukraine von Russland abzutrennen und sie als Speerspitze gegen Russland aufzustellen, endlich durchbringen. Präsident Janukowitsch aber wollte den neutralen Status bewahren und gute Beziehungen nicht nur mit dem Westen, sondern auch mit Russland. Vor allem deshalb wurde er gestürzt. Man kann sich gut vorstellen, was eine NATO-USA-Basis in Sewastopol nicht nur für Russland bedeutet hätte.

Von der deutschen Regierung ist schon lange nichts Konstruktives zur Gestaltung der Beziehungen mit Russland unternommen worden. Aber das war auch schon anders. Aktuell bleibt das Strategiepapier des Auswärtigen Amtes »Annäherung durch Verflechtung«, das im September 2006 Außenminister Steinmeier vor seinen EU-Kollegen als Grundlage für die deutsche EU-Präsidentschaft vorgestellt hatte. Die Bundeskanzlerin nahm es vom Tisch, weil sie die Beziehungen mit den USA wieder ins Lot bringen wollte.

Im Strategiepapier heißt es: »Ziel einer europäischen Ostpolitik müsse es sein, das konstruktive Engagement Russlands durch neue Kooperations- und Integrationsangebote zu fördern« und seine Verankerung in Europa durch enge politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen »irreversibel zu machen«. Im Papier wird für eine nüchterne Bewertung der zum Teil übereinstimmenden, zum Teil auseinanderlaufenden Interessen geworben. Russland bleibe ein wichtiger Partner, selbst wenn es jetzt nach außen mit neuem Selbstbewusstsein nationale Interessen vertrete und im Inneren »einen eigenen, russischen Weg« verfolge, »der vielfach asynchron zu dem der EU« verlaufe. Ohne intensive Partnerschaft mit Russland könne es weder eine »gesamteuropäische Friedensordnung« noch eine Lösung von Konflikten wie auf dem Balkan oder im Nahen Osten geben. Deutschland befürworte ein neues Abkommen der EU mit Russland, das »umfassend, integrativ, nach vorn weisend angelegt ist und klare Signale enthält, dass Russland in Europa willkommen ist« (FAZ, 4. September 2006).

Die Linke hat dafür zu kämpfen, dass gute Beziehungen mit Russland deutsche Staatsräson werden. Der Befreiungstag sollte in ganz Deutschland als Staatsfeiertag begangen werden. Der 75. Jahrestag der Befreiung im nächsten Jahr ist uns Anlass, dafür zu werben.

 

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