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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Gegenrevolution - Thesen zur Analyse des historischen Faschismus

Prof. Dr. Kurt Pätzold, Berlin

 

Mit dem Blick auf den 65. Jahrestag des militärischen Sieges über den deutschen Faschismus hatte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten Ende April 2010 in Berlin eine geschichtspolitische Konferenz veranstaltet. In deren Verlauf kam es zu einer kontroversen Debatte über die Analyse des historischen Faschismus. Sie gab Anstoß für die Formulierung der folgenden Thesen.

(1) Wird in Deutschland über den Faschismus gesprochen, muß bedacht werden, daß hierzulande der Begriff in dreierlei Sinn gebraucht wird: Er bezeichnet – erstens – eine politische Bewegung, die in Form von Parteien und weiteren Organisationen existierte. Er steht – zweitens – für eine spezifische reaktionäre, antiaufklärerische Ideologie. Und mit ihm wird – drittens – verkürzt der faschistische Staat bezeichnet. Wiewohl die Beziehung von Bewegung, Ideologie und Staat logisch und historisch zutage liegt, ist zwischen ihnen doch zu unterscheiden, denn sie sind nicht identisch. Die Kennzeichnung oder Definition des einen begreift die anderen nicht ein. Wird das nicht in Rechnung gestellt, läßt sich trefflich aneinander vorbeireden.

(2) Die politischen Bewegungen, die mit der Kennzeichnung faschistisch erfaßt und von anderen gesondert werden, entstanden in mehreren Ländern Europas am Ende des Ersten Weltkriegs. Die Bewegung, die am frühesten in der Lage war, in die Staatsmacht einzudringen und sich dann in ihr festzusetzen, war die italienische. Das hat ihr Aufmerksamkeit verschafft, und ihre Verwandten in anderen Ländern haben sich am italienischen Beispiel und Vorbild orientiert – bis hin zu Formen des äußerlichen Hervortretens und den Ritualen. Die italienischen Faschisten gaben schließlich der Bewegung in anderen Ländern und deren Gesamtheit auch den Namen. Dabei besaß jede dieser Gruppen ihre eigenen "nationalen" Charakteristika. Die deutsche präsentierte sich unter dem Namen Nationalsozialisten. Auch im Sprachgebrauch von Publizistik, Politik und Gesellschaftswissenschaft wurde Faschismus zum weithin benutzten Sammelbegriff für die neuartige internationale Erscheinung. Damit wurde in Deutschland auch die demagogische Selbstkennzeichnung vermieden, derer sich die Nazifaschisten bedienten.

(3) So alt wie die faschistischen Bewegungen, so alt sind die Anstrengungen, diese neue politische Erscheinung zu begreifen, ihre Herkunft und ihren Platz in den geschichtlichen Kämpfen der Staaten zu bestimmen, um sich auf diese Weise auf deren Existenz und Wirken einstellen zu können. Wie auf allen Erkenntniswegen gab es auch auf diesem Fortschritte, Irrwege und Rückschläge. An den Bemühungen, Wesen, Perspektiven und Ziele dieser faschistischen Zusammenschlüsse zu erfassen, waren ihre politischen Nachbarn, Konkurrenten und Rivalen ebenso beteiligt wie ihre strikten Gegner und Feinde. Mit der Frage: "Was sind die Faschisten und was wollen sie?" befaßten sich Politiker und Theoretiker. Unter den letzteren waren Marxisten, Nicht- und Antimarxisten. In dieser oder jener Weise haben viele Verfechter unterschiedlicher Strömungen beigetragen, das nicht so große "Geheimnis" zu enthüllen, mit dem sich die Faschisten in Wort und Schrift zur Tarnung ihrer eigenen Absichten umgaben.

(4) Energische und erfolgreiche Anstrengungen zur Analyse des Faschismus wurden naturgemäß vor allem in den Reihen ihrer entschiedenen Gegner, von den Arbeiterparteien und deren Theoretikern unternommen. Zu begreifen, welcher Feind ihnen und der proletarischen Bewegung erwachsen war, galt zu Recht als Voraussetzung für dessen erfolgreiche Bekämpfung. In Deutschland haben Führer und Ideologen der Kommunistischen wie der Sozialdemokratischen Partei früh beigetragen, die Partei Hitlers als eine Organisationsform der Gegenrevolution bloßzustellen. Als die wichtigsten Kennzeichen der faschistischen Ideologie und Politik wurden die Feindschaft gegen alle liberalen, demokratischen, sozialistischen und kommunistischen Bestrebungen hervorgehoben sowie der extreme Nationalismus und Revanchismus, der sich vor allem in einer hemmungslosen demagogischen Anti-Versailles-Hetze äußerte, die Kriegsstimmung und Kriegsbereitschaft erzeugen sollte. Zur Entlarvung der Rolle, welche die Faschisten in der Weimarer Republik spielten, haben auch Künstler und Schriftsteller beigetragen, so daß bis heute Bilder, Zeichnungen, Karikaturen, Erzählungen und Gedichte zusammen mit wissenschaftlicher Literatur einen Zugang zum Verständnis dieser damals neuartigen Erscheinung geben.

(5) Eine sich früh zeigende Schwierigkeit der Faschismusanalyse bestand darin, diese neuartige politische Bewegung von anderen, den älteren reaktionären Parteien und Organisationen, ihren nahen oder ferneren Vorläufern und Zeitgenossen, abzugrenzen und deren jeweilige Spezifik richtig zu erfassen. Das ist in der Arbeiterbewegung nicht durchweg gelungen, mitunter auch in den Reihen der Kommunisten weit verfehlt worden. Der Begriff Faschismus geriet in eine Art inflationären Gebrauch. Gesprochen und geschrieben wurde vom Brüning-Faschismus, vom Papen-Faschismus und vordem schon vom Sozialfaschismus, eine diffamierende Kennzeichnung der Sozialdemokratie, so falsch, irreführend und die Fronten verkehrend wie – umgekehrt – die sozialdemokratische Bezeichnung von den "rotlackierten Nazis", die den Kommunisten galt. In diesen Kombinationen wurde das Wort Faschist in den politischen Tageskämpfen zu einem Schimpfwort, zum Knüppel, geschwungen gegen Gegner und Rivalen. Dieser Gebrauch zeigte, daß sich das adäquate Bild von den Faschisten, die Hitler führte, in den Reihen der Gegner noch nicht klar abzeichnete und verfestigt hatte.

(6) Nachdem in Deutschland die Faschisten an die Staatsmacht gelangt waren, standen die Antifaschisten vor der Notwendigkeit, unter Einbeziehung der italienischen wie der deutschen Erfahrungen zu beschreiben, was das Spezifische dieser neuen Staatsform ausmachte und was deren Entstehung insbesondere, aber nicht allein für die Arbeiterbewegung bedeutete. Auch daran und an den sich daran knüpfenden Prognosen waren viele beteiligt. Unter diesen Analysen der Situation hat eine theoretisch wie praktisch eine besondere Rolle gespielt. Auf sie wird bis heute zustimmend, kritisch abwägend und ablehnend Bezug genommen. Das ist die in eine Definition geronnene Kennzeichnung des Faschismus, welche die Kommunistische Internationale in einem Beschluß vornahm, den ihr Exekutivkomitee, eines ihrer Führungsgremien, im Dezember 1933 faßte: "Der Faschismus an der Macht ist die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals."

(7) Die historische Bewertung dieser Definition wird häufig dadurch erschwert oder verdorben, daß die Tatsache übergangen wird, daß die Autoren dieser Definition ausdrücklich sagen, sie kennzeichnen den "Faschismus an der Macht", d.h. in seiner Rolle als Staatsmacht. Die Aussage würde anders lauten, ginge es um die knappe Kennzeichnung des Faschismus als politische Bewegung vor der Macht oder als Ideologie. Manche Einwände ergeben sich daraus, daß – zweitens – von dieser Definition verlangt wird, was Aufgabe und Sinn von Definitionen nicht ist. Die zielen stets auf die Hervorhebung des Wesentlichen einer Erscheinung, die aus der Vielfalt der Erscheinungsformen gleichsam destilliert wird. Mithin bietet jede Definition, ist sie treffend, den Vorzug, das Wesentliche hervorzuheben, und ist doch zugleich ärmer als die Theorie, deren konzentrierten Ausdruck sie bildet, wie diese wieder ärmer ist als die Wirklichkeit. Vorwürfe, es fehle dieses oder jenes Detail in einer Definition, sind folglich abwegig.

(8) Staaten waren zu allen Zeiten Formen des Überbaus einer Gesellschaft, deren Bestand und Entwicklung sie mit ihren Mitteln zu sichern hatten. Übergänge von einer in eine andere Gesellschaft, revolutionär oder nicht, gehen notwendig mit Veränderungen von Staaten einher, die entweder diesem Übergang folgen oder ihm auch vorausgehen können. Die Kennzeichnung eines Staates verlangt also zunächst und vor allem, daß dessen Beziehung zu der Gesellschaft hergestellt wird, deren Überbau er darstellt. Die Faschisten, namentlich die deutschen, traten mit dem Anspruch an, Revolutionäre zu sein. Sie gaben vor, wären sie am Staatsruder, eine Gesellschaft des nationalen und sozialen Friedens (die "Volksgemeinschaft") auf dem Wege einer "nationalsozialistischen Revolution" herzustellen. Demgegenüber, und das ist der erste Vorzug der Definition von 1933, wurde klargestellt, daß der faschistische Staat nicht Überwinder, sondern Bestandteil und Stütze der bürgerlichen Gesellschaft ist und diese Rolle in einem geschichtlichen Moment übernommen hat, da der Kapitalismus, der das imperialistische Stadium erreicht hatte, sich in einer Krise befand. Es ist die Bloßstellung dieses Zusammenhangs, die der Definition bis heute ihre Befeindung durch alle einträgt, die diese Einordnung des Faschismus an der Macht als mögliche und verwirklichte Staatsform der bürgerlichen Gesellschaft nicht wahrhaben wollen.

(9) Manche Theoretiker haben diese richtige Einstufung dadurch verballhornt, daß sie den faschistischen Staat gleichsam als die höchste und ideale Staatsform bürgerlicher Herrschaft ansahen, der bürgerliche Gesellschaften gesetzmäßig zustreben würden. Diese Auffassung hat dazu geführt, hinter allen möglichen Veränderungen bürgerlicher Herrschaftsverhältnisse faschistische Tendenzen zu wittern oder zu diagnostizieren. In Wahrheit aber kann bürgerliche Herrschaft unter voneinander sehr verschiedenen staatspolitischen Verhältnissen stabil sein und bleiben, wie die Geschichte beweist – unter denen der konstitutionellen Monarchie wie denen der parlamentarischen oder präsidialen Republik, denen der Militärdiktatur und auch anderen autokratischen Systemen. Der faschistische Staat bildet mithin keinen Idealtypus. Er ist eine Herrschaftsalternative, die bürgerlichen zivilen und militärischen Eliten als brauchbar und geeignet erscheint, wenn sie – erstens – ihre Macht dadurch besser gesichert sehen als mit den bisher praktizierten herkömmlichen Mitteln und Methoden oder – zweitens – ihre Pläne für die Zukunft auf diese Weise zu verwirklichen hoffen. Beides war der "Fall" des 30. Januar 1933.

(10) Die Installierung des Faschismus in die Staatsmacht ist für die herrschenden Kreise einer bürgerlichen Gesellschaft, Bankiers, Industrielle, große Landbesitzer, Militärs u.a., nicht ohne Risiko. Das ist ein doppeltes. Das momentane besteht darin, daß der Widerstand starker demokratischer und sozialistischer Kräfte gegen diesen Wandel statt der gewollten Machtstabilisierung deren Erschütterung bewirken kann. Und das chronische ergibt sich aus der Tatsache, daß die neue faschistische Staatselite, wenn sie verbraucht ist und versagt, weniger leicht verabschiedet werden kann, als das mit einer Politikergruppe in parlamentarischen Zuständen möglich ist. Die konzentrierte diktatorische Gewalt derer, die am Staatsruder stehen, kann dann gegen die Installateure und Profiteure dieser Macht schlagen. Die kommen in die Situation des Zauberlehrlings, der die Geister nicht mehr bannen kann, die er rief. Ein Teil der deutschen Herrschaftselite erfuhr das am 20. Juli 1944. Auch diese Erfahrung hat beigetragen, andere Herrschaftssicherungen zu bevorzugen als die faschistische, zumal sich dafür geeignete Instrumente haben finden lassen.

(11) Die Faschismusdefinition des Jahres 1933 hat Autoren, die namentlich nicht bekannt sind. Georgi Dimitroff, der sich Ende 1933 in Leipzig in der Gewalt der Faschisten befand, gehört nicht dazu. Er hat indessen durch seine Rede auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale zwei Jahre später, als die Definition in seinem Bericht zitiert wurde, zu deren Autorität und Verbreitung beigetragen. So ist die Bezeichnung Dimitroff-Definition (abwertend: Dimitroff-Formel) zustande gekommen. Wer sich in dieser Rede und anderen, die 1935 auf dem denkwürdigen Kongreß gehalten wurden, namentlich in der von Palmiro Togliatti, informiert, erkennt leicht, daß die Reduzierung der marxistischen Beurteilung des Faschismus auf diese Definition im Mindestfall unzulässig ist oder eine absichtliche Verfälschung darstellt.

(12) Die Definition von 1933 ist, wie alle vergleichbaren, ein Kind ihrer Zeit. Ihr sind die deutschen Erfahrungen des zu Ende gehenden Jahres 1933 abzulesen. Die Charakterisierung des Faschismus an der Macht als offene terroristische Diktatur bezog sich sowohl auf das errichtete System der Konzentrationslager als auch auf die Rolle der Gerichte, die sich mit Todesurteilen und – das Reichsgericht mit dem Prozeß gegen Dimitroff und Genossen – als Instrumente des Terrors erwiesen hatten. Opfer dieser Methode der öffentlichen Gewaltanwendung waren früh auch deutsche Juden geworden. Daß sich das Regime später zeitweilig gesittetere Formen der Anwendung der Staatsgewalt aufzuschminken suchte, hat nichts daran geändert, daß es nie auf die groben, durch kein Gesetz begrenzten Methoden der Niederhaltung von Gegnern verzichtet hat. Im Kriege hat dieser Terror Formen und ein Ausmaß angenommen, die alle geschichtlichen Vorbilder weit übertrafen.

(13) Die Definition des Jahres 1933 war zugleich dazu bestimmt, sich von anderen Faschismusdeutungen und -analysen abzugrenzen, namentlich von jener, die in dieser Staatsgewalt ein Instrument kleinbürgerlicher Kreise zu erkennen glaubte. Im Widerspruch dagegen wurde konstatiert, daß diese Macht im Interesse der am meisten chauvinistischen und imperialistischen Kräfte des Finanzkapitals, also von Großbanken und industriellen Konzernen, wirke. Diese Feststellung drückte sich in der Zufriedenheit aus, welche diese wirtschaftsmächtigen Kreise mit der neuen Diktatur kundtaten, was sich in ihrem eigenen Beitrag zu deren Befestigung zeigte und auch personell in der direkten Beteiligung einschlägig geprägter Personen der Wirtschaftselite an der Staatslenkung. Diese Kreise haben von der Vernichtung der politischen wie der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung profitiert und dann von der Hochrüstung. Die Charakteristik des Faschismus an der Macht war mithin auch eine Warnung, die Expansion und die Gefahr eines Krieges signalisierte.

(14) Die materialistisch fundierte und sich an der marxistischen Theorie orientierende Analyse des Faschismus wird mitunter abwertend als "Agententheorie" bezeichnet. Es wird behauptet, mit ihr würden die Faschistenführer als "bloße Agenten" des Kapitals oder in der Rolle von Hampelmännern der Geschichte dargestellt, ein Bild, das jedem Kind geläufig ist und besagen soll, es werde das Verhältnis von ökonomisch Herrschenden und politisch Agierenden primitiv mechanisch dargestellt. Wie in der marxistischen Gesellschaftstheorie insgesamt dem Überbau eine aktive, relativ selbständige, auf die Basis zurückwirkende Rolle zuerkannt wird, so auch der faschistischen Staatsmacht. Die faschistischen Führer an der Staatsspitze tanzen nicht nach der Pfeife irgendwelcher Kapitalistenvereinigungen. Sie treffen am Staatsruder in Fragen der Innen- wie der Außenpolitik eigene Entscheidungen, doch bewegten sich diese unbezweifelbar im Wesentlichen, solange sie Erfolg hatten, im Bereich von Kapitalinteressen. Als sie militärisch geschlagen abtreten mußten, war in der deutschen Gesellschaft nach wie vor oben, was 1933 oben gewesen war. Die an der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide hatten ihr Eigentum im Ganzen erhalten, und manche hatten es gemehrt, die kleinen Leute waren zu Millionen um dieses Eigentum gebracht.

(15) Jene Kritik an der Definition des Jahres 1933, die auf das "Fehlen" der Rolle der Rassenideologie und auf die der Massengefolgschaft – das sind zwei Haupteinwände – verweist, ist unhistorisch und im Hinblick auf das Verdienst der Autoren ungerecht. Denn Ende 1933 war nicht abzusehen, daß die Massengefolgschaft, die das Regime im ersten Jahr der Diktatur gewonnen hatte, stabil bleiben werde. Es wurde geglaubt, daß innere, namentlich wirtschaftliche Krisen eine neue Situation schaffen und diese Herrschaft erschüttern würden. Und Ende 1933, als die antisemitische Aktivität der Machthaber zu einem zeitweiligen und irritierenden Stillstand gebracht wurde, um deren negative ökonomische Folgen zu begrenzen, war nicht entfernt zu erkennen, daß dieser Weg über Pogrome nach Auschwitz führen werde. Die Kritik, daß diese Kennzeichen in die Definition nicht eingingen, kann nur Spätere treffen, also namentlich die marxistischen Historiker, die nach Faschismus und Krieg forschten. Doch trifft sie in der Sache nicht zu. Die marxistischen Analysen waren über den Wissensstand des Jahres 1935 hinausgelangt. Doch hatten die Fortsetzer keinen Grund gesehen, aufzugeben, was an Erkenntnissen sich als richtig erwiesen hatte. Daß die Definition unangetastet blieb, war weniger ihrer Dogmatisierung geschuldet als Bedenken, daß sie durch Zusätze überladen und darüber der Kern der Aussage unscharf werden würde. Darüber läßt sich streiten.

(16) Die faschistischen Regime, die in den zwanziger bis vierziger Jahren in Europa entstanden, gleichen nicht wie ein Ei dem anderen. Sie haben viele Gesichter und unterscheidbare Prägungen, weshalb zwischen ihnen auch sprachlich differenziert wird. Begriffe wie Hitler-, Nazi-, Mussolini-, Monarcho-, Klerikalfaschismus werden in der Literatur benutzt. Jeder dieser Faschismen, ob als politische Bewegung, Ideologie und Staatsmacht, besitzt seine Besonderheiten von Land zu Land. Die wurden zum einen durch die Wege voraufgegangener, Traditionen stiftender nationaler Geschichte geprägt, zum anderen durch die konkreten Bedingungen, unter denen die Faschisten an die Staatsmacht gelangten, davon vor allem, ob ihr Sieg über Feinde und Rivalen vollständig war oder ob sie ihren Erfolg nur gemeinsam mit nahen Verwandten errangen und die gewonnene Macht mit diesen bis zu einem gewissen Grade teilen mußten. Diese Wege an die Macht differierten sehr, so der, den die Nazis in Deutschland gingen, von dem der Franco-Faschisten in Spanien, die nur mit deutsch-italienischer militärischer Hilfe an das Staatsruder gelangen konnten, und dieser wieder von dem der Klerikalfaschisten im Ustascha-Staat Kroatien, der nach der Zerschlagung Jugoslawiens von deutschen Gnaden geschaffen wurde. Das Kräfteverhältnis der herrschenden Kräfte in diesen Staaten – Bourgeoisie, Grundbesitzer, Militärs, Kirchenobrigkeit – war unterschiedlich und trug ebenso bei, daß die faschistischen Staatsgebilde ihr besonderes Gesicht erhielten. Das konnte zusätzlich durch Vorlieben und selbst durch Marotten der jeweiligen Führer mitbestimmt werden. Daher ist es abwegig, die "Dimitroff-Formel" mit dem Verweis abtun zu wollen, sie "passe" auf diese oder jene Ausformung des Faschismus nicht. Militant, chauvinistisch, expansiv, kriegerisch waren alle diese Regime. Wie im deutschen Nazistaat die Devise von Großdeutschland ausgegeben wurde, so die – und das schon vorher – vom Mittelmeer als dem mare italiano (mare nostrum) durch die Faschisten in Rom, die von Großungarn in Budapest, von Großrumänien in Bukarest. Nur waren die Voraussetzungen von der Bevölkerungszahl bis zum technisch-industriellen Niveau sehr verschieden, diese Ziele zu verfolgen und zu erreichen.

(17) Wie verschieden diese faschistischen Staaten sich auf den ersten Blick auch ausnahmen, ihre Gemeinsamkeiten überwogen: ihr diktatorischer Charakter und die Anwendung terroristischer Methoden gegen alle ihre wirklichen oder vermeintlichen Feinde, ihre Versuche, sich durch Terror, Demagogie und Erfolgsbestechung in der Bevölkerung eine stabile Basis zu schaffen, ihre antiaufklärerische Propaganda zum Zwecke der Verdummung und Beherrschung der Massen, ihre Verbreitung von Bildern von Feinden im Innern und jenseits der Grenzen zum Zweck der Militarisierung von Massen und zur Weckung eines kriegerischen Expansionsdrangs. Zu den Gemeinsamkeiten der faschistischen Regime gehörte – last but not least – auch ihr absolut wahrheitswidriges Verhältnis zur Geschichte der eigenen Nation, die Verweigerung jeder nach innen gerichteten kritischen Geschichtsbetrachtung und die Heroisierung der Vergangenheit, als deren Ziel- und Höhe- und Schlußpunkt sich die Faschisten ansahen.

Quelle: junge Welt, 17. Mai 2010

 

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