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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Frage der Glaubwürdigkeit ist existenziell für unsere Partei

Antwort von Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Bundestagsfraktion DIE LINKE

Liebe Genossinnen und Genossen, ich danke Euch für Euer Schreiben. Die in ihm zum Ausdruck kommende Sorge um die Positionierung unserer Partei in der schärfer werdenden politischen Auseinandersetzung teile ich ebenso wie die Kritik an der diesbezüglichen Diskussion und dem Umgang innerhalb der Partei. Ich danke Euch auch insbesondere dafür, dass Ihr in Eurem Schreiben auf die Widersprüche hinweist, die in den aktuellen öffentlich ausgetragenen Kontroversen sonst kaum thematisiert werden. Die Frage der Glaubwürdigkeit ist existenziell in unserer Partei und gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern. Diese Glaubwürdigkeit betrifft sowohl unsere inhaltliche Positionierung, aber nicht minder unser Handeln in Regierungsverantwortung – wie Ihr ja auch in Eurem Schreiben betont.

Diese Glaubwürdigkeit betrifft auch unseren Umgang mit der Öffentlichkeit und mit unseren Wählern. Dass wir auf allen Ebenen vor großen Herausforderungen stehen, ist klar. Gerade angesichts der derzeit schwierigen Situation brauchen wir deshalb ein Höchstmaß an Zusammenhalt und solidarischer Debatte in der Partei. Alles andere spielt nur denjenigen in die Hände, denen wir schon immer ein Dorn im Auge waren. Denn eines ist klar: Eine zerstrittene Partei wird nicht gewählt.

Es ist deshalb kontraproduktiv, wenn über die Medien Scheindebatten geführt werden. Unterstellungen, wie ich sie wiederholt in der Presse, insbesondere im ND, lesen musste, dass ich angeblich für eine AfD light eintrete, dass ich das Asylrecht beschneiden wolle und Obergrenzen fordere, gehören dazu. Wahr ist vielmehr, dass unsere Fraktion als einzige Fraktion im deutschen Bundestag geschlossen gegen alle Eingriffe in das Asylrecht gestimmt hat.

Es gab niemanden in unseren Reihen, der diese Positionierung in Frage stellen wollte. Unsachliche und teilweise auch bewusst unehrliche Angriffe auf die eigenen Leute schaden der gesamten Partei und lenken von der eigentlichen Problematik ab: dass es nämlich einen Zusammenhang gibt zwischen den von der Großen Koalition gesetzten politischen Rahmenbedingungen – schwarze Null, keine Reichensteuern! – und den Möglichkeiten zur Bewältigung der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen.

An diesem Punkt müssen wir ansetzen. Wir müssen unsere Partei wieder attraktiv gerade für die Menschen machen, denen es schlecht geht und deren Interessen alle in den vergangenen Jahren im Bund regierenden Parteien mit Füßen getreten haben. Eine Regierungspartei im Wartestand zu sein ist nicht unsere Aufgabe, erst recht nicht, solange uns für eine soziale Politik schlicht die Partner fehlen. Es muss uns darum gehen, den unverzichtbaren Wert unserer eigenen Partei auch in der Opposition als Interessenvertretung für Beschäftigte, Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner, aber auch für viele Selbständige in prekärer Situation wieder mit Leben zu füllen. Soziale Gerechtigkeit war und ist unser zentrales Thema. Und es sind genau die Fragen, die die Menschen bewegen. Warum gibt es keine sicheren und gut bezahlten Arbeitsplätze, sondern immer mehr unsichere und schlecht bezahlte Jobs? Warum entscheidet der Geldbeutel über die Versorgung, wenn man krank ist? Wer kümmert sich darum, dass es endlich ausreichend bezahlbaren Wohnraum gibt? Wie kann es sein, dass ich im Alter eine Armutsrente bekomme, obwohl ich immer in die Rentenkasse eingezahlt habe? Warum gibt es immer mehr Armut, während gleichzeitig andere Millionen scheffeln? Und warum ist Geld genug da für Auslandseinsätze, Rüstung und Militär und warum wird die Welt dadurch mitnichten sicherer, sondern es gibt immer mehr Krieg, Terror und Leid?

All das sind die Themen, die wir wieder nach vorn stellen müssen. Wir müssen wieder erlebbar machen, dass wir – im Unterschied zur AfD – nicht Teil des neoliberalen Parteienkartells sind, dass wir vielmehr die Systemfrage stellen und sehr konkret dafür arbeiten, die herrschende Politik zu verändern. Das ist unsere Aufgabe, auf die wir uns konzentrieren müssen.

Wir müssen den bevorstehenden Parteitag dazu nutzen, die mangelnde Geschlossenheit endlich wieder herzustellen – und zwar unmissverständlich. Innerparteiliche Angriffe müssen ein Ende haben. Dann wird es uns gelingen, in den bevorstehenden Wahlen und insbesondere bei der Bundestagswahl wieder an die Erfolge unserer Partei anzuknüpfen.

Mit solidarischen Grüßen

Sahra Wagenknecht