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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Ermordung von Elisabeth Käsemann und das Versagen des Auswärtigen Amtes

Dr. Winfried Hansch, Berlin

 

Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 in Argentinien wurden über 30.000 Menschen entführt, ermordet und in bis heute zum Teil geheimen Massengräbern »entsorgt«. Die blutige Auseinandersetzung, in den Augen argentinischer Militärs ein »Schmutziger Krieg« im Kampf gegen den Kommunismus, der »Argentinien und die Länder Südamerikas in Satelliten Russlands verwandeln sollte« [1], richtete sich gegen Guerilla-Gruppen, Peronisten, Gewerkschaftler, Intellektuelle, Geistliche und vermutliche linke Opposition. Bezeichnend hoch war der Anteil von Juden unter den Opfern. Das betraf auch etwa 100 Deutsche und Deutschstämmige, darunter Kinder deutscher Juden, denen die Faschisten die Staatsangehörigkeit aberkannt hatten.

Die Bonner Botschaft und die Putschpläne

Elisabeth Käsemann wurde vor 40 Jahren in der Nacht des 8. März 1977 in Buenos Aires in das Folterlager »El Vesubio« des argentinischen Heeres verschleppt und galt als »Desaparecida« (Verschwundene). Sie wurde wochenlang gefoltert und von den Militärs am 24. Mai mit 4 Schüssen aus kurzer Entfernung in den Rücken und ins Genick ermordet.

Am 10. März, einen Tag nach der Entführung, wurde die enge Freundin der Deutschen, die britische Studentin der Theologie, Diana Austin, verhaftet und in das Folterlager gebracht, in dem sich schon Elisabeth Käsemann befand. Nach Intervention der britischen Regierung wurde Diana Austin am nächsten Tag freigelassen.

Warum rettete die Bundesrepublik Deutschland seine Bürger nicht aus den Folterlagern in Argentinien? Welche Rolle spielte dabei die Botschaft Bonns? Botschafter Jörg Kastl unterhielt neben dem regelmäßigen Tennisspiel mit Junta-Mitglied Admiral Emilio Massera engste Kontakte zum Militärregime und den Geheimdiensten. Er war präzis in die Putschpläne eingeweiht und informierte darüber das Auswärtige Amt. Kastl empfahl vor dem Putsch den argentinischen Militärs, auf große Gefangenenlager wie das »Stadion« beim chilenischen Putsch in Santiago 1973 zu verzichten, um die Aufmerksamkeit der Massenmedien zu vermeiden. Die argentinischen Militärs errichteten dann über 600 geheime Folterlager.

Am 22. März wurde das Auswärtige Amt von Amnesty International über die Verhaftung von Elisabeth Käsemann informiert. Wann Botschafter Kastl Kenntnis von der Entführung erhielt, ist unklar. Der Vater, der Tübinger Theologieprofessor Ernst Käsemann, sandte jedoch noch im März ein Hilfegesuch an die Botschaft. Die Botschaften der BRD sind nach dem Grundgesetz und entsprechenden Gesetzen zum Schutz der Bürger des Landes verpflichtet.

Entscheidend für das unzureichende Tätigwerden ist wahrscheinlich die Einschätzung von Kastl, dass Käsemann eine Linksextremistin ähnlich der RAF sei. Noch im Alter von 90 Jahren äußerte er im Jahre 2014: »Die wäre auch bereit gewesen, Bomben zu werfen« [2]. Von Seiten der Botschaft rechtfertigte man den Terror der Militärs als Folge der Ausnahmesituation Argentiniens. Jörg Kastl und sein Nachfolger Botschafter Joachim Jaenicke waren verantwortlich für einen unzureichenden Schutz von Bürgern der BRD.

Nazibelastete Diplomaten, politische und wirtschaftliche Verflechtung

Andere Staaten wie Holland, Finnland und Großbritannien verurteilten offiziell die Inhaftierung der Elisabeth Käsemann. Die Regierung der BRD wurde nicht gleichwertig tätig. Das war nicht überraschend. Wenige Jahre vorher (1955 bis 1963) war in Buenos Aires mit Botschafter Werner Junker ein ehemaliges Mitglied der NSDAP (seit 1935) tätig, der als früherer Mitarbeiter des AA-Sonderbeauftragten für den Südosten, Hermann Neubacher, »Mitverantwortung für Raub- und Deportationsverbrechen auf dem Balkan trug«. [3] Der Nachfolger, Ernst-Günther Mohr, NSDAP-Mitglied seit 1935, war 1939 an der Botschaft des Deutschen Reiches in Den Haag an der Deportation von Juden aus den Niederlanden beteiligt. Von 1963 bis 1969 war Mohr Bonner Botschafter in Argentinien.

Die Tätigkeit von Nazidiplomaten in Buenos Aires war kein Sonderfall. Über »200 bundesdeutsche Botschafter, Generalkonsuln und Konsuln galten als Nazi-belastet«. [4]

Die wohlwollende Haltung der BRD-Regierung gegenüber Diktaturen Lateinamerikas erklärt sich einerseits aus der Einbettung der Außenpolitik der BRD in die damalige Ost-West-Auseinandersetzung der NATO. Argentinien galt als unterstützungswürdiger antikommunistischer Verbündeter. Anderseits bestimmten starke ökonomische Interessen Argentiniens und der BRD das politische Handeln:

  • Die Bundesrepublik Deutschland war der wichtigste Waffenlieferant Argentiniens (traditionelle Waffen und U-Boote). Diese wurden in der Regel mit staatlichen Hermes-Bürgschaften abgesichert.
  • Argentinien entwickelte das Projekt eines 70-Tonnen-Panzers (TAM: »Tanque Argentino Mediano«) auf der Basis des deutschen Panzers »Leopard« für den Markt in ganz Lateinamerika.
  • Die deutsche Kraftwerk Union (Siemens) verhandelte mit der Junta um Jorge Videla über die Lieferung des Blockes 2 für das Kernkraftwerk Atucha im Wert von über 3 Milliarden Deutsche Mark. Dieses Geschäft wurde von Staatssekretär Günther van Well direkt mit der Junta vorangetrieben.
  • Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 installierte Siemens das Farbfernsehen in Argentinien.

Ein weiteres Moment war eine unmittelbare Verflechtung der BRD-Botschaft mit dem Militärregime. Major Carlos Antonio Espanadero (Deckname »Major Peirano«) war der Verbindungsmann der BRD-Botschaft zur Militärjunta. Der Major beteiligte sich persönlich an den Menschenrechtsverletzungen der Militärdiktatur als Angehöriger der Geheimdienstorganisation »Batallon de Inteligencia 601«. Er benutzte für seine Tätigkeit auch Räume der BRD-Botschaft. Ein Polizei-Offizier war Chef der Bewachung der Botschaft und »nebenbei« in Haftzentren im Raum La Plata tätig.

Kritik und Widerstand

Der in diesem Zeitraum (1977) verantwortliche Staatsminister des Auswärtigen Amtes, Klaus von Dohnanyi, dessen Vater kurz von Kriegsende von den Nazis als Widerstandskämpfer hingerichtet wurde, erklärte zur Zuordnung von Elisabeth Käsemann zum bewaffneten Linksextremismus und demgemäß unzureichender Hilfe der BRD-Botschaft: Es »war falsch, Frau Käsemann in den Kreis der Terroristen zu stellen.« [5] Das wirft die Frage auf, ob man des Linksextremismus bezichtigte Bürger der BRD dem Foltertod südamerikanischer Militärdiktaturen überlassen dürfe.

Gegen dieses Unterlassen und die Haltung der Bundesregierung gab es seit 1977 Widerstand zahlreicher Menschen in der BRD und in Argentinien. Menschenrechtsorganisationen in beiden Ländern, besonders die 1997 gegründete »Koalition gegen die Straflosigkeit in Argentinien« in Nürnberg kämpften für eine strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen und gegen das Vergessen.

Seit 1998 ermittelte die Staatsanwaltschaft Nürnberg in über 55 Fällen von Opfern der argentinischen Militärdiktatur. Die Rolle großer deutscher Unternehmen wie Mercedes Benz Argentina wurde juristisch bisher nur zu einem geringen Teil aufgearbeitet. Im Prozess gegen argentinische Ex-Offiziere des Folterlagers »El Vesubio« im Jahre 2011 trat die Bundesrepublik Deutschland 34 Jahre nach dem Tod von Elisabeth Käsemann erstmalig als Nebenkläger in einem Menschenrechtsverfahren in Argentinien auf.

                         9. März 2017

 

Anmerkungen:

[1]  Ex-General Luciano Menéndez, Chef des 3. Heerescorps, (Eva Haule in: amerika21, 3. Juni 2015).

[2]  Jörn Lauerbach, »Die Welt«, 1. Juni 2014, S. 4.

[3]  In: »Das Amt und die Vergangenheit«, BLESSING Verlag, S. 604.

[4]  DER Spiegel«, 25. November 2012.

[5]  Jörn Lauerbach, »Die Welt«, 1. Juni 2014, S. 4.

 

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2017-01: »Gilberto-Bosques-Volkshochschule«

2016-03: Argentinien 40 Jahre nach dem Militärputsch vom März 1976

2015-07: Gilberto Bosques (1892-1995)