Die Bizone (1946-1949). Keimzelle des »Weststaats«
Prof. Dr. Siegfried Prokop, Bernau
Einigkeit der Antihitlerkoalition im Hauptkriegsziel
Zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren sich die Mächte der Antihitlerkoalition in einem Ziel völlig einig: Deutschlands Potential sollte so reduziert werden, dass deutsche Großmachtaspirationen künftig überhaupt nicht mehr aufkommen konnten. Neben dieser Einigkeit im Hauptkriegsziel gab es aber auch unterschiedliche und gegensätzliche Interessen der Alliierten.
Die amerikanische Nachkriegspolitik war zunächst beeinflusst vom Plan des amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau, der eine künftige deutsche Friedensbedrohung durch staatliche Zerstückelung, die nahezu völlige Vernichtung seiner industriellen Kapazität und die Umwandlung in ein Gebiet mit vorwiegend land- und weidewirtschaftlichem Charakter verhindern wollte. Der Morgenthauplan wurde von Präsident Franklin D. Roosevelt zwar zurückgewiesen. Dieser Plan hinterließ jedoch Spuren in der Direktive JCS 1067 des Komitees des amerikanischen Generalstabschefs und in der Positionierung vom Roosevelt nachfolgenden Präsidenten Harry S. Truman auf der Potsdamer Konferenz.
Die Sowjetunion, die noch auf den Konferenzen von Teheran und Jalta im Interesse der Antihitlerkoalition westliche Zerstückelungspläne unterstützt hatte, setzte ab Kriegsende auf einen deutschen Einheitsstaat. Josif W. Stalin erklärte am 9. Mai 1945 zur Überraschung der Westmächte, dass die Sowjetunion den Sieg feiere, sie sich aber nicht anschicke, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten. Die Sowjetunion, die die größten Kriegsschäden zu verzeichnen hatte, bestand auf deutschen Gebietsabtretungen entlang der Oder-Neiße-Linie und auf hohen Reparationen und Demontagen.
Das durch den Krieg völlig erschöpfte Großbritannien war nach Kriegsende eine »Weltmacht ohne Macht«. Premierminister Winston Churchill hatte ehrgeizige Pläne, die er allesamt nicht verwirklichen konnte. Dazu zählten: die Aufrechterhaltung des Empire mit seinem großen Kolonialgebiet, das weitere Agieren der Dönitz-Regierung als britisches Instrument, die Vereinigung Süddeutschlands, Österreichs und Ungarns zu einem »Donaustaat« und der Versuch, den Rückzug westlicher Truppen aus Thüringen, Sachsen und Mecklenburg auf die vereinbarten Zonengrenzen, zu verhindern. Churchill bekam noch während der Potsdamer Konferenz die Quittung vom britischen Volk. Er wurde abgewählt. Die nachfolgende Labour-Regierung verstaatlichte die Bank von England und den Kohlebergbau.
Frankreich, das zu den Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam keine Einladung erhalten hatte, rang um die Anerkennung als Großmacht. Charles de Gaulle, seit 1943 Präsident des in Algerien gegründeten »Französischen Komitees der nationalen Befreiung«, das im Juni 1944 in die von ihm geleitete provisorische Regierung umgewandelt wurde, bestand darauf, an der Besetzung Deutschlands mit eigenem Kommando teilzunehmen und eine eigene Besatzungszone zu erhalten. Zugleich erhob Frankreich Ansprüche auf das Saargebiet und andere linksrheinische Gebiete. Die an Frankreich grenzenden deutschen Länder sollten in einem Satellitenverhältnis zu Frankreich stehen. Restdeutschland stellte sich de Gaulle als weitgehend dezentralisierte, staatenbundartige Organisation vor.
Zur Zeit der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) konnte von einem ausgeprägten Ost-West-Gegensatz noch keine Rede sein, so dass zu den großen Fragen, die dort verhandelt wurden, wie z.B. die großen drei D (Denazifizierung, Demilitarisierung und Demokratisierung) Kompromisse geschlossen und Beschlüsse gefasst werden konnten. Im Potsdamer Abkommen war von einer Zerstückelung Deutschlands keine Rede mehr, aber auch nicht von staatlicher Einheit. Jedoch wurde die »wirtschaftliche Einheit« betont und auf die Schaffung einer zentralen deutschen Verwaltung unter dem Alliierten Kontrollrat und die Zulassung von deutschen Parteien orientiert.
Frankreich, das am Potsdamer Abkommen nicht beteiligt war, erkannte die Beschlüsse nicht an, behielt sich aber vor, ihre Genehmigung von Fall zu Fall zu akzeptieren.
Das Ergebnis der Potsdamer Konferenz bestätigte, dass die alliierte Verwaltung Deutschlands zunächst überwiegend funktionierte. Es konnten in der Folgezeit bedeutende Fortschritte bei der Bestrafung der Kriegsverbrecher (Nürnberger Prozesse), bei der Entnazifizierung und Demilitarisierung und der schließlichen Auflösung des Staates Preußen (1947) erzielt werden. Allerdings mehrten sich schon 1946 im Westen die Stimmen, die auf einen Bruch der Antihitlerkoalition hinarbeiteten.
Startschuss zum Kalten Krieg
Den Startschuss gab Winston Churchill mit seiner Rede in Fulton [1]. In seiner Stuttgarter Rede kündigte der amerikanische Außenminister James F. Byrnes bereits am 6. September 1946 an, dass sich seine Regierung nicht mehr an das Potsdamer Abkommen gebunden fühle. Am 12. März 1947 verkündete der US-Präsident die Truman-Doktrin in einer Botschaft an den Kongress, die der Sowjetunion eine expansive Politik unterstellte. Er beschwor die Bedrohung der »freien Welt« durch den Kommunismus: »Ich bin der Ansicht, dass es die Politik der Vereinigten Staaten sein muss, die freien Völker zu unterstützen, die sich der Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch Druck von außen widersetzen.« [2]
Im Kongress und in der Öffentlichkeit mobilisierte Harry S. Truman die politische und finanzielle Unterstützung für Griechenland und die Türkei.
Am 5. Juni 1947 folgte der Marshall-Plan, der eine europäische Wiederaufbauhilfe in Höhe von 17 Milliarden Dollar vorsah, die de facto der Wiederaufrichtung und Stärkung des westeuropäischen Kapitalismus zugutekam. Die Sowjetunion und die volksdemokratischen Staaten lehnten wegen der diskriminierenden politischen Rahmenbedingungen und der Infragestellung ihrer Souveränität diese »Hilfe« ab. Sie nahmen Kurs auf eine engere Zusammenarbeit untereinander (Ostblock).
Die Bildung der Doppelzone
Der Kurs auf eine separate Weststaatslösung wurde am 20. Juli 1946 von amerikanischer Seite eingeschlagen. Die US-Regierung schlug den anderen Besatzungsmächten vor, einen auf wirtschaftliche Aufgaben beschränkten Zusammenschluss der Zonen herbeizuführen. Der Vorschlag fand zunächst nur bei der britischen Regierung Anklang. Beide Militärregierungen verständigten sich nach Konsultation mit deutschen Vertretern darüber, wie die Verwaltung gestaltet werden sollte. Entsprechend dem Föderalismus der amerikanischen Zone sollten bizonale Verwaltungen nach dem Kollegialprinzip aufgebaut werden. Im September 1946 entstanden fünf gemeinsame Verwaltungsämter:
- Für Ernährung und Landwirtschaft in Stuttgart
- Für Verkehr in Bielefeld
- Für Wirtschaft in Minden
- Für Finanzen in Bad Homburg
- Für Post und Fernmeldewesen in Frankfurt/Main
Die in diesen Ämtern gefassten Beschlüsse erlangten erst Geltung, wenn sie durch entsprechende Länderverordnungen in Kraft gesetzt wurden. Die Tätigkeit der Zweizonenverwaltungsämter wurde von dem angloamerikanischen »Bipartite Board« kontrolliert. Die Außenminister Ernest Bevin und James F. Byrnes unterzeichneten am 2. Dezember 1946 ein Fusionsabkommen, das zum 1. Januar 1947 in Kraft gesetzt wurde.
Schon am 10. Juni 1947 unterzeichneten die Militärgouverneure ein Abkommen, durch das das »Vereinigte Wirtschaftsgebiet« mit Sitz Frankfurt/M. geschaffen wurde. An der Spitze stand der Wirtschaftsrat, eine indirekte 52 Mitglieder umfassende Volksvertretung, die aus den Länderparlamenten rekrutiert wurde. Der Wirtschaftsrat verfügte im Unterschied zu den bisherigen Verwaltungsräten auch über das Recht der Gesetzgebung. In der Anfangsphase vollzog sich die Entwicklung der Bizone noch im vorstaatlichen Raum, jedoch deutete trotz der anders gearteten offiziellen Verlautbarungen alles auf eine Staatsbildung hin. Um die Jahreswende 1947/48 begann eine dritte Phase der Zweizonenentwicklung. Die amerikanische und die britische Regierung vereinbarten, dass die USA allein alle Dollarverpflichtungen beider Besatzungsmächte für die Doppelzone tragen werde. Dadurch erhöhte sich der amerikanische Einfluss auf die Kontrollinstanz »Bipartite Board«. Am 5. Februar beschlossen die amerikanische und die britische Regierung ein neues Statut für das vereinigte Wirtschaftsgebiet, das die Gesetzgebungskompetenz erweiterte. Die Zahl der Mitglieder wurde von 52 auf 104 erhöht. CDU/CSU und SPD waren mit je 40 Abgeordneten vertreten, die FDP mit 8 und die KPD mit 6. Zu diesem »Frankfurter Statut« kam ergänzend noch ein »Deutsches Obergericht« und eine »Bank deutscher Länder« hinzu. Die Umrisse eines separaten deutschen Weststaates wurden schon deutlich sichtbar. Seit Herbst 1947 wurde die Erweiterung der Bizone durch die französische Zone zur Trizone erwartet. Dazu kam es aber nicht. Die Bildung der Trizone wurde in Aussicht gestellt. Der Termin war aber immer wieder verschoben worden. An die Stelle der Bizone trat 1949 die Bundesrepublik. Allerdings waren 1948 wichtige Verbindungslinien zwischen der französischen Zone und der Bizone geknüpft worden. Im April 1948 wurde die französische Zone neben der Bizone in die Organisation des Marshallplanes einbezogen. Eine weitere Station war die Währungsreform im Juni 1948, die die französische Zone einbezog, während die sowjetische Zone ausgegrenzt wurde. Sie begründete einen Moment dreizonaler Gemeinsamkeit. Mit der separaten Währungsreform zerriss der Westen Deutschlands Wirtschafts-Einheit.
Die Elbe als »Limes des Abendlandes«
Auf die Ausprägung der westlichen Politik als »Politik der brutalen Teilung« hatte ein Buch Einfluss, dass der in die Schweiz emigrierte deutsche Ökonom und Sozialphilosoph Wilhelm Röpke verfasst hatte. Zum Kriegsende publizierte er sein Buch »Die deutsche Frage«, das rasch mehrere deutsche Auflagen erlebte und auch in vielen anderen Sprachen erschien. Röpke verstand den Konflikt auf deutschem Boden von vornherein als Systemauseinandersetzung und entwickelte vom Standpunkt der Totalitarismus-Doktrin seine Vorschläge. Er prägte das Wort »Westlösung«. Röpke schrieb: »Die Westlösung, wie man sie kurz nennen könnte, wird deshalb empfohlen, damit in Westdeutschland endlich ein Kern der politischen und wirtschaftlichen Ordnung, der Prosperität, der Rechtssicherheit, des Respektes vor dem Menschen und der Freiheit entstehe, um den sich schließlich ganz Deutschland sammeln wird, sobald die Russen dem Drängen der Ostdeutschen, mit diesem Kerngebiet vereinigt zu werden, nachgeben. Eine solche Sammlung aller Deutschen in einem Staatenbund, der aus dem Kerngebiet des Westdeutschen Bundes herauswächst, setzt voraus, dass dieser Kern als ein solcher der politischen, wirtschaftlichen und geistigen Wiedergesundung wirklich eine sammelnde Kraft ausüben kann. Das aber ist nur möglich, wenn Westdeutschland zunächst seine eigenen Wege geht.« [4]
Röpke war fest davon überzeugt, dass die Sowjetunion auf lange Frist gesehen die Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus nicht würde bestehen können. Er begründete diese Sicht mit folgenden Worten: »Haben die Westmächte erst einmal den Deutschen wie den Russen gezeigt, was sie in ihrem Gebiete zu leisten vermögen, so werden die Folgen nicht ausbleiben. Rußland wird dabei umso rascher ins Hintertreffen geraten, als der gesamte russische Großraum dank seinem Wirtschaftssystem und dank seinen dilettantischen Agrarreformen dazu verurteilt sein wird, ein Hunger- und Elendsgebiet zu bleiben. Dass hier Rußlands schwacher Punkt liegt, kann niemandem verborgen bleiben. So überlegen es dem Westen in der Handhabung der tückischen Waffen der ›erweiterten Strategie‹ auch ist, so brauchte man die Lage des Westens doch nicht als ungünstig anzusehen, wenn er dem Sowjetbereich zeigen würde, dass sein Prinzip der Freiheit zugleich ein solches des Wohlstandes, der Ordnung und des Rechtes sein kann. Es ist Sache des Westens, sich dieser wahrhaft edlen Waffe, deren Geheimnis ihm Rußland nicht rauben kann, zu bedienen.« [5]
Mit der Bildung einer westdeutschen Konföderation würde den westlichen Alliierten der letzte Anlass genommen, das deutsche Wirtschaftspotential zu verstümmeln. So etwas zu tun, würde ihren eigenen Interessen widersprechen. Wenn den westlichen Alliierten auf geraume Zeit die Leitung der westdeutschen Konföderation überlassen wird, würden sie diese in einer die Deutschen versöhnenden Weise ausüben.
Schädlich wäre es, zwischen dem »russischen Ostdeutschland« und dem »abendländischen Westdeutschland« politische, geistige und wirtschaftliche Bindungen aufrechtzuerhalten. Würde man noch immer vom »Reiche« als einer Einheit, für die man Verfassungspläne schmieden kann, sprechen, so würde man bewusst die »Politik der Russen« unterstützen. Zusammenfassend führte Röpke aus: »Wir kommen zu dem Schluss, dass man unter den obwaltenden Umständen die föderative Neuordnung Deutschlands vorderhand auf das deutsche Hauptland westlich der Elbe beschränken muss, indem man eine Westdeutsche Konföderation schafft, an deren Spitze die westlichen Alliierten stehen … Es ist in der Tat zu hoffen, dass dieses föderative Westdeutschland, das nunmehr bis zur Klärung des russischen Problems [6] völlig von Preußen getrennt wäre und den wichtigsten und größten Teil Deutschlands ausmacht, bald in die atlantische Gemeinschaft aufgenommen würde, falls sich dieser auf der Gemeinsamkeit der Überlieferung, der geographischen Lage und der politisch-wirtschaftlichen Interessen beruhende Staatenverband verwirklichen ließe. Wir glauben, dass sich diese Westdeutsche Konföderation als würdiges und wertvolles Mitglied erweisen würde, nachdem sie den Weg wiedergefunden hat, den sie 1866 aufzugeben gezwungen wurde. Sie würde zurzeit den östlichsten Teil der ›Atlantic Community‹ bilden.« [7]
Über das Buch von Röpke entwickelte sich ein Streit zwischen dem Philosophen Wolfgang Harich und dem Herausgeber der »Deutschen Rundschau«, Rudolf Pechel[8], der ein großes Echo fand, der aber noch nicht erkennen ließ, dass hier ein chancenreicher Vorschlag für eine Langzeitstrategie des Imperialismus in seiner allgemeinen Krise vorlag.
Anmerkungen:
[1] Dazu ausführlich: Siegfried Prokop: Die Churchill-Rede in Fulton und der Ausbruch des »Kalten Krieges«, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform, Berlin März 2006.
[2] Konferenzen und Verträge. Vertrags-Ploetz. Würzburg 1959, S. 305.
[3] Darstellung nach: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Band 1. Stuttgart 1983, S. 416.
[4] Wilhelm Röpke: Die deutsche Frage. Dritte Aufl. Zürich 1948, S. 337.
[5] Ebenda.
[6] Röpke meinte damit das Ende der Sowjetunion!
[7] Wilhelm Röpke: Die deutsche Frage, a.a.O., S. 278.
[8] Wolfgang Harich: Röpke, Pechel und der Totalitarismus. In: Tägliche Rundschau, 23.08.1946, S. 3 – Rudolf Pechel: Von Himmler zu Harich. In: Deutsche Rundschau, 6/1946, S. 173-179.
Mehr von Siegfried Prokop in den »Mitteilungen«:
2013-06: Der 17. Juni 1953. Internationale Aspekte und Fragen der historischen Wertung
2012-03: Zur Gründung des Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands