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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Bilderverbrennung

Horsta Krum, Berlin

 

Auf Anordnung Hitlers waren aus deutschen Museen von Aachen bis Zwickau die Werke der sogenannten "entarteten Kunst" entfernt worden [1], und in einem Speicher in Berlin-Kreuzberg wurden sie von der "Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst" registriert: Plastiken, Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgrafiken bis hin zu Postkarten, 16.558 Nummern; da aber auch ganze Mappen dabei waren, ist die Zahl 20.000 nicht zu hoch gegriffen.

Zur Vorgeschichte

Die Kommission wählte einen Teil zum Verkauf aus. Der Verkauf begann am 1. September 1938 in den Räumen und mit Hilfe des Kunstdienstes der evangelischen Kirche. Zugelassen waren einige wenige ausländische und die deutschen Kunsthändler Bernhard Böhmer, Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt, Ferdinand Möller, die gegen Devisen kaufen oder gegen ältere Kunstwerke tauschen konnten.

Propagandaminister Joseph Goebbels hatte die nominelle Leitung dieser Kommission, sein Mitarbeiter Franz Hofmann war Geschäftsführer. Er wollte das, was nicht gleich verkauft war, so schnell wie möglich vernichten und schreibt an Goebbels am 28.11.1938, dass ein Teil "zu propagandistischen Zwecken" aussortiert sei; es bestehe "zweifellos ein öffentliches Interesse an einem Gesamtabschluss der ganzen Aktion. Ich schlage deshalb vor, diesen Rest in einer symbolischen propagandistischen Handlung auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen und erbiete mich, eine entsprechend gepfefferte Leichenrede zu halten." [2] Der Mitarbeiterin des evangelischen Kunstdienstes Gertrud Werneburg diktiert er eine Liste der noch vorhandenen Werke.

Goebbels zögert und will Adolf Ziegler, den Präsidenten der Reichskunstkammer, zur Stellungnahme auffordern. Auch die Kommission äußert Bedenken, wohl in Absprache mit Goebbels. Zwei Mitglieder stellen im Februar 1939 den Antrag, sie "vor dem Vernichtungsakt von der Verantwortung dieser Maßnahme zu entbinden." Rolf Hetsch, Mitarbeiter im Depot, und Günter Ranft vom Kunstdienst werden von Goebbels beauftragt, weitere Werke aus dem Bestand auszusortieren. Beide sind Fachleute und genießen Goebbels' Vertrauen. Dieser ist, im Gegensatz zu Hitler, Göring usw. ein heimlicher Liebhaber dieser Kunst, muss aber den offenen Konflikt mit Hofmann vermeiden, denn er ist in privaten Schwierigkeiten und also in einer schwachen Position. So ist denn auch die Antwort auf Hofmanns drängenden Brief vom 22.2. ein kommentarloses, an den Rand geschriebenes Ja.

Die Bilderverbrennung

Am 20. März 1939 wird das Depot geräumt. Dies gilt, offiziellen Angaben zufolge, als Datum der Bilderverbrennung. Das jüngste mir bekannte Beispiel, das diese fraglos übernimmt, ist Robert M. Edsels Buch "Die Monuments Men" [3]. In seinem Buch "Hitlers fromme Bilderstürmer" (2001) vertritt Hans Prolingheuer die gegenteilige These, dass nur Verpackungsmaterial verbrannt sei, um Hofmann zu täuschen und ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Diese These wird zunächst einmal dadurch gestützt, dass es weder Augenzeugen noch Fotos gegeben hat. Was geschah mit den Kunstwerken, wenn sie nicht verbrannt wurden?

Spuren, Hinweise

Eine genaue Übersicht werden wir nie bekommen, aber als Hinweis hilft, was wir von Günther Ranft wissen. Recherchen aus den neunziger Jahren ergeben, dass er der ehrlichste unter allen Mitarbeitern war, um die Rettung der Kunst bemüht. Als Hofmanns Pläne bekannt wurden, verkauften Ranft und Hetsch, geduldet von Goebbels, viele Werke unter Preis. Und Kunsthändler Bernhard Böhmer kaufte riesige Bestände auf, die er an Ranft und Hetsch, vielleicht noch andere, treuhänderisch weitergab. Ranft [4] gab einiges weiter und versteckte selbst viele Kunstwerke an Stellen in und um Berlin. Wohl auf Betreiben des Vorsitzenden des evangelischen Kunstdienstes musste Ranft ab 1943 Kriegsdienst leisten, den er nicht überlebte.

Alle, ausgenommen das Kunsthändler-Ehepaar Fohn, das etwa 200 Werke gegen Kunst der Romantik eingetauscht hatte, betrachteten die ihnen überlassene oder billig gekaufte Kunst als ihr persönliches Eigentum, auch die Witwe von Ranft. Sie war Engländerin und ging 1947 mit ihren Kindern nach London. Den Transport "ihrer" Kunstwerke übernahmen Angehörige der englischen Besatzungsarmee. Der Verkauf brachte ihr ein gutes Vermögen ein (u.a. verkaufte sie zwei Federzeichnungen von Lovis Corinth, von Otto Dix "Schlachtfeld mit Knochen und Stahlhelmen"), und es blieben noch Erbstücke für ihre Kinder.

Eine heiße Spur ist erst seit kurzem öffentlich: die sogenannte Harry-Fischer-Liste. Auf Goebbels Anordnung wurde sie 1941/42 von Hetsch und Ranft erstellt und galt als verschollen. Der Londoner Buch- und Kunsthändler Harry Fischer, Emigrant aus Wien, erwarb sie wahrscheinlich in den sechziger Jahren, und 1996 ging sie in den Besitz des Victoria & Albert Museum, London, über, das sie kürzlich, immerhin nach achtzehn Jahren (!), veröffentlichte. [5] Waren die bisher bekannten Listen unvollständig, enthielten außer der Herkunft der Kunstwerke nur einige handschriftliche Eintragungen, so gibt diese Liste auch Auskunft über den Verbleib jedes Werkes, z.B. welcher Händler es tauschte oder zu welchem Preis kaufte. Hildebrand Gurlitt, der jetzt durch seinen Sohn von sich reden machte, erhielt u.a. die Aquarelle Selbstbildnis und "Mädchen" von Dix für je 20 Schweizer Franken, andere für zehn. Und dann, wahrscheinlich in der zweiten Verkaufsphase, in der, so Werneburg, verschleudert und verramscht wurde, war der Verkauf von Aquarellen für einen Schweizer Franken keine Seltenheit, nicht nur an Gurlitt, sondern an alle Kunsthändler. Es tut weh zu sehen, wie sie reihenweise Druckgraphiken, geschätzt weit über tausend, von Lovis Corinth, Erich Heckel, Emil Nolde usw. für 0,2 Sfr bekamen - aber das hat ja wohl zum Überleben der Werke beigetragen, ganz sicher auch zum guten Leben der Händler. "Wir haben doch alle davon gelebt", sagte Werneburg später zu Prolingheuer. [6]

Zum Missfallen der Kommission hatte sich Reichsmarschall Hermann Göring einige bekannte Werke ausgesucht, z.B. "Turm der blauen Pferde" von Franz Marc, drei Werke von Vincent van Gogh, nicht weil er diese Werke liebte, sondern weil sie teuer waren und er sie gegen andere, ihm genehme, tauschen lassen konnte.

Als die Kommission Ende 1941 Bilanz zieht, kann sie Einnahmen von umgerechnet 516.397 Reichsmark verbuchen. Göring legt 165.000 RM dazu, die direkt an die Berliner Nationalgalerie gehen, obwohl der Schätzwert das Vielfache betrug!

Viele Werke sind mit einem T gekennzeichnet, was Tausch bedeutet. Das Ehepaar Fohn kaufte nicht, sondern tauschte, und der Kunsthändler Möller tauschte viel, aber kaufte auch. Angaben über die in den Tausch gegebenen Werke hat die Liste nicht, wohl aber die Protokolle, auch wenn diese Angaben keineswegs vollständig sind. Nach Ortwin Rave [7] beläuft sich der Gesamtwert der getauschten Bilder auf etwa 131.000 Reichsmark, wobei das kostbarste Tauschobjekt eine Landschaft von Caspar David Friedrich gewesen ist.

Etwa ein Drittel der Werke, meist von weniger bekannten Künstlern, aber eben nicht durchgehend, sind mit einem X gekennzeichnet, das Vernichtung bedeutet. Zieht man aber in Betracht, dass in England und den USA viele, viele Kunstwerke wieder aufgetaucht sind, wird wohl auch von diesen mit X versehenen Werken vielleicht keines oder nur ein Teil vernichtet sein. Jedenfalls kann die Liste bei der Suche helfen.

Den "Turm der blauen Pferde" - er wurde in die USA (Cincinnati) verkauft [8] - werden wir wohl nicht wiedersehen und manch andere wertvolle Stücke auch nicht. Jedenfalls hilft diese nun endlich veröffentlichte Liste, den Weg nachzuzeichnen, den die 1937/38 konfiszierten Kunstwerke inzwischen genommen haben. Hoffentlich erfahren wir nun auch im einzelnen, welche Werke bei Cornelius Gurlitt gefunden wurden und was sich noch in den Archiven öffentlicher Gebäude oder in feierlichen Räumen von Banken usw. befindet. Wir dürfen gespannt sein!

 

Anmerkungen:

[1] Im Januar berichteten die "Mitteilungen" über den Kunstraub der Nazis und über die Plünderung deutscher Museen.

[2] Über die Protokolle der Verwertungskommisssion gibt das Bundesarchiv Auskunft; Einzelheiten auch bei Diether Schmidt, In letzter Stunde, 1964, S. 226ff.

[3] Es wurde 2013 veröffentlicht (deutsch), bringt lesenswerte Einzelheiten, wie die von den Nazis geraubte Kunst gefunden wurde, muss aber ansonsten kritisch gelesen werden.

[4] Einzelheiten zu Ranft bei Prolingheuer, S. 365ff.

[5] Im Internet unter www.vam.ac.uk/entartetekunst.

[6] Prolingheuer, ebenfalls S. 365.

[7] Ortwin Rave, Kunstdiktatur im Dritten Reich, 1949, S. 68.

[8] Ebenda, S. 66.

 

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