Deutschland im Rezessions- und Militärmodus – und kein Aufschrei!
Dieter Wahl, Ahrensfelde/Eiche
Wie die Regierungsspitze mit dem Ukraine-Krieg umgeht
Nachdem im ersten Buch »Der Krieg ins Ungewisse« die Ursachen des Ukraine-Dramas analysiert wurden, geht Dieter Wahl im Ende 2024 erschienenen zweiten Band der Frage nach, wie Deutschland damit umgeht. Der folgende Text ist ein vom Autor gezogenen Fazit des über 600-seitigen brisanten Inhalts von Band 2, das auf die im Buch zahlreich angeführten Internet-Quellen verzichtet und das wir hier komplett online dokumentieren. In der Printversion wurde nur der Abschnitt »Lügen und Erzeugen von Kriegspsychose« als Auszug dokumentiert. – Red.
»Man muss die Dinge mit Augenmaß betreiben. Es bringt nichts, einfach nur empört zu sein.«
Oliver Kempkens, bayerischer Topmanager, Inhaber zahlreicher Chefsessel in deutschen, amerikanischen und russischen Konzernen und Analysator der russischen Wirtschaft, am 20. April 2023 gegenüber der »Berliner Zeitung«
Eine schiere Katastrophe
Als die Scholz-Regierung Anfang 2024 endlich selbst eingestehen musste, dass Deutschland in einer eklatanten Wirtschaftskrise steckt, war das nicht sonderlich überraschend. Denn schon knapp zwei Jahre zuvor hatte Ökonomieminister Robert Habeck kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine selbst eingestanden, die überstürzt verordneten EU-Sanktionen gegen den Aggressor würden zur Belastung der eigenen Wirtschaft und zur Erhöhung von Inflation und Energiepreisen führen. Angekündigt hatte er das in erstaunlicher Freimütigkeit bereits am 23. Februar 2022 in der ARD-Abendsendung »Maischberger.die woche«. Danach wurde er noch deutlicher am 2. Mai am Rande einer Brüsseler EU-Sondersitzung zu Energieproblemen. Originalton gegenüber ARD, ZDF und Deutscher Welle:
»Wir werden uns aber natürlich selbst schaden. Das ist ja völlig klar. Der Sinn von Sanktionen ist, dass eine Gesellschaft, in diesem Fall die europäische Gesellschaft, Lasten trägt. Die Wirtschaft, die Verbraucher, die Konsumenten. Alle werden einen Beitrag leisten müssen. Es ist undenkbar, dass Sanktionen ohne Folgen für die eigene Volkswirtschaft beziehungsweise die eigenen Preise sind. Wir werden höhere Inflation, höhere Energiepreise und eine Belastung der Wirtschaft haben, und wir sind als Europäerinnen und Europäer bereit, die zu tragen, um der Ukraine zu helfen. Aber kostenlos ist es nicht möglich, das hinzubekommen. Es wird Härten geben, und die Härten werden getragen werden müssen.«
Damit hatte der Vizekanzler schlichtweg einen Niedergang der Wirtschaft und des Lebensstandards im selbstverständlichen Namen aller Deutschen angekündigt. Nun ist es so: Natürlich braucht das Volk der von Russland überfallenen Ukraine bei der Verteidigung seines Landes unser aller Solidarität und Hilfe. Wenn sie aber so ausufernd werden, dass sie das eigene Volk wirtschaftlich und sozial in arge Bedrängnis bringen, stimmt da wohl im Denken und Handeln einer Staatsobrigkeit grundsätzlich etwas nicht. Zudem dreht Habeck aus politischer Ad-hoc-Empörung über Nacht den Hahn für russisches Billiggas zu, um gemeinsam mit seinem Chef Olaf Scholz bei zuvor noch als Menschenrechtsverletzer geschmähten Katar-Scheichs um Ersatz zu betteln. Nachdem außer Spesen nicht viel gewesen, fand er ihn schließlich bei verteuertem US-Frackinggas, einem verflüssigten Erdgas, das meist auf gesundheits- und umweltschädigende Art gewonnen wird. Damit verstieß der Minister auch noch gegen seine erklärte grüne Umweltpolitik, während der zu schädigende russische Präsident Putin für sein nun überschüssiges preisgünstiges Gas vornehmlich China und Indien als dankbare Abnehmer fand.
Selbst ökonomische Laien dürften begreifen, dass solch massive Einschnitte keine Volkswirtschaft der Welt aushält. Ergo: In berechtigter Solidarität mit der Ukraine vernachlässigte die Regierung die Belange ihres eigenen Volkes und zettelte in einem spontanen Straffanatismus einen fatalen Wirtschaftskrieg mit Moskau an. Obwohl die Sanktionspakete nachweislich weniger den Kreml als vielmehr den Absender trafen, wurde Ende 2024 unbeirrt auch noch das 15. Paket geschnürt. Dies alles begleitet von pauschalem Russenhass und milliardenschweren Waffenpaketen in einer konzeptionslosen Haudrauf-Politik, bei der die Diplomatie von Anfang an auf der Strecke blieb.
Damit brach Minister Habeck seinen Amtseid, mit dem er geschworen hatte, seine Kraft dem Wohle des Volkes zu widmen und Schaden von ihm abzuwenden. Nicht nur, dass er seine Kraft nicht dem Volkswohl widmete; er nutzte sie sogar, um selbiges zu schmälern und – wie er selbst zugibt – der Wirtschaft und damit dem Volke zu schaden. Anders ausgedrückt: Anstatt Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, hat er ihn nicht nur geduldet, sondern sogar mitverursacht – und dies im vorherigen Wissen um die Folgen seines Tuns. Also muss ihm eine gewisse Vorsätzlichkeit des Herunterwirtschaftens seines eigenen Landes attestiert werden. Käme da eine Klage wegen Meineides in Frage?!
Die zusätzliche Dreistigkeit besteht darin, dass mit der Ansage des Wirtschaftsministers die Botschaft verbunden ist: Liebes Volk, sage später nicht, du hättest nicht gewusst, dass es bergab geht. Und die Härten werden wir alle gemeinsam tragen müssen – also auch ich, Robert Habeck, mit nach eigenen Angaben rund 15.500 Euro monatlichem Amtsgehalt, das sich mit Sondergeldern und Abgeordnetendiäten auf über 25.000 Euro summiert, publiziert auch von FOCUS online am 9. März 2024 mit einem passenden Foto, auf dem sich der Minister die Hände reibt. Nebeneinkünfte wie die 88.200 Euro für 2022/2023 seien nur als Fußnote erwähnt. Und wie er, Robert Habeck, muss auch der von ihm zwangsverpflichtete deutsche Proletarier die dem Lande aufgebürdeten »Lasten« mit schultern. Er, mit einem monatlichen Durchschnittslohn von 2.325 Euro laut Online-Beschäftigungsportal Talent.com für das Jahr 2024. So er denn überhaupt in Lohn und Brot steht.
Mit dieser Misswirtschaft einer astronomischen Volksferne, Herr Minister Habeck, haben Sie darüber hinaus Ihrem erklärten Feind AfD ein unerwartetes Geschenk gemacht. Es versetzte deren Chefin Alice Weidel am 31. Januar 2024 in die Lage, mit sichtlicher Wollust vom Bundestag-Rednerpult aus zu giften: »Diese Regierung hasst Deutschland!«
Darüber hinaus gibt es eine vernichtende Einschätzung des deutschen Wirtschaftsdesasters durch die ausländische Geschäftswelt. Darüber berichtete am 17. April 2024 der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse, Theodor Weimer, auf einer Tagung des »Wirtschaftsbeirates Bayern« in München. Er sei viel international unterwegs und wisse daher aus erster Hand, wie ausländische Investoren mittlerweile über Deutschland denken, sagte der Börsenchef. Er resümierte: »Ich kann Ihnen sagen: So schlecht wie jetzt war unser Ansehen in der Welt noch nie« und belegte die deprimierende Aussage mit Beispielen. Dann folgte der für einen Wirtschaftsboss beispiellose Wutausbruch mit einem Rundumschlag gegen die Regierungspolitik und den Zustand der deutschen Wirtschaft:
»Ich habe inzwischen mein 18. Treffen mit unserem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck hinter mir – und ich kann Ihnen sagen: ›Es ist eine schiere Katastrophe‹… Wir sind ökonomisch gesprochen auf dem Weg zum Entwicklungsland.«
Die Brandrede des Konzernchefs wurde in einem Video festgehalten und am 7. Juni 2024 per YouTube auf der Internet-Plattform X veröffentlicht.
Da dieser Crashkurs, der das Staatsschiff in arge Schlagseite brachte, von SPD-Kapitän Olaf Scholz und Habecks Grünen-Zwilling Annalena Baerbock mitgestaltet wurde, ist ihnen ebenfalls ein gebrochener Amtseid anzulasten. Glück im Unglück: Ein milder Winter dämpfte die Auswirkung fehlender Energiemengen. An alle, die sich vor kalten Stuben grausten, hatte Altbundespräsident Joachim Gauck zuvor in der ARD-Talkrunde »Maischberger« am 9. März 2022 appelliert: »Wir können auch einmal frieren für die Freiheit«.
Rückendeckung erhält Robert Habeck für seinen Titanic-Kurs von höchster Stelle. Am 28. Oktober 2022 bereitet auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Bevölkerung Deutschlands auf eine schwierige Zukunft vor. Bei einer Veranstaltung mit der Deutschen Nationalstiftung in seinem Amtssitz Schloss Bellevue sagt er: »Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu. … Es beginnt für Deutschland eine Epoche im Gegenwind.« Einschränkungen seien für jeden Einzelnen unvermeidbar, prophezeit er seinem Volk und appelliert an dessen Bereitschaft, diese selbstverursachte Misere mit helfendem Willen durchzustehen. Wörtlich:»Jeder muss beitragen, wo er kann.«
Ja, Herr Bundespräsident, nur mancher hat nichts mehr zum Beitragen. Auch Sie haben in ihrem Amtseid geschworen, ihre Kraft dem Volkswohl zu widmen. Dafür haben Sie ihre Kompetenzen als Staatsoberhaupt nicht genutzt, sondern die Desaster-Strategie der Regierung unkritisch mitgetragen. Indem Sie weder mäßigend auf den Hauruck-Aktionismus des Vizekanzlers einwirkten noch eine besonnene Wirtschaftspolitik mit Augenmaß anmahnten, müssen Sie sich ebenfalls fragen lassen, ob Sie Ihren Amtseid wirklich nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt haben.
Die »Beendigung« von Nordstream 2
Wie ein Nachschlag zu Habecks hektischem Lieferstopp für russisches Gas wirkten am 26. September 2022 die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines. Jegliche Quellen Moskauer Gaszufuhr für die Bundesrepublik sollten versiegen. Genau das hatte US-Präsident Joe Biden gut sieben Monate zuvor unverblümt angekündigt. Am 7. Februar 2022 erklärte er beim Antrittsbesuch von Kanzler Scholz im Weißen Haus auf einer gemeinsamen Pressekonferenz:
»Wenn Russland einmarschiert, ... dann wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. Dann setzen wir dem ein Ende.« Auf die Nachfrage einer verblüfften wie ungläubigen Journalistin bekräftigte Biden: »Wir werden – ich verspreche es Ihnen – wir werden dazu in der Lage sein.«
Kanzler Scholz gestattete die beispiellose Einmischung in nationale Belange Deutschlands fügsam und widerspruchslos, stand in ergebener Haltung neben seinem übergroßen Boss und gab in schweigender Demut sein »Amen« dazu. Ein politischer Eklat der Oberklasse, denn ein Land, das einen so entscheidenden Teil seiner ökonomischen Souveränität mit widerspruchsloser Bereitwilligkeit an seine sogenannte Schutzmacht abtritt, hat damit endgültig bewiesen, dass es nicht nur keine eigenständige Außenpolitik mehr hat, sondern sich sogar in Kardinalfragen der Innenpolitik hineinreden lässt.
Russland hatte einen Sabotageschaden von 1,6 Milliarden Euro zu beklagen, wurde aber dessen ungeachtet verdächtigt, sein eigenes, gemeinsam mit Deutschland betriebenes Gasnetz zerstört zu haben. Das behauptete auch ohne mit der Wimper zu zucken der Befehlshaber des territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant André Bodemann, am 1. Juli 2024 im Interview mit dem Fernsehnachrichtenkanal ntv. Russland wurde zudem unterstellt, es wolle das Gebiet der baltischen Staaten zurückerobern und akzeptiert wurde, dass Deutschland die zivile Aufmarsch- und Versorgungsbasis der an die Ostfront ziehenden US-Truppen sein soll.
Zuvor äußerte die Unterstaatssekretärin des US-Außenministeriums Victoria Nuland am 26. Januar 2023 bei einer Anhörung im Kongress ihre unverhohlene Freude über den Pipeline-Anschlag:
»Senator Cruz, wie Sie bin auch ich – und ich denke, auch die Regierung – sehr erfreut darüber, dass Nord Stream 2 nun, wie Sie sagen, ein Haufen Metall auf dem Meeresgrund ist.«
Schon am 27. Januar 2022 hatte Nuland noch vor Bidens Ankündigung nahezu wortsynchron zu ihm prophezeit: »Wenn Russland auf die eine oder andere Weise in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 nicht weitergeführt«. Und nach der Tat klang es geradezu wie ein Eingeständnis, als die US-Botschafterin in Deutschland, Amy Gutmann, in der »Sächsischen Zeitung« am 1. Dezember 2022 wissen ließ: »Auch die Beendigung von Nordstream 2 war wichtig, denn das war kein guter Deal.« Das hörte sich an wie ein zufrieden gesetzter Schlusspunkt. Mission abgehakt, Akte geschlossen!
Russland ruinieren – ein gutes Geschäft für Amerika
Der völlig schmerzfreie Vietnam-Schreibtischtäter, Meister internationaler Versöhnungs-Deals, Vermittler zwischen den Ost-West-Fronten, Verhandlungsschlitzohr und Ex-Außenminister der USA, Henry Kissinger, prägte den Satz: »Amerika hat keine dauerhaften Freunde oder Feinde, nur Interessen.« Nachzulesen in Kissingers Publikation »Imperialism and Expansionism in American History: A Social, Political and Cultural Encyclopedia and Document Collection«, herausgegeben von Chris J. Magoc & David Bernstein, Erstveröffentlichung am 14. Dezember 2015.
Der Schnellste beim Anbiedern an den großen Überseefreund war Vizekanzler Habeck. Er war es, der sich den amerikanischen Interessen in vorauseilender Fügsamkeit mit dem klaren Bekenntnis zu einer »dienenden Führungsrolle« der Bundesrepublik andiente. Wörtlich sagte er am 1. März 2022 bei seinem Antrittsbesuch in den USA: »Je stärker Deutschland dient, umso größer ist seine Rolle.« Diese unterwürfige Bereitschaft wurde in Washington sehr wohlwollend registriert, wie Focus Online am 2. März 2022 bemerkte.
Des Wirtschaftslenkers Grünen-Zwilling Annalena Baerbock füllte die Dienerrolle auf ihre Weise aus. Nicht etwa mit ausdauernder Verhandlungs-, Dialog- und Deeskalationspolitik, wie es das ureigene Berufsethos und Kerngeschäft einer Chefdiplomatin sein sollte, sondern mit steriler, unkreativer Russlandpolitik, besser gesagt Vernichtungspolitik.
Am 25. Februar 2022 artikuliert Frau Baerbock mit Blick auf das mitinitiierte erste EU-Strafpaket gegen die Russische Föderation: »Das wird Russland ruinieren!« Man höre gut hin: Die Sanktionen sollen nach klar formulierter Aussage nicht etwa eine russische Angreifer-Armee vernichten, sondern Russland – und damit einen Staat und sein Volk. Und das sagt nicht irgendeine Außenministerin, sondern eine deutsche! Ausgerechnet eine deutsche!! Die Aussage ist so explosiv, dass sie eine Chefdiplomatin normalerweise aus dem Amt katapultieren müsste. Denn es sind mit dem Schwergewicht einer Außenministerin gesetzte Worte, von denen jeder Diplomat auf dieser Welt weiß, dass unbedachte Formulierungen auf höchster politischer Ebene enormen Schaden anrichten können und deshalb wohl überlegt sein wollen. Insofern ist die angedrohte pauschale Ruinierung eines Landes »fast schon faschistoid« zu nennen, schrieb der ehemalige bundesdeutsche Spitzenpolitiker Oskar Lafontaine am 30. August 2022 im Online-Portal der »Berliner Zeitung«. In der Tat erinnert diese erschreckend rigide Wortwahl in fataler Weise an die Empfehlung von Hitlers Generalstabschef Franz Halder:
»Operation hat nur Sinn, wenn wir den Staat in einem Zug schwer zerschlagen. Ziel: Vernichtung der Lebenskraft Rußlands.«
So festgehalten in der Filmdokumentation »Unternehmen Barbarossa – Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion«, Copyright »Deutschland 2021«. Das Nachrichtenmagazin Spiegel bestätigt Halders Formulierung am 28. Juli 1964 in Heft 31:
»Je schneller wir Rußland zerschlagen, um so besser. Operation hat nur Sinn, wenn wir den Staat in einem Zug schwer zerschlagen … Bestimmter Entschluß, Rußland zu erledigen.«
Am 8. April 2023 skandierten Sprechchöre bei einer Berliner Palästinenser-Demonstration »Tod Israel« und andere Parolen zur Vernichtung des Landes. Nach Berichten der »Berliner Zeitung« vom 8. (Online) und 11. April 2023 (Tagesausgabe) kam es zu Strafanzeigen und polizeilichen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Von einem Ermittlungsverfahren gegen Frau Ministerin Baerbock, die ebenfalls ein Land vernichten will, ist bislang nichts bekannt.
Beileibe kein Einzelfall, wie im Buch nachzulesen ist. Ob eine fragwürdige Kriegserklärung an Russland, vermeintliche Panzerschlachten im 19. Jahrhundert, außenpolitische Eklats oder eine verstörende Äußerung über Gleichgültigkeit gegenüber dem Willen ihrer Wähler – die Außenamtschefin hat sich wahrlich mit Wort und Tat redliche Mühe gegeben, damit man ihre intellektuellen und politischen Fähigkeiten und damit ihre Amtseignung grundlegend anzweifeln muss. Sie läuft zur Höchstform auf, wenn sie den Ruinierungspaketen gleich noch Waffenpakete hinterher schicken kann, begleitet vom Schlachtruf »Die Ukraine muss gewinnen!« – so, als ginge es um ein Pferderennen in Hoppegarten und nicht um die Kampfansage an eine der größten atomaren Weltmächte. Nassforsche heldenhafte Heißspornigkeit ist da wohl weniger angebracht. Aber vielleicht fällt Frau Baerbock auch noch die konsequente Langfassung ihres Kampfrufes ein: »Die Ukraine muss gewinnen! Wetten, dass?«
Die Ikone der Grünen-Anfangszeit und Ex-Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, rechnet in ihrem bewegenden politischen Vermächtnis vom Februar 2023 mit der Negativentwicklung ihrer Partei ab und charakterisiert Frau Baerbock als »schrillste Trompete der neuen antagonistischen NATO-Strategie«, ausgestattetmit »argumentativer Schlichtheit«.
Während sie die ersten Boykottpfeile nach Moskau schoss, schwor der Bundespräsident sein Volk im Stil eines Wanderpredigers auf eine neue Mentalität ein. Mit Blick auf den Ukrainekrieg dozierte Steinmeier am 28. Oktober 2022: »Die Friedensdividende ist aufgezehrt.« Daraus schlussfolgert er: »Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen. Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und auch die Kraft zur Selbstbeschränkung.«Nötig sei aber keine Kriegsmentalität.
Die forderte Verteidigungsminister Pistorius fast auf den Tag genau ein Jahr später, als er am 29. Oktober 2023 in der ZDF-Sendung »Berlin direkt« verkündete: »Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.« Wohlgemerkt auch die Gesellschaft!
Man bedenke: Die militärische Ukraine-Solidarität der NATO begann 2022 mit der schüchternen Lieferung von Schutzwesten und Helmen. Und nach der zaghaften Kiew-Belieferung von Schützenpanzerwagen, dem scheinheiligen Geziere und Gezerre um die »Leopard«-Kampfpanzer mit ihrer letztendlichen Freigabe sowie dem anhaltenden Gerangel um »Taurus«-Raketen kam zumindest für den Beschuss russischen Territoriums mit NATO-Waffen eine kategorische Absage. Die ist nun ebenfalls aufgehoben, als hätte es sie nie gegeben.
Nun, rund drei Jahre später, hat das westliche Waffenbündnis den von Putin begonnenen bilateralen Krieg zu seinem eigenen gemacht und bestimmt mit der Führungsmacht USA sogar die ukrainischen Angriffsszenarien gegen Russland. Dies in einem Stellvertreterkrieg, über den US-Senator Lindsey Graham am 25. September 2023 bei einem Kiew-Besuch Reportern des US-Fernsehsenders »CBS« sagte:
»Wir haben nicht einen einzigen Soldaten verloren. Wir haben die Kampfkraft der russischen Armee um 50 Prozent reduziert, und keiner von uns ist dabei gestorben. Das ist ein gutes Geschäft für Amerika.«
Verblüffend ähnliche Töne höre ich später von Außenministerin Baerbock in einem Interview der Süddeutschen Zeitung vom 16. Juni 2024:
»Es ist kaum zu beziffern, wie viel es kosten würde, wenn wir unsere Freiheit und Sicherheit selbst verteidigen müssten.«
Solch kleinliche, pedantische Finanzrechnungen wie die von Frau Baerbock kennt Ministerkollege Pistorius nicht. Der hat vorsichtshalber schon mal hundert Milliarden Rüstungsgelder für die Bundeswehr eingesackt und mit 90,6 Milliarden Euro fast nochmal soviel an NATO-Beitrag für das Jahr 2024 abgeliefert. Mit diesem Anteil von 2,12 Prozent am Bruttoinlandprodukt gehört Deutschland bei einem geforderten und von nicht allen Partnern erreichten 2-Prozent-Ziel auch auf der Militärschiene zu den Musterschülern.
Als Finanzbündel aller 32 NATO-Staaten liegt in der Schatztruhe europäischer Aufrüstung nunmehr die astronomische Summe von 1,4 Billionen Euro – eine Zahl, mit deren Niederschrift mancher Zehnklässler Probleme haben dürfte.
Was mich zusätzlich umtreibt, ist die beklemmende Wahrnehmung, dass durch Spitzenpolitiker wie die FDP-Waffenfrontfrau Strack-Zimmermann oder den Grünen-Haudegen Hofreiter oder den CDU-Außenstrategen Röttgen eine Verschärfung des Ukrainekrieges geradezu herbeigeredet wird, ohne dass es im Gegensatz zu massenbewegten Antirechts-Demonstrationen eine spürbare Straßenopposition gibt. Dafür treffen sich in Berlin am 20. April 2024, dem Internationalen Cannabistag, viertausend Menschen, um die Teillegalisierung der Rauschdroge mit einer Kifferparty zu feiern. Die »Berliner Zeitung« zitiert in ihrer Online-Ausgabe vom 20. April 2024 den Jugendrichter am Amtsgericht in Bernau, Andreas Müller, der in der prinzipiellen Aufhebung des Marihuana-Haschisch-Verbots eine »riesige Freiheitsbewegung« sieht.
Im Kontrast dazu kurbelt Verteidigungsminister Pistorius einen immer schärferen Ukraine-Waffentransfer an und spricht am 19. Januar 2024 im »Tagesspiegel« überraschend von einem möglichen Deutschland-Angriff Putins in einem »Zeitraum von fünf bis acht Jahren«. Dafür müsse sowohl die Bundeswehr als auch die Gesellschaft »kriegstüchtig« und »wehrhaft« aufgestellt werden.
Lügen und Erzeugen von Kriegspsychose
Am 11. April 2024 berichteten das »Handelsblatt« auf seiner Online-Seite und das US-Nachrichtenportal »Bloomberg« übereinstimmend, dass sich Europa laut Pistorius auf einen russischen Großangriff vorbereiten müsse. Beide Publikationen zitierten, was der Sozialdemokrat am 11. April 2024 bei der Präsentation des Buches »Winston Churchill« im Berliner Urania-Gebäude geäußert hatte:
»Putin wird nicht aufhören, wenn der Krieg gegen die Ukraine vorbei ist, das hat er klar gesagt. Genau so klar wie Hitler, der auch immer sagte, dass er nicht stoppen würde.«
Nun müsste ein Regierungsmitglied wissen, dass zu jeder Behauptung ganz selbstverständlich ein Beleg, ein Beweis, eine Quellenangabe gehört. Das trifft erst recht zu auf einen Mann der ersten Reihe und auf eine solch äußerst schwerwiegende Aussage nebst geschichtsvergessenem Hitler-Vergleich. Eine in ihrer Öffentlichkeitswirkung weitreichende ungeheuerliche Anschuldigung. Wann, wo und wie, Herr Minister Pistorius, hat Russlands Staatslenker »klar gesagt«, er wolle nach der Ukraine weitere Länder überfallen?
Ich habe Putins Äußerungen seit seiner unseligen Invasion am 24. Februar 2022 genau verfolgt und denke, nicht nur mir wäre eine solch empörende, haarsträubende und aufsehenerregende Drohung aufgefallen. Sie hätte garantiert sofort weltweit Schlagzeilen gemacht.
Der Verteidigungsminister zaubert sie nun urplötzlich aus dem Hut und niemanden wundert es. Wenn Sie, Herr Pistorius, ihre folgenschwere Anschuldigung nicht schlüssig beweisen können, muss ihre Behauptung als Lüge qualifiziert werden – als eine verdammt schlimme Lüge, die den ohnehin durch ihre »Kriegstüchtigkeits«-Politik entstandenen gesellschaftlichen Zustand von Beklemmung und Angst zur Hysterie hochschaukeln könnte. Bliebe dann nur noch die Frage, wann wir die emotionale Eskalationsstufe einer Panik erreichen werden.
Der makabre Treppenwitz neudeutscher Politik besteht darin, dass die Bundesregierung selbst einen engen Mitstreiter ihres Ministers Pistorius der Propagandalüge überführen musste. Bundeswehr-Generalleutnant André Bodemann behauptete am 1. Juli 2024 bei der Vorstellung des »Operationsplans Deutschland«: »Putin hat gesagt, dass er das alte Gebiet der Sowjetunion wiederherstellen möchte.« Ähnliche Stimmen kamen auch aus dem Außenministerium. Die Regierung antwortete laut Bundestagsdrucksache 20/12418 auf eine entsprechende Anfrage des AfD-Parlamentariers Thomas Dietz: »Äußerungen des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, wonach eine Wiederherstellung der Sowjetunion beabsichtigt werde, sind der Bundesregierung nicht bekannt.«
Es ist wohl keine allzu große Spekulation, dass es dieselbe Antwort auch auf die Frage nach der Kenntnis von Putin-Plänen für einen Deutschland-Angriff geben würde. Trotzdem werden solche Behauptungen zuhauf in die Welt gesetzt. Auch von Ministerin Baerbock. Auf der Tagung »Ein Jahr Nationale Sicherheitsstrategie« am 1. Juli 2024 behauptete sie: »Wladimir Putins Imperialismus hört – wie er immer wieder in Reden zeigt – nicht bei der Ukraine auf.« Und vor dem Bundestag am 4. Juli 2024 resümierte sie: »Seine Bomben meinen auch uns ...« Oder Grünenfreund Anton »Toni« Hofreiter, der als Vorsitzender des Europa-Ausschusses des Bundestages in einem Interview mit der »Berliner Morgenpost« vom 22. September 2023 deklamierte:
»Wenn wir aufhören, Waffen zu liefern, wird es keinen Frieden geben. Dann wird die Ukraine den Krieg verlieren – und Russland die nächsten Länder ins Visier nehmen: Moldau, Georgien, das Baltikum.«
Es wird drauflos behauptet, spekuliert und gelogen, dass sich im Kanzleramt und gewissen Ministerien die Balken biegen. Man verzeihe mir die naive Frage: Dürfen die denn das? Dürfen denn dem Volkswohl und der Wahrheit verpflichtete Top-Politiker wie Pistorius, Baerbock, Bodemann, Hofreiter und Co. solch unbelegte, unbewiesene düstere Angriffs-Behauptungen oder bloße Annahmen und Vermutungen über russische Überfall- und Aggressions-Pläne einfach mal so von sich geben? Ist es übertrieben, solch vermutete Horrorszenarien als unverantwortliche massenmanipulative Erzeugung von Kriegspsychose einzustufen? Dürfen die denn das ohne juristische Folgen mit der voraussehbaren Wirkung, damit eine breite Öffentlichkeit auf Dauer in psychologische Angstzustände und hysterische Kriegsmentalität zu versetzen?
Der Bau von Atomschutzbunkern und Schutzräumen für Privatpersonen jedenfalls boomt. Schon im ersten Kriegsjahr erschien die »Schwäbische Zeitung« am 16. Mai 2022 mit der Titelzeile: »Die Bunkerbauer aus Berlin profitieren von der Kriegsangst der Deutschen«.
Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach hörte die kriegerischen Unkenrufe seines Waffenministers und beschloss, nun auch das deutsche Gesundheitswesen auf Kriegstüchtigkeit zu trimmen und damit auf »militärische Konflikte« vorzubereiten. In einem Interview mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung« vom 2. März 2024 forderte er die Krankenhäuser und Arztpraxen auf, sich ebenfalls auf die Notlage eines Putin-Überfalls einzustellen.
Vom fiebrig steigenden Pegel der Kriegshysterie werden auch die Jüngsten der Gesellschaft nicht verschont. Denn am 16. März 2024 verlangte FDP-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger von den Schulen, auch junge Leute auf den Kriegsfall vorzubereiten. Gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe forderte sie die Einführung von Zivilschutzübungen im Schulsystem. Die Ministerin warb für die Idee sogenannter Jugendoffiziere in den Schulklassen und forderte für die Schüler- und Lehrerschaft ein »unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr«.
Schon am 14. September 2023 hatten Radiokanäle wie der WDR mit seinen Hörern am sogenannten deutschlandweiten Warntag den Ernstfall geprobt. Auf dem Onlineportal des Senders war zu lesen: »Kommunen und Landkreise müssen Vorbereitungen treffen – zum Beispiel mit Katastrophenschutzplänen. Auch Bürgerinnen und Bürger sollten sich auf den Ernstfall einstellen.« Und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe rät, für den Ernstfall einen Vorrat an Essen und Trinken für zehn Tage im Haushalt zu horten. Dafür gibt es sogar eine detaillierte Liste mit Lebensmitteln, die für eine Notfallversorgung empfohlen werden.
Das alles ist voll im Sinne der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung vom Juni 2023. Darin ist festgeschrieben: »Unverzichtbare Grundlage unserer Wehrhaftigkeit sind Bürgerinnen und Bürger, die bereit sind, ihren Beitrag hierzu zu leisten.«
Und Mainstream-Journalisten ziehen regierungskonform und karriereeifrig am selben Strang – auch prominente Moderatoren, die mitunter peinlicherweise sogar unter der politischen Gürtellinie agieren. Beispiel Sandra Maischberger in ihrer gleichnamigen Talkshow am 3. Juli 2024 in der Ukraine-Diskussion mit Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer. Als die Journalistin ihn fragt, wie er ihn beenden wolle, wird er unwillig. Zu recht, denn seit über zwei Jahren vertritt er einen Verhandlungsstandpunkt, den alle interessierte Welt kennt, nur scheinbar die Moderatorin nicht. Dann kritisiert Kretschmer, dass abwägende Stimmen zu einer diplomatischen Lösung beiseite geschoben worden seien. Wörtlich: »Es ist ein Fehler, diese Diskussionen nicht geführt zu haben. Weil wir sie führen müssen.« Andere Rezepte hätten schließlich nicht funktioniert.
Frau Maischbergers Unbehagen ist förmlich greifbar, denn es droht ein geharnischter Vorwurf ihrer Brötchengeber, den einige ihrer Zunft schon über sich ergehen lassen mussten: dass sie nämlich Äußerungen ihres Gesprächspartners außerhalb der Staatsräson widerspruchslos hinnehme. Also fragt sie den Landesvater, ob er nicht Angst habe, dass der Russe eines Tages vor Sachsens Haustür stehe, zumal Putin Dresden gut kenne.
An dieser Stelle habe ich weggeschaltet, weil die erträgliche Schmerzgrenze überschritten war. In keiner Presserezension habe ich auch nur ein einziges Wort über diese Primitivität gelesen. Natürlich, Man hält zusammen, wenn man im selben Boot sitzt, das bei einem verkehrten Ruderschlag leicht kentern kann. Siehe bestürzende Beispiele dafür im ersten Ukraine-Band.
Man stelle sich also vor: Russische Truppen marschieren nach der Erledigung der Ukraine durch das NATO-Land Polen und dann ins NATO-Deutschland und lassen die gesamte weit überlegene Militärmacht von 32 Vertragsstaaten auf sich eindreschen. Putins Einheiten kämen nicht einmal bis ins polenöstliche Lublin, da vom ersten Grenzübertritt an der Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages ausgelöst würde und Russland keine militärische Chance eines konventionellen Direktkrieges hätte. Denn das gemeinsame personelle und materielle Militärkontingent des Nordatlantikpaktes übersteigt das der Russischen Föderation um ein Vielfaches, nachzulesen in der offiziellen Statistik zum »Vergleich der Militärstärke von NATO und Russland im Jahr 2024«.
Ich habe im ersten Ukraine-Band aus neugierigem Interesse zusammengetragen, mit welchen Ausdrücken westliche Politiker den russischen Staatschef bedacht haben. Die illustre Skala der Bezeichnungen reicht von »psychopathischer Serienkiller«, »Schläger und Gangster des KGB« über »Terroristenchef« und »Hassprediger« bis zu »Massenmörder« und »Überhitler«. Mag alles sein, wenn ihn die Führer der westlichen Welt so sehen. Aber was er garantiert nicht sein dürfte, ist ein Selbstmörder, zumal er zwei Töchter hat und zweifacher Großvater ist, wie er auf einer bislang einmaligen »Bürgerfragestunde« im Juni 2017 verriet. Dass er Gerüchten zufolge mit der früheren Olympiasiegerin Alina Kabajewa eine neue Frau in seinem Leben gefunden hat, dürfte bei ihm auch keine Todessehnsucht geweckt haben.
So ist es denn vielleicht und ausnahmsweise verständlich, warum er auf dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum am 5. Juni 2024 vor Journalisten ausrastete. Bei einem Pressetreffen mit internationalen Nachrichtenagenturen, darunter auch der deutschen dpa, machte ihn die Frage fassungslos, ob er beabsichtige, die NATO anzugreifen: »Sie haben sich ausgedacht, dass Russland die Nato angreifen will. Sind Sie komplett verrückt geworden? Sind Sie so dumm wie dieser Tisch? Wer hat sich das ausgedacht? Das ist Unsinn, verstehen Sie. Bullshit.« Auch beim Besuch eines Trainingszentrums der russischen Luftstreitkräfte in der Stadt Torschok der Region Twer wurde Putin am 27. März 2024 zu den westlichen Behauptungen befragt, er hätte noch andere Staaten im Visier. Seine Antwort: »Absoluter Blödsinn«.
Selbst für Hardliner dürfte es schwer werden, ihre Behauptung zu rechtfertigen, Putin lüge prinzipiell immer, wenn sie das militärische Ost-West-Kräfteverhältnis kennen würden und dazu noch den Charakter des Krieges mit seiner Vorgeschichte. Das kreuzgefährliche Dilemma ist, dass solche Scheuklappen-Mitbürger auf Biegen und Brechen in ihrer Blase vorgefertigter Einfachmeinungen bleiben wollen und sich jeglichen Fakten einer Differenzierung der Ukraine-Problematik mit emotionaler Wucht verschließen. Das ist die zusätzliche Tragik, die dieses Land unter dem heutigen Hang eines obrigkeitsgeförderten Meinungsmonopols immer stärker in zum Teil dunklen Einzelkanälen radikalisiert. Es gilt immer heftiger nur Schwarz und Weiß und dies mit der Gewalt des Stärkeren. Emotionen statt Tatsachen, lautstarke Dominanz statt leiser Nachdenklichkeit, Rechthaberei statt Detailkenntnis, Nachbeten statt Faktenwissen, Voreingenommenheit statt Sachkunde.
Der Aufschrei bleibt aus
Ich frage besorgt: Ist dies alles das Entzünden der Lunte zu einer Endzeitstimmung, um Deutschland mit zügellosem milliardenschwerem Aufrüsten unter Zurückstellung bis Nichtbeachtung der Zivilinteressen in eine waffenstarrende Festung zu verwandeln? In ein »Bollwerk gegen Russland und Putin«, wie die »Frankfurter Rundschau« am 29. Februar 2024 das Ziel der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte. Sie hatte sich tags zuvor in Straßburg »für den Ausbau der europäischen Rüstungsindustrie und eine höhere Waffenproduktion« ausgesprochen. Und Ex-NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wurde im Interview mit dem »Tagesspiegel« vom 21. Februar 2024 noch direkter: »Wir benötigen die Ukraine als Bollwerk gegen ein aggressives Russland.« Da fehlte nur noch die Bestätigung durch den ukrainischen Präsidenten. Die hatte die »Frankfurter Allgemeine« bereits am 11. Juli 2023 geliefert: »Die Ukraine soll nach dem Willen von Präsident Selenskyj zum Bollwerk der NATO in Osteuropa werden.« Das hatte der Staatschef der Ukraine am Vortag, dem 10. Juli, in seiner abendlichen Videobotschaft wissen lassen.
Also die Ukraine nicht nur NATO-frei, was Russland als eine seiner Bedingung für eine Problemlösung fordert, sondern im Gegenteil als NATO-Bollwerk! Und das in Verbindung mit der durch nichts bewiesenen Ansage, dass Russland auch Deutschland überfallen werde, wenn es mit der Ukraine fertig sei. So in »fünf bis acht Jahren«, wie Deutschlands Waffenmeister verkündet. Deshalb sind prophylaktisch schon mal kriegstüchtig Helm und Rüstung anzulegen!
Nun auch von mir eine Behauptung, die aber überprüfbar ist: Weder der Verteidigungsminister, der gerade mal so seinen Grundwehrdienst absolviert hat, noch die anderen Honoratioren der Leitpolitik – allesamt Laienmilitärs – haben das Wesen des Ukraine-Krieges erfasst – dafür aber die einmalige Chance, durch Putins selbstverschuldeten Invasionsfehler endlich auch die Restsowjetunion hinzurichten. Keiner hat dies aus den eigenen Reihen so klar ausgedrückt wie Deutschlands Ex-Außenminister Sigmar Gabriel in einem Interview mit dem »Stern« vom 12. Juni 2024, übernommen am selben Tag vom Onlineportal des TV-Kanals ntv:
»Ich hätte nicht gedacht, das einmal sagen zu müssen: Aber wir werden Russland noch einmal so niederringen müssen, wie wir das im Kalten Krieg mit der Sowjetunion gemacht haben.«
Was mich in ratlosem Entsetzen zurücklässt: Jeder hat die Aussagen zur Notwendigkeit einer durchorganisierten Militarisierung Deutschlands vernommen – und der geballte öffentliche Aufschrei bleibt aus. Und nicht nur das: Die jüngste »Bewertung der wichtigsten Politiker in Deutschland nach Sympathie und Leistung im Dezember 2024« sieht Boris Pistorius als beliebtesten Politiker der Bundesrepublik. Da ich dies als unwirklich empfinde, hier ausnahmsweise die Internet-Originalquelle:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1817/umfrage/noten-fuer-spitzenpolitiker/
Wie, so frage ich tief besorgt, soll ich mir das erklären? Die Masse Volk nimmt die Kriegsankündigungen – so scheint es – mit Gleichmut und in ergebener Lethargie hin wie ein Verurteilter seine Strafe. So hat sich denn im deutschen Alltag in schleichender Unterschwelligkeit die Massenpsychose eines scheinbar unabänderlichen Krieges mit Russland breit gemacht und findet – wie es aussieht – massenweise Akzeptanz. An die Stelle eines öffentlichen Aufbegehrens oder zumindest Widerspruchs scheint das Gefühl der Ohnmacht einer überforderten Angstgesellschaft getreten zu sein, die sich eigenes Denken nicht mehr zutraut und sich stattdessen bedingungs- und hilflos den Einschätzungen und Entscheidungen der Obrigkeit ausliefert. Dies, obgleich das Stimmungsbild der Meinungsforschung gerade in Sachen überbordender Waffenlieferungen an Kiew oft anderes besagt. Welch Abgründe an Widersprüchen tun sich da auf! Ist es der Ausdruck einer gespaltenen Zivilgesellschaft mit gespaltener Zunge? Oder ist es durch einen unbewältigten Problemberg von Rezession und Gewaltzunahme über Migration und Corona bis Klimawandel und Krieg eine schon vielfach geschredderte Gesellschaft, die nun endgültig ihren inneren Zusammenhalt verloren hat? Wo Andersdenkende von Meinungssoldaten in aller Öffentlichkeit ans Putin-Kreuz geschlagen werden, ist Demokratie zur Worthülse verkommen.
Der beliebteste deutsche Politiker jedenfalls unternimmt weiterhin alles, um sein Volk weiter zu verunsichern und zu ängstigen. So verkündete Pistorius am 24. April 2024 in der ARD-Talkshow von Sandra Maischberger: »Wir tun immer noch so, als würden wir in Friedenszeiten leben!«
Mit welch rauschhafter Wichtigkeit verkündet da der Verteidigungsminister der Deutschrepublik das Ende der Friedenszeit in seinem Land. Und Ende der Friedenszeit heißt ja wohl im Umkehrschluss nichts anderes als Beginn der Kriegszeit. Mit wem bitte befindet sich die Bundesrepublik im Krieg? Mit Russland? Verwechsle ich da Deutschland mit der Ukraine? Also höre ich nach dem Vizekanzler und der Außenministerin nun endlich auch die Bestätigung des Verteidigungsministers, dass die Bundesrepublik Kriegspartei ist?!
Bleibt die Frage, welche Abgründe sich noch auftun werden, wenn eine Politik des wirtschaftlichen Niedergangs, der Meinungsdrangsalierung und der Kriegspsychose fortgesetzt wird.
Am 8. Januar 2025
Dieter Wahl: Der Krieg ins Ungewisse, Band 2, Wie Deutschland mit dem Ukraine-Drama umgeht, novum Verlag München 2024,
ISBN-Nummer 978-3-7116-0057-8, 629 Seiten / 27,90 Euro.
Den Band 1 resumierte Dieter Wahl in der September-Ausgabe 2024 der »Mitteilungen«.
Mehr von Dieter Wahl in den »Mitteilungen«: