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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der Ton macht die Musik oder Manipulation am Beispiel "Weltspiegel"

Reiner Kotulla, Leun

Jeden Sonntag um halb acht werden wir informiert. Meistens über Alltägliches, weitab von der großen Politik. Zu Wort kommt dann der "kleine Mann auf der Straße". Ausgewogene Berichterstattung – auf den ersten Blick, besser auf den ersten Ton, der ja bekanntlich die Musik macht.

Irgendwann fielen mir da Unterschiede auf, die ich zunächst nur erahnte. Dann hörte ich genauer hin und wurde in meiner Annahme bestätigt. Einmal klang der Berichterstatter freundlich-zustimmend, ein anderes Mal aggressiv-anklagend. Zwei Beispiele:

1. Weltspiegel, Sonntag, 7. Dezember 2008: "Kredite für Straßenkinder" [www.daserste.de/weltspiegel/archiv.asp]

Mit positiver Anteilnahme und zukunftsweisendem Optimismus in der Stimme wurde über Zustände in Delhi berichtet, die bei vielen Eltern der deutschen Mittelschicht das blanke Entsetzen auslösten, handelte es sich um ihre Kinder, über die dort berichtet wird. Da wird Ratnesh vorgestellt:

"Er ist 13 und seit ein paar Jahren schon schlägt er sich alleine durch, als Tagelöhner in Alt Delhi, und bis jetzt hat er immer irgendeine Arbeit bekommen. Heute hat er zusammen mit anderen Straßenkindern bei einem Veranstaltungsdienst angeheuert. Laut Gesetz sind sie für diese schwere körperliche Arbeit viel zu jung, doch die Kinder brauchen Geld zum Überleben. Sie schuften also trotzdem, bis zu 16 Stunden am Tag. Dafür gibt es gerade mal 120 Rupien, knapp zwei Euro. Früher hat sich Ratnesh dafür oft richtig satt gegessen, dazu noch ein paar Süßigkeiten, bis vom Lohn des Tages nichts mehr blieb. Doch seit ein paar Monaten hat er angefangen, etwas zur Seite zu legen. Er träumt jetzt davon, einmal ein eigenes Geschäft zu haben. "An seinen Traum zu denken", sagt er, "mache auch die schwerste Arbeit leichter."

Und wo kann er "etwas zur Seite legen"? Bei Mahfooz, der auch von der Straße kommt. "Inzwischen organisiert er die Straßenkinderbank. Gewissenhaft schreibt er ins Kassenbuch, wer wie viel eingezahlt hat. (...) Mahfooz muß seine Kassenbücher seinem Vorgesetzten Awadhesh zeigen. (...) Wie immer gehen die beiden, dann Konto für Konto durch, alles in Ordnung. (...) Und dann macht sich der Junge auf den Weg zu Verwandten, quer durch Alt Delhi. Vor einem Jahr hat er bei der Bank zum ersten Mal gesehen: Wenn man ein paar Rupien am Tag zurücklegt, bleibt irgendwann ein kleines Sümmchen übrig. Er hat begonnen, darüber nachzudenken, was man mit etwas Geld kaufen könnte. Die Familie seiner Tante lebt noch immer unter freiem Himmel, sowie er früher auch. Sie existieren noch immer von einem Tag zum anderen, so wie zehntausende Menschen auf Delhis Straßen."

Und schließlich ist da noch Sanjeev. "Seit fünf Jahren schon lebt er auf der Straße: ‚Inzwischen möchte ich gar nicht mehr nach Hause, erst haben meine Eltern mich geschlagen, dann sollte ich verschwinden, ich möchte nicht mehr zurück. Jeden Morgen kurz nach fünf fängt er an zu arbeiten, und am Mittag hat Sanjeev meist um die 50 Rupien verdient, weniger als einen Euro. Das ist genug, um einen Tag in Alt Delhi zu überleben, genug, um nicht zu hungern. Doch sein Chef am Teestand zahlt nur, wenn er gut arbeitet. Sanjeev will unabhängiger von ihm sein, und so begann er, vor ein paar Monaten zu sparen: Ich habe ein Sparbuch und ein normales Konto, dort ist mein Geld jetzt sicher. Es ist noch nicht sehr viel, aber von dort kann ich etwas holen, zum Beispiel wenn ich krank bin.’"

Drei Jungen im Alter um die dreizehn Jahre, in Delhi, Indien, 2008. Sie arbeiten hart, für umgerechnet zwei Euro bis zu 16 Stunden am Tag und können, man höre und staune, davon noch etwas auf die hohe Kante legen, bei einer Bank, die ein windiger Geschäftsmann extra für Straßenkinder gegründet hat. Und natürlich arbeiten dort Straßenkinder, ebenfalls für einen Hungerlohn.

Das läßt mich an Brechts Frage denken: "Was ist der Einbruch in eine Bank, gegen die Gründung einer Bank?" Eine heute hochaktuelle Frage. Haben nicht gerade Commerz- und Dresdener Bank eine neue Großbank gegründet, nicht ohne zuvor die Steuerzahler um etliche Milliarden erleichtert zu haben? Doch das ist eine andere Baustelle des gegenwärtigen Kapitalismus.

Zurück zum Weltspiegel. Wie gesagt, der Ton macht die Musik und suggeriert dem Zuschauer; da schau her, vom Tellerwäscher zum Millionär oder auf Deutsch, jeder hat den Marschallstab im Tornister.

Es wird nicht darüber berichtet, daß in Indien über 40% der Menschen Analphabeten sind oder der Frage nachgegangen, wann Kinder, die täglich bis zu 16 Stunden arbeiten müssen, eine Schule besuchen sollen?

Doch weiter zur Stimmlage der Kommentatoren des Weltspiegels.

2. Weltspiegel, Sonntag 3. August 2008, Peking, Olympia 2008

"Eine kleine typisch chinesische Straße, wie es nicht mehr viele gibt, im Nordosten von Peking. Tickets für die Olympischen Spiele hat hier so gut wie keiner. Aber trotzdem sind alle schrecklich stolz, daß es bald losgeht. Ganz Peking scheint im Freiwilligen-Rausch. Allein in dieser kleinen Straße zig zivile Sicherheitsbeauftragte, uniform gekleidet. Sie fühlen sich berufen, darauf aufzupassen, daß nichts Unbotmäßiges passiert, gerade jetzt, kurz vor Olympia. Sie passen auf, schauen links und rechts. ‚Wir leisten einen Beitrag für die Sicherheit der Olympischen Spiele. Wir setzen uns ein für den Ruhm unseres Landes und unserer Athleten. Es geht um Ruhm und Ehre. Wir sind überglücklich, daß wir eine so heldenhafte Aufgabe erfüllen dürfen.‘ ‚Ich bin schon 76 und kann nicht mehr richtig laufen. Aber ich kann noch sehen und dann Meldung nach oben machen. Ich achte auf Ordnung und Sicherheit. Schließlich sind die Regeln einzuhalten‘."

Der Tonfall des Sprechers; aggressiv, anklagend, arrogant, und als er die Stimmlage des alten Mannes imitiert, regelrecht gehässig.

Ach ja, fragt sich der aufmerksame Zuschauer, wo sind denn die Pekinger Kinder? In der Schule natürlich, wo sie auch hingehören. In einer der für China und damit auch für Tibet üblichen neunklassigen Gemeinschaftsschulen.. Bei Gründung der Volksrepublik zählte man in China noch fast 90% Analphabeten. Heute sind es immer noch rund 5%.

Und Banken für Straßenkinder werden in diesem Nachbarland Indiens nicht benötigt. Ach so, und wenn Sie das mit dem Tonfall in der Stimme der Berichterstatter vom Weltspiegel nicht glauben wollen, dann hören Sie doch einfach einmal rein: www.daserste.de/weltspiegel/archiv.asp