Der Sumpf und die NPD, Gespräch über sächsische Zustände
Klaus Bartl, Chemnitz
Hochrangige Politiker aus fast allen Parteien und Bedienstete aus Justiz und Polizei sollen in kriminelle Netzwerke verstrickt sein, die in Sachsen seit Jahren ihr Unwesen treiben. Die Vorwürfe reichen von dubiosen Immobiliengeschäften über Kindesmißbrauch und Geheimnisverrat bis hin zu Mordanschlägen. Gelingt es der NPD-Landtagsfraktion, aus den mafiösen Strukturen politisches Kapital zu schlagen?
Tatsächlich hat sich die nunmehr noch acht Mitglieder zählende NPD-Fraktion von Beginn an, da diese skandalöse Affäre maßgeblich auch durch unser Zutun öffentlich wurde, auf das Thema draufgesetzt und gleich versucht, es dadurch für sich zu vereinnahmen.
Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, daß die Neofaschisten offenbar gezielt mit Informationen aus dem sächsischen Landeskriminalamt (LKA) versorgt werden. Welche genauen Erkenntnisse besitzen Sie diesbezüglich?
Uns fiel seit längerem auf, daß speziell der sächsische Landesvorsitzende der NPD, Winfried Petzold, jetzt im Landtag Vertreter seiner Fraktion im Verfassungs- und Rechtsausschuß, in einer Vielzahl von so genannten Kleinen Anfragen an die Staatsregierung Detailwissen zu bestimmten Ermittlungszusammenhängen im Umfeld der vom Landesamt zusammengetragenen Kriminalfälle und sonstigen Skandale einreichte, die um Längen über seinen Sachverstand betreffs dieser Materie hinausgingen.
Auffällig war, daß Winfried Petzold, nach eigenen Angaben zur Biographie im Landtagshandbuch gelernter Aufzugsschlosser und zuletzt selbstständiger Gastronom, Inhaber eines Eiscafes und Geschäftsführer eines Restaurants, mit präzisen Verfahrensbezeichnungen, Aktenzeichen und selbst mit Zitaten aus Korrespondenz zwischen Polizei and Justiz, die nur aus deren Innenbereich kommen konnten, operierte.
Petzold legte mit dem Inhalt seiner Fragen ungewollt derart präzise Spuren offenkundig hin zum LKA, daß die Staatsregierung auf eine entsprechende qua Pressemitteilung meinerseits erhobene Forderung, offenzulegen, ob und welche Beamte des Landeskriminalamtes mit der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag zusammenarbeiten, über den Pressesprecher des Innenministeriums erklären ließ, daß man entsprechende Untersuchungen eingeleitet habe. Näheres, was diese erbracht haben, ist bislang nicht verlautbart. Da bleiben wir aber mit Gewißheit dran.
Der NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen W. Gansel wurde mit insgesamt 26 Stimmen in den Untersuchungsausschuß gewählt. Wie konnte das passieren?
Der Parlamentarismus hat bekanntlich etliche Ecken und Kanten. Es gibt auch Spielregeln, die zu ignorieren letztlich nur Schaden bringt. Dazu gehört, daß die 20 Sitze im 2. Untersuchungsausschuß von den Fraktionen nach dem Verhältnis ihrer Stärke zu besetzen sind. Der NPD-Fraktion steht definitiv ein Mitglieds- und ein Stellvertretersitz im 2. Untersuchungsausschuß zu. Wäre Jürgen Gansel nicht als Mitglied gewählt worden, wäre der Untersuchungsausschuß nicht arbeitsfähig gewesen, und die Staatsregierung und die Regierungskoalition, speziell die CDU, die den Ausschuß fürchtet wie der Teufel das Weihwasser und bekämpft wie Teufelswerk, hätten in die Hände geklatscht. Bei derartigen Konstellationen reagiert man üblicherweise mit Stimmenthaltung. „Normal“ wäre dann allerdings, daß der von der NPD nominierte Vertreter im Untersuchungsausschuß mit den acht Stimmen der NPD gewählt worden wäre. Daß Jürgen Gansel in geheimer Wahl, von wo auch immer 18 „Leihstimmen“ bekam, ist natürlich spektakulär.
Die Neonazis liegen in Umfragen gleichauf mit der sächsischen SPD. Würde aktuell eine Landtagswahl stattfinden, kämen sie auf acht Prozent der Stimmen. Befürchten Sie nicht, daß die NPD bei der nächsten Wahl mit einem zweistelligen Ergebnis in den Landtag einzieht?
Daran trägt die SPD – zumindest zu Teilen – eine Mitschuld. Zum einen wegen der Politik, die sie als Koalitionspartner der CDU/CSU im Bund und der CDU im Land vertritt und die sich von Jahr zu Jahr weiter von der Interessenvertretung der sozial benachteiligten Schichten der Bevölkerung weg und hin zur Ergebenheit für alle Gelüste des Neoliberalismus entwickelt hat. Zum anderen auch deshalb, weil es die SPD mehr als nur zuläßt, daß gerade in Sachsen schon qua Verfassungspräambel "nationalsozialistische und kommunistische Gewaltherrschaft" gleichgesetzt wird, im praktischen Leben sogar die Verfolgung von Menschen wegen ihres besonderen Engagements in Strukturen der DDR wesentlich konsequenter vorgenommen wird als die Verfolgung neofaschistischer Bestrebungen.
Wer auf diese Weise die Singularität des Faschismus und die Gefährlichkeit des Neofaschismus relativiert, braucht sich nicht zu wundern, daß er bei acht Prozent steht und auch nicht, daß die NPD bei acht Prozent steht.
Aus: antifa, September/Oktober 2007, S. 5. Das Gespräch führte Markus Bernhardt
Der Autor gab den „Mitteilungen“ die Möglichkeit nachzufragen:
Lieber Genosse Klaus Bartl, in Presseerklärungen vom Oktober 2007 ist die Rede von erfolgter Aktenübergabe, von Aussagebereitschaft zahlreicher Zeugen und von "Wiederaufnahme der Arbeit des Untersuchungsausschusses", dessen Vorsitzender Du seit der Einsetzung vor über drei Monaten bist. Ist damit die Strategie der Totalblockade und der Vertuschung seitens der sächsischen Regierung und ihrer Koalitionsfraktionen gescheitert?
Zunächst ist die Rechtslage nach dem Sächsischen Untersuchungsausschußgesetz so, daß gegen den Willen der parlamentarischen Minderheit, die den Einsetzungsantrag eingebracht hat, die Arbeit eines einmal vom Landtag beschlossenen Untersuchungsausschusses überhaupt nicht ausgesetzt werden darf. Was CDU und SPD jetzt erzwingen wollen, nämlich daß der 2. Untersuchungsausschuß erst wieder arbeitet, wenn der Sächsische Verfassungsgerichtshof in Leipzig über die Organstreitklage entschieden hat, die die Staatsregierung dem Ausschuß mit ihrer Totalblockade aufgezwungen hat, ist also schlicht rechtswidrig. Mehr noch: Es ist die willentliche, kalkulierte Verletzung der verfassungsrechtlichen Stellung und Kompetenzen eines Untersuchungsausschusses. Lassen die LINKE, FDP und Bündnis 90/Die Grünen als Einbringerfraktionen, als sogenannte "geschützte Minderheit", das zu, wird das Instrument des Untersuchungsausschußrechts als quasi „Grundrecht“ des Parlaments zur Regierungskontrolle für alle Zeiten beschädigt.
Nach den mir vorliegenden Signalen denken deshalb DIE LINKE, FDP und Bündnis 90/Die Grünen über die Beantragung einer weiteren Sondersitzung nach, in der knallhart gefordert werden soll, sofort jene Zeugen zu laden, über deren Aussagebereitschaft Regierung und Koalition keine Macht haben – eben Rechtsanwälte, die in den zum vermeintlichen "Sachsensumpf" gerechneten Verfahren verteidigt haben oder auch Menschen, die direkt Opfer solcher Verfahren zu sein scheinen. Diese Zeugen bitten förmlich, ihnen die Chance der Aussage und Offenlegung vor dem Ausschuß zu geben. Blockt die Koalition weiter, obwohl nun fast 30 Aktenordner an den Ausschuß übergeben sind, eben von solchen potentiellen Zeugen, sich also jeder anhand anfaßbarer Dokumente auf die Vernehmung vorbereiten kann, wird die geschützte Minderheit zu prüfen haben, ob sie CDU und SPD beim Sächsischen Verfassungsgericht verklagt.
Du berichtest von Untersuchungen über eine offenkundige Zusammenarbeit von Beamten des Landeskriminalamtes mit der sächsischen NPD-Fraktion. Ist nun im sächsischen Sumpf tatsächlich auch noch ein "NPD-Skandal" auszumachen?
Wir haben eindeutige Belege dafür, daß im besonderen der sächsische Landesvorsitzende der NPD, Winfried Petzold, zugleich Vertreter seiner Fraktion im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuß, in Serie in Kleinen Anfragen an die Staatsregierung, bezogen auch auf Sachverhalte, die Gegenstand des Untersuchungsausschusses sind, mit den verschiedensten Details operiert, etwa präzise Korrespondenz zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft benennt, so daß er an sich nur von Insidern gebrieft sein kann. Ich habe vor zwei Monaten vom Innenminister mit Nachdruck gefordert, das zu prüfen und das Parlament vom Ergebnis zu informieren. Zusage des Pressesprechers des Innenministers tags darauf; seither: still ruht der See. Auf unsere Nachfrage im Innenausschuß in der letzten Woche die verschämte Botschaft, man habe im LKA oder SMI kein Leck finden können. Es könne auch woanders was abgeflossen sein. Die Staatsanwaltschaft wird benannt, vor allem Rechtsanwälte, die Akteneinsicht genommen haben könnten. Als ob nicht rauszubekommen sei, ob die Korrespondenz zwischen LKA und Staatsanwaltschaft, zum Beispiel im Zusammenhang mit Razzien gegenüber OK-Ermittlern, überhaupt der Akteneinsicht durch Rechtsanwälte zugänglich war. Wir werden da keine Ruhe geben.
Was kann DIE LINKE aus den sächsischen Vorgängen lernen, um noch besser ihrer Rolle gerecht zu werden, mafiöse Strukturen im Establishment dieses Landes aufzudecken und zu bekämpfen?
Zunächst mal, daß sie in diese Rolle nur kommen kann, wenn sie selbst als nicht korrumpierbar und als nicht versöhnlerisch aus Alltagspragmatismus heraus wahrgenommen wird. Und zum zweiten wohl, daß die heutige politische Klasse tatsächlich den ausgeprägten Hang hat, als „geschlossene Gesellschaft“ zu funktionieren. Wenn dann etwas ans Licht kommt, wird von der "Weiße-Kragen-Kriminalität" skrupellos gemauert, selbst wenn es um die ekelhaftesten, schmutzigsten und niedrigsten Fälle kriminellen Handelns geht. Und all jene, die aufklären wollen, gelten dann über Nacht als "Gesellschaftsgegner". Da mutieren binnen 6 Monaten selbst vorher hochgefeierte Verfassungsschützer zu "überambitionierten Dilettanten", Gerüchteverbreitern, Heiße-Luft-Sammlern. Da sehen sich hochmotivierte rechtstreue OK-Ermittler plötzlich selbst unter fadenscheinigsten Vorwänden straf- und disziplinarrechtlicher Verfolgung ausgesetzt.
Entscheidend für DIE LINKE ist, wenn sie sich politisch, fachlich und personell so profiliert, daß sich die Bevölkerung hinter sie stellt, mit ihr Druck aufmacht, daß dem Grundsatz, wonach jeder vor dem Gesetz gleich sein soll, endlich wieder Geltung verschafft wird.
Herzlichen Dank für das Gespräch! 29. Oktober 2007 – Red.