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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der Schutzhaft-Erlass vom 25. Januar 1938

Ralph Dobrawa, Gotha

 

Es steht außer Zweifel, dass der deutsche Nazistaat und seine führenden Repräsentanten Hitler, Himmler und Göring von Beginn ihrer Macht an auf Gewalt und Unterdrückung setz­ten. Bereits aus den Auseinandersetzungen der Jahre davor, die zunehmend auf offener Straße und gleichsam auch unter Einsatz von Gewalt von ihren Gefolgsleuten ausgetragen wurden, war ihnen nur zu gut bekannt, dass auch nach ihrem offiziellen Machtantritt mit Widerstand gegen die von ihnen betriebene Politik zu rechnen war.

Zu den erbittertsten Gegnern des deutschen Faschismus gehörten die Mitglieder der Kommunistischen Partei. So überrascht es nicht, dass bereits einen Monat nach Hitlers Machtübernahme der Reichstag in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 vorsätzlich in Brand gesetzt wurde. Bereits kurze Zeit nach seiner Entdeckung erschienen Hitler, Göring, Frick und Goebbels am Tatort. Hitler und Göring waren sich einig, dass das nur das Werk von Kommunisten gewesen sein könne. Während Göring zur Eile drängte und das Brandereig­nis als »Beginn des kommunistischen Aufstandes« bezeichnete, machte Hitler deutlich: »Es gibt jetzt kein Erbarmen, wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht ... Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunis­tischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden ...«

Es war der Beginn einer Hetzjagd im Vorfeld der Reichstagswahlen von 1933. Noch in der­selben Nacht wurden viele Mitglieder und Funktionäre der KPD festgenommen und gegen sie »Schutzhaft« verhängt. Dabei war der Begriff »Schutz«haft ebenso irreführend wie das Wort »sozialistisch« in der Bezeichnung der Nazipartei NSDAP. Noch am 28. Februar 1933 wurde die »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat« verkündet, mit der wichtige Regelungen der Weimarer Reichsverfassung außer Kraft gesetzt wurden und »Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen, sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen« für zulässig erklärt wurden. Diese als »Reichs­tagsbrandverordnung« in die Geschichte eingegangene formale Vorschrift bildete die Grundlage für größtmögliche staatliche Willkür.

Einen knappen Monat später folgte das »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich«, das sogenannte Ermächtigungsgesetz, mit dem am 24. März 1933 die Reichsregierung ermächtigt wurde, Reichsgesetze außer­halb des Parlaments in Kraft zu setzen, die noch dazu von der Reichsverfassung abweichen durften.

Damit hatte der Nazistaat alle Fäden in der Hand, um seine Ziele zu erreichen, und mit juristischen Mitteln wurde dem Ganzen ein rechtliches Dekor gegeben. Dabei ging es längst nicht mehr um den Reichstagsbrand, auch wenn in zeitgenössischen Plakaten, die für die Wahl Hitlers warben, die Schuldigen längst feststanden: »Der Reichstag in Flam­men! Von Kommunisten in Brand gesteckt! Zerstampft den Kommunismus! Zerschmettert die Sozialdemokratie!«

Innerhalb von 5 Monaten wurden mehrere Tausend Personen unter dem Deckmantel der »Schutzhaft« festgenommen. Diese hatten keine Möglichkeit, sich mit rechtlichen Mitteln gegen diese Willkürakte zur Wehr zu setzen. Neben KPD- und SPD-Mit­gliedern wurde das Instrument der Schutzhaft bald auch gegen andere Personengruppen  angewandt, die die Nazis bekämpften. Zu ihnen gehörten nicht nur Juden, Sinti und Roma, sondern auch andere politisch Missliebige. Sehr bald wurden frühere Gefängnisse, alte Fabrikgebäude, Festungen als »Schutzhaftlager« eingerichtet und es entstanden die ersten KZ.

In den frühen Konzentrationslagern

»Die berüchtigtsten Konzentrationslager der Frühzeit der Nazidiktatur waren in Dachau bei München, Hohnstein (Sächsische Schweiz), Oranienburg bei Berlin, Sonnenburg (heute Slonsk/Polen), Papenburg im Emsland (alle ab März 1933), Sachsenburg über Mittweida (ab Mai 1933) und die Lichtenburg in Prettin.« [1]

In die Lichtenburg wurden nicht wenige Häftlinge aus Berlin verbracht. Zu ihnen gehörten der Schauspieler Wolfgang Langhoff, der Lehrer Theo Neubauer, der Rechtsanwalt Hans Litten, der Hitler einst in einem Prozess als Zeuge entlarvte, Albert Kunz und der später weithin bekannte Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul.

Mit Letzterem war ich in den letzten Jahren seines Lebens (er verstarb im April 1981) eng verbunden und er war mir ein väterlicher Freund, dem ich sehr viel mehr verdanke als nur die Festigung meiner politischen Grundüberzeugung. Er hat mich und mein Leben ent­scheidend geprägt. Wir trafen uns sechs bis siebenmal in der späteren Gedenkstätte des ehemaligen KZ Lichtenburg, wo er mir von seinen Erlebnissen dort berichtete. »Die Häftlin­ge führten unter anderem Gartenarbeiten auf den zur Domäne Lichtenburg gehörenden Ländereien sowie Handwerks-, Reinigungs- und Bauarbeiten durch. … Ein Arbeitskomman­do beseitigte Wurzeln von gefällten Bäumen an der Chaussee nach Prettin bzw. nach Torgau.« [2] Später nach Dachau verlegt, musste er auch dort sogenannte »Erdbewegungs­arbeiten« durchführen bis zu seiner Entlassung und Emigration nach Übersee.

»Hier einige Auszüge aus den schrecklichen Erlebnisberichten von ehemaligen Häftlingen der ›Lichte‹:

›Ich bekam Faustschläge ins Gesicht … Es wurden mir die Strümpfe und die Hosen vom Leib gerissen. Ich bekam auf jede Fußsohle 20 Schläge mit dem Gummiknüppel und wurde wieder bewußtlos. Durch kaltes Wasser wieder zum Bewußtsein gebracht, bekam ich von den Fersen bis zur Schulter Schläge.‹ (Paul Paulick)

›Die Neuzugänge mußten an der Hofwand im Stillgestanden warten, bis der Kommandant erschien, manchmal studenlang. Normalerweise tobte sich auf dem vorderen Hof zuerst nur Emtsberger (der SS-Lagerkommandant) aus … Dann stürzten sich die SS-Männer auf sie und prügelten sie zum Sportplatz … Konnte einer nicht mehr mithalten, und fiel hin, so stürzten sich die Schläger auf ihn, bis er weiterwankte oder endgültig liegenblieb. … Im Laufe des Jahres 1935 mußten wir zweimal beim Appell den schrecklichen Vorgang erle­ben, daß ein Häftling 25 Stockhiebe erhielt …‹ (Walter Kramer)« [3]

Besonders nach der Reichspogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 stieg die Zahl der Verhafteten nochmals drastisch an. Diesmal richtete sich der Terror vor allem gegen in Deutschland lebende Juden. Die Novemberpogrome wurden zum Auftakt der systema­tischen Verfolgung und Ausrottung der jüdischen Bevölkerung.

Erweiterte Regelungen

Reichsinnenminister Frick hatte sich veranlasst gesehen, die Regelungen zur Schutzhaft durch seinen Erlass vom 25. Januar 1938 zu präzisieren. Mit ihm legte er alle Macht in die Hände der Gestapo. Dabei wurde die Zulässigkeit der Schutzhaft so weitreichend gefasst, dass sie im Prinzip jeden deut­schen Reichsbürger treffen konnte.

Im Paragraph 1 heißt es: »Die Schutzhaft kann als Zwangsmaßnahme der Geheimen Staatspolizei zur Abwehr aller volks- und staatsfeindli­chen Bestrebungen gegen Personen angeordnet werden, die durch ihr Verhalten den Be­stand und die Sicherheit des Volkes und Staates gefährden.«

Im Para­graph 2 wurde geregelt, dass die Schutzhaft ausschließlich durch die Geheime Staats­polizei angeordnet werden kann und entsprechende Anträge auf Anordnung »durch die Staatspolizeileit- bzw. Staats­polizeistellen an das Geheime Staatspolizeiamt zu richten« sind. Das Geheime Staats­polizeiamt war auch für die Ausstellung des schriftlichen Schutz­haftbefehls ausschließlich zuständig (§ 5, Abs. 1).

Selbst die Vollstreckung war geregelt und sollte gemäß § 6 des Er­lasses »grundsätzlich in staatlichen Konzentrationslagern« erfolgen. Den von der Schutz­haft Betroffenen nützte es dabei wenig, dass in dem Erlass auch dessen Dauer so schwam­mig geregelt war, dass dadurch ebenfalls der Willkür Tor und Tür geöffnet wurde. Sie sollte nämlich so lange aufrecht erhalten bleiben, »als ihr Zweck es erfordert«. Es fand weder eine gerichtliche Kontrolle noch etwa die Vorführung vor einen Richter statt, der die Gründe und die Rechtmäßigkeit zumindest hätte formell prüfen können.

Bereits 1935 hatte der Nazijurist Werner Best, der zeitweilig Personalchef der Gestapo war und auch an der Gründung des Reichssicherheitshauptamtes beteiligt gewesen ist, Hitler vermittelt, dass es keine Rechte für Schutzhäftlinge geben könne. Fricks Runderlass vom 25. Januar 1938 blieb letztlich bis zur Zerschlagung des Nazistaates in Kraft. Der Erlass war ein wesentlicher Teil des von den Faschisten ausgeübten Terrors gegen alle, die sich gegen die von ihnen verfolgten Ziele wandten oder bereits im Verdacht standen, dies tun zu können. Best war in den Jahren von 1934 bis 1940 Stellvertreter von Reinhard Heydrich in der Führung des faschistischen Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD).

Erst ab 1963 beschäftigte sich die Berliner Staatsanwaltschaft mit der Tätigkeit Bests im Reichssicherheitshauptamt. Dennoch dauerte es bis 1972, dass gegen ihn Anklage erho­ben wurde. Bis dahin war er seit 1953 als Justitiar bei der Hugo-Stinnes Industrie- und Handels GmbH tätig. Aus gesundheitlichen Gründen musste er aus der Untersuchungshaft entlassen werden und auch ein Hauptverfahren wurde deshalb gegen ihn zunächst nicht eröffnet. Späterhin wurde zwar eine dauernde Verhandlungsunfähigkeit festgestellt, die allerdings ein Sachverständiger im April 1989 einschränkte, was wenige Monate später dann doch zur Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn führte. Zu einer Hauptverhand­lung  kam es trotzdem nicht, da Best am 23. Juni 1989 verstarb.

Der Verfasser des Erlas­ses vom 25. Januar 1938, Wilhelm Frick, übte die Funktion des Innenministers im Nazi­staat von 1933 bis 1943 aus. Davor war er ab 1930 Innenminister in Thüringen und gilt als erster Minister der Weimarer Republik mit NSDAP-Mitgliedschaft. Nach neueren Forschun­gen war er auch an der Gestaltung der Nürnberger Rassegesetze mehr als bislang ange­nommen beteiligt. Nach Unstimmigkeiten mit Hitler versetzte man ihn als Reichsprotektor von Böhmen und Mähren nach Prag. Im Nürnberger Prozess wurde Frick wegen Verbre­chen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode durch den Strang verurteilt. Das Urteil wurde am 16. Oktober 1946 vollstreckt. Dabei zeigte er sich uneinsichtig bis zum Schluss und berief sich auf seinen Treueeid zum Führer. Die unzähligen Menschen, die auf Grund von Schutzhaft gequält, gefoltert oder ermordet wurden, kamen ihm dabei offensichtlich nicht in den Sinn.

 

Anmerkungen:

[1]  Hans Maur, »Antifaschistische Mahn- und Gedenkstätte Lichtenburg«, Jessen 1981, S. 8.

[2]  Stefan Hördler/Sigrid Jacobeit (Hg.), »Lichtenburg – Ein deutsches Konzentrationslager«, Berlin 2009, S. 212 f.

[3]  Hans Maur, a.a.O., S. 11.

 

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2017-08: Der Nürnberger Ärzteprozess