Der Mord, der nie verjährt
Ralph Dobrawa, Rechtsanwalt in Gotha
Zum 100. Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg
Die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands am 1. Januar 1919 war ein Wendepunkt in der Geschichte des deutschen Volkes. Die KPD ging unmittelbar aus dem Spartakusbund hervor. Der Name war mit Bedacht gewählt, stand doch Spartakus, der Anführer eines Sklavenaufstandes im alten Rom, als Symbol des Widerstands gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sind die bekanntesten Mitglieder des Spartakusbundes, der am 11. November 1918 neu gegründet wurde. Bereits einen reichlichen Monat später wurde die Kommunistische Partei Deutschlands auf ihrem Gründungsparteitag, der vom 30. Dezember 1918 bis zum 1. Januar 1919 andauerte, geschaffen.
Unbekannte Leiche
Liebknecht und Luxemburg sollten dieses bedeutungsvolle Ereignis nur um kurze Zeit überleben. Am 15. Januar 1919 wurden sie durch Angehörige der Garde-Kavallerie-Schützen-Division verhaftet und in das Eden-Hotel, wo der Sitz der Division war, verschleppt. Dort wurden sie nicht nur verhört, sondern auch bestialisch misshandelt. Ein Hausmädchen des Hotels erzählte später, dass sie den Anblick nicht wieder los geworden sei, wie »sie die arme Frau rumgeschleift haben«. Der 1. Stabsoffizier der Division, Hauptmann Waldemar Pabst, hatte angeordnet, dass Karl und Rosa in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit verbracht werden sollten. Abends gegen 22.45 Uhr wurde Karl Liebknecht vor das Hotel geführt, um ihn in ein Fahrzeug zu zwingen. Vorher schlug ihm ein vor dem Hotel aufgestellter Posten noch unvermittelt mit dem Gewehrkolben auf den Kopf. Doch das Fahrzeug fuhr nicht nach Moabit. »An einer völlig unbeleuchteten Stelle bleibt der Wagen plötzlich stehen – die Weiterfahrt ist angeblich durch eine ›plötzlich eingetretene Panne‹ unmöglich geworden. Karl Liebknecht erhält den Befehl, auszusteigen und zu Fuß weiterzugehen. Als er dieser Anordnung der Offiziere nachkommt, wird er ›zur Verhinderung eines Fluchtversuchs‹, kaum 50 Meter von dem haltenden Kraftwagen entfernt, erschossen. Sein Leichnam wurde von den Begleitoffizieren in das Auto zurückgebracht, dessen Panne plötzlich wieder behoben war. Um 23.15 Uhr übergaben die Offiziere den Leichnam der dem Eden-Hotel gegenüberliegenden Rettungswache. Dabei gaben sie an, es handele sich um ›die aufgefundene Leiche eines unbekannten Mannes‹.« [1]
Intern meldete einer der den Transport begleitenden Offiziere im Hauptquartier, Liebknecht sei bei einem Fluchtversuch von hinten erschossen worden. Diese Lüge wurde dann auch offiziell weiterverbreitet. Rosa Luxemburg wurde ebenfalls ermordet und ihre Leiche in den Landwehrkanal geworfen. Angeblich sei sie »von einer aufgebrachten Menge gelyncht worden«. Die am gewaltsamen Tod beteiligten Offiziere sind wenige Monate später durch ein Kriegsgericht freigesprochen worden. Begünstigt wurde diese Entscheidung ganz maßgeblich durch den im Vorfeld mit der Untersuchung befassten Richter. Welchen Wert die angeblich angestrengte strenge Untersuchung der Vorfälle um die Tötung der beiden Kommunisten hatte, ergibt sich schon daraus, dass das eigene Gericht der Garde-Kavallerie-Schützen-Division die Untersuchung führte. Ihr stand der Kriegsgerichtsrat Kurtzig vor, der von dem damaligen Kriegsgerichtsrat Jörns unterstützt wurde. Ersterer sollte sich um den »Fall« Liebknecht, der andere um die Klärung der Ermordung von Rosa Luxemburg kümmern. Bereits nach wenigen Tagen wurde entschieden, dass Jörns beide Fälle untersucht. Er trat dann auch in der Verhandlung vor dem Kriegsgericht als Anklagevertreter auf. Lediglich ein Offizier, Oberleutnant Vogel, wurde zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, da er bei der Beseitigung der Leiche von Rosa Luxemburg durch Zeugen beobachtet worden war. Auch der Posten, der den Kolbenschlag gegen Karl Liebknecht geführt hatte, erhielt zwei Jahre und zwei Wochen Gefängnis. Alle anderen beteiligten Offiziere sah das Kriegsgericht für schuldlos an. Es sollte ein knappes Jahrzehnt vergehen, bis im März 1928 in einer Zeitschrift ein Aufsatz erschien, der sich mit der Rolle des früheren Kriegsgerichtsrats Jörns, der inzwischen zum Reichsanwalt aufgestiegen war, im Zusammenhang mit der Aufklärung des Mordes beschäftigte. Jörns habe den Prozess verschleppt und insbesondere den der Anstiftung zum Mord verdächtigen Hauptmann Waldemar Pabst geschont und die Flucht des Oberleutnants Vogel nach dessen Verurteilung gefördert. Auch gegenüber dem Kolbenschläger hatte Jörns Zusicherungen gemacht, wenn dieser alles auf sich nehme. Wegen dieses entlarvenden Artikels wurde gegen den Redakteur Joseph Bornstein Anklage wegen des Vorwurfs der Verleumdung und Beleidigung erhoben. Am 17. April 1929 verhandelte man den Fall vor einem Schöffengericht in Berlin-Moabit. Bornstein hatte sich den in der Weimarer Republik bekannten Strafverteidiger Paul Levi, Reichstagsabgeordneter und einst Vertrauter der Ermordeten, als Rechtsbeistand gewählt. Jörns schloss sich dem Verfahren als Nebenkläger an, da bei ihm das Interesse naturgemäß sehr groß war, seine gefährdete Reputation wieder herzustellen. Die im Verlaufe der Hauptverhandlung durchgeführte Beweisaufnahme brachte zu Tage, das Jörns sehr viel mehr Hinweise auf die Täterschaft der Beteiligten hatte und vorhandenen Beweismitteln gar nicht oder nur ungenügend nachkam. Aus den Ereignissen wurde deutlich, mit welcher Unlust Jörns die Untersuchung führte, die letztlich von der Zielstellung geprägt war, wesentlich verantwortliche Offiziere am Tod von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg der Strafverfolgung zu entziehen. Es erwies sich auch als Lüge, Rosa Luxemburg sei von einer aufgebrachten Menge vor dem Eden-Hotel misshandelt worden. Für den Mord war am Ende niemand verantwortlich. Der Posten vor dem Hotel hatte »nur« misshandelt, der Oberleutnant Vogel »nur« den Leichnam beiseite geschafft und eine falsche dienstliche Meldung abgegeben. Dabei kam nunmehr ans Tageslicht, dass er es war, der Rosa Luxemburg mit einem Kopfschuss meuchelte, wobei sie noch immer lebte, als man sie in den Landwehrkanal warf. Das hatte die Obduktion eindeutig ergeben. Die Einzelheiten der Fülle von Widersprüchlichkeiten, Unterlassungen und Beschönigungen durch den früheren Kriegsgerichtsrat Jörns können im Rahmen dieser Darstellung nicht vollständig wiedergegeben werden. F.K. Kaul schilderte den Prozessverlauf erstmals 1953. Dabei kam ihm zugute, dass er an der Verhandlung gegen den Redakteur Bornstein im April 1929 als junger Referendar an der Seite des anklagenden Staatsanwalts Deepenthal teilgenommen hat. Bis dahin waren ihm auf dem Gymnasium und später an der Universität beim Studium der Rechtswissenschaft nur jene Leitbilder vermittelt worden, die der damaligen großbürgerlichen Auffassung entsprachen. »Zu dieser Erziehungs- und Bildungsvermittlung gehörte, dass mir die Namen Marx und Engels während meiner Kindheit und Jugend nur Schall und Rauch blieben ... Das änderte sich zwar auf der Universität, was das abstrakte Wissen über das Wirken der beiden Klassiker der Arbeiterbewegung angeht, aber doch nur insoweit, als ich nach wie vor die deutsch-bürgerliche Welt (lies kapitalistische Welt), wenn auch nicht als optimale, so doch als die möglich beste ansah.« [2]
Waldemar Pabst – ein Mörder im Gottesfrieden
Der Glaube an die Unerschütterlichkeit und Unfehlbarkeit des preußischen Richters sollte im Verlaufe dieses Verfahrens gegen Bornstein empfindlich erschüttert werden. Es wurde für Kaul zu einem Schlüsselerlebnis, welches sein gesamtes weiteres Leben beeinflusste. Pointiert hat er viele Jahrzehnte später formuliert: »Ich ging in den Prozeß in der Überzeugung von der Integrität des preußischen Richters, herausgekommen bin ich als Kommu-nist.« Auch wenn es noch einige Jahre dauern sollte, bis er nach der Zerschlagung des Hitler-Faschismus und Rückkehr aus der Emigration der KPD beitrat, so war doch seine Entwicklung neu ausgerichtet. Unabhängig von den Wahrheiten, die in dem Prozess gegen Bornstein zutage gefördert wurden, trug hierzu auch der im Verfahren gehörte Zeuge Wilhelm Pieck bei. Er war der Dritte, der 1919 von den Freikorps verhaftet worden war und wie ein Wunder seiner Ermordung entging. Das Mordkomplott gegen Karl und Rosa bestätigte sich mit jedem gehörten Zeugen aufs Neue. Nur Jörns wollte das damals als Untersuchungsrichter nicht erkannt haben. So musste man Bornstein folgerichtig freisprechen. Natürlich legte Jörns hiergegen Rechtsmittel ein, aber auch die Berufungsinstanz kam zum Ergebnis Freispruch. Erst als die Sache dann beim Reichsgericht landete, hoben die Richter dort das Urteil mit der Maßgabe auf, Bornstein nach Zurückverweisung an das Landgericht dort zu verurteilen. Das geschah auch prompt. Als sich Bornstein hiergegen nunmehr seinerseits an das Reichsgericht wandte, wurde dessen Revision verworfen. Jörns blieb Reichsanwalt und kam später noch für kurze Zeit zum Volksgerichtshof bis zu seiner Pensionierung. Auch der den Mordbefehl an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gebende erste Generalstabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division Pabst musste sich nie verantworten und wurde nicht einmal angeklagt. In der Nazizeit gründete er eine Firma für Waffenexporte und wanderte später in die Schweiz aus. Erst zehn Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges kam er nach Nordrhein-Westfalen zurück und betrieb weiterhin Waffengeschäfte. Der Ermordung von Karl und Rosa schämte er sich nicht und berief sich statt dessen darauf, dass er sich selbst mit Gustav Noske einig gewesen sei, dass beide getötet werden sollten. So wurde denn der feige Mord 1962 in eine »standrechtliche Erschießung« umdeklariert. Diese sei dadurch gerechtfertigt, dass man schließlich das deutsche Volk »vor dem Kommunismus gerettet« hätte. [3] Pabst war ein vermögender Mann, als er fast 90-jährig im Mai 1970 verstarb. In der bürgerlichen Zeitung »Die Welt« vom 5. Juni 1970 erschien eine Traueranzeige seiner Witwe, deren Verlogenheit beispiellos ist. »Ein in Krieg und Frieden ganz besonders verdienter Offizier, ein begeisterter Soldat, ging in Gottes ewigen Frieden ein nach einem kämpferischen Dasein, in dem er ohne Rücksicht auf Gunst oder Mißgunst den Weg ging, den er für sein Vaterland und für die freie Menschheit für richtig hielt.« Kein Wort davon, dass Pabst 1962 gegenüber einer Münchener Zeitschrift sagte: »Ich nahm damals (Januar 1919) an einer KPD-Versammlung teil, auf der Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sprachen. Ich gewann den Eindruck, die beiden seien die geistigen Führer der Revolution, und ich beschloß, sie umbringen zu lassen. Auf meinen Befehl wurden die beiden aufgegriffen. Man mußte den Entschluß fassen, vom Rechtsstandpunkt abzuweichen ... Ich vertrete auch weiterhin die Auffassung, daß dieser Entschluß (Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu meucheln) auch vom moralisch-theologischen Gesichtspunkt durchaus vertretbar ist.« [4]
Mord als Staatsdoktrin
Als 1965 die Plädoyers im Auschwitz-Prozess gehalten wurden, formulierte Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul als einer der Vertreter der Nebenklage: »Deswegen ist es erforderlich, klarzustellen, daß nicht erst am 30. Januar 1933, dem Tage, an dem der Nationalsozialismus in die Macht geschoben wurde, der Mord zur Staatsdoktrin in Deutschland erhoben wurde! Die Anfänge hierfür liegen weit früher: Es waren die Schüsse, die Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg meuchelten, die Schüsse, denen die aus bitterer Erfahrung zu Kriegsgegnern gewordenen Kapitänleutnant Paasche und Hauptmann Baerfeld zum Opfer fielen, denen die Staatsmänner Erzberger und Rathenau erlagen ... Diese Schüsse waren es, die den Auftakt bildeten für jenen schauerlichen Zug von Toten und Gemordeten – wie der ehemalige sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Paul Levi im Prozeß des Reichsanwalts Jörns im Jahre 1929 sagte – jener Zug von Toten und Gemordeten, der weiterging Jahre und Jahre und von dem wir heute wissen, dass er geradewegs in Auschwitz endete. Und seit diesen Schüssen – anderthalb Jahrzehnte vor dem Erlaß der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat und vor der Verkündung des Ermächtigungsgesetzes, diese als Notstandsgesetze getarnten Freibriefe für die nazistischen Mordbanden ... ich zitiere wiederum aus dem Plädoyer Paul Levis in jenem Jörns-Prozeß ... war es offenbar, daß in Deutschland keineswegs zwingend der Mordtat die gerichtliche Sühne auf dem Fuß folgte, konnten die Mörder morden und wußten, sie würden dafür nicht bestraft!« [5]
Anmerkungen:
[1] F. K. Kaul »Justiz wird zum Verbrechen«, 1953, S. 242. Zu den Einzelheiten zur Ermordung von K. Liebknecht/R. Luxemburg vergleiche auch: Klaus Gietinger »Die Leiche im Landwehrkanal – Die Ermordung Rosa Luxemburgs«, 2009. Derselbe »Der Konterrevolutionär Waldemar Pabst – Eine deutsche Karriere«, 2008. Friedrich Karl Kaul »Justiz wird zum Verbrechen«, 1953, Seite 239 ff. F. K. Kaul/R. Dobrawa »... ist zu exekutieren – Ein Steckbrief der deutschen Klassenjustiz«, Neuauflage 2006, Seite 43 ff. »Wilhelm Pieck – Schriftsteller und Künstler zu seinem 80. Geburtstag«, 1956, Seite 89 ff. Heinrich Hannover/Elisabeth Hannover-Drück »Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Dokumentation eines politischen Verbrechens«, 1967.
[2] F. K. Kaul/R. Dobrawa a.a.O., Seite 43 f.
[3] Vgl. dazu Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 27 vom 8. Februar 1962 und F. K. Kaul »Postume Ehrung eines Mörders« in »Die Weltbühne« Nr. 25 vom 23. Juni 1970, Seite 778 ff.
[4] F. K. Kaul »Postume Ehrung eines Mörders«, a.a.O.
[5] Schlußvortrag des F. K. Kaul im Strafverfahren gegen Mulka u.a., gehalten am 21. 5. 1965, o.O., o.J., Seite 5.
Mehr von Ralph Dobrawa in den »Mitteilungen«:
2018-06: Fritz Bauer – Ein Leben für Recht und Gerechtigkeit
2018-01: Der Schutzhaft-Erlass vom 25. Januar 1938
2017-08: Der Nürnberger Ärzteprozess