Der Kompliziertheit der Lage gerecht werden
KPF-Landessprecherrat Berlin
Am 2. Mai 2015 fand die 2. Tagung des 5. Landesparteitages der LINKEN Berlin statt. Den Delegierten wurde das nachfolgende Diskussionsangebot vorgelegt.
Seit dem Aufkommen der Montagsmahnwachen ist der Streit in der Friedensbewegung, in Teilen der Antifa und in der LINKEN darüber entbrannt, ob es legitim sei, mit Leuten gemeinsame Sache zu machen, von denen zumindest einige der Querfrontstrategie nicht ablehnend gegenüberstehen.
Die einen sagen, unter keinen Umständen dürfe man mit denen gemeinsam agieren, da sie letztlich rechte Ideologie in die Friedensbewegung brächten.
Die anderen meinen, eine breite Friedensbewegung sei in Anbetracht der internationalen Lage so wichtig, dass man – bei klarer Distanzierung von diesen Leuten, sofern sie sich z.B. rassistisch äußerten – auch mit den Anhängern der Montagsmahnwachen partiell zusammengehen müsse.
Nach den Erfahrungen der Demonstration vom 10. Mai 2015, an der auch eine Reihe von Mitgliedern der Kommunistischen Plattform teilnahm, möchten wir festhalten:
Beide o.g. Auffassungen werden der Kompliziertheit der Lage unseres Erachtens nicht gerecht.
Zunächst einmal: Es ist ein Trugschluss, dass mit Pegida-Abkömmlingen, wie wir sie am 10. Mai erlebten, Breite in der Friedensbewegung erreichbar ist. Einer Gruppe um die Ex-Pegida-Organisatorin Kathrin Oertel war schon während der Auftaktkundgebung auf dem Hackeschen Markt von den Organisatoren der Friedenskoordination Berlin (Friko) öffentlich gesagt worden, sie und ihr Anhang seien hier nicht erwünscht. Das störte die Betreffenden nicht im Geringsten. Sie marschierten mit und entfalteten ein Transparent »Faschismus stoppen – roten, grünen oder braunen«. Und es ging nicht nur um diese Losung, sondern ebenso um das Verhalten der Gruppe um Oertel: Es war aggressiv, provokativ und abstoßend, nachdem sie von Ordnern aufgefordert worden waren, das Transparent einzurollen oder die Demonstration zu verlassen.
Unterstützt von der Polizei, erklärten die Pegida-Abkömmlinge, es sei ihr Recht, an der Demonstration teilzunehmen und die von ihnen getragene Losung entspräche den Tatsachen: Es gäbe nicht nur braune, sondern auch rote und grüne Faschisten. Ordner und weitere Demonstrationsteilnehmer, darunter wir, bildeten eine Kette und hinderten die Provozierenden am Weitergehen. Dafür wurden wir aufs Unangenehmste beschimpft. Wie wir hinterher erfuhren, verhandelte die Demo-Leitung währenddessen mit der Polizei und verlangte die Entfernung der Pegida-Abkömmlinge. Dies wurde seitens der Polizei abgelehnt und stattdessen damit gedroht, die Demonstration aufzulösen, sollten die Leute um Oertel weiter blockiert werden. Rechtsanwälte an der Seite der Demo-Leitung verhinderten, dass diese Drohung realisiert wurde. Inzwischen heizte sich um das Transparent die Situation auf. Für Unbeteiligte bot sich ein Bild sich gegenseitig begeifernder Friedensfreunde. Schließlich wurde die Gruppe aus der Demonstration ausgegliedert. Doch damit war der provokative Vorgang nicht beendet. Demonstrationsteilnehmer, die scheinbar nicht zu den Transparentträgern gehörten, begannen, diejenigen zu beschimpfen, die die Pegida-Abkömmlinge an der weiteren Demo-Teilnahme gehindert hatten. Es solle hier für den Frieden demonstriert werden, dieses Anliegen erfordere Toleranz, brüllten sie. Wir seien intolerant und würden keine andere Meinung zulassen. Erneut spitzte sich die Lage zu, und auch für uns war es schwer, die Nerven zu behalten.
Keiner der Anhänger der Montagsmahnwachen – erkennbar durch ihre unseres Erachtens inhaltlich nicht zu beanstandenden Transparente, unter ihnen deren Repräsentant Lars Mährholz – unterstützte die Ordner und die Demo-Teilnehmer, welche sich den Rechten entgegenstellten. Vom Gegenteil ist die Rede: Lars Mährholz soll die Teilnahme der Pegida-Abkömmlinge verteidigt haben [1]. Das bekommt dadurch noch einmal ein besonderes Gewicht, da die Montagsmahnwache den Demonstrationsaufruf mit unterzeichnet hatte.
Und noch etwas: Träger des diffamierenden Transparents nahmen – ohne dies zu entrollen – an der Abschlusskundgebung vor dem Kanzleramt teil. Zu ihnen gesellten sich welche von denen, die uns nach der Entfernung dieses Transparentes aus der Demonstration unflätig beschimpft hatten. Man kannte sich offensichtlich. Und: Man wollte auf der Abschlusskundgebung nicht auffallen. Es reichte den Pegida-Abkömmlingen offensichtlich, dass die Presse berichten konnte, sie seien geduldet worden. Zuviel Kalkül für lediglich politisch verwirrte Friedensfreunde.
Aus all dem kann unseres Erachtens nur der Schluss gezogen werden: Mit solchen Leuten kann man nicht gemeinsam agieren. Diesen müssten auch die Montagsmahnwachen-Anhänger ziehen, wenn sie glaubwürdig sein wollen. Verkürzt gedacht, ergäbe dies eine weitere Schlussfolgerung: Der Berliner Landesvorstand der LINKEN habe richtig gehandelt, als er seine Unterschrift unter dem Demo-Aufruf zurückzog, nachdem die Montagsmahnwache die ihre darunter gesetzt hatte. Diese Schlussfolgerung ziehen wir nicht.
Die Lage in der Welt erfordert ein spürbares Erstarken der Friedensbewegung. Dies ist in der BRD ohne die aktive Unterstützung der LINKEN kaum vorstellbar. Wenn Leute wie Jürgen Elsässer sich als neue Impulsgeber für die Friedensbewegung ausgeben, dann mit dem Ziel, sie zu spalten. Das ist teilweise schon gelungen, und es ist völlig unerheblich, dass Elsässer dort nun inzwischen nicht mehr agiert: Der giftige Samen der Querfrontideologie, die auch Pegida-Leuten das Andocken ermöglichen kann, ist gelegt und wirkt.
Wenn nun unsere Partei sich von Lars Mährholz und anderen diktieren lässt, ob sie sich in der Friedensbewegung engagiert oder nicht, wenn jedermann mit seiner Unterschrift verhindern kann, dass die LINKE Friedensaktivitäten unterstützt, dann geht die vergiftete Elsässersaat auf.
Warum suchen wir nicht die kameradschaftliche Diskussion mit jenen in der Friedensbewegung und auch in unserer Partei, mit denen die größten Gemeinsamkeiten existieren? Von diesen Gemeinsamkeiten zeugten der Aufruf zum 10. Mai 2015 ebenso, wie die ausgewählten Redner und deren Ausführungen sowie die überwiegende Mehrheit der Demonstranten. Die Friko existiert seit 32 Jahren. Sie hat bewiesen, wo sie steht. Niemand muss befürchten, die Friko könne sich nach rechts öffnen.
Eine Differenz gibt es vielleicht in einer Frage: Ob es erheblich oder eher unerheblich sei, wenn ein paar Anhänger der Querfrontideologie versuchten, in der Friedensbewegung Fuß zu fassen. Da hört man schon mal das Argument, es gäbe nun einmal heute keine lupenreine Friedensbewegung und das Agieren von ein paar Querfrontanhängern falle nicht sonderlich ins Gewicht. Wer deren Agieren am 10. Mai erlebt hat, der weiß, dass es zerstörerisch ins Gewicht fällt. Es sei wiederholt: Diese Leute sind nicht die Voraussetzung für eine breite Friedensbewegung, sondern deren Verunmöglichung. Und gerade deshalb kann unsere Partei nicht mit verschränkten Armen auf dem Bürgersteig verharren und der Friedensbewegung Zensuren erteilen. Wir müssen in ihr aktiv sein, um unsere Vorstellungen einzubringen. Rolf Becker hat den notwendigen Anspruch auf der Abschlusskundgebung am 10. Mai 2015 etwa wie folgt formuliert: Es sei gut, dass die Leute mit der Losung gegen »roten, grünen oder braunen Faschismus« aus der Demo gedrängt worden seien. In Zukunft dürften wir sie gar nicht erst mitmarschieren lassen. Die dringend notwendige Realisierung dieses Anspruchs wird nur erfolgen, wenn alle möglichen Ambivalenzen ausgeschaltet werden, die z.B. Pegida-Leute ermuntern könnten, bei Friedensdemonstrationen mitmachen zu wollen. Wir sollten gemeinsam mit unseren Freunden in der Friedensbewegung darüber diskutieren, wie wir das – ebenfalls gemeinsam – gewährleisten können.
Mit diesem Papier möchten wir einen Anstoß geben, sich mit der hier aufgeworfenen Problematik an der Basis der Partei und in ihren Vorständen zu befassen.
Berlin, Mai 2015, siehe kpf.die-linke-berlin.de
Anmerkung:
[1] Davon erfuhren wir von anderen Demonstrationsteilnehmern. Wir selbst waren nicht dabei. Deshalb die Form »soll … verteidigt haben«.