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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der Kampf um die Startbahn West: Euphorie und Scheitern

Ulrich Vanek, Twistringen

Die Protestaktionen gegen den Bau und die Inbetriebnahme der Startbahn West sind Höhepunkte in der Geschichte der APO und der Bürgerbewegungen in der BRD. Vor 40 Jahren, am 2. November 1980, versammelten sich mehr als 15.000 Menschen am Waldrand in Walldorf, um gegen den Beginn des Baus der Startbahn West zu protestieren, weil aufgrund einer Entscheidung des Hessischen OVG die Rodung eines sieben Hektar großen Geländes direkt an der geplanten Startbahn begann. Der Widerstand gegen den Bau der Startbahn West ist ein Lehrstück zum Thema bürgerlicher Widerstand und sein Scheitern. Es gibt eine Vorgeschichte und einen Epilog.

Vorgeschichte:

Bereits zu Beginn der 1960er Jahre erkannte man, dass die Kapazität des Frankfurter Flughafens an seine Grenzen stieß. Zur Entlastung musste eine neue Startbahn her, und man begann mit den Planungen. Als einzige Lösung erwies sich die Möglichkeit einer neuen Piste in Nord-Süd-Richtung in der südwestlichen Ecke des Flughafengeländes. Die Realisierung dieses Plans bedeutete einen immensen Holzeinschlag. Bei der zu rodenden Fläche handelte es sich um einen sogenannten »Bannwald«. Die Bezeichnung stammt aus dem Mittelalter und bezeichnet heute forstwirtschaftlich ein als Ganzes erhaltenswertes Waldstück, ein geschütztes Waldgebiet aus Gründen des Natur- und Umweltschutzes. Doch ökologische Argumente spielten (auch!) damals keine Rolle bei Politik und Verwaltung und waren (wie heute!) dem ökonomischen Wachstumsgedanken untergeordnet. So war es nur logisch, dass der Hessische Landtag im Mai 1966 den Bau einer 4000 Meter langen Startbahn in Nord-Süd-Richtung beschloss. Man hatte jedoch das wachsende Umweltbewusstsein in der Bevölkerung unterschätzt. Entsprechend gestaltete sich die Planung außerordentlich zäh. Nach dem Planfeststellungsbeschluss vom März 1968 wurden 44 Anfechtungsklagen erhoben, sämtlich erfolglos. Das Planfeststellungsverfahren wurde dann Anfang 1973 auf den Weg gebracht. Es folgten über 100 Klagen vor hessischen Verwaltungsgerichten. Die Startbahngegner, die sich zunehmend in Bürgerinitiativen zusammengeschlossen hatten, federführend war die 1978 in Mörfelden-Walldorf gegründete, wähnten sich argumentativ im Aufwind. Zurückgehende Flugbewegungen in Frankfurt, die Ölkrise und die wachsende Sensibilisierung der Bevölkerung für Fragen des Natur- und Umweltschutzes ließen einen weiteren Ausbau des Flughafens nicht mehr als sinnvoll erscheinen. Dazu kam ein wichtiger politischer Aspekt, der an Bedeutung gewann. Man befürchtete eine Funktion für die NATO, grenzt doch der Flughafen unmittelbar an die Rhein-Main Air Base der US-Truppen.

Nach einem Jahr zum Höhepunkt der Proteste

Nach zermürbendem gerichtlichem Geplänkel und Gezerre spitzte sich der Konflikt zu, nachdem am 21. Oktober 1980 das Hessische OVG grünes Licht für den Bau der Startbahn West gab. Bereits seit Mai 1980 gab es auf dem Gelände einen Holzpavillon, der als Informationszentrum für interessierte Bürger und Spaziergänger diente. Um diesen Pavillon herum entstand nun ein umfangreiches Hüttendorf, das z.T. dauerbewohnt war, um weitere Rodungen zu verhindern. Die Protestbewegung gewann immer mehr Anhänger und war breit aufgestellt. Sie reichte von bürgerlichen Demokraten über Umweltschützer und Naturfreunde bis zur DKP, deren Mitglieder und Anhänger bei der Organisation und Durchführung der Proteste eine wichtige Rolle spielten. Auch die Walldorfer Kirchengemeinde brachte sich ein und errichtete eine Hüttenkirche. Künstler traten auf. Legendär ist das Startbahn-West-Lied von Klaus dem Geiger, das auf einer LP Anfang 1982 veröffentlicht wurde und auch heute noch im Internet abgerufen werden kann.

Politik und Verwaltung waren überfordert und agierten hektisch und planlos. Schließlich wurde am 2. November 1981 das Hüttendorf mit massiver Polizeigewalt geräumt. Dagegen formierte sich im Laufe des Tages energischer Protest. Tausende versammelten sich im Wald. Die Polizei löste die Kundgebung mit großer Härte und Brutalität auf. Nun war der Weg frei für die Fortführung der Rodungsarbeiten, die, trotz massiven Polizeischutzes, immer wieder durch kreative Protestaktionen gestört wurden.

Die geplante Wiederbesetzung des Hüttendorfes am 7. November 1981 wurde nicht durchgeführt, obwohl mehrere zehntausend Menschen bereit standen. In der Bewegung war man sich über das weitere Vorgehen nicht einig, insbesondere in Bezug auf die Gewaltfrage. Man einigte sich schließlich mit der Polizeiführung darauf, dass fünfzig Demonstranten mit bloßem Oberkörper auf das Gelände des geräumten Hüttendorfes geleitet wurden. Dort führten vier ausgewählte Vertreter der Bürgerinitiative Verhandlungen mit dem Innenminister Ekkehard Gries (FDP). Man wollte einen Stopp der Rodungsarbeiten bis zu einer Entscheidung des Staatsgerichtshofes erreichen. Die Verhandlungen verliefen ergebnislos und fanden in der bürgerlichen Presse als »Nacktensamstag« ihren Niederschlag.

Die Frustration über die Ohnmacht und Wirkungslosigkeit aller bisheriger Aktionen, die Polizeigewalt und die zynische Berichterstattung in den Medien führten zu einer Mobilisierung weit über die Mitglieder der Bürgerinitiativen hinaus. Am 14. November 1981 demonstrierten in Wiesbaden über 150.000 Menschen gegen die Startbahnpläne. Dem Landeswahlleiter wurden 220.000 Unterschriften für ein Volksbegehren übergeben, dessen Durchführung später vom Landtag abgelehnt wurde. Die Politik agierte zunehmend aggressiver gegenüber den Startbahngegnern. Ministerpräsident Börner (SPD) sagte in ihre Richtung, dass man früher »solche Sachen mit der Dachlatte« erledigt hätte. Sein Gegenspieler, der Frankfurter Magistratsdirektor Alexander Schubart (einer der Mitgründer der Grünen Liste Hessen), rief zu einer Blockadeaktion am Frankfurter Flughafen auf. In diesem Zusammenhang wurde Schubart wegen Nötigung der Landesregierung und Aufruf zur Gewalt zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt und aus dem Staatsdienst entlassen. Nach langer Prozessiererei wurde 1991 die Strafe auf acht Monate reduziert, sodass er im öffentlichen Dienst verbleiben konnte.

An der Blockadeaktion beteiligten sich Tausende, die über Stunden die Eingänge zum  Flughafen blockierten. Die Polizei ging mit großer Härte gegen die Demonstranten vor, die auf die benachbarte Autobahn flüchteten. Die Lage nahm bürgerkriegsähnliche Ausmaße an, als Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes Einheiten zur Räumung der Autobahn absetzten. In den Folgewochen gab es in Frankfurt und anderen hessischen Städten täglich Protestaktionen, die das öffentliche Leben weitgehend lahmlegten. Schließlich gelang es der Polizei, wieder Herr der Lage zu werden. Viele Demonstranten wurden verletzt, einige schwer.

Nach diesen Ereignissen änderten die Bürgerinitiativen ihre Taktik. Die Mobilisierung von Zehntausenden war nicht mehr realisierbar. Jetzt führte man sogenannte »Sonntagsspaziergänge« durch, aus denen heraus immer wieder versucht wurde, die Bauarbeiten zu behindern und die Polizeikräfte anzugreifen.

Ein Projekt aus der Phase der Ablehnung des Volksbegehrens war die im März 1982 ins Leben gerufene Walduniversität Mörfelden-Walldorf. Man beabsichtigte, ökologisch-ökonomische Forschungsprojekte auf den Weg zu bringen und Untersuchungen über gewaltfreie Formen, Konflikte auszutragen, durchzuführen. Das Projekt entfernte sich jedoch zunehmend von seinem Anspruch und existierte zum Schluss als eine Art alternativ-ökologische Volkshochschule und löste sich 1991 auf.

Epilog

Am 12. April 1984 wurde die Startbahn West dem Verkehr übergeben. Die Proteste gingen weiter. Anlässlich einer Demonstration zum Jahrestag der Räumung des Hüttendorfes am 2. November 1987 wurde auf eine Gruppe von Polizisten geschossen. Sieben Polizisten wurden verletzt, die Polizeibeamten Thorsten Schwalm und Klaus Eichhöfer getötet. Bei der Waffe handelte es sich um eine Polizeidienstwaffe, die während einer Anti-AKW-Demonstration am 8. November 1986 geraubt wurde. Noch am Abend des Tattages zog der Generalbundesanwalt das Verfahren an sich, da der Verdacht bestand, dass »die Ermordung der Polizeibeamten ... geeignet ist, den Bestand der inneren Sicherheit der BRD zu beeinträchtigen«. Als Tatverdächtiger wurde der Werbegrafiker Andreas E., ein bekanntes Mitglied der autonomen Szene, ermittelt. Bei ihm wurde die Tatwaffe gefunden. Es erging Haftbefehl. Doch so einfach war es nicht. Er bestritt die Tat und gab an, dass ihm die Waffe untergeschoben worden wäre. Er nannte auch einen Namen. Sein Mitdemonstrant Frank H., ein exmatrikulierter Politologie- und Musikstudent, habe sie ihm in den Rucksack gelegt. Der in die Niederlande geflüchtete Frank H. wurde im März 1988 in Amsterdam festgenommen und im Januar 1989 an die BRD ausgeliefert. Die näheren Umstände sind im Internet gut dokumentiert und lesen sich wie eine Kriminalgroteske.

Andreas E. und Frank H. wurden durch die Bundesanwaltschaft wegen Mordes angeklagt. Dem hat sich das Gericht nicht angeschlossen. Andreas E. wurde wegen Totschlags zu einer fünfzehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und Frank H. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren.

Die Tötungsdelikte führten dazu, dass die Protestbewegung endgültig auseinanderbrach. Die Kugeln trafen auch die Bewegung tödlich. Was ist geblieben? Zeitzeugen, die jüngsten sind längst im Rentenalter, erzählen mit leuchtenden Augen von (verlorenen) Schlachten. Und die DKP ist seit den 1970er Jahren im Stadtrat von Mörfelden-Walldorf vertreten, einer Stadt mit 35.000 Einwohnern, die flächenmäßig Anteil an der Startbahn West hat und in der und um sie herum seinerzeit die Kämpfe stattgefunden haben. Aktuell hat die DKP sechs Sitze. Bei der Kommunalwahl 2016 verbesserte sie sich von 8,7 Prozent auf 13,8 Prozent der Wählerstimmen und ließ die ehemalige Öko-Partei, die Grünen, mit 11,56 Prozent hinter sich.

Quellen: Fernseh- und Rundfunkdokumentationen und Features des HR sowie Artikel  aus FAZ, FR und UZ aus den Jahren 1965 bis dato. Film: Keine Startbahn West (1981), Dokumentarfilm von Thomas Frickel.

Literatur: Wolf Wetzel, Tödliche Schüsse. Eine dokumentarische Erzählung. Münster 2008; Horst Karasek: Das Dorf im Flörsheimer Wald. Eine Chronik gegen die Startbahn West. Neuwied 1981.