Der »grüne« Brecht
Gina Pietsch, Berlin
Bäume, Bäche und Himmel
Ein nur scheinbar unbrechtisches Thema. Das Klischee des »roten Didaktikers« scheint eine freundliche, dialektische, sprich »grüne« Sicht auf Natur auszuschließen. Sein »die Natur sah ich ohne Geduld« wird als gegeben genommen und nicht als von Trauer getragener Kritik an der Zeit, die auf Erden ihm gegeben war. Gerade noch dem jungen Brecht zugetraut, der Bäume besingt und Kühe, ist seine Beschäftigung mit Natur über 40 Jahre kaum vorstellbar. Etwa 500 Texte, die ich beim Dichter zum Thema fand, scheinen ein Gegenbeweis zu sein, ein nicht einfacher, denn wie er selber recht bescheiden sagt: »Der große Brecht verstand nicht die einfachsten Dinge und dachte nach über die schwierigsten, wie zum Beispiel das Gras.«[1]
Über Bäume hatte Brecht schon als Gymnasiast nachgedacht, über den brennenden, den gebärenden, den starken, weil biegsamen. Man muss den Baum politisieren, schreibt er 1921, und empört sich im Stück »Baal« über »bestialische Schweinehunde, die Bäume schänden«.
Warum das, zu einer Zeit, da noch kaum einer an Ökologisches dachte, kaum einer von den Gefahren wusste, denen auch Bäume ausgesetzt sind? Ganz einfach. Brecht sieht sie als Kämpfer. Er beneidet sie ob ihrer Kraft, durchzustehen gegen Geier, wie er in seinem großen Wurf »Der Geierbaum« als 18-Jähriger schreibt, oder gegen Großstadthinterhöfe, wie wir es genauer in der »Morgendlichen Anrede an den Baum Griehn« erfahren.
Und so liegen die Protagonisten seiner frühen Gedichte nicht selten im Clinch mit der Natur, vereinigen sich mit ihr, lustvoll, oder gehen in ihr unter, leidvoll. Die Natur ist immer die Stärkere, der Wald, das Wasser. Sie müssen kämpfen, können es aber auch. Es sind Baal-Gestalten, Outsider, Selbsthelfer, Reisende oft, heimatlos und einsam, »von Sonne krank und ganz von Regen zerfressen«, aber »träumend von einer kleinen Wiese mit blauem Himmel drüber«, so Brecht in der »Ballade von den Abenteurern«.
Träume spielen bei diesen verrückten Typen, die keiner der guten Bürger leiden mag, eine große Rolle. Im Stück »Baal«, das er den »Schwanengesang der Landschaft« nannte, sind es Seen und Flüsse. Das kann gut und gern autobiografisch verstanden werden, denn auch der Dichter liebte Seen und Flüsse. Sie haben für ihn etwas Erotisches. Jedenfalls kann in der höchst kunstvollen Beschreibung des »Schwimmens in Seen und Flüssen und des Kletterns in Bäumen« die Erotik nicht übersehen werden.
Brechts »Hauspostille«, seine erste große Gedichtsammlung ist voll von solchen Schwärmereien. Er nennt das übrigens »Exerzitien«, wie bei dem kirchlichen Vorbild der »Hauspostille« gedacht als Anleitung zum richtigen Verhalten, hier der Natur gegenüber, die im Übrigen immer zu loben ist, siehe im »Großen Dankchoral« »Lobet das Aas, lobet den Baum, der es fraß, immer auch lobet den Himmel«. Ja, ohne den Himmel scheint in dieser frühen Lyrik gar nichts zu gehen. Der Dichter sagt, er habe ein Verhältnis mit ihm, nennt ihn Azurl. Man vergisst ihn schwer, besonders die Wolken darin nicht. Er ist meist freundlich, aber er kann Angst machen, man sollte jedenfalls nicht zu viel von ihm verlangen, besonders, wenn es ans Sterben geht. Natürlich ist das nicht der Himmel der Bibel, so bibelfest Brecht auch immer war. Dieser nämlich bietet - auch, wenn die Bibel das anders sagt - keine Entschädigung für auf Erden Erlittenes, das kann allenfalls die Natur oder das Wasser, wie der wunderbaren, für Rosa Luxemburg geschriebenen »Ballade vom ertrunkenen Mädchen« zu entnehmen ist.
Schlechte Zeit für Lyrik
Trotz seiner schönen Hoffnung auf den neuen Menschen, der sich nicht von der Maschine verändern lassen wird, sondern im Gegenteil diese verändert, sieht er den Menschen der 20iger Jahre als »Gummimenschen« an, formbar wie der gummiartig angepasste, lächerliche Galy Gay in »Mann ist Mann«, oder aber erstaunlich anpassungsfähig, ähnlich den Bakterien, die von der Ölpest im Meer leben, und gar nicht lächerlich – der Baum Griehn. Das war 1925, in Berlin. Aber dann ist die Zeit der Verklärung von Natur vorbei. Erst später wieder, 1934, ein Anklang an die Bäume-Passionsgedichte der frühen Jahre, konkrete Hilfe fordernd, aber lustig, und für Kinder geschrieben, »Der Pflaumenbaum«. Dieser kleine Baum mitten im Berliner Hinterhof »kann nicht größer werden, er hat zu wenig Sonn«. Das dem Grimmschen Märchen »Die Gänsemagd« (»O du Falladah, da du hangest«) entlehnte Pferd kann nicht in Ruhe sterben, weil hungrige Menschen es zerfleischen, obwohl es noch gar nicht wirklich gestorben ist. In der Berliner Frankfurter Allee soll das 1919 wirklich passiert sein, Brecht nimmt es 1931 ins Gedicht, weil tägliche soziale Nöte beweisen, dass Liebe zum Tier bei menschlicher Armut schwer zu leben ist. Armut und Umwelt - übrigens ein bevorzugtes Brecht-Thema. Ein ganzes Stück schreibt er dazu, »Das Ölfeld«, in dem aufgerufen wird, Ziegenherden, 100 Jahre alte Häuser und Grundbücher und Besitztitel ohne Bedauern wegzuschaffen, weil im Boden Öl liegt, das in den Tank muss. »700 Intellektuelle beten einen Öltank an« - Kapitalismuskritik entlarvend witzig auf die Spitze getrieben. Seine Begründung dazu: »Der Kapitalismus hat uns zum Kampf gezwungen. Er hat unsere Umgebung verwüstet. Ich gehe nicht mehr ›im Walde für mich hin‹, sondern unter Polizisten. Da ist noch Fülle. Die Fülle der Kämpfe.«
Brecht gehörte, wie bekannt, nach den Erfolgen der »Dreigroschenoper« und »Mahagonny« zu den besser gestellten Schriftstellern und konnte sich sogar den Erwerb eines Hauses leisten, 1932 in Utting, am Ammersee, umgeben von einem schönen Garten. Freilich dauerte sein Reichtum nur 7 Wochen, den Wandel der Jahreszeiten, der sicherlich köstlich gewesen wäre, konnte er nicht mehr erleben. Am Tag nach dem Reichstagsbrand »flohen wir über die Grenze«. Es begann eine über 15 Jahre andauernde, unfreiwillige Reisezeit durch sieben Länder, eingefrorene Verträge in Deutschland, geringe Hoffnung auf Arbeit in der Fremde, kaum Einnahmen, Ausbürgerung wegen Deutschfeindlichkeit, Siegesmeldungen aus Deutschland, die alle, mit denen er verbunden ist, als Horrormeldungen empfinden. Und so schreibt er, obwohl meist in schöner Umgebung lebend, unterm »dänischen Strohdach«, im Grün der Insel Fünen, umringt von starken, edlen Bäumen den berühmten Satz: »Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.«
Es wird weiter gesprochen und geschrieben über Bäume und Tiere, Elefanten, Pferde, Kühe, Gänse, Lustiges, wenn auch die Zeiten für Spaß wenig Anlass bieten.
Im nächsten Exilland, Schweden, überwacht die Sicherheitspolizei bestimmte Personengruppen. Ein Drittel der dorthin emigrierten deutschen Kommunisten wurde schon interniert. Auch Brechts Familie, einschließlich der Freunde sind gefährdet. So wird Finnland die nächste Station. Aber auch der Garten dort bot keinen Schutz mehr. Die Deutschen kamen wieder näher.
Die Freundin Grete Steffin hatte sich von ihren Verwandten sagen lassen, dass sie in Amerika sicher von ihrer Tuberkulose geheilt werde, weil man da in ein »ganz, ganz feines Klima« kommt. Brecht später in Kalifornien empfand das ganz, ganz anders. Im »Arbeitsjournal« lesen wir zum 20. Oktober 1942: »merkwürdig, ich kann in diesem klima nicht atmen. Und ich suche unwillkürlich an jeder hügelkette an jedem zitronenbaum ein kleines preisschildchen«. Er ist nicht froh in diesem gepriesenen LA-Traumland, kann sich nicht anpassen und bemerkt erstaunt, »wie das politische bewußtsein all diese täglichen verrichtungen beeinflußt«. Er meint das Wässern des Gartens, das er nun gern macht, aber ständig in Sorge, etwas zu übersehen, den alten Baum, die kleine Pflanze.
Der Blumengarten
Zurückgekehrt nach Deutschland 1947, fallen ihm erstaunliche Dinge auf: »die Fülle der wildwachsenden Blumen auf dem alten zivilisierten Kontinent, die Farben der Pflanzenwelt, so viel frischer und so viel weniger krud als die der kalifornischen« und natürlich die Jahreszeiten, der Frühling. Immer wieder aber tauchen da Sorgen auf, gerade im Frühling, den er im Gedicht rührend beschreibt, diese Sorge um eine Blüte, die an einem dürren Ast erblüht ist und die er fast übersehen und abgehauen hätte. Mit 15 hat er solche Sorge schon einmal beschrieben, als der Vater, von dem er seinen »Sinn für Natur« zu haben glaubt, im Krankenhaus lag. Wie schon beschrieben, hat ihn dieses Erbe vom Vater sein ganzes Schaffen hindurch begleitet. Auf seine letzten Jahre hin scheint es an Wichtigkeit zugenommen zu haben. Das schöne Grundstück am Schermützelsee, in Buckow, wo »zwischen Tann und Silberpappel« der Garten »so weise angelegt mit monatlichen Blumen, dass sie vom März bis zum Oktober blühn« ihn immer wieder einlädt zu Arbeit und Erholung. Die Natur dort wird zunehmend wichtiger auch zur Regenerierung der eigenen. Es sind die Zeiten um den 17. Juni 1953 herum. Schwierige Zeiten, die Anlass zu Elegien geben. Buckower Elegien eben, im Westen kaum verstanden, in der DDR missdeutet als zu dicht an der Zeit, oder zu dicht an der Natur.
Drei Jahre schreibt er danach noch, lehrt, inszeniert, organisiert, mischt sich ein in Politik, selten zur Freude der Herrschenden, schafft ein neues Theater, das eine neue Gesellschaft befördern helfen soll und das Weltgeltung erzielt. Im Mai 1956 lassen die Kräfte nach. Aber er hat keine Todesfurcht mehr, und es gelingt ihm, sich »zu freuen alles Amselgesanges nach mir auch«. Vor 65 Jahren nun, am 14. August 1956, stirbt er.
Anmerkung:
[1] »... ZUM BEISPIEL DAS GRAS«. 14. Brecht-Abend von Gina Pietsch, mit Fabio Costa. Der »grüne« Brecht in Gesprächen über Bäume, Bäche und Buckow, in Gesängen über Geier, Gummi und Gänse. Am 30.09.2021, 20 Uhr zu sehen im Zimmer 16, in der Florastraße 16, 13187 Berlin. Weitere Informationen unter: www.ginapietsch.de.
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