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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der gelbe Fleck (Auszug)

Rudolf Hirsch und Rosemarie Schuder

Als großes Werk steht der Roman Jud Süß von Lion Feuchtwanger da. Er zeigt das zwielichtige Wesen dieses Mannes, der es verstand, einem jovialen Haudegen, der unverhofft, unvorbereitet Herzog von Württemberg wurde, eine neue Finanzverwaltung zu schaffen; der es verstand, in dem rückständigen Agrarland Industrien und Manufaktur zu eröffnen; der rücksichtslos alle verrotteten Strukturen beiseite schob; der besessen war von einer unersättlichen Gier nach Reichtum und nach Eleganz; der es den Großen, dem Adel, gleichtun wollte, auch bei seinen Erfolgen in der Liebe, und der damit noch mehr den Haß der Frömmler auf sich zog. Der »Jud Süß«, eine tragische Figur, die scheitern mußte.

Dieser Roman gab einem Filmproduzenten, Gaument, die Vorlage. Der Film wurde in England gedreht, und einer der großen deutschen Schauspieler, Konrad Veidt, spielte die Hauptrolle; er war Jude, schon 1933 ausgewandert, nur um diese Rolle spielen zu dürfen.

Aber auch die Nazis bemächtigten sich des Stoffes. Die deutsche Bevölkerung sollte das Vertreiben ihrer jüdischen Mitbürger als gerechtfertigt empfinden, ja auch die Ermordung. Was damals in Württemberg geschehen war, sollte als Vorbild für die Judenpolitik der faschistischen Regierung dienen. Veit Harlan, ein schon berühmter Regisseur, schrieb mit zwei anderen, Ludwig Metzger und Eberhard Wolfgang Möller, das Drehbuch. »Jud Süß» wurde von Ferdinand Marian gespielt. Werner Krauß aber übernahm einige Hauptrollen, in denen er jüdische Menschen darstellen wollte. Er spielte sie fürchterlich. Nicht vom Schauspielerischen her, da zeigte er sein großes Können. Aber mit seiner Kunst konnte er Fürchterliches erreichen.

Der sogenannte Hauptschriftleiter der Deutschen Allgemeinen Zeitung schrieb am 6. September 1940 über die Darstellung von Krauß: »Man muß diese schauspielerische Kunst schlechthin als genial bezeichnen. Werner Krauß stellt nicht nur einen Juden dar, nein, der ganze Mensch Krauß vollzieht den Wandel. Er bekommt jenen behenden, schleichenden Gang, seine Zunge wird schwer, jiddische Laute entstehen. Dann psalmodiert er sogar auf Hebräisch, er weiß den württembergischen Bauern jüdisch verdrehte Finanzweisheiten einzutrichtern, die sie mit Staunen und ungläubig für bare Münze hinnehmen. Ja, das ist eine Darstellung, genial ausgeführt.«

Himmler, Reichsführer der SS, Chef aller Polizeiverbände und damit auch Befehlshaber der Mordbanditen in den Vernichtungslagern, gab einen Erlaß heraus. Er empfahl den Film Jud Süß für die Gendarmerie, die Schutzpolizei, die Feuerschutzpolizei, die freiwillige Feuerwehr, die Dienststellen der SS, die Angehörigen der Ordnungs- und Sicherheitspolizei.

Ein authentischer Bericht sagt mehr über diesen Film als alle Schilderungen, als alle Kritiken. Im ersten Auschwitz-Prozeß in Frankfurt am Main erklärte der Angeklagte Stefan Baretzki, SS-Rottenführer:

»Uns wurden damals Filme gezeigt wie Jud Süß und Ohm Krüger. An diese Filme kann ich mich noch erinnern. Was das für Folgen hatte für die Häftlinge. Die Filme wurden der Mannschaft gezeigt. Und wie haben die Häftlinge am nächsten Tag ausgesehen.«

In seinem Buch Die kalte Amnestie beschreibt Jörg Friedrich, wie gezielt der Hetzfilm Jud Süß ein halbes Jahr vor der industriellen Massenvernichtung der jüdischen Menschen eingesetzt wurde: »Veit Harlan, der von Goebbels instruierte Hersteller des ideologischen Vernichtnngswerkzeugs, hatte seinen Jud Süß einem 20-Millionen-Publikum gezeigt. Die Wachmannschaften der Vernichtungslager sahen ihn in Sondervorstellungen am Ort. Allen Ländern Europas, die den Deutschen ihre Juden preisgeben sollten, wurde 'Jud Süß' vorgeführt. Vom Herbst 1940 an, ein knappes Jahr vor Beginn der ersten Deportationen deutscher Juden in den Osten, sah man in denFilmtheatern Süß Oppenheimer in einem Eisenkäfig verenden. Wimmernd und kreischend am Galgen hochgezogen, erfleht er das Mitleid der stummen Gemeinde: 'Nehmt Euch meine Häuser, nehmt Euch mein Geld, aber laßt mer mein Leben! – Ich bin unschuldig! Ich bin nur e' armer Jud! Laßt mer mein Leben! – Ich will leben, leben will ich, le...' Die Erdrosselung beschreibt das Drehbuch wie folgt: Der Richter schaut mutigen Blicks nach oben ... Der Trommelwirbel wird immer stärker ... Wir sehen an den Gesichtern, daß sich das Grausame vollzieht ... Eine ungeheure Musik fällt ein, ein Choral beginnt – Das Volk geht auf die Knie'«.

Die Premiere des Propagandafilms »Jud Süß« fand vor 75 Jahren, am 5. September 1940, statt.

Anmerkung

[1] Rütten und Loenig Berlin 1987, S. 692/693 (Frankfurt am Main – Blick nach Stuttgart).