Der Anfang ist gemacht
Wolfgang Herrmann, Dreesch
Ein halbes Jahr ist in Nicaragua die Regierung der Versöhnung und nationalen Einheit im Amt. Die rechten und linken Demokraten Europas ließen und lassen sich über Ortegas Comeback auf der politischen Bühne aus. Hierzulande erklärte die Linkspartei die inzwischen ins neoliberale Lager abgeglittene Sandinistische Erneuerungsbewegung MRS zur linken Alternative. Die bürgerlichen Kräfte blasen ins Horn der liberal-konservativen Opposition Nicaraguas, die eine antidemokratische Tendenz wittert. Eine Zeitung schrieb, daß in 100 Tagen nach der Wahl noch nicht viel passiert sei, die Probleme des bitterarmen Landes noch nicht gelöst wären. Ortega hätte sich mit der Anti-Washington-Allianz Kubas und Venezuelas verbündet. Er freunde sich mit dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad an und spanne Kardinal Obando y Bravo in seine Versöhnungspolitik ein. Ausländische Investoren befürchten die Verstaatlichung der Wirtschaft nach dem Beispiel Venezuelas und Boliviens.
Lassen wir Fakten sprechen. Sofort nach der Amtsübernahme erklärte die Regierung den Beitritt Nicaraguas zu ALBA, der Bolivarianischen Alternative zum Gemeinsamen Markt Lateinamerikas, der auch Bolivien, Ecuador, Kuba und Venezuela angehören. Am 5. und 6. März tagte in Managua zum ersten Mal die Gemischte Kommission der Regierungen Nicaraguas und Venezuelas. Die neue Regierung hat sofort die Beziehungen zu Kuba normalisiert. Mit Libyen, dem Iran und Laos wurden wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen.
Am 27. März 2007 beriet die neue Regierung das Programm der Trinkwasserversorgung. Obwohl das Land über hervorragende Wasserressourcen verfügt, werden nur 60 Prozent der Bevölkerung mit Trinkwasser versorgt. Sie beschloß, einheitliche Trinkwasserpreise einzuführen, den Anteil der staatlichen Brunnen durch Erneuerung zu erhöhen, die privaten Brunnenbesitzer an die Leine zu nehmen und in die Gewinnung von Trinkwasser aus den natürlichen Ressourcen zu investieren. Gleichzeitig beriet sie das Energieprogramm. Nach 16 Jahren neoliberaler Politik werden nur 60 Prozent der Haushalte mit Strom versorgt. Abschaltungen bis zu 12 Stunden am Tag waren normal. Um den dringendsten Bedarf zu sichern, sollen 2007 neue Kraftwerke mit einer Leistung von 120 Megawatt gebaut werden. Am 17. April gingen in Las Brisas und Los Brasiles die ersten beiden aus Venezuela mit 60 Megawatt Leistung ans Netz. Nicaragua plant den Bau kleiner und mittlerer Erdwärmekraftwerke, die den Energiebedarf von 540 bis 560 Megawatt garantieren.
Am 24. April 2007 stellte die neue Regierung das Gesundheitsprogramm vor. Die Politik der vergangenen 16 Jahre hatte dazu geführt, daß 64 Prozent der Bevölkerung, vor allem auf dem Lande, nicht in den Genuß der Gesundheitsversorgung kamen. Die privaten medizinischen Dienste im öffentlichen Gesundheitswesen werden eingestellt. Ab sofort ist die Erste Hilfe zu garantieren. Schrittweise soll wieder die kostenlose medizinische Grundversorgung garantiert werden. Nächste Aktion wird die Schutzimpfung 2007 sein. Dafür wurden 70.000 Helfer mobilisiert. Das Augenzentrum Sandino, das durch kubanische Solidarität entstand und 8 Jahre lang nicht genutzt wurde, arbeitet wieder. In einer weiteren Aktion soll die gesundheitliche Betreuung der Regionen der Karibikküste eingeführt werden. 344 Ärzte, darunter 40 aus Kuba, sowie 1.500 Krankenschwestern, die in Kuba studierten, kommen zum Einsatz.
Am 4. Mai setzte die neue Regierung das Programm "Hambre Cero", "Null Hunger", in Gang. Man beginnt in der ärmsten Region des Landes, in Alto Coco an der Nordkaribikküste. Pro Familie werden 2.000 Dollar zur Verfügung gestellt. Die Bauernfamilien erhalten Saatgut und Vieh. Im Verlauf von fünf Jahren wird 75.000 Familien in 1.500 Gemeinden geholfen. Mit dem Programm sind die Ziele der jährlichen Landwirtschaftszyklen verbunden. Die Regierung legte ein neues Genossenschaftsgesetz auf. Die auf Monokulturen orientierte Landwirtschaft wird umgestaltet. Neben der Exportproduktion soll die Versorgung Nicaraguas aus der eigenen Landwirtschaft erfolgen.
Am 18. Mai begann die neue Alphabetisierungskampagne "José Martí". Unter der sandinistische Regierung war es bereits gelungen, den Analphabetismus auf 12,5 Prozent zu reduzieren. In den Jahren von 1990 und 2006 folgte der Rückschlag. Die Kampagne wird bis zum "Analphabetismo Cero" 2009 wieder aufgenommen. Sofort nach der Amtsübernahme schaffte die neue Regierung das Schulgeld ab.
Die Finanzierung der Programme soll aus drei Quellen gesichert werden. Einmal rechnet man damit, daß durch den jüngsten Schuldenerlaß der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IaDB) Mittel verfügbar werden. Außerdem werden aus den günstigen Liefer- und Zahlungsbedingungen in Rahmen von ALBA Mittel frei. Und schließlich baut Nicaragua auf ausländische Investoren.
Wunder konnte die Regierung der Versöhnung und nationalen Einheit nicht vollbringen. Was sie aber bisher tat, ist bereits ein großer Schritt aus dem Desaster, in dem die liberal-konservativen Regierungen der vergangenen 16 Jahre das Land zurückgelassen hatten.
Mehr Informationen über das neue Nicaragua in "informe" unter www.nuevanicaragua.info