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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der ADAV und sein Platz in der Geschichte der Arbeiterbewegung

Dr. Marga Beyer, Historikerin aus Berlin

 

Vor 150 Jahren, am 23. Mai 1863, erfolgte in Leipzig die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV). Die heutige SPD nimmt für ihre Parteigeschichte diesen Gründungsakt für sich in Anspruch, wobei sie die reformistisch-opportunistische Linie in der Arbeiterbewegung besonders unterstreicht. Doch Tradition lässt sich nicht so leicht teilen. Auch die heutige "Linke" wird sich an die Gründung des ADAV positiv erinnern. Ihr sind die antikapitalistischen Beweggründe, die zur Gründung führten, von Bedeutung, da der ADAV in historischer Linie zu marxistischen Anfängen in der Arbeiterbewegung steht. Stolz auf die langjährige Tradition in der Arbeiterbewegung prägt also das Geschichtsverständnis, wobei die SPD ihre marxistischen Wurzeln leugnet.

Zu den Mitbegründern des ADAV gehörte der langjährige Vertraute von Karl Marx und Friedrich Engels aus Revolutionstagen, Ferdinand Lassalle. Noch 1847/48 hatte sich aus dem Bund der Gerechten der Bund der Kommunisten herausgebildet, dessen Programm, "Manifest der Kommunistischen Partei", von Karl Marx auftragsgemäß verfasst und gemeinsam mit Friedrich Engels veröffentlicht worden war.

Die Niederschlagung der bürgerlich-demokratischen Revolution hatte eine Reaktionsperiode bis zum Beginn der 60er Jahre in Europa zur Folge. Das wirkte sich verheerend auf die sich formierende Arbeiterbewegung aus. Nach und nach fanden sich jedoch Handwerksgesellen und Frühproletarier auch in deutschen Landen zusammen, um ihre soziale und politische Lage zu verbessern oder gar zu verändern. Die beginnenden 60er Jahre führten zu einem Aufschwung und zur Formierung selbständiger Bewegungen. In den Zentren des früheren Bundes der Kommunisten zeigten sich ebenso wie in industriellen Zonen erste Ansätze.

Sowohl Ferdinand Lassalle als auch Arbeiter berieten sich noch im Sommer 1862 mit Karl Marx über ihr mögliches Vorgehen zur Gründung eigenständiger Organisationen. Die Kontinuität vom Bund der Kommunisten bis zur Gründung des ADAV besaß deshalb stets einen hohen Stellenwert in der Darstellung und Forschung, vor allem in der DDR.

Nicht Ferdinand Lassalle gründete den ADAV, sondern fortschrittliche Handwerksgesellen und Proletarier waren seine Gründungsväter. Ein Berliner Zentralkomitee der Arbeiter als auch das Leipziger Komitee organisierten die Zusammenkunft in Leipzig im Mai 1863. Sie baten den ihnen noch aus Revolutionstagen bekannten Lassalle um seine Mitwirkung und forderten ihn zur Formulierung inhaltlicher Programmsätze auf. Zunächst veröffentlichte Lassalle sein "Arbeiterprogramm" 1862 und im Frühjahr 1863, entsprechend einer Vereinbarung mit dem Leipziger Komitee, sein "Offenes Antwortschreiben". Die Arbeiter konnten nicht wissen, dass bereits im Sommer 1862 Karl Marx einige Programmthesen von Lassalle kritisiert hatte. Zwar hatte sich Lassalle mit Marx damals beraten, war aber nicht bereit, dessen kritische Bemerkungen zu berücksichtigen.

Doch die Zeit zur Gründung des ADAV war reif. Der ADAV war ein erster Schritt auf dem Wege zur Herausbildung einer proletarischen Partei. Antikapitalistische Losungen wurden jedoch bald von idealistisch-opportunistischen Illusionen über den Weg zur Befreiung der Arbeiterklasse überdeckt. Lassalles Gedankengut und die sich auf ihn beziehenden Statuten beeinträchtigten im Weiteren das fortschrittliche Wirken der von der Bourgeoisie getrennten Arbeiterorganisation. So sollten gemäß Lassalles Programm die Mitglieder durch legale Agitation das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht erringen, damit ihre Vertreter im Parlament die politische Machtergreifung von Arbeitern durchsetzen könnten. Zum weiteren sollten die Arbeiter vom damaligen preußisch-junkerlichen Staat Kredite verlangen, um Produktivgenossenschaften zu bilden, die, entsprechend Lassalles Auffassung, die Kapitalisten niederkonkurrieren würden. Unisono mit den herrschenden junkerlich-kapitalistischen Verhältnissen näherten sich diese Auffassungen antidemokratischem Gedankengut an und verleugneten den proletarischen Klassenkampf. Von Bundesgenossen im bäuerlichen und kleinbürgerlichen Lager konnte keine Rede mehr sein. Noch konnte sich während der Gründungszeit Lassalles Gedankengut durchsetzen, obwohl viele Gründungsmitglieder bereits jahrelange Erfahrungen in Klassenauseinandersetzungen hatten.

Dem ADAV gehörte zunächst auch Wilhelm Liebknecht an. Er war aus englischer Emigration nach Preußen und dann Sachsen zurückgekehrt und vertrat Marxens Theorie in Wort und Schrift. Nach nur einem Jahr musste er den ADAV verlassen. Doch widmete er sich kämpferisch den in den 60er Jahren auflebenden Bewegungen. Noch 1863 folgte in Frankfurt/M. der Verband Deutscher Arbeitervereine (VDAV), zu dem auch August Bebel gehörte. Im September 1864 gründete sich in London die I. Internationale (IAA), zu der Karl Marx die Inauguraladresse und die Statuten verfasste. Nach Lassalles Tod im August 1864 verfiel der ADAV unter seinen nichtproletarischen Führern immer mehr. Die Absonderung von marxistischen Kräften verdeutlichte sich. Dazu trugen die jährlichen Kongresse der IAA, die Hinwendung des VDAV zu marxistischen Erkenntnissen 1868, die Herausbildung von Gewerkschaften und die Herausgabe des 1. Bandes des "Kapital" von Marx bei.

Immer mehr Gründungsmitglieder des ADAV trennten sich schließlich von ihm und bildeten im Oktober 1869 in Eisenach gemeinsam mit IAA-Mitgliedern, mit Gewerkschaftern und Gleichgesinnten aus dem VDAV die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) auf marxistischer Grundlage. August Bebel und Wilhelm Liebknecht gehörten seit dieser Zeit zu den führenden Kräften in der deutschen Arbeiterbewegung im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.

Erst mit der Herausbildung der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) 1875 in Gotha zerfiel der ADAV völlig. Das von Karl Marx und Friedrich Engels und anderen Arbeiterfunktionären kritisierte "Gothaer Programm" enthielt noch einige nicht unwichtige Lassallesche Auffassungen. In der Folgezeit musste sich der Marxismus in der Arbeiterbewegung gegen dieses reformistische Programm durchsetzen. Doch die Klassenkampfbedingungen – von 1878 bis 1890 hatte Bismarck das Sozialistengesetz verhängt – führten zum Bruch mit dem Lassalleanismus. Immer mehr Arbeiter sahen im Marxismus ihre Zielvorstellungen ausgedrückt. Selbstbewusst nahmen sie im Oktober 1891 das marxistische Erfurter Programm an und tilgten die Spuren des ADAV.

Es kommt darauf an, den Platz des ADAV in der Geschichte der Arbeiterbewegung zu achten und seine weitere Entwicklung, die zur vereinten Arbeiterpartei 1875 und schließlich zum Marxismus führte, hervorzuheben. Die "Linken" stützen sich auf die revolutionären Traditionen, die auch im ADAV enthalten sind, und lehnen die opportunistisch-revisionistischen Linien ab. Antikapitalismus als Grundlage für die Herstellung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse – eine Wahnsinnsidee innerhalb der Arbeiterbewegung? Vielleicht – auch als Tradition aber gilt es, sie zu bewahren.